Artikel Kopfzeile:
Die Macht der Klänge
Wie Musik dein Leben beeinflusst
Es ist mehr als eine Anordnung von Tönen: Musik spielt im Leben vieler Menschen eine große Rolle. Sie kann bewegen, zusammenschweißen, mitreißen, aufheizen, beruhigen oder trösten. Was weiß die Wissenschaft darüber?
Sprungmarken des Artikels:
Inhalt
Inhalt:
- Wie wird Musik verarbeitet?
- Was macht Musik im Gehirn?
- Ist vor allem eine Gehirnhälfte für die Musik zuständig?
- Weshalb bedeutet Musik den Menschen so viel?
- Ist Musik gesund?
- Wie entsteht der Musikgeschmack?
- Was bewirkt Musik im Mutterleib?
- Kann Musik negative Wirkungen haben?
- Finden auch Tiere Musik gut?
Inhalt:
- Wie wird Musik verarbeitet?
- Was macht Musik im Gehirn?
- Ist vor allem eine Gehirnhälfte für die Musik zuständig?
- Weshalb bedeutet Musik den Menschen so viel?
- Ist Musik gesund?
- Wie entsteht der Musikgeschmack?
- Was bewirkt Musik im Mutterleib?
- Kann Musik negative Wirkungen haben?
- Finden auch Tiere Musik gut?
Artikel Abschnitt: Wie wird Musik verarbeitet?
Wie wird Musik verarbeitet?
So gelangen die Schwingungen ins Innenohr mit der Cochlea (Hörschnecke), wo winzige Haarzellen sitzen. Unterschiedliche Haarzellen reagieren auf unterschiedliche Tonhöhen und -frequenzen und wandeln die entsprechenden mechanischen Schwingungen in elektrische Signale um. Diese werden dann über den Hörnerv ins Gehirn geleitet.
Mehrere Gehirnregionen involviert
Dort ist beispielsweise der auditorische Kortex (Hörkortex) dafür verantwortlich, die grundlegenden Musik- oder Tonmerkmale zu erkennen – also wie laut und wie lang ein Ton ist und in welcher Frequenz er klingt. Zum Musikhören sind aber noch eine Menge weiterer Aspekte relevant, weshalb über das ganze Gehirn verteilte Regionen wichtige Rollen spielen. Es gibt Bereiche, die Harmonie, Rhythmus und Intervalle wahrnehmen. Andere, die auf die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis spezialisiert sind, ordnen die Musik zeitlich ein.
Das episodische Gedächtnis, das seinerseits von mehreren Strukturen im Gehirn abhängt, kann Musikstücke wiedererkennen und Erinnerungen abrufen, die bereits mit dieser Tonfolge verknüpft sind. Zudem kommen motorische Funktionen zum Zuge, wenn wir uns zur Musik bewegen, singen oder ein Instrument spielen. Und dann schalten sich noch die Hirnregionen dazu, die für die Verarbeitung von Emotionen und für den Belohnungsschaltkreis zuständig sind.
Artikel Abschnitt: Was macht Musik im Gehirn?
Was macht Musik im Gehirn?
Dank bildgebender Verfahren wie der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) lässt sich mittlerweile gut untersuchen, was beim Hören von Musik im Hirn passiert. So hat sich etwa gezeigt, dass Regionen zur Emotionsverarbeitung durch Musik aktiviert werden. Dazu gehören beispielsweise die Amygdala (auch Mandelkern genannt), der Nukleus Accumbens, Hypothalamus und Hippocampus und verschiedene Kortexregionen.
Das bedeutet letztendlich: Wir hören Musik nicht einfach nur, sie macht auch etwas mit uns, indem sie Funktionen im Gehirn anregt und stärkt, die nichts mit dem eigentlichen Verarbeiten von Tönen zu tun haben. Auf die eher emotionale Seite schauen wir in Frage 3 noch.
Unterschiedliche Einblicke ins Gehirn
Zunächst aber ein Blick zur Forschung selbst: Es gibt bei den Studien eine wichtige Unterscheidung. Manche, die mithilfe von fMRT die Wirkung von Musik auf bestimmte Gehirnregionen untersuchen, können recht genau sehen, was das Hören von Musik auslöst. Häufig verbinden wir in der Realität aber das Zuhören auch mit einer eigenen Aktion: Wir singen mit oder bewegen uns im Takt.
