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Politik
Leben in der Demokratie
Ist die Demokratie in Gefahr? Nachdem Olaf Scholz die Vertrauensfrage gestellt hat, stehen in Deutschland Wahlen an. Derzeitige Umfrageergebnisse deuten an: Viele Menschen werden populistische und extreme Parteien wählen.
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Inhalt
- Was macht eine Demokratie aus?
- Wie demokratisch ist die Welt?
- Misstrauen die Menschen wirklich der Demokratie?
- Was bringt uns die Demokratie?
- Welche Probleme kann eine Demokratie bekommen?
- Wie fühlen wir uns besser repräsentiert?
- Direkte Demokratie in Deutschland
- Bürgerräte: beraten statt entscheiden?
- Was macht eine Demokratie aus?
- Wie demokratisch ist die Welt?
- Misstrauen die Menschen wirklich der Demokratie?
- Was bringt uns die Demokratie?
- Welche Probleme kann eine Demokratie bekommen?
- Wie fühlen wir uns besser repräsentiert?
- Direkte Demokratie in Deutschland
- Bürgerräte: beraten statt entscheiden?
Artikel Abschnitt: Was macht eine Demokratie aus?
Was macht eine Demokratie aus?
Was macht die Demokratie so besonders? Der zentrale Punkt ist die Selbstbestimmung. In einer Demokratie legen die Menschen Gesetze für sich selbst fest. Wir entscheiden – mindestens indirekt durch die Wahl – alle bei den Gesetzen mit, müssen uns aber dann auch alle selbst dran halten. Das Gegenteil sind autokratische Herrschaftsformen: Hier bestimmt eine kleine Gruppe von Menschen, oder auch nur ein Mensch, oft ein Monarch/eine Monarchin oder Diktator. Das Volk ist dann nicht selbst-, sondern fremdbestimmt.
Artikel Abschnitt: Wie demokratisch ist die Welt?
Wie demokratisch ist die Welt?
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Artikel Abschnitt:
Auf der anderen Seite stehen die Demokratien. Wahlen finden hier fair und frei statt. Insgesamt gibt es gut 90 von ihnen, allerdings haben sich in den vergangenen Jahren viele Länder eher verschlechtert als verbessert.
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Weitere Angaben zum Artikel:
So funktioniert der V-Dem-Index
Diese Einschätzungen sind subjektiv, werden aber zusammengefasst und Unsicherheiten eingerechnet, damit ein möglichst objektives Bild entsteht. Am Ende bekommt jedes Land einen Wert zwischen 0 und 1 zugewiesen. Deutschland liegt aktuell bei rund 0,8. Die "Bestbewertung" als liberale Demokratie gibt es ab 0,75.
Artikel Abschnitt: Misstrauen die Menschen wirklich der Demokratie?
Misstrauen die Menschen wirklich der Demokratie?
Ein wichtiger Punkt dabei: Die gefühlte "Selbstwirksamkeit" – damit ist gemeint: Habe ich das Gefühl, dass ich überhaupt Einfluss habe auf das, was politisch passiert in Deutschland? Besonders ärmere Menschen haben da ihre Zweifel. Und wer nicht an diese Selbstwirksamkeit glaubt, der lehnt auch eher demokratische Institutionen ab und findet es zum Beispiel in Ordnung, politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen.
Hier erfährst du, warum sich Verschwörungsmythen so leicht verbreiten.
Die Rolle von Rechtsextremismus
Ein geringes Vertrauen in die Demokratie hängt auch statistisch stark zusammen mit rechtsextremen Einstellungen. Hier scheinen junge Menschen ebenfalls besonders empfänglich zu sein. Das sieht man neben Deutschland auch in anderen europäischen Ländern, gerade im Osten. Die Befragten in der Altersgruppe unter 35 stimmten den rechtsextremen Positionen deutlich häufiger zu als die Älteren. Außerdem zeigen junge Menschen häufiger antisemitische Einstellungen und verharmlosen mit ihren Aussagen sogar öfter den Nationalsozialismus. In anderen Kategorien, wie der Fremdenfeindlichkeit, waren allerdings die 35- bis 64-Jährigen etwas auffälliger.
