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Covid-19
Warum natürliche Herdenimmunität eine Illusion ist
Wenn sich nur genügend Menschen infiziert haben, stellt sich die Herdenimmunität ein, heißt es oft. Doch das wird so nicht passieren.
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Eine Pandemie endet, wenn es genug Immune gibt
Ist der Schwellenwert erreicht, infizieren sich weniger Leute
Im Fall von Sars-CoV-2 schätzen Fachleute, dass sich ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung infizieren müssen, bis sich eine Herdenimmunität einstellt. Der Theorie nach ist dann eine Schwelle erreicht, nach der das Virus so häufig auf Immune stößt, dass der Ausbruch langsam zum Erliegen kommt. Zwei Drittel bedeutet nicht, dass es danach keine Infektionen mehr gibt, sondern nach so vielen Infizierten würden die Infektionszahlen langsam sinken und Ausbrüche könnten nicht mehr die Größe erreichen wie zuvor.
Dieser Schwellenwert ist vor allem ein rein theoretisches Konstrukt. Er errechnet sich daraus, wie schnell ein Virus übertragen wird. Je infektiöser infizierte Personen sind, desto höher kann der Schwellenwert liegen. Und je weniger Kontakte die Menschen untereinander haben, desto niedriger.
Wo auch immer der wirkliche Schwellenwert liegt: Irgendwann würde das Coronavirus nicht mehr genug Wirte finden. Es würde verschwinden. So zumindest die Hoffnung.
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Der Zusammenhang von Herdenimmunität und Reproduktionszahl
Die Schätzung des Schwellenwerts für die Herdenimmunität basiert auf der Basisreproduktionszahl R0 und einer simplen Formel:
PI = 1 – 1/R0
PI steht dabei für den Schwellenwert der Herdenimmunität, also den Anteil der Menschen in einer Bevölkerung, der immun werden muss, bevor das Virus natürlich verlangsamt wird.
R0 ist die Basisreproduktionszahl und beschreibt die Anzahl der Menschen, die ein Infizierter im Schnitt ansteckt. R ist also ein Maß für die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines Krankheitserregers
Im Fall von Sars-CoV-2 schätzen Forschende aktuell, dass R0 unter normalen Umständen bei 3 liegt: Ein Infizierter steckt im Schnitt drei weitere Personen an. Füllt man damit die Gleichung aus, ergibt sich ein Schwellenwert von aufgerundet 67 Prozent, also zwei Dritteln.
Dabei ist der Schwellenwert keine unveränderliche Größe und kann leicht abweichen. Sorgen Eindämmungsmaßnahmen – etwa Kontaktbeschränkungen oder Versammlungsverbote – dafür, dass R0 niedriger ist, sinkt auch vorübergehend der nötige Schwellenwert für eine Herdenimmunität (das lässt sich leicht durch Einsetzen in die Gleichung testen).
Jetzt ist es in der Realität aber nicht so, dass jeder Infizierte immer drei Menschen ansteckt. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die meistens Infizierten deutlich weniger als drei Menschen anstecken und dass es aber einige wenige Infizierte gibt, die wiederum sehr viele Menschen anstecken und so die Pandemie vorantreiben. Das beeinflusst auch den Schwellenwert.
Nehmen wir als Beispiel eine Familie. Der Teenager hat sehr viele Kontakte – trifft sich mit Freunden, geht zur Schule und in den Sportverein – während der Rest der Familie kaum Kontakt zu anderen hat. Der Rest der Familie wäre bereits gut geschützt, wenn dieser Teenager immunisiert ist, also das Virus nicht mehr zu seinen Verwandten tragen kann. Der Vergleich hinkt ein bisschen, weil der Schwellenwert ein Durchschnittswert für eine gesamte Bevölkerung darstellt. Doch rein theoretisch läge er speziell in diesem Fall niedriger. Das heißt, je mehr Menschen in der Bevölkerung weniger Kontakte haben, desto seltener werden viele Menschen auf einen Schlag infiziert – desto seltener werden sogenannte Superspreading-Ereignisse. Das würde in der Folge bedeuten, dass noch mehr Menschen weniger als drei Menschen anstecken und der Schwellenwert würde dementsprechend sinken.