Sehr wahrscheinlich werden so noch eine Menge anderer Bereiche im Gehirn aktiv, die für die Motorik oder für bestimmte Arten von Gedächtnis (wie das Erinnern an Liedtexte) verantwortlich sind. Nur: Wie soll man das wissenschaftlich zeigen? In einem fMRT-Scanner müssen die Studienteilnehmenden sehr still liegen, sonst funktioniert der Scan nicht. Selbst Mundbewegungen verbieten sich, die Situation ist also alles andere als "natürlich". "Noch schwieriger ist es, Menschen beim Musikmachen zu analysieren", fügt Stefan Kölsch hinzu.
Musikalische Aktivität zeigt sich in der Hirnstruktur
Um dennoch etwas über die Veränderungen im Gehirn durch Musizieren zu erfahren, kommen häufig sogenannte Korrelationsstudien zum Einsatz. Diese vergleichen beispielsweise das Gehirn von Menschen, die kein Instrument spielen, mit denen von langjährigen Musikerinnen und Musikern. Dabei zeigen sich strukturelle Unterschiede: Offenbar haben musikalisch aktive Personen in Regionen für die Motorik, die Hörverarbeitung und die räumlich-visuelle Verarbeitung mehr Nervenzellen. Und auch funktionell scheinen diese Bereiche bei ihnen effizienter zu funktionieren als bei Leuten, die kein Instrument spielen.
Manche Studien vergleichen solche Testgruppen zudem mithilfe von kognitiven Aufgaben , um zu sehen, ob die Hirnveränderungen einen echten Einfluss auf den Alltag haben: So können Musizierende sich häufig besser an Wörter erinnern, sich räumlich-visuell geschickter orientieren und sind fingerfertiger.
Bei diesen Vergleichen bleibt aber die Frage: Verbessert die Musik die Fähigkeiten oder werden eher solche Menschen zu Musikerinnen und Musikern, denen beispielsweise die Feinmotorik leichter fällt und die entsprechend schneller Erfolge beim Üben sehen? Und sind die Gehirnregionen aufgrund des Musizierens stärker ausgeprägt oder spielten da vielleicht eine genetische Prädisposition oder andere Tätigkeiten eine Rolle? Durch reine Vergleiche lässt sich das schwer einordnen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass häufige Übung von sehr präzisen und koordinierten Bewegungen die Feinmotorik stärkt, ebenso wie die Konzentration auf Musikstücke und Instrumente oder auf die eigene Stimme sicher Gehirnfunktionen verbessert.
Musizieren ohne Stress
Musik scheint also im Allgemeinen einen positiven Effekt auf Menschen zu haben. "Ich werde häufig gefragt, ob man wirklich selbst Musik machen muss, um die Vorteile zu spüren, oder ob es auch reicht, Musik zu hören", sagt Stefan Kölsch. "Und das ist eine komplizierte Frage." Denn einen direkten Vergleich gibt es in der Forschung bisher nicht.
Stefan Kölsch glaubt, dass das Musizieren positiver wirkt, zumal auch mehr geistige und körperliche Funktionen angesprochen werden. "Das Wichtigste ist aber meiner Meinung nach, sich keinen Stress zu machen." Er denkt dabei etwa an Profimusikerinnen und Profimusiker, die nicht unbedingt gesünder oder kognitiv stärker sind als andere Menschen: "Musik als Beruf kann oft sehr stressig sein – und das führt eventuell dazu, dass professionelle Musiker weniger von den positiven Auswirkungen profitieren als Amateurmusiker."
Artikel Abschnitt: Ist vor allem eine Gehirnhälfte für die Musik zuständig?
Ist vor allem eine Gehirnhälfte für die Musik zuständig?
Sprache linke Gehirnhälfte, Musik rechte?
Ganz aufgehoben ist der Gedanke einer Zweiteilung dennoch nicht: Forschende gehen davon aus, dass Sprache stärker in der linken und Musik eher in der rechten Gehirnhälfte lokalisiert ist. Wird die rechte Hemisphäre etwa durch einen Schlaganfall beschädigt, haben die Betroffenen Schwierigkeiten mit Musik. Bei Läsionen im linken Teil leiden sie dagegen eher unter Sprachstörungen.