Warum wählen so viele Menschen populistische Parteien?
Doch warum wählen eigentlich so viele Menschen in westlichen Demokratien mittlerweile populistische bis extreme Kandidat:innen und Parteien? Die Antwort ist nicht leicht und vor allem komplex. In der Forschung geht man von unterschiedlichen Erklärungsansätzen aus. Darunter: ökonomische Ansätze, die mit Wohlstandsverlust und niedrigeren Einkommen zusammenhängen – aber auch mit der Aussicht darauf. Ist der eigene Status bedroht, steige demnach die Empfänglichkeit für rechtspopulistisches Gedankengut. Dafür kann sogar die subjektive Wahrnehmung ausreichen. Es gibt aber auch Erklärungsansätze, die kulturelle Konflikte in den Fokus nehmen. Das kann die Modernisierung der Gesellschaft und der technische Wandel wie auch Zuwanderung sein.
Auch Verschwörungsglaube befeuert Populismus
Klar ist: Rechtspopulismus kann ein demokratisches und ein antidemokratisches Publikum gleichzeitig ansprechen. Die Populist:innen verwenden dafür rhetorische Tricks. Forschende sehen die gefühlte Behäbigkeit der Demokratie, das damit verbundene Misstrauen und mangelnde Selbstwirksamkeit als wichtige Erklärungen für den Erfolg des Populismus. Dieser wird seinerseits durch mangelndes Vertrauen in etablierte Medien und den über sogenannte "alternative Medien" verbreiteten Verschwörungsglauben befeuert, die in Krisenzeiten und einer komplexen Welt einfache Erklärungen anbieten. So werden leicht Schuldige ausgemacht und Gefühle hervorgerufen, die bei den Menschen zu Selbsterhöhung führen.
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Artikel Abschnitt: Was bringt uns die Demokratie?
Was bringt uns die Demokratie?
Vor allem das Gefühl der Selbstbestimmung: Du bestimmst selbst mit, nach welchen Regeln du leben willst, und lässt dir das nicht einfach vorschreiben. Im Idealfall jedenfalls.
Corona-Zeit: Autokratien haben Rechte stark beschnitten
Außerdem: Demokratische Regierungen sind maßvoller. Eine Untersuchung der Corona-Maßnahmen unterschiedlicher Länder hat gezeigt: In demokratischeren Ländern wurden Freiheits- und andere Grundrechte weniger eingeschränkt als in autokratischen. Ja, es gibt auch Abweichungen – die schwedischen Forscherinnen und Forscher stellen ihrem eigenen Land zum Beispiel kein besonders gutes Zeugnis aus, ebenso wenig wie den USA, Tschechien, Großbritannien oder Spanien. Gründe sind, dass die Maßnahmen dort ohne Zeitlimit eingeführt wurden oder etwa US-Präsident Trump Desinformation von offizieller Seite verbreitete. Aber besonders stark beschnitten wurden die Rechte eben in Autokratien wie China. Hier haben die Behörden Maßnahmen ohne gesellschaftlichen Diskurs umgesetzt, auch die Medienfreiheit wurde eingeschränkt.
Frieden und Wohlstand in Demokratien
Selbst für die Wirtschaft ist die Demokratie die bessere Staatsform: Wenn ein Staat demokratischer wird, wächst in der Regel auch sein Bruttoinlandsprodukt – und das auch, wenn man andere Effekte wie die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung rausrechnet.
Wirtschaftsforscherin Vanessa Boese-Schlosser hat das untersucht, sie vermutet, dass das an den stabileren Rahmenbedingungen in einer Demokratie liegt. Firmen trauen sich eher zu investieren, wenn es ein funktionierendes Rechtssystem gibt – und keinen Autokraten, der sich in die eigene Tasche wirtschaftet. Das zeigt sich dann auch in der Verteilungsgerechtigkeit – also wie gleichmäßig das Vermögen in der Bevölkerung verteilt ist. Messen kann man die mit dem sogenannten GINI-Koeffizienten. Je höher der ist, umso ungerechter ist die Verteilung.
