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Quarks Daily Spezial
Verzeihen - Das bringt es DIR
Diese Folge ist ein geprüfter Repost von Oktober 2022. Wo immer Menschen zusammenleben, da verletzen sie einander auch – ob nun mit unbedachten Worten oder mit Taten: von einer kleinen Stichelei, über Lügen, Betrügen bis hin zu Mobbing und Gewalt reicht die Palette. Und der erste Reflex ist eigentlich immer der Rachegedanke: Dem/Der zahle ich es heim! Dabei wäre es lohnenswert, mal über das Verzeihen nachzudenken. Denn das ist viel gesünder.
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Verzeihen ist gesünder als Rache
Wer nämlich nicht verzeihen kann, der läuft Gefahr, dass er durch die permanente Wut und die Rachegefühle seinen Organismus in einen Zustand der Dauererregung versetzt. Stresshormone wie Adrenalin und Kortisol werden vermehrt ausgeschüttet und halten den Körper in ständiger Alarmbereitschaft. Dadurch kann es zu Folgeerkrankungen kommen, wie Depressionen oder Herz-Kreislauf-Problemen.
Außerdem droht die Gefahr, dass man sich auch sozial isoliert, weil man verbittert ist und damit alle um sich herum verschreckt. Der Psychiatrie-Professor Michael Linden von der Berliner Charité hat dem Krankheitsbild sogar einen Namen gegeben: "posttraumatische Verbitterungsstörung".
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Die "posttraumatische Verbitterungsstörung"
Die "posttraumatische Verbitterungsstörung" ist eine krankhafte Reaktion auf ein negatives Lebensereignis. Dabei passiert irgendetwas, das der/die Betroffene als massiv kränkend erlebt, als herabwürdigend und ungerecht. Derjenige fühlt sich als Opfer und reagiert sofort mit Hass, Zorn, Verbitterung und Rachefantasien. Bei der "posttraumatischen Verbitterungsstörung" gehen diese negativen Gefühle aber nicht wieder weg, sie sind auch nach Monaten noch da, und beeinträchtigen so auch die Lebensqualität der Betroffenen stark.
Kann ich gut verzeihen?
Ob ich gut verzeihen kann oder nicht, hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. Zunächst einmal ist das Verhältnis zwischen Täter und Opfer wichtig: Wie nah bin ich dem/der anderen? Wie zufrieden war ich bisher mit der Beziehung? Wie viel habe ich schon in die Beziehung investiert? So fühlt sich ein Ehebruch meist schlimmer an, als wenn mich der Kassierer/die Kassiererin im Supermarkt um ein paar Cent betrügt.
Die Tat
Verzeihen fällt uns umso schwerer, je stärker wir verletzt wurden. Und für wie schwer wir das erachten, hängt auch wieder von verschiedenen Faktoren ab: Wie nah ist mir der andere? Als wie schlimm empfinde ich persönlich die Tat? Wie bewertet die Gesellschaft das Fehlverhalten? Ist das ein Normbruch, der gesellschaftlich nicht akzeptiert ist?
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Das Verhalten des Täters/der Täterin
Auch das Verhalten des Täters/der Täterin nach der Tat spielt eine große Rolle fürs Verzeihen: Hat er/sie das mit Absicht gemacht? Wie erklärt er/sie die Tat? Welche Gründe hatte er/sie dafür? Und mit am wichtigsten: Zeigt er/sie Reue? Denn wenn die Schuld anerkannt wird, und es irgendeine Form der Wiedergutmachung gibt – und sei es nur das Wort "Entschuldigung" – dann hilft das beim Verzeihen.
Die Persönlichkeit des Opfers
Auch die Persönlichkeit des Verzeihenden ist entscheidend: Wie sehr kann sich das Opfer in die Person, die es verletzt hat, hineinversetzen und ihre Beweggründe verstehen? In der Forschungsliteratur gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Empathie das Vergeben fördert. Und auch das Alter spielt eine Rolle: Ältere Menschen verzeihen eher und wiegen ab: Hab ich vielleicht auch schon öfter mal ausgeteilt?
Kann man wirklich alles verzeihen?
Manche Taten erscheinen so grausam, dass es unmöglich scheint, sie zu verzeihen. Aber immer wieder gibt es Menschen, die das schaffen. Denn Verzeihen ist nicht gleichbedeutend mit "Billigen". Es heißt nicht, dass man die Tat gutheißt oder für okay befindet, was jemand getan hat. Sondern es bedeutet, für sich selbst – und da muss der Täter/die Täterin auch gar nicht dabei sein – mit der Tat abzuschließen. Richtig verzeihen heißt, "es gut sein lassen". Und das kann man im Zweifel sogar lernen.
Verzeihen kann man lernen – durch Perspektivwechsel
Eines der bekanntesten Therapiemodelle zum Verzeihenlernen kommt aus den USA. Dabei gehen Patient:innen die Tat erst mal aus der eigenen, der Opferperspektive durch. Dann aber müssen sie versuchen, die Perspektive des Täters/der Täterin einzunehmen: Dabei sollen sie die Person nicht verurteilen, sondern versuchen zu verstehen: Warum hat sie so und nicht anders gehandelt?
Wenn man es tatsächlich schafft, sich in die Person hineinzuversetzen, ihre Beweggründe zu verstehen und nachzuvollziehen, dann kann man es auch schaffen, zu verzeihen. Dann kann man damit abschließen und sich von dem ewigen Groll befreien. Man kann wieder nach vorne gucken, das Leben selbst in die Hand nehmen und genießen. Also: Niemand MUSS verzeihen – aber es könnte guttun!
DIE MACHER:INNEN
Julia Trahms ist Journalistin und beschäftigt sich am liebsten mit der menschlichen Psyche, Sport- und Ernährungsthemen.
Marlis Schaum ist nicht nur als Host für Quarks-Daily zu hören, sondern auch im Radio und TV unterwegs.
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