Trotzdem bedeute das nicht, dass jeweils nur eine der Gehirnseiten beteiligt ist. "Man kann sich das so vorstellen: Sprache ist ja an sich eine Art schnelle Musik, und Musik eine Art melodiöse Sprache." Die Übergänge sind daher fließend und die involvierten Bereiche über das ganze Gehirn verteilt. "Zu sagen, das eine ist links und das andere rechts, ist viel zu vereinfacht."
Artikel Abschnitt: Weshalb bedeutet Musik den Menschen so viel?
Weshalb bedeutet Musik den Menschen so viel?
Musik hat außerdem eine ganze Reihe von psychologischen Wirkungen, erklärt Stefan Kölsch: "Die Menschen haben ein tiefes Bedürfnis danach, dazuzugehören, Gemeinschaft zu erleben – und Musik ermöglicht das unmittelbar." Schon durch die grundlegenden Elemente wie Takt oder Tonleiter, die dafür sorgen, dass alle an der Musik teilhaben können. "Wenn sich Melodien wiederholen, können wir schnell einstimmen", so der Forscher. "Und dadurch, dass wir unsere Aktivitäten, Emotionen, unsere Aufmerksamkeit und Kommunikation mit anderen Personen synchronisieren, werden wir Teil eines größeren Ganzen."
Emotionen regulieren
Doch selbst, wenn man die Musik für sich allein hört, kann sie wunderbare Wirkungen haben. "Wir nutzen die Musik, um unsere Emotionen zu regulieren", sagt Stefan Kölsch. "Sie kann beruhigen, motivieren, in Partylaune bringen oder aufmuntern, je nachdem, wie wir sie nutzen." Das liegt wohl unter anderem daran, wie die Töne verschiedene Prozesse im Körper beeinflussen.
So können sie beispielsweise autonome Reaktionen wie den Herzschlag und den Hormonhaushalt verändern und motorische Impulse auslösen: Bei Musik, die wir als schön empfinden, lächeln wir eher, singen mit, klatschen oder tanzen – so wird der ganze Mensch involviert. Das funktioniert sogar schon – zu einem gewissen Grad – bei neugeborenen Babys.
"Diese Effekte kann man nutzen, um Gefühle zu regulieren“, so der Forscher. "Beispielsweise lassen sich mit Musik negative Gedankenschleifen viel einfacher abschalten als ohne."
Wirkung über Kulturgrenzen
In seinem Buch, "Good Vibrations – Die heilende Kraft der Musik" führt Kölsch eine Reihe weiterer Einflüsse der Musik auf die Stimmung auf, wie die Anregung der Fantasie und das emotionale Mitschwingen, das etwa traurige oder fröhliche Melodien und Texte hervorrufen.
Interessant dabei ist, dass die Grundemotionen Freude, Trauer und Angst in der Musik offenbar von allen Menschen gleichermaßen transportiert werden können. Forschende besuchten einen afrikanischen Stamm, der vorher noch nie in Kontakt mit der westlichen Welt gekommen war, und spielten den Bewohnerinnen und Bewohnern Klavierstücke vor. Die 21 Teilnehmenden reagierten auf die Musik genauso wie die 20 Leute aus der westlichen Kultur, die als Vergleichsgruppe dienten.
Musikspezifische Anhedonie
Es gibt aber auch Menschen, die mit Musik kaum etwas anfangen können. Das Phänomen nennt sich "musikspezifische Anhedonie". Als Anhedonie bezeichnet man einen Zustand, in dem Menschen keine oder nur wenig Freude, Lust oder Vergnügen empfinden. Bei der musikbezogenen Version kommen diese positiven Gefühle aber bei Aktivitäten wie Essen, Sport oder Sex genauso vor wie bei anderen Menschen. Nur die Musik löst keine Freude aus.
Forschende schließen daraus, dass es im Gehirn ein Belohnungssystem geben muss, das nur für Musik zuständig ist. Wie genau das aussehen soll, ist aber noch unklar. Solche Unterschiede zu analysieren, ist ohnehin komplex: Schließlich löst Musik auch bei Leuten, die grundsätzlich Spaß daran haben, ganz verschiedene Reaktionen aus und überhaupt hängt die Freude stark vom Musikgeschmack ab.
Zwar ist musikspezifische Anhedonie ein interessantes Konzept und für die Forschung möglicherweise nützlich. Medizinisch relevant ist das aber in der Regel nicht, sagt Stefan Kölsch: "Problematisch wird es erst, wenn jemand sagt, dass er oder sie Musik nichts abgewinnen kann, und anderen Dingen auch nicht." Eine vollständige Anhedonie kann bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Schizophrenie auftreten und die Lebensqualität erheblich verringern. Bei der musikbezogenen Form hingegen haben die Betroffenen schlicht andere Wege, um das Leben zu genießen.