Auch in Demokratien gibt es ungleiche Vermögensverteilung
Russland hat aktuell einen der höchsten GINI-Koeffizienten: Hier gibt es einige extrem reiche Oligarchen und viele sehr arme Bürgerinnen und Bürger. Aber: Auch Demokratien können eine hohe Verteilungsungerechtigkeit haben. In Namibia zum Beispiel ist der Wert ziemlich schlecht, obwohl der Staat demokratisch ist.
Natürlich geht es auch einigen Autokratien wirtschaftlich gut, etwa den Öl exportierenden Staaten wie Saudi-Arabien. Das sind aber Ausnahmen und liegt – in diesem Fall – eben stark am Reichtum an Bodenschätzen.
Und dann gibt es noch den Begriff des "demokratischen Friedens". Forschende haben beobachtet, dass Demokratien in der Regel keinen Krieg gegeneinander führen – zumindest viel seltener, als das bei anderen Staatsformen der Fall ist.
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Artikel Abschnitt: Welche Probleme kann eine Demokratie bekommen?
Welche Probleme kann eine Demokratie bekommen?
In der Forschung spricht man dann auch von der "Tyrannei der Mehrheit". Minderheiten werden dann systematisch unterdrückt – das kann zum Beispiel bedeuten, dass rassistische Gesetze erlassen werden oder dass von der Mehrheit enge moralische Grenzen gesetzt werden, was gesellschaftlich akzeptabel ist – damit werden Andersdenkende kleingehalten.
Demonstrationsrecht – ein wichtiges Kriterium
Hans Vorländer, einer der bekanntesten Demokratieforscher in Deutschland, sagt: "In einer Demokratie sollte die Minderheit von heute immer die Chance haben, die Mehrheit von morgen zu werden." Damit das möglich ist, müssen auch Minderheiten gewisse Rechte haben, die die Mehrheit nicht einfach so wegnehmen kann. Vor allem müssen sie in der Lage sein, zu demonstrieren und für ihre Ideen zu werben – damit sie eben vielleicht mal die Mehrheit werden.
Es gibt auch Minderheiten, deren Vertretung im Parlament direkt per Gesetz geschützt ist – so zum Beispiel der Südschleswigsche Wählerverband in Schleswig-Holstein, der dort die dänische Minderheit vertritt. Er ist von der Fünf-Prozent-Hürde befreit und kann so die Interessen der Minderheit einbringen, die normalerweise von der Mehrheit "erdrückt" werden könnte.
Wenn es eine Verfassung gibt, die auch Minderheiten schützt, spricht Vorländer von einer "vollwertigen Demokratie". Ein Negativbeispiel ist Indien: Lange galt das Land als demokratisch, ist aber in den letzten Jahren unter der Regierung von Premierminister Modi abgerutscht – nicht zuletzt, weil religiöse Minderheiten wie Muslime dort nicht dieselben Freiheiten genießen wie die mehrheitlich hinduistische Bevölkerung.
Geld und Bildung geben den Ton an
Es gibt noch mehr Faktoren, die einen fairen Wettbewerb der Ideen verhindern: Etwa der unterschiedliche Bildungsgrad. In den USA wird regelmäßig rund um Wahlen zur "Registrierung" aufgerufen – wer abstimmen will, muss sich vorher anmelden. Den Prozess empfinden viele als kompliziert – insbesondere Menschen mit niedrigem Bildungsstatus haben hier also Probleme. Bei der vergangenen US-Präsidentschaftswahl 2019 war jede vierte grundsätzlich wahlberechtigte Person nicht registriert. Bei den Kongresswahlen 2022 kam gut ein Drittel der Stimmen von weißen Männern mit College-Abschluss – obwohl sie nur knapp ein Viertel der Wahlberechtigten ausmachen.
