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Luftqualität
Darum sind "vorzeitige Todesfälle" durch schlechte Luft Unsinn
Was man wissen muss, um die Gesundheitsgefahren von Stickstoffdioxid und Feinstaub realistisch einordnen zu können.
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Inhalt
- Darum geht's: Schlechte Luft hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit
- Darum müssen wir drüber sprechen: Die Formel zur Berechnung der vorzeitigen Todesfälle ist falsch
- Aber: Trotz der falschen Formel sind die Studien grundsätzlich richtig
- Und jetzt? Forschende sollten die Anzahl der verlorenen Lebensjahre berechnen
- Darum geht's: Schlechte Luft hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit
- Darum müssen wir drüber sprechen: Die Formel zur Berechnung der vorzeitigen Todesfälle ist falsch
- Aber: Trotz der falschen Formel sind die Studien grundsätzlich richtig
- Und jetzt? Forschende sollten die Anzahl der verlorenen Lebensjahre berechnen
Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Schlechte Luft hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit
Die Europäische Umweltagentur (EUA) spricht deshalb von 433.000 vorzeitigen Todesfällen in der EU, die durch die Belastung mit bestimmten Feinstaubpartikeln und Stickstoffdioxid zustande kämen. In Deutschland sollen es im Jahr 2014 – allein wegen der Stickoxidbelastung – knapp 13.000 vorzeitige Todesfälle gewesen sein. Und eine Studie vom Helmholtz-Zentrum München im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) hat berechnet, dass im Jahr 2014 statistisch etwa 6.000 vorzeitige Todesfälle auf die sogenannte Stickstoffdioxid-Hintergrund-Belastung zurückführen seien.
Wie Feinstaub entsteht und warum es so gefährlich ist, erklären wir in diesem Artikel.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Die Formel zur Berechnung der vorzeitigen Todesfälle ist falsch
Auch die Definition der Maßeinheit scheint fragwürdig. So schreibt die EUA in ihrem Bericht: "Vorzeitige Todesfälle sind Todesfälle, die auftreten, bevor eine Person ein erwartetes Alter erreicht." Nach dieser Definition gilt es bereits als ein vorzeitiger Todesfall, wenn ein Mensch auch nur wenige Sekunden vor seinem "natürlichen Tod" stirbt. Solche Zahlenangaben helfen einem also bei der Einschätzung der wahren Gefahren nicht weiter.
Berechnungsformel ist falsch
Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu: "Die Formel, die bis heute zur Berechnung der Anzahl der vorzeitigen Todesfälle verwendet wird, ist schlichtweg falsch", sagt der Mathematiker und Epidemiologe Dr. Peter Morfeld. Konkret: Die wahre Anzahl könnte geringer – aber auch deutlich höher sein; nämlich bis zu 100 Prozent der jeweiligen Todesfälle eines Jahres.
Mit dieser Ansicht steht Peter Morfeld nicht alleine da. Zusammen mit Kollegen und Kolleginnen der Universität Köln und Ruhr-Universität Bochum arbeitet er an Publikationen zu diesem Problem. Grundlage seiner Kritik sind längst publizierte mathematische Arbeiten zweier anerkannter Methodiker (hier und hier).
Im Februar 2019 ist in dem wissenschaftlichen Fachmagazin "Das Gesundheitswesen" eine Arbeit zu diesem Thema erschienen. Auf sechs Seiten legen die Autorinnen und Autoren in ihrem Beitrag Schritt für Schritt dar, wie die Formel falsche Ergebnisse produziert:
Verdeutlicht wird das am Beispiel von zwei Dreiergruppen. Eine Gruppe ist belastet, die andere nicht. In der belasteten Gruppe sterben die Menschen im Schnitt ein Jahr früher. Die Autoren berechnen nun für dieses Beispiel mit der üblichen Formel die Anzahl vorzeitiger Todesfälle. Das Ergebnis: Es müssten 0,0375 vorzeitige Todesfälle sein. Das zeigt auf sehr deutliche Weise, dass die Formel falsch ist. Das Ergebnis müsste ja zwingend zwischen 1 und 3 liegen, weil in der belasteten Gruppe drei Menschen waren.