Artikel Abschnitt: Ist Musik gesund?
Ist Musik gesund?
Solche Musiktherapien kommen in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz und werden zunehmend in klinischen Studien untersucht. Ein Anwendungsgebiet ist beispielsweise die Demenz: Gerade Betroffene, die unter Ängsten oder Aggressionen leiden, können davon profitieren. Auch bei Menschen im Autismusspektrum, nach einem Schlaganfall, zur Schmerzreduktion oder bei einer Krebserkrankung kann sich Musiktherapie positiv auswirken.
Musik könnte Aggressionen abbauen
Es muss nicht mal unbedingt eine Erkrankung sein: Schon in einer 2010 veröffentlichten Untersuchung zeigte sich, dass eine musikalische Gruppentherapie gut für Kinder ist, die ihre Aggressionen nicht gut kontrollieren können. 15 Wochen lang nahmen sie in Gruppen an je zwei Musikstunden teil. Danach waren sie deutlich weniger aggressiv und hatten zudem ein verbessertes Selbstwertgefühl. Das war zwar nur eine kleine Studie mit 48 Kindern, die außerdem auf eine Gruppe mit und eine ohne Behandlung aufgeteilt wurden. Aber da solche musikalischen Stunden recht unkompliziert und kostengünstig aufgebaut werden können, wäre das auch ohne klinischen Beweis einen Versuch wert.
Solche melodischen Behandlungsmethoden sind deutlich unstrukturierter oder weniger an standardisierte Protokolle angepasst als manche Psychotherapien. Vielmehr kommt es darauf an, herauszufinden, was den Individuen guttut.
Aufmunternde Musik muss nicht fröhlich sein
Ein wichtiger Punkt: Es geht nicht unbedingt darum, die Menschen mit "Gute-Laune-Musik" fröhlich zu machen. Das gilt im Übrigen sowohl für Musiktherapien als auch für Personen, die sich im Alltag nicht gut fühlen und Musik nutzen, um sich aufzumuntern. "Es gibt verschiedene Typen", sagt Stefan Kölsch. Die einen legten gerade dann heitere oder ermutigende Musik auf, wenn sie beispielsweise Liebeskummer haben. "Dann gibt es die zweite Gruppe von Menschen, die in einer Lebenskrise zunächst traurige Lieder hören und sich vielleicht erst mal richtig ausweinen – und dann aber auch wieder Musik mit gehobenerer Stimmung auflegen." Das sei eine der Möglichkeiten, wie Menschen auf melodische Art ihre Gefühle regulieren. "Kritisch wird es aber, wenn man in einer schlechten Stimmung nur tragende oder traurige Musik hört und dann eher in eine Abwärtsspirale rutscht."
Stefan Kölsch schlägt in diesen Fällen vor, sich in einer guten Phase eine Playlist zusammenzustellen: beginnend mit traurigen Liedern und dann langsam übergehend zu solchen Stücken, die dazu passen, wie man sich fühlen möchte – entspannt oder fröhlich. So habe man ein hilfreiches Werkzeug an der Hand, wenn man wieder in eine Krise komme.
Artikel Abschnitt: Wie entsteht der Musikgeschmack?
Wie entsteht der Musikgeschmack?
Über die Rolle der Musik in früheren Zeiten lässt sich spekulieren – vermutlich diente sie einerseits der Gemeinschaft und dem Feiern, aber auch der Verbindung zu Gott oder den Göttern.
Auch später noch spielte die Musik im Kontext des Glaubens eine große Rolle (und tut es heute weiterhin). Interessanterweise wurden und werden aber ebenso religionskritische Gedanken über Musik verbreitet. Dabei geht es gar nicht so sehr um den Musikgeschmack. Stattdessen dient die Musik in solchen Fällen als religiöses oder politisches Statement.
Bekannte und neue Erfahrungen
Mit der Zeit entwickelten sich je nach Kultur verschiedene Richtungen und Stile. Was einem Menschen gefällt, ist dabei eine Frage davon, was er oder sie kennt, sagt Stefan Kölsch: "In der Regel hören wir Musikarten, mit denen wir aufgewachsen sind – in Deutschland also eher westliche, tonale Musik." Das ist natürlich nicht das einzige Kriterium. Die Persönlichkeitseigenschaften und Werte spielen ebenso eine Rolle wie die Stimmung: Man mag nicht unbedingt immer die gleiche Musik. Manche Lieder sprechen uns zudem an, weil sie Erinnerungen wecken, also Nostalgie hervorrufen.
