Artikel Kopfzeile:
Verbauungen
Darum müssen wir
unsere Flüsse schützen
unsere Flüsse schützen
Begradigt, umgelenkt, gestaut: Weltweit sind knapp zwei Drittel der längsten Flüsse verbaut – mit weitreichenden Folgen für Mensch und Tier. Lösungsansätze gibt es nur wenige.
Sprungmarken des Artikels:
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Flüsse sind weltweit verbaut
Die Wissenschaftler haben Satellitenbilder und Datenbanken ausgewertet und festgestellt: Lediglich gut ein Drittel der Flüsse, die länger als 1000 Kilometer sind, sind demnach noch frei fließend. Und: Von den 91 längsten Flüssen, die ins Meer münden, haben nur noch 21