Zusätzlich gibt es aber auch noch ein methodisches Problem: Um mit dieser Formel – zumindest theoretisch – die vorzeitigen Todesfälle berechnen zu können, müssten Daten vorliegen, die die Umweltwissenschaftler gar nicht haben. Denn sie lassen sich schlicht und einfach nicht erheben.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Trotz der falschen Formel sind die Studien grundsätzlich richtig
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Forschende sollten die Anzahl der verlorenen Lebensjahre berechnen
Aufaddierter Wert ergibt wenig Sinn
Die Anzahl der vorzeitigen Todesfälle können wir außer Acht lassen, da ihre Berechnung grundsätzlich falsch ist. Doch was lässt sich mit der Anzahl der verlorenen Lebensjahre anfangen? Peter Morfeld erklärt es sehr anschaulich: "Es würde doch auch niemand sagen, die Deutschen sind 120.000 Kilometer groß – also alle Menschen aufeinandergetürmt –, sondern man würde den Durchschnitt berechnen. Und das sind dann beispielsweise bei Erwachsenen 1,71 Meter."
Peter Morfeld schlägt vor, das auch mit den verlorenen Lebensjahren zu tun, da der aufaddierte Wert von knapp 133.000 Lebensjahren alleine wenig aussagekräftig ist. Berechnet man den Durchschnittswert, kommt man in Deutschland auf 14,5 Stunden verlorener Lebenszeit pro Person im Jahr 2014.
Sechseinhalb Monate verlorene Lebenszeit
Rechnet man die verlorenen Lebensjahre aufgrund von Feinstaub und Ozon hinzu, erhöht sich der Wert auf immerhin 3,8 Tage. Für einen 30-Jährigen, der statistisch noch 51 Jahre lebt, bedeutet der Wert von 3,8 Tagen knapp sechseinhalb Monate verlorene Lebenszeit, wenn sich die Luftqualität nicht verbessert. Wenn man bedenkt, dass unsere Lebenserwartung trotz der (zudem immer niedriger werdenden) Umweltbelastungen nach wie vor rasant ansteigt, erscheinen diese Zahlen auf einmal in einem ganz anderen Licht.
Kritiker und Kritikerinnen merken an dieser Stelle gerne an, dass man bei der verlorenen Lebenszeit keinen Durchschnitt bilden dürfe – weil nicht bekannt sei, wie viele Menschen betroffen sind. Das ist tatsächlich so. Allerdings verfängt das Argument aus genau diesem Grund nicht: Denn die lediglich aufsummierte "verlorene Lebenszeit" bietet keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. So finden sich im Bericht der EUA die 133.800 verlorenen Lebensjahre für Deutschland direkt neben 440 für Luxemburg. In welchem Land sind die Auswirkungen von Stickstoffdioxid schlimmer? Das ergibt sich erst, wenn man auch den Durchschnittswert angibt. Für Deutschland sind das die oben erwähnten 14,5 Stunden und für Luxemburg knapp sieben Stunden.
Etwas Meinung am Schluss
Mit diesem Wissen wird auch klar: Die aufgeregten Diskussionen in Wissenschaft, Politik und Talkshows haben den Kern des Problems nicht im Ansatz deutlich gemacht: Nicht die Studien sind falsch, sondern die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hantieren mit falschen Maßeinheiten und populistischen Zahlengrößen. Und die Medien tappen oft in die Falle, wenn sie die Zahlen unhinterfragt übernehmen oder die falschen Fragen stellen.
Wir müssen keine Angst vor 6.000 oder 13.000 Stickoxid-Toten pro Jahr haben, sondern wir müssen uns fragen: Was wären wir bereit zu unternehmen, um 8 bis 14,5 Stunden Lebenszeitverlust pro Jahr möglicherweise zu verhindern. Und möchten wir vielleicht für Kinder rein vorsorglich noch bessere Luft?
Unter diesem Aspekt kann man dann die ganze Grenzwertdiskussion tatsächlich neu aufmachen – und wird vielleicht auch zu anderen Ergebnissen kommen als bisher. Für eine ideologische Diskussion zur Luftreinhaltung lassen sich die Zahlen dann allerdings nicht mehr so gut nutzen.