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Darum müssen wir drüber sprechen:
Natürliche Herdenimmunität ist eine Illusion
Die Idee: Durch Abstandhalten und Masketragen werden zu wenig Menschen immun und die Pandemie dauert so ewig. Oder sie wird erst beendet, wenn es Impfstoffe gibt. Doch wann es die wirklich gibt, ist ungewiss. Also kommen wir nicht drum herum, dass langsam alle immun werden müssen – so das Argument für eine Herdenimmunität.
Doch selbst wenn es keine Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus gäbe: Dass eine Bevölkerung Herdenimmunität ohne Impfung erreicht, ist hochgradig unwahrscheinlich. So sagt der Epidemiologe André Karch: „Mir ist nicht bekannt, dass es für respiratorische Viren je eine stabile Herdenimmunität gegeben hat.” Er meint damit Krankheitserreger, die wie Erkältungscoronaviren oder Influenzaviren eine Erkrankung der Atemwege auslösen können.
In den Fällen, wo Herdenimmunität tatsächlich dafür gesorgt hat, dass ein Erreger komplett aus ganzen Bevölkerungen verschwunden ist, sei das nur durch Impfprogramme möglich gewesen. Etwa bei den Pocken – sie gelten heute als ausgerottet.
Dafür, dass das bei den Pocken möglich war, gibt es vor allem einen Grund: die Trägheit des Pocken-Virus. Wer sich einmal von einer Infektion erholt hatte, war ein Leben lang immun. Und auch eine Impfung konnte für lebenslangen Schutz sorgen.
Was wir aktuell von den Pocken lernen können, erklären wir hier
Ohne lange Immunität gegen SARS-CoV-2 keine stabile Herdenimmunität
Im Fall von Sars-CoV-2 dagegen reicht der Schutz des Immunsystems, den der Körper nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 aufbaut, möglicherweise nicht aus. Zwar ist immer noch nicht genug über das Virus bekannt, um es ganz genau zu wissen. Doch ist es nach aktuellem Wissensstand eher unwahrscheinlich, dass Immunität durch eine natürliche Infektion lange genug anhält, um einen zuverlässigen Herdenschutz herzustellen. Immer wieder gibt es Berichte von Reinfektionen bei Personen, die schon zuvor eine Infektion durchgemacht hatten. Ob das daran liegt, dass die Betroffenen nie eine ausreichende Immunität aufgebaut haben oder ihre Immunität bereits verloren haben, ist aktuell noch nicht vollständig geklärt.
Es ist also durchaus möglich, dass das Virus auch bei Genesenen nach ein paar Monaten oder Jahren erneut ausbricht. Ganz im Gegensatz zu den Masern oder Pocken zum Beispiel, bei denen frische Ausbrüche normalerweise Personen treffen, die nicht immun sind – etwa kleine Kinder oder Erwachsene, die noch nicht geimpft wurden.
Die ersten Impfstoffe machen vielleicht nicht immer immun
Aus diesem Grund und weil ein natürlicher Herdenschutz logischerweise bedeuten würde, dass sehr viele Menschen eine Krankheit mit teils schwerwiegenden Folgen durchlaufen müssen – falls sie nicht daran sterben –, liegen auf den Impfstoffen, an denen derzeit geforscht wird, große Hoffnungen. Doch auch die werden sich nach derzeitiger Einschätzung nicht unbedingt erfüllen.
Der Grund: Es ist möglich, dass die ersten Impfstoffkandidaten zunächst nur die einzelne Person vor Covid-19 schützen – nicht jedoch die gesamte Bevölkerung vor dem neuen Virus. Denn der Schutz von Impfstoffen vor einer Infektion liegt nicht immer gleich bei 100 Prozent. Es kann also sein, dass Geimpfte das Virus weiter übertragen können.
