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Gender-Health-Gap
Warum Frauen medizinisch benachteiligt sind
Fast immer wurden Männern und Frauen exakt die gleichen Medikamente verschrieben. Nun aber weiß man: Je nach Geschlecht braucht es andere Dosen. Für Frauen hat das mitunter fatale Folgen. Das Umdenken kommt spät
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Medizinische Ergebnisse gelten oft nur für Männer
Das Gegenbeispiel: Stechen in der Brust, das in den linken Arm strahlt. Die Diagnose? Bei Ärzt:innen und vielen Menschen schrillen jetzt die Alarmglocken: Herzinfarkt, ab ins Krankenhaus!
Das ist genau richtig. Doch das System hatte lange einen Fehler. Die Symptombeschreibung für einen Herzinfarkt traf nur auf Männer zu. Die anderen Symptome von Frauen sind auch heute noch viel weniger bekannt. Aus diesem Grund kamen Frauen im Durchschnitt etwa zwei Stunden später in die Notaufnahme.
Auch Männer können zwar über Bauchschmerzen klagen, wenn sie einen Herzinfarkt haben. Das sind aber häufig Schmerzen, die in den Oberbauch ausstrahlen und falsch interpretiert werden. Bei Frauen scheinen die Schmerzen tatsächlich eher als richtiger Bauchschmerz wahrgenommen zu werden.
Dies ist nur ein Beispiel. In vielen medizinischen Bereichen gibt es weniger Daten zu Frauen als zu Männern. Diese Datenlücke wird als Gender-Data-Gap bezeichnet oder in der Medizin als Gender-Health-Gap.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Manche Medikamente und Therapien wirken bei Frauen anders
Medikamente wirken bei Männern und Frauen unterschiedlich
Dabei kann man nicht von einem Geschlecht auf das andere schließen. Eine Studie zur Wirksamkeit von Digoxin, einem Wirkstoff bei Herz-Kreislauf-Beschwerden, vermerkt etwa: Es verkürzt das Leben der Frauen, nicht aber das der Männer. Schließlich geht es im Körper der beiden Geschlechter unterschiedlich zu – und das bestimmt, wie das Medikament wirkt.
Dass Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken, hat etwa mit den Geschlechtschromosomen (Mann: XY, Frau: XX) zu tun. Sie bestimmen maßgeblich:
- die Hormone
- das Herz-Kreislauf-System
- den Stoffwechsel und die Verdauung
- die Körperzusammensetzung (vor allem Fett- und Muskelanteil) und
- das Immunsystem.
Hormone, Stoffwechsel, Verdauung und Körperzusammensetzung beeinflussen die sogenannte Pharmakokinetik, also die Zeit, in der der Körper eine gewisse Menge an Wirkstoffen verarbeitet. Insbesondere die Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron bestimmen, wie viele Enzyme in der Leber bestimmte Wirkstoffe abbauen. So wirken manche Medikamente im Verlauf des Zyklus bei derselben Frau unterschiedlich.
Mehr von den Hormonen Östrogen und Progesteron verlangsamt den Abbau. Die Folge: Das Antidepressivum Fluvoxamin beispielsweise führt bei derselben Dosis bei Frauen zu einem 70 bis 100 Prozent höheren Blutspiegel als bei Männern. Die Gefahr einer Überdosierung ist hoch.
Bei einem ähnlichen Beruhigungsmittel stellten Forschende vor Jahren fest, dass es das Leben der Frauen verkürzte, nicht aber das der Männer. Die US-Arzneimittelbehörde musste daraufhin die Dosis für Frauen nachträglich auf die Hälfte senken.
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Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
In Studien werden Frauen immer häufiger berücksichtigt
Tatsächlich werden nahezu alle Studien mittlerweile mit Männern und Frauen durchgeführt. Das Geschlechterverhältnis stimmt trotzdem nicht immer.
Außerdem schreibt die EU-Verordnung nur die Berücksichtigung von ausreichend Frauen in den Studien vor. Die geschlechterspezifischen Dosierungen müssen allerdings nicht getrennt ausgewertet werden.
Die über beide Geschlechter gemittelte Dosis hilft aber womöglich weder Frau noch Mann wirklich weiter. Im schlimmsten Fall kann das tödlich enden. In bis zu einem Fünftel aller untersuchten Studien werden die Geschlechterunterschiede gar nicht untersucht oder erwähnt. Die Wirksamkeit je nach Geschlecht lässt sich daher nur schwer prüfen.
Mittlerweile beziffert der Verband forschender Arzneimittelhersteller den Anteil von Probandinnen in klinischen Studien der
- Phase I auf 10 bis 40 Prozent,
- in Phase II und III auf 30 bis 80 Prozent.
In Studien zu Herz-Kreislauf-Medikamenten allerdings machen Frauen nur ein Drittel der Teilnehmenden aus. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen anteilig doppelt so viele Frauen hätten getestet werden müssen.
