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Kohleausstieg
Datteln 4: Spart das neue Kohlekraftwerk wirklich CO2?
Heute soll das umstrittene Kohlekraftwerk Datteln 4 in den Regelbetrieb gehen und alte Kraftwerke ersetzen. Mitten in der Debatte um den Kohleausstieg. Das Argument der Politik: Das Kraftwerk ist effizienter und spart damit CO2. Stimmt das?
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In Datteln soll ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen
Doch jetzt soll gleichzeitig auch ein Neues dazu kommen: Mit "Datteln 4" geht heute einer der leistungsfähigsten und modernsten Kraftwerksblöcke für Steinkohle ans Netz. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet begrüßt das neue Kraftwerk auch als Beitrag zum Klimaschutz. Schließlich handelt es sich bei Datteln 4 um einen weitaus effizienteren Kraftwerkstyp als solche, die bereits seit Jahrzehnten Kohle für Strom verfeuern.
Umweltverbände Klagen gegen das neue Steinkohlekraftwerk
Umweltschützer kritisieren den Bau von Datteln 4 schon seit Jahren, haben bereits geklagt und klagen weiterhin – wegen Kohlenstoffdioxid-Emissionen (CO2), Verschleppung des Ausbaus erneuerbarer Energien und weiterer Umweltschäden für Naturschutzgebiete, die durch das Kraftwerk in Kauf genommen würden. Sie halten das Kraftwerk für unnötig. Neben Produktionsfehlern haben auch Klagen den Bau und die Inbetriebnahme über Jahre verzögert.
Wie viel Klimaschutz steckt also in neuen Kohlekraftwerken – und ergeben sie noch Sinn?
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Darum müssen wir drüber sprechen:
Das neue Kraftwerk ist prinzipiell effizienter
Moderne Kraftwerkstypen wie Datteln 4 sollen effizienter sein. Sie erzeugen für die gleiche Menge Strom weniger CO2-Emissionen. Bundesumweltministerium und Betreiber Uniper sprechen bei Datteln von 780 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom. Ältere Modelle emittieren mehr als 900 Gramm – eine Ersparnis von 13 Prozent.
Aus dieser Sicht ist das Kraftwerk auf dem Papier klimaschonender als vergleichbare oder bereits aktive Standorte.
Zusätzlich können die modernen Kraftwerke wie Datteln oder der 2015 in Betrieb gegangene Block 9 im Mannheimer Steinkohlekraftwerk auch die eigene Abwärme nutzen und somit je 100.000 Haushalte beheizen.
Das Zwischenfazit lautet also: Sauber sind die Kraftwerke nicht, aber sauberer als die Kraftwerke im Rentenalter – die so vom Markt gedrängt oder vom Netz genommen werden können.
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Trotzdem werden die CO2-Emissionen vermutlich steigen
Bis 2038 rechnet sie, so erfährt man, mit zehn Millionen Tonnen zusätzlichem CO2. Die Berechnungsgrundlagen und Vergleichsbasis liegen allerdings bislang nicht offen. Wie sind höhere CO2-Emissionen möglich, wenn das neue Kraftwerk doch eigentlich effizienter ist?
Im Vergleich zu einem alten Kraftwerk sieht es so aus: Die bisherigen alten Steinkohlekraftwerke des Stromkonzerns Uniper beispielsweise laufen mehrere Monate im Jahr gar nicht, dann mal mit voller Power, dann wieder nur unter Teillast. Sie haben in den vergangenen Jahren eine durchschnittliche Vollauslastung von unter 35 Prozent.
Das bedeutet, von den 8760 Stunden eines Jahres haben sie theoretisch weniger als 3066 Stunden die volle Leistung produziert - und die restlichen Stunden nichts. Die Kohlekraftwerke produzieren also auch nur ein Drittel des möglichen Stroms und damit auch vergleichsweise wenig CO2.
Datteln 4 wird nicht auf Sparflamme betrieben
Ein effizienteres Kraftwerk wie Datteln 4 ist am europäischen Strommarkt allerdings wettbewerbsfähiger als die alten Kraftwerke. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass die Auslastung beim neuen Kraftwerk weitaus höher liegt. Der BUND rechnet mit 60 bis 70 Prozent, also womöglich mehr als doppelt so viel wie bei einem vergleichbaren Kraftwerk.
