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Quarks Daily Spezial
Medikamentenforschung - Werden Frauen benachteiligt?
Lange Zeit hat man Frauen kaum berücksichtigt, wenn neue Medikamente getestet wurden. Inzwischen läuft es besser - aber nicht gut genug.
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Warum wurden Frauen nicht berücksichtigt?
Dass Frauen in der Medikamentenforschung lange Zeit nicht berücksichtigt wurden, war unter anderem eine Folge des Contergan Skandals, der Anfang der 1960er Jahre für Schlagzeilen sorgte. Durch das Medikament Contergan, das Schwangere zur Beruhigung und gegen Übelkeit erhielten, wurden damals mehrere tausend Kinder mit schweren Fehlbildungen oder tot geboren. Das zeigte deutlich, wie sehr ein Wirkstoff einem ungeborenen Kind schaden kann – und diesem Risiko wollte man Frauen in klinischen Studien nicht aussetzen. Einige Teilnehmerinnen hätten schließlich unwissend schwanger sein können. Die Pharmaforschung schloss Frauen aber auch noch aus einem zweiten Grund aus: Frauen unterliegen hormonellen Schwankungen, haben in der Regel bis zu den Wechseljahren einen Zyklus. Das, so die Überlegung, könnte Studienergebnisse in unerwünschter Weise beeinflussen.
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Wie sieht es heute aus?
Heute müssen Medikamente, die für Männer und Frauen bestimmt sind, auch an Männern und Frauen erprobt werden. Das verlangen die Arzneimittelbehörden in den USA, in der EU, in Deutschland. Und das verlangen auch die weltweit gültigen Regeln für Arzneimittelentwicklung, die das International Committee of Harmonisation aufgestellt hat.
Wie viele Frauen müssen an Studien teilnehmen?
Es wird keine 50:50 Verteilung der Geschlechter gefordert. Sondern: Jedes Geschlecht muss bei einer Medikamentenstudie mit mindestens so vielen Teilnehmenden vertreten sein, dass man eventuelle Geschlechtsunterschiede hinterher statistisch auswerten kann. Seit 2022 verlangt die EU außerdem: Leiden an einer Krankheit mehr Frauen als Männer, dann sollten an Medikamentenstudien zu dieser Krankheit mehr Frauen als Männer teilnehmen.
Warum ist das nicht genug?
Kritikerinnen erkennen an, dass sich viel getan hat. Aber sie sagen: Es ist noch nicht genug. Denn: An einigen Stellen nehmen immer noch viel weniger Frauen teil als Männer – manchmal sogar weniger, als es ihrem Anteil an der Krankheitshäufigkeit entspricht. Das kann dazu führen, dass nicht genügend Daten vorhanden sind, um für Männer und Frauen getrennt zu erkennen, welche Nebenwirkungen es gibt.
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Woran liegt das?
Dass immer noch zu wenige Frauen in Medikamentenstudien eingeschlossen werden, liegt weniger an den Pharmaproduzenten. Für sie ist es sogar besser, wenn auch viele Frauen an einer Studie teilnehmen, denn so bekommen sie schneller die notwendige Anzahl von Studienteilnehmer:innen zusammen. Andere Dinge dürften entscheidend sein. Nämlich: Wenn festgelegt wird, welche Patienten an einer Studie teilnehmen, gibt es Einschluss- und Ausschlusskriterien. Das sind zum Beispiel Blutdruckwerte oder Angaben darüber, wie viel Blut ein Herz in den Körper pumpen kann. Viele dieser Werte wurden an Männern ermittelt. Frauen erreichen diese Werte manchmal nicht und werden ausgeschlossen. Außerdem sind Frauen seltener in der Lage, an Studien teilzunehmen. Sie kümmern sich häufiger als Männer um Haushalt, Kinder oder kranke Eltern. So bleibt wenig Zeit für die Dinge, die im Rahmen einer Studie gemacht werden müssen: In die Klinik fahren, Blut abnehmen lassen, zum EKG gehen.
Benötigen Frauen eine andere Dosis?
Früher brauchte nicht festgestellt werden, ob Frauen Medikamente in einer höheren oder niedrigeren Dosierung benötigen als Männer. Inzwischen muss das gemacht werden, aber es zeigt sich: Nur in wenigen Fällen weichen die Werte ab. Für manche Medikamente ist ohnedies keine konkrete Dosis vorgeschrieben. Bei Blutdruckmedikamenten etwa wird die Dosis Schritt für Schritt erhöht, bis der gewünschte Effekt erreicht ist. Bei Männern und bei Frauen.
Was müsste sich ändern?
Es wird generell mehr medizinisches Wissen über Frauen benötigt. Viele Krankheiten, die nur Frauen betreffen - zum Beispiel Endometriose, Regelschmerzen, Polyzystisches Ovarialsyndrom und prämenstruelles Syndrom - sind kaum erforscht und es gibt keine guten Therapien. Das ist belastend für die Betroffenen. Und es ist auch schlecht für die Wirtschaft, wenn Frauen wegen starker Regelschmerzen oder Kreislaufproblemen nicht arbeiten können. Das Bewusstsein dafür wächst. Nach einer Umfrage unter forschenden Arzneimittelherstellern werden derzeit mehr Medikamente für Frauen erprobt als für Männer.
DIE MACHER:INNEN
Christina Sartori hat Biologie studiert und arbeitet schon seit vielen Jahren als Medizinjournalistin. Dabei berichtet sie auch immer wieder über verschiedene Aspekte von Frauengesundheit.
Yvonne Strüwing sammelt gerne gute Geschichten aus der Wissenschaft und ist auch unter der Woche in Quarks Daily zu hören.
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