Auch die Art und Weise, wie Musik verfügbar ist, beeinflusst den Geschmack. Früher konnte man sie nur selbst machen oder auf Konzerten hören, dann zog sie über das Grammofon in Häuser ein. Mit dem Entstehen des Radios fanden die Lieder ein immer breiteres Publikum, und über Kassetten und CDs konnte jede und jeder wählen, was sie oder er hören wollte. Und nun lässt sich jederzeit und praktisch von überall auf Streaming-Dienste zugreifen und die eigene Playlist nach Lust und Laune zusammenstellen. Damit entstehen Möglichkeiten, die über die gewohnte Kultur hinausgehen. Spannenderweise erweitern viele Menschen vor allem dann ihren musikalischen Horizont, wenn die Routine in ihrem Leben in irgendeiner Form unterbrochen wird. So zeigte sich etwa, dass während des Corona-Lockdowns mehr mit dem Musikgeschmack experimentiert wurde. Auch Reisen in fremde Länder bieten Gelegenheit, andere Richtungen kennen und schätzen zu lernen. Offenbar können dadurch dauerhafte Vorlieben entstehen: Neue Musikvorlieben beeinflussen langfristig den Geschmack.
Der soziale Faktor
In der Musikindustrie ist es ein ständiges Ziel, vorherzusagen, wie ein neues Lied oder ein Album angenommen wird. Dazu kommen oft mathematische Modelle zum Einsatz, die verschiedene Charaktereigenschaften der Musik einbeziehen, aber auch beispielsweise, wie beliebt die Künstlerinnen und Künstler vorher schon waren und wie viel Einfluss der Musikverlag hat. Eine kürzlich erschienene Studie legt außerdem nahe, dass die soziale Komponente eine sehr wichtige Rolle spielt. Soll heißen: Menschen, die miteinander vernetzt sind, hören auch eher die gleiche Art Musik. Dieser Faktor sei bei der Einschätzung des Erfolgs von einem Song etwa genauso relevant wie die Beliebtheit der Musikerinnen und Musiker.
Dazu kommt die Abgrenzung : Manche Menschen hören bestimmte Musikrichtungen, um ihre Ablehnung sozialer Regeln und Erwartungen auszudrücken oder beispielsweise den Eltern gegenüber zu zeigen: Ich bin ein eigener Mensch.
Traurige oder aggressive Lieder
Dass auch bei der Frage des Musikgeschmacks vieles noch unerforscht ist, zeigt die Debatte um traurige Lieder: Warum hören manche Menschen gerne – und teils unabhängig von der eigenen Stimmung – Songs mit tragenden Melodien und melancholischen Texten? Offenbar kann das Gehirn diese Trauer, die nicht auf uns selbst bezogen ist, in eine angenehme Erfahrung uminterpretieren. Dazu könnte ein Kunstgriff unseres Hirns helfen: die psychologische Distanzierung, die möglicherweise dafür sorgt, dass wir die negativen Aspekte der Musik ignorieren und uns auf die Schönheit der Töne oder beispielsweise auf nostalgisch-verknüpfte Erinnerungen konzentrieren können. Dazu kommt: "Die Stimmung der Musik wird unterschiedlich wahrgenommen", sagt Stefan Kölsch. "Was für manche traurig klingt, wird von anderen als friedlich oder beruhigend empfunden."
2018 untersuchten zwei australische Forscher aggressive Musik. Sie schlagen vor, dass Fans andere Aspekte der Musik wahrnehmen als Menschen, denen die Lieder nicht gefallen. So könnten manche durch gewaltvolle Texte und Klänge ihre negativen Emotionen regulieren oder "rauslassen", während sich andere dadurch eher bedroht fühlen. Für die Fans klangen die Lieder zudem eher ermutigend und vitalisierend statt aggressiv. Auch hierbei spielen kulturelle und soziale Faktoren eine große Rolle. Besonders durch die Ablehnung, die manchen Musikrichtungen vom Mainstream her entgegenschlägt, werden die sozialen Bande zwischen den Fans gestärkt.
Artikel Abschnitt: Was bewirkt Musik im Mutterleib?