Auch die Einkommensverhältnisse spielen eine Rolle – und die hängen oft eng mit dem Bildungsgrad zusammen. Beim US-Wahlkampf, den wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, war das leicht zu sehen: Dass es viel Geld braucht, um dort eine erfolgreiche Kampagne zu starten, war schon immer so. Doch diesmal hat sich noch deutlicher gezeigt, dass reiche Gruppen viel mehr Möglichkeiten haben, für ihre Ansichten Werbung zu machen und Stimmen zu sammeln. Milliardär Elon Musk hat zum Beispiel Aufsehen erregt, indem er viel Geld verloste an Menschen, die sich zur Wahl registriert und eine konservative Petition unterschrieben hatten.
Auch in Deutschland lässt es sich nicht wirklich verhindern, dass Reiche mehr Einfluss nehmen können. Es gibt zwar Ansätze, auch ärmeren Menschen Beteiligung zu ermöglichen – zum Beispiel, indem politische Abgeordnete (gut) bezahlt werden. Dadurch kann sich jeder leisten, für ein Amt zu kandidieren, selbst wenn er in der Zeit dann kein Geld in seinem eigentlichen Job verdienen kann. Aber ganz ausgleichen kann man den Nachteil der Ärmeren damit nicht.
Weniger Bildung heißt oft geringe Wahlbeteiligung
Und in Deutschland gilt wie in den USA: Wer weniger gebildet ist, beteiligt sich auch weniger an politischen Prozessen. Studien zeigen, dass in Wahlkreisen mit geringem Bildungs- und Wohlstandsniveau auch weniger Menschen zur Wahl gehen. Sie nehmen auch seltener an Protestaktionen oder öffentlichen Diskussionen teil. Und das Problem kann über Generationen bestehen bleiben, denn Kinder von Akademikerinnen und Akademikern schlagen sehr häufig eine ähnliche Laufbahn ein, während Kinder aus Arbeiterhaushalten auch selten studieren. In Deutschland ist die sogenannte "Bildungsmobilität" im europäischen Vergleich sehr gering. So werden die bestehenden Verhältnisse noch verstärkt.
Wenn das Vertrauen fehlt
Und dann gibt es für die Demokratie noch die ganz entscheidende Gefahr: Wenn die Menschen ihr nicht mehr vertrauen – zum Beispiel, weil ihnen die oben beschriebene "Selbstwirksamkeit" fehlt. Was, wenn ich nicht mehr das Gefühl habe, dass das Volk wirklich herrscht? Demokratische Prozesse dauern lange, sind oft undurchsichtig, es sind viele Ämter, Ministerien, Ausschüsse und Referate beteiligt. Wer kann da noch sagen, ob die "da oben" wirklich unsere Interessen im Blick haben? Oder machen die sich nur die Taschen voll und die kleinen Leute müssen drunter leiden?
Weimarer Republik als gescheitertes Vorbild
Dass diese Entfremdung eins der Hauptprobleme ist, zeigt der Blick in die Geschichte: Die Weimarer Republik ist gescheitert, weil die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie eben nicht mehr anerkannt haben. "Viele kamen noch aus dem monarchischen System", erklärt Demokratieforscher Vorländer – sie waren also eine starke Führungsperson gewohnt.
Die schlechte Lage der Wirtschaft habe die Menschen dann unzufrieden gemacht – und "all das führte zusammen dazu, dass man den Parteien kein Vertrauen mehr schenkte. Und gab es eine Situation, wo viele nach einem Führer schrien. Und das war dann die Stunde der NSDAP und letztlich von Hitler." So konnten die Nazis an die Macht kommen und die Demokratie in Deutschland wieder abschaffen.
Artikel Abschnitt: Wie fühlen wir uns besser repräsentiert?
Wie fühlen wir uns besser repräsentiert?
Was mit einigen Zehntausend Menschen in Athen funktioniert hat, geht in den heutigen Flächenstaaten natürlich nicht. Wir brauchen einige Ausgewählte, die in unserem Auftrag entscheiden. So viel ist klar. Dafür gibt es Berufspolitikerinnen und -politiker.