Artikel Abschnitt:
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Hinweise:
In diesem Text werden zwei Studien zitiert, die unterschiedliche Zahlen zu "vorzeitigen Todesfälle" aufgrund von NO2-Belastung nennen:
Der "Air quality in Europe – 2017 report" sowie "Quantifizierung von umweltbedingten Krankheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid-Exposition in Deutschland"
Das ist kein Fehler. Die Studie im Auftrag des UBA untersuchte jedoch nur die Auswirkungen der sogenannten Hintergrundbelastung von NO2. Sie berücksichtigt also nicht die verkehrsnahen Bereiche höherer Belastung. Daher kommt sie zu den niedrigeren Werten.
Quellenangaben zum Artikel:
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Artikel Überschrift:
Für mich ist Quarks vom westdt, Rundfunk eine überraschend sachliche u. informative Alternative in dem Beispiel NO2-Belastung + „Feinstaubtote“. Kritik zu folgender Aussage: „Umweltorganisationen und Medien greifen die vorzeitigen Todesfälle gerne auf. Grundlage für die Horrorzahlen sind oftmals wissenschaftliche Studien oder Berichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der EAU. Quellen also,… Weiterlesen »
Seit zehntausenden von Jahren heizt der Mensch mit Holz. Und plötzlich ist es gesundheitsschädlich. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Entdeckung! Dann kann ja die DUH bald gegen Lagerfeuer klagen. Das ganze Leben ist lebensgefährlich. Sogar der menschliche Körper selbst produziert Stoffe, die gesundheitsschädlich sind. Schade, wie hier die Wissenschaft missbraucht und… Weiterlesen »
Lieber Mensch, leider sind Sie völlig auf dem Holzweg! Es gibt kein Problem mit Überbevölkerung, sondern mit Verteilung! Zudem ist die Umweltverschmutzung und -Zerstörung der menschlichen Entwicklung erwiesenermaßen abträglich!
Es stimmt, dass der Mensch schon immer mit Holz geheizt hat, der Mensch ist aber auch schon immer daran gestorben!
Ein Durchschnittswert verlorener Lebensjahre pro Einwohner:in, wie er oben als vorteilhaft dargestellt wird, ist nicht nur aus evtl. ethischen Gründen abzulehnen. Ganz grundsätzlich ist ein Durchschnitt ungeeignet, tiefere Einsicht zu gewinnen, Vergleichbarkeit herzustellen oder gar Handlungsempfehlungen zu begründen. Ich orientiere mich am obigen Vorgehen und nehme auch zwei Dreiergruppen als… Weiterlesen »
Also deine Auffassung, man sollte es in durchschnittlich verlorenen Lebensstunden interpretieren, ist deutlich weniger aussagekräftig und realitätsnah als von 13.000 Toten im Jahr zu sprechen. Provokant kann man sogar sagen, es ist menschenverachtend. Denn es steht außer Zweifel, dass Menschen durch von Feinstaub verursachte Krankheiten sterben. Natürlich nur ein Bruchteil… Weiterlesen »
Überhaupt ist es nach meiner Meinung unverantwortlich „Todeszahlen einfach so“ zu publizieren. Schade, dass man Gesundheitsgefahren mit Statistiken und damit mit falschen Zahlen + Berechnungen + Schätzungen vermischt (vermutlich multiplizieren sich solche Studien gegenseitig mit ihren Zahlen) und diese Statistiken mit „Bildsprache“ an eventuell psychisch Anfällige gutheißt…… Meine Meinung: Unstrittig… Weiterlesen »
Laut Statistik „Anzahl der Sterbefälle in Deutschland nach Altersgruppe im Jahr 2018“ (Quelle: statista.com) sterben ca. 250000 im Alter von 50 bis 75. Etwa die Hälfte aller Todesursachen sind Erkrankungen aus dem Bereich der Schadstoff relevanten Todesursachen, wie hier „Anzahl der Todesfälle nach den häufigsten Todesursachen in Deutschland in den… Weiterlesen »