Dennoch halten Forschende es derzeit für wahrscheinlich, dass eine geimpfte Person zumindest vor einem größeren Schaden im Körper bewahrt wird – wenn sie schon nicht immun ist. Zur Herdenimmunität werden die neuen Impfstoffe also wahrscheinlich erst beitragen, wenn sie zuverlässig Infektionen im Keim ersticken können. Und natürlich auch erst, wenn genügend Impfdosen für jeden verfügbar sind.
Warum Impfstoffe die Pandemie auch 2021 nicht beenden, erklären wir hier
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Aber:
Vor der Herdenimmunität kommt die natürliche Bremse
Und das ist es ja, was diese Pandemie so gefährlich macht: Die Tatsache, dass ein Virus jeden Einzelnen in der Bevölkerung infizieren könnte, weil niemand zuvor damit in Berührung gekommen ist. Je mehr Immune es in der Bevölkerungsgruppe gibt, desto eher wird das Virus wie durch eine natürliche Bremse verlangsamt. So wird etwa während der jährlichen Grippewelle ganz natürlich verhindert, dass jedes Mal sämtliche Vertreterinnen und Vertreter der Risikogruppen erkranken und damit Intensivstationen unaufhaltsam überfüllt werden – auch wenn es in der Bevölkerung keinen Herdenschutz gibt.
Es braucht also nicht gleich Herdenimmunität, um die Lage zu entspannen. Je mehr Menschen immun werden, desto besser wird die natürliche Bremse: Neben den Maßnahmen wie Maskentragen und Abstandhalten kann eine Grundimmunität in der Bevölkerung ebenfalls helfen, die Zahl der schwer Kranken gering zu halten. Und sobald ein immunisierender Impfstoff verfügbar ist, verlangsamen Geimpfte und ehemals Infizierte den Ausbruch, die Pandemie kann enden – auch wenn das Virus nie ganz ausgelöscht wird.
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Und jetzt?
Die Immunen werden einen wichtigen Beitrag leisten
Trotzdem sei es sinnvoll, sagt der Epidemiologe Karch, den Herdenschutz als Baustein zu betrachten, der neben Social Distancing und dem besonderen Schutz von Risikogruppen in den kommenden Monaten helfen kann: „Die Herdenimmunität ist keine Strategie, um mit der Pandemie zurechtzukommen“, sagt Karch, „aber etwas, mit dem man arbeiten kann.“ Studien dazu könnten etwa helfen, Prioritäten zu setzen, wer als Erstes geimpft werden sollte.
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Wurde überhaupt schon mal daran gedacht, dass bereits Infizierte nach überstandener Krankheit während einer Grippesaison dem Virus ja durch natürlichen Kontakt mehrmals wieder begegnen können, und somit eine erneute Immunantwort erfolgt, genau wie bei einer 2. Impfung!? Somit könnten auch leichtere Mutationen vom Körper erkannt und die eigenen Antikörper angepaßt… Weiterlesen »
Hallo Linda, was sagst du denn zu den PCR-Tests, die erwiesenermaßen fehlerhaft sind und wo positiv getestete nach einer negativen Zeit nochmal positiv wurden? Wurden die Leute nur zweimal positiv getestet, oder wurden sie wirklich zweimal krank? “Immer wieder gibt es Berichte von Reinfektionen bei Personen, die schon zuvor eine… Weiterlesen »
Stimmt das so? Aus 2,5 Millionen Corona-Infizierten werden nach jeweils nur 1 weiteren Ansteckung nach 5 Schritten 64 Millionen. PS: Ich hatte mich vorhin vermutlich verschrieben. So dürfte es richtig sein. LG Lisa
Stimmt das so?

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Wenn Sie die derzeit (12.03.21) laut RKI ca. 2,5 Millionen Gesamt-Infizierte ansetzen, dann erhalten Sie nach jeweils 2 weiteren Ansteckungen in 4 Runden schon 40 Millionen. Sollten wir somit nun ganz ganz nah an der natürlichen Herdenimmunität dran? Theoretisch ja. Oder? Rechnet doch selbst einmal nach. Nach der 5. Runde… Weiterlesen »