Der Effekt der Auslastung ist dann größer als die höhere Effizienz. Im Endeffekt emittiert das Kraftwerk mehr CO2 pro Jahr – und damit mehr als ein oder sogar mehrere vergleichbare Altkraftwerke, die aktuell im Betrieb sind.
Woanders muss abgeschaltet werden
Die Bundesregierung will im Steinkohlesektor aber eigentlich gar keine zusätzlichen Emissionen erzeugen. Mehremissionen würden an anderer Stelle kompensiert werden, heißt es von offizieller Seite. Die Regierung will daher andere Kohlekraftwerke noch etwas früher als geplant abschalten. Welche Kraftwerke das sein sollen, steht noch nicht fest.
Unterschiedliche Zulassungsdokumente, Anträge und beispielsweise die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) vom TÜV deuten beim Kraftwerk Datteln auf jährliche Emissionen zwischen 6 und 8,4 Millionen Tonnen CO2 hin.
Der Betreiber Uniper nimmt bis Ende 2022 die beiden Altkraftwerke Scholven (Gelsenkirchen) und Wilhelmshaven vom Netz – und mit ihnen nach derzeitigen Informationen rund sechs Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Bis 2025 folgen die Kraftwerke Staudinger und Heyden – und erneut 3,2 Millionen Tonnen CO2 jährlich. Die aktuellsten Emissionsdaten sind noch von 2018. Sollte sich der derzeitige Trend fortsetzen, werden durch die Stilllegungen alter Kraftwerke und den Start von Datteln 4 doch nicht so viele Tonnen pro Jahr eingespart.
Die Kohle kommt nicht mehr aus Deutschland – dieses CO2 wird nicht eingerechnet
Es gibt noch weitere Faktoren, die die CO2-Emissionen letztlich beeinflussen – und nirgends mit eingerechnet sind. Da wäre beispielsweise der Ursprung der Kohle. Bis 2018 wurde in Deutschland Steinkohle gefördert, seit der Schließung des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop ist damit Schluss.
Wo vor wenigen Jahren Kohle, die ein paar Kilometer weiter abgebaut wurde, die Kraftwerke mit den nötigen fossilen Brennstoffen versorgt hat, müssen diese nun importiert werden. Zu den Exporteuren zählen China, Australien, Russland und viele andere Länder. Der Transport erzeugt zusätzliche CO2-Emissionen. In den Emissionsberichten ist dieser Faktor aber gar nicht eingerechnet – und spielt in den energie- und umweltpolitischen Überlegungen keine Rolle
Der Ursprung der Kohle hat auch etwas damit zu tun, wie viel Energie sie liefert. Je nach Abbauort unterscheidet sich der so genannte Heizwert. Oft wird dieser mit 27 Megajoule (MJ/kg) angegeben. Umfangreiche Auswertungen zeigen aber, dass die Spanne von weniger als 20 bis zu über 40 MJ/kg reicht. Die deutsche Kohle hat meist um die 27 Megajoule pro Kilogramm geliefert. Kommt die Kohle für Datteln 4 nun aus Russland und Kolumbien, wie es der Umweltverband und Kläger BUND annimmt, dann steigen durch schlechtere Heizwerte auch die CO2-Emissionen.
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Und jetzt?
Gaskraftwerke sind sauberer, aber teuer
Welchen Effekt Datteln 4 nun auf das Klima hat, kommt auf die Perspektive an. Im Vergleich zu alten Kraftwerken ist es klimaschonender, solange es dieselbe Menge an Energie erzeugt.
Im Vergleich zu alternativen Gaskraftwerken oder erneuerbaren Energien, die angesichts der Energiewende nur zögerlich vorangetrieben werden, bleibt es eine moderne und wirtschaftlich attraktive, aber klimaschädlichere Energiequelle. Doch über Sinn oder Unsinn der Inbetriebnahme muss nicht allein der CO2-Ausstoß entscheiden.
Nur eine mittelfristige Option
Das neue Kraftwerk steht für viele als Symptom dafür, dass die Bundesregierung die Empfehlungen der Kohlekommission nicht konsequent umgesetzt hat. Der Kohleausstieg geschieht nicht schrittweise, sondern vollzieht sich sprunghaft. Zu bestimmten Fristen werden die Kraftwerke vom Netz genommen, bis dahin stoßen sie weiterhin CO2 aus. Datteln 4 hat eine paradoxe und unvorhersagbare Wirkung: Es ersetzt alte Kraftwerke und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Steinkohle wettbewerbsfähig bleibt.