Was bewirkt Musik im Mutterleib?
Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass Musik verschiedene Funktionen des autonomen Nervensystems des ungeborenen Babys beeinflussen kann. Dabei wird der Parasympathikus aktiviert und der Sympathikus heruntergeregelt. Diese beiden Teile des autonomen Nervensystems sind Gegenspieler: Der Parasympathikus etwa senkt die Herzschlagfrequenz, der Sympathikus erhöht sie. Der Sympathikus ist außerdem mitverantwortlich für körperliche Stressreaktionen, während der Parasympathikus uns beruhigt und beispielsweise den Hormonhaushalt ins Gleichgewicht bringt. Die Musik hat also einen entspannenden Effekt auf den Fötus.
Auch die Mutter profitiert vom Musikhören, Musizieren oder Singen und entspannt sich dabei, was sich wiederum positiv auf das Verhältnis zwischen Mutter und Fötus auswirkt und die Verbundenheit stärkt.
Absolut unnötig seien hingegen manche Produkte, die das Kind gezielt mit Musik beschallen sollen, so Stefan Kölsch: "Es gibt spezielle MP3-Spieler, die sich die Frauen vaginal einführen können – so etwas würde ich niemals empfehlen!" Auch Musikgürtel haben keine Vorteile gegenüber einer Spieluhr oder dem Singen der Mutter, zeigen Studien. Zwar werden diese Produkte teils mit tollen Versprechen beworben: So soll das Baby sich besser entwickeln oder regelmäßiger schlafen. Dafür gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Beweise.
Auch nach der Geburt positiv
Im Übrigen kann Musik sich über die Geburt hinaus positiv auf die Kleinen auswirken. Beispielsweise könnten die Entwicklung des Nervensystems gefördert und der Stress reduziert werden, wenn Babys zu früh auf die Welt kommen. Zwar ist die Studienlage nicht allzu gut, die Untersuchungen beziehen sich meist nur auf wenige Teilnehmende und sind in der Umsetzung sehr verschieden. Andererseits kann es auch nicht schaden, den Kleinen Musik vorzuspielen.
Generell sei es nach der Geburt vor allem wichtig, mit einer ruhigen, geduldigen und positiven Stimme mit den Babys zu sprechen, betont Stefan Kölsch. "Wenn man depressiv ist, dann empfehle ich, einen Musiktherapeuten oder eine Musiktherapeutin nach Hause einzuladen und zum Beispiel gesanglich mit dem Kind zu kommunizieren." Denn das Baby könne gar nicht anders, als mit der depressiven Stimmung der Mutter zu resonieren und selbst unglücklich zu werden.
Artikel Abschnitt: Kann Musik negative Wirkungen haben?
Kann Musik negative Wirkungen haben?
Dazu kommen etwa aufheizende Lieder bei Märschen, die teils sogar aggressiv machen sollen, oder Kirchenmusik, die religiös manipulieren will. Von der Hass-Musik der Neonazis ganz zu schweigen.
Bei Suchterkrankungen kann Musik einen Rückfall auslösen
Es kann aber auch unbeabsichtigt passieren, dass Musik Schaden anrichtet. "Bei Menschen mit einer Suchterkrankung können bestimmte Lieder das Suchtverhalten oder einen Rückfall auslösen", so Stefan Kölsch. Das Risiko dafür sei besonders groß, wenn diese Melodien mit Erinnerungen an einen früheren Drogenkonsum verknüpft seien. Die Assoziation könne dann ausreichen, um erneut das Verlangen nach der Droge zu entfachen.
Manche Forschende schlagen zudem vor, dass aggressive Musik, in der es auch um Drogenkonsum geht, das Suchtverhalten gerade bei jungen Menschen fördern könnte. Echte Belege gibt es dafür allerdings nicht. Zumal ein beobachteter Zusammenhang ebenso umgedreht funktionieren würde: Vielleicht bevorzugen manche Drogenabhängige auch einfach solche Lieder? Andere Wissenschaftler:innen, die sich mit aggressiver Musik und ihren psychologischen Auswirkungen beschäftigt haben, sehen sogar einen möglichen positiven Effekt: "Extreme Musik zu hören, könne ein gesunder Weg der Hörerinnen und Hörer sein, ihren Ärger zu verarbeiten."