Die Demokratie kann nur funktionieren, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere gewählten Vertreter:innen wirklich nur unser verlängerter Arm sind – denn dann sind wir bereit, uns auch außerhalb von Wahlen einzusetzen, für unsere Ideen zu kämpfen, Parteien zu gründen, Demos zu organisieren. Und ich bin eher bereit, Entscheidungen zu akzeptieren. Wenn wir der Meinung sind, dass die Politik nur macht, was sie will, dann müssen wir uns auch nicht engagieren – bringt ja eh nichts.
Mehr Mitwirkung im Kommunalen
Wie kriegen wir das hin? Dass alle in der Demokratie überzeugt davon sind, dass ihre Stimme zählt? Dass sie wirklich etwas verändern können?
Ein wichtiges Konzept ist dabei die "Responsivität" – das bedeutet, dass Politikerinnen und Politiker bereit sind, sich nach dem zu richten, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Nur, wenn es dieses Vertrauen gibt, dass die Politik "für uns arbeitet", akzeptiert die Gesellschaft auch politische Entscheidungen.
Außerdem beschäftigt sich die Forschung schon lange mit dem Thema "Partizipation" – also die Möglichkeiten, dass sich Bürgerinnen und Bürger selbst inhaltlich einbringen, wenn es zum Beispiel um neue Gesetze geht. Laut Hans Vorländer ist das ein Erfolgsmodell: "Wenn Bürger sich selbst beteiligen, zum Beispiel an Entscheidungsprozessen auf kommunaler Ebene, dann sieht man, dass sie auch nachher die Verantwortung teilen für diese Entscheidung."
Damit Menschen sich beteiligen können, müssen allerdings auch Informationen gut zugänglich sein. In einer bundesweiten Befragung 2022 sagten drei von vier Menschen, dass die Politik so kompliziert sei, dass man sie nur noch schwer durchdringen könne. Guter Journalismus kann helfen, dieses Problem zu lösen – seine klassische Aufgabe ist es, die wichtigsten Themen für die Bevölkerung einzuordnen, zu erklären, und wenn nötig, auch zu vereinfachen. Doch im besten Fall können Politikerinnen und Politiker auch selbst vermitteln, was sie warum tun. Durch soziale Medien haben sie dafür Kanäle zur Verfügung, die es vor einigen Jahrzehnten noch nicht gab.
Verschiedene Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung
Welche Form kann so eine Beteiligung haben? Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine ist die der "Bürgerbudgets" – für die macht sich unter anderem die Politikwissenschaftlerin Susanne Pickel stark. Dabei stellt zum Beispiel eine Kommune einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung, die Bürgerinnen und Bürger dürfen dann Vorschläge einreichen, wofür das Geld ausgegeben wird. Über die Vorschläge wird abgestimmt und die beste Idee – oder die besten Ideen, je nach Budget – werden umgesetzt.
Die Stadt Eberswalde in Brandenburg hat den Einwohner:innen zum Beispiel für 2025 gut 65.000 Euro zur Verfügung gestellt – davon sollen jetzt zum Beispiel Außensportgeräte gekauft werden, ein Gehweg saniert; und ein Kultur- und ein Sportverein kriegen einen Zuschuss für ihre Arbeit.
Die Bürgerbudgets könnten Menschen "hinter dem Ofen hervorlocken", die sich sonst nicht beteiligen, sagt Susanne Pickel. Allerdings sei auch das kein Selbstläufer. Die Politik muss diese Möglichkeiten ihrer Meinung nach gut kommunizieren und Geduld haben, bis sie wirklich von allen angenommen werden: "Das reicht nicht, wenn ich das zwei-, dreimal mache und sage: ‚Ach, es sind immer dieselben, die sich beteiligen‘ – da braucht’s einen langen Atem dafür".
Artikel Abschnitt: Direkte Demokratie in Deutschland
Direkte Demokratie in Deutschland
Viele Menschen sagen in Umfragen, dass sie eine direkte Demokratie besser finden würden als das aktuelle System. Vor allem unter einkommensschwächeren Menschen ist die Idee beliebt, in der Forschung ist manchmal die Rede vom "Instrument der Marginalisierten".