Auch wenn es also eine positive Tendenz gibt, bleiben praktische Hindernisse, die den Frauenanteil weiterhin niedrig halten könnten. Es ist schlichtweg komplizierter, Frauen mit in die Studien einzubinden. Das hat vor allem drei Gründe:
- hormonelle Unterschiede vor und nach den Wechseljahren
- hormonelle Unterschiede durch Zyklus und Verhütungsmittel
- Schwangerschaften
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Der Contergan-Skandal aus den 50er- und 60er-Jahren hallt noch immer nach. Die sich häufenden Fehlbildungen bei Neugeborenen führten dazu, dass man neue Wirkstoffe nicht mehr an schwangeren Frauen testete.
Grundsätzlich können hormonelle Schwankungen bei Frauen dazu führen, dass die Ergebnisse nicht miteinander vergleichbar sind. Eigentlich müsste man also Subgruppen in einem jeweils bestimmten Hormonstatus testen. Dann bräuchte es allerdings mehr Probandinnen in den klinischen Studien, um die Wirksamkeit oder Harmlosigkeit nachzuweisen. Das ist teuer und ungeheuer komplex.
Es geht nicht um eine 50:50-Verteilung
Fälschlicherweise wird die Diskussion um den Gender-Data-Gap mit der Frauenquote verglichen, als gehe es auch in medizinischen Studien darum, ein gleiches Geschlechterverhältnis herzustellen. Es kommt hier allerdings nicht immer darauf an, dass 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer eingebunden werden müssen. Eine ausgewogene Verteilung macht für viele Krankheiten auch gar keinen Sinn, etwa Brust- oder Prostatakrebs.
Das Verhältnis sollte sich vielmehr an der tatsächlichen Geschlechterverteilung der Krankheiten orientieren. Am Ende ist entscheidend, wie häufig die Geschlechter unter der spezifischen Krankheit leiden – egal ob Frauen oder Männer 10, 20 oder 70 Prozent ausmachen. Das ist je nach Krankheit sehr unterschiedlich. Mal treten Erkrankungen vermehrt bei Männern, mal bei Frauen auf:
Frauen leiden überproportional häufig an Kniegelenksarthrose, an Autoimmunerkrankungen oder Schilddrüsenproblemen. Bei Autoimmunerkrankungen sind mehr als zwei von drei Betroffenen tatsächlich Frauen.
Keine voreiligen Schlüsse ziehen
Die Ungleichheit im medizinischen und wissenschaftlichen System zeigt sich überall:
- Die leitenden Köpfe vieler Institute sind Männer.
- Studien von männlichen Forschern werden häufiger zitiert.
- Männerkörper sind in der medizinischen Ausbildung der Standard, teilweise fehlen sogar anatomische Details bei Frauen.
Trotzdem sollte nicht jede Erkenntnis voreilig in das weitgehend zutreffende Narrativ der männerdominierten Medizin gedrängt werden. Zwar sind die Überlebensraten von Frauen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich schlechter. Das kann aber auch daran liegen, dass Frauen daran durchschnittlich erst im höheren Alter erkranken und bis dahin auch schon Vorerkrankungen wie Typ-2-Diabetes haben. Solche Faktoren beeinflussen maßgeblich, wie gut die Chancen nach Herzproblemen aussehen.
Allerdings werden diese Faktoren immer häufiger herausgerechnet und auch dann zeigt sich bei vielen Beispielen: Das Geschlecht macht einen eklatanten Unterschied, den Ärzt:innen in Zukunft berücksichtigen sollten.
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Eine falsche Geschlechterverteilung könnte wiederum genau dazu führen, was derzeit das Problem ist: Ergebnisse, die mehrheitlich auf den Daten von einem Geschlecht beruhen, könnten für das andere völlig irrelevant oder sogar gefährlich sein.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Gendermedizin hilft auch Männern
Es geht um eine geschlechterrepräsentative Untersuchung der medizinischen Wirkung und Nebenwirkung. Bislang haben allerdings eher männliche Probanden, Denkweisen und Entscheidungen die Gesellschaft geprägt und damit auch die Medizin.
Doch die Politik hat in den letzten Jahren bereits reagiert. Die EU-Richtlinie schreibt vor, die Geschlechterverteilung in klinischen Studien danach zu beurteilen, inwiefern sie die tatsächlich zu behandelnden Subgruppen in der Bevölkerung abbildet. Soll heißen: Richtet sich das Medikament vor allem an Frauen, sollen auch vor allem Frauen getestet werden. In einem weiteren Schritt müsste nun vorgeschrieben werden, dass eine geschlechterspezifische Auswertung ebenfalls verpflichtend ist.
Kleinere Gruppen, mehr Unterscheidungen, bessere Daten
Die Formulierung macht es sogar noch effektiver, denn richtet sich das Medikament vor allem an Frauen nach der Menopause, sollten auch vor allem sie getestet werden. Die Forschung wird dadurch komplexer, komplizierter und kostenintensiver. Letztlich liefert das aber bessere Daten und bessere Ergebnisse – für beide Geschlechter.
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Betrifft auch Verhütung .Mein Freund Vasektomie 20 Minuten 690 Euro,Ich Tubensterilisation Vollnarkose 4 Stunden Clinikaufenthalt 1040 EURO.(P.S. Bin aber super glücklich ohne diese ewige Verhüterei)