Psychische Erkrankungen
Musik kann bei verschiedenen Erkrankungen einen positiven Effekt haben. Tatsächlich kann es aber genauso andersherum gehen: "Wer an Depressionen leidet und dann auch noch traurige Musik hört, verschlechtert eher seinen Gesundheitszustand", sagt Stefan Kölsch. Er nennt das "psychologisches Recycling": negative Gedankenschleifen, die durch die melancholischen Töne verstärkt werden.
Manche Untersuchungen sehen auch ein höheres Risiko von Musizierenden, an psychischen Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder einer bipolaren Störung zu erkranken. Inwiefern die Musik allerdings eine Schuld trifft, ist nicht so eindeutig zu erkennen. Zwei Studien der schwedischen Psychologin und Professorin für Psychiatrie, Laura Wesseldijk, kommen zu dem Schluss, dass das Musizieren selbst nicht das Problem ist. Vielmehr seien vermutlich genetische Faktoren und Umwelteinflüsse dafür zuständig, dass die Tätigkeit und die Erkrankung zusammen vorkommen.
Epilepsie
Kompliziert ist auch der Zusammenhang von Musik mit Epilepsie. In manchen Fällen könnte sie als Therapie genutzt werden – vor allem bei Menschen, die auf herkömmliche Behandlungen nicht ausreichend reagieren. Gleichzeitig gibt es aber eine Form von Epilepsie, die gerade durch Musik ausgelöst wird. "Schon die Vorstellung eines bestimmten Liedes kann einen Anfall auslösen", sagt Stefan Kölsch. Dabei spielt offenbar die Verbindung der Stücke mit Emotionen oder Erinnerungen eine Rolle. Welche Musik den epileptischen Anfall verursacht, ist also sehr individuell verschieden.
Und was ist mit Musik, die man schlicht nicht mag?
Eine Untersuchung aus Deutschland legt nahe, dass uns ungeliebte Lieder stressen. Die Teilnehmenden sollten sich drei Songs anhören, die sie absolut nicht mochten. Als Kontrolle dienten drei neutrale Lieder, für die sie weder positive noch negative Gefühle hatten. Dabei beobachteten die Forschenden: Die unbeliebte Musik erhöhte den Herzschlag und die Körpertemperatur, die Teilnehmenden zeigten Ekel, Ärger und zogen verabscheuende Grimassen. Das können sich wohl alle gut vorstellen, wenn wir an eigene musikalische Abneigungen denken.
Artikel Abschnitt: Finden auch Tiere Musik gut?
Finden auch Tiere Musik gut?
Wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es vor allem mit Ratten. Das Problem dabei ist aber, dass die Laborratten in der Regel im Ultraschallbereich kommunizieren. Warum also sollte Musik in unserem Hörbereich sie sonderlich interessieren?
Trotzdem könnte es sein, dass Lieder das Wohlbefinden bei Labortieren verbessern – und dann entsprechend bei Haustieren. So könnten die Klänge wie bei Menschen das Belohnungszentrum im Gehirn aktivierten oder körperliche Stressreaktionen verringern. Offenbar spielt dabei auch die Art der Musik eine Rolle. Aber: All diese Annahmen stehen auf sehr wackeligen Füßen. Es gibt unterschiedliche Ergebnisse bei Untersuchungen je nach Tierart, verwendeter Musik und den allgemeinen äußeren Bedingungen. Ob Lieder wirklich positiv für Tiere sind, hängt also möglicherweise von verschiedensten Faktoren ab.
Grönlandwale könnten Musik als Sprache nutzen
Unabhängig von eventueller Freude über Musik oder von gesundheitlichen Auswirkungen: Unumstritten nutzen einige Tierarten Melodien, um miteinander zu sprechen. Spannend zu beobachten sind Singvögel. Die Jungtiere lernen von den erwachsenen Tieren, wie sie richtig singen. Wachsen die Kleinen hingegen isoliert auf oder können nicht hören, klingen ihre Lieder atypisch.
Ein anderes Beispiel für musikalische Kommunikation im Tierreich sind die Grönlandwale, die komplexe Melodien nutzen. Forschende gehen davon aus, dass sich die Lieder nie wiederholen und somit eine Sprache für sich sind.
Über den/die AutorIn:
Quellenangaben zum Artikel:
Social Sharing:
Angelblich kann man auch ohne Musik leben, ich bezweifle das, ein Leben ohne Musik ist mir unvorstellbar. Danke für diesen ausführlichen und erhellenden Artikel.