Ursprünglich sollte Datteln 4 2011 ans Netz gehen, als eine Laufzeit von 40 Jahren noch realistisch schien. Damals hätte es Kraftwerksblöcke ersetzt, die mittlerweile schon seit Jahren abgeschaltet wurden.
Statt Stromengpässen verzeichnet Deutschland aber weiterhin einen Überschuss von rund zehn Prozent. Für die Grundlast ist das Kraftwerk heute nicht mehr zwingend notwendig. Die Kohlekommission hatte 2019 empfohlen, das Kraftwerk nicht mehr zu nutzen.
Dass der Kraftwerksblock trotz Kohleausstiegs ans Netz geht, hängt auch an vereinbarten Lieferverträgen, die der Betreiber mit der Deutschen Bahn für den Nahverkehr unterzeichnet hat. Fast 40 Prozent der Maximalleistung sollen in den Bahnverkehr fließen. Das Kraftwerk gar nicht ans Netz zu lassen, hätte für die Bundesregierung große Entschädigungszahlungen zur Folge, heißt es.
Datteln könnte der nächste Hambacher Forst werden
Gleichzeitig fürchten Umweltverbände, dass durch die neue Inbetriebnahme der Ausbau regenerativer Energien weiterhin verschleppt wird. Es scheint sicher, dass nach dem Erhalt des Hambacher Forsts das neue Kraftwerk am Dortmund-Ems-Kanal zum nächsten Symbol der Klimabewegung wird. Zu absurd erscheint den Verantwortlichen, dass zeitgleich mit dem Kohleausstieg ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht.
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Dieser – sonst gute – Beitrag lässt leider unberücksichtigt, dass wir einen europäischen Strommarkt haben. Er stellt in der Bewertung leider allein auf Deutschland ab (wie viele Beiträge in der aktuellen Klimaschutzdiskussion). In der sogenannten „Merit Order“ europäischer Kraftwerke steht Datteln 4 als effizienteste Anlage an der Spitze. Daher wird… Weiterlesen »
Wenn es die EEG Umlage nicht gäbe, würde sich kein Windrad drehen und kein Solarstrom erzeugt. Wir finanzieren damit den Niedergang der modernsten KW-Technik der Welt selbst und das ist bitter. Vor allem deswegen, weil weitere Innovationen technisch möglich sind (Nutzung des CO2 z.B.) und diese dann fortentwickelte Technik exportierbar… Weiterlesen »
Hallo sehr gerechte Politiker / Umweltförderer / Lungenärzte / Lobbyisten / Energieversorger / Energiekonzerne / Umweltschutzer / Verbraucherschutz / Pressemitarbeiter / Sehr geehrte Bundeskanzlerin Warum auch nicht komplizierter als es eh schon ist? Vor Jahren wurde uns gesagt wir steigen aus und jetzt baut man ein Kraftwerk fertig obwohl der… Weiterlesen »
Und da die erneuerbaren Energien nicht zuverlässig zur Verfügung stehen und ausreichende Speichertechnologien nicht in Sicht sind, muss man sich doch wieder der Kernenergie zuwenden. Alles andere wäre unverantwortlich.
Also Datteln 4 holt mehr Energie pro kg CO2 aus der Kohle raus als alte Kraftwerke, nicht zuletzt wegen der Kraft-Wärme-Kopplung. Das ist keine Randnotiz: Es geht hier ungefähr um eine Verdopplung der Gesamteffizienz. Entscheidend für die Emissionen in Europa ist aber mittelfristig nicht, ob dieses oder jenes Kraftwerk läuft… Weiterlesen »
Hallo Dominik Lenné, „Das ist keine Randnotiz: Es geht hier ungefähr um eine Verdopplung der Gesamteffizienz.“ Wie ueblich bei Kraft-Waermekopplung muesste das Kraftwerk im Sommer auf ca.10% seiner Leistung modulieren, das ist mit absoluter Sicherheit unterhalb der Betriebsspezifikation. Insofern darf man davon ausgehen, dass diese Effizienz nur an wenigen Tagen… Weiterlesen »
Die Frage ist weniger, wie viel Gas hier entweicht, sondern wie viel bereits bei der Förderung durch Leckagen des Bohrlochs oder während des Transports aus einer undichten Pipeline entweicht. Angesichts des starken Treibhauseffekts von Methan reichen bereits kleine Menge um die Klimabilanz von Erdgas auf oder unter das Niveau von… Weiterlesen »