Ein Blick in unser Nachbarland
Zum Vergleich lohnt sich ein Blick in die Schweiz, da sind solche Bürgerentscheide Alltag. Wenn die Regierung zum Beispiel die Verfassung ändern möchte, muss immer auch eine Volksabstimmung darüber stattfinden. Und auch die Bürgerinnen und Bürger selbst können Vorschläge für Gesetzesänderungen machen: Wenn sie in 18 Monaten genug Unterschriften für ihre Idee sammeln, gibt es ebenfalls eine Volksabstimmung.
Und laut Vorländer ist die Schweiz durchaus erfolgreich damit: "Dort ist das Misstrauen gegenüber der direkten Demokratie keinesfalls so groß wie bei uns das Misstrauen gegenüber der repräsentativen Demokratie".
Auch Bürgerentscheide haben natürlich Einschränkungen. Denn obwohl ärmere Menschen das Instrument grundsätzlich sehr gut finden – in der Praxis ist die Wahlbeteiligung bei den Reichen trotzdem höher. Dadurch können sie ihre Interessen natürlich eher durchsetzen. Aber: Das ist bei "normalen" Wahlen genauso. Dort ist der Effekt teilweise sogar noch stärker.
Susanne Pickel hat trotzdem Bedenken, ob das Schweizer Vorbild hier so gut funktionieren würde: "Die Bürger in der Schweiz sind es eher gewohnt, sich selbst zu informieren." Zum Beispiel gebe es bei jeder Volksabstimmung auch vorher Versammlungen, auf denen Menschen das Thema diskutieren und Argumente austauschen. "Das ist nicht einfach: ‚Hier ist eine Frage, mach mal ein Kreuz!‘ – es ist viel komplexer. Das darf man nicht vergessen.‘"
Artikel Abschnitt: Bürgerräte: beraten statt entscheiden?
Bürgerräte: beraten statt entscheiden?
Befragungen zeigen, dass die, die bei einem Bürgerrat mitmachen, danach zufriedener sind, weil sie das Gefühl haben, dass sie gehört werden und mitbestimmen durften. Allerdings gibt es durchaus Kritik an der Umsetzung: Die Forschenden sind sich einig, dass die Vorschläge aus dem Bürgerrat auch wirklich Auswirkungen auf die Politik haben müssen. Der Politologe Frank Decker glaubt, dass das in Deutschland bis jetzt nicht der Fall war – seiner Meinung nach sind sie bislang eher eine Scheinmaßnahme, um den Bürgerinnen und Bürgern mehr Beteiligung vorzugaukeln, ohne dass sich durch sie wirklich etwas ändert.
Auch Demokratieforscherin Ursula Birsl sieht Luft nach oben: "Wir erfahren eigentlich nur, wenn die Empfehlungen [des Bürgerrats] eingereicht werden – aber wir können schwer nachvollziehen: Wo fließen die dann auch in Gesetzgebungsverfahren und politische Entscheidungen ein? Darüber müsste stärker kommuniziert werden."
Es gibt aber Beispiele, wie solche Räte schon effektiv eingesetzt wurden: In Irland gab es zum Beispiel einen sogenannten "Verfassungskonvent" – eine Runde, die immerhin zu zwei Dritteln aus zufällig gelosten Bürgerinnen und Bürgern bestand. Die empfahl unter anderem, das Wahlalter zu senken und die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen, beides wurde im Nachgang getan.
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Ich danke für diese detaillierte Aufbereitung des sehr komplexen Themas!
Als Vorbereitung zur bevorstehenden
Bundestagswahl hervorragend geeignet
und in gut verständlicher Sprache
verfasst.
Diese Information sollte auch möglichst
viele Erst- und Jungwähler erreichen und
zu deren Meinungsbildung beitragen.
Wäre diese Arbeit Thema im
Politikunterricht, wäre der Demokratie schon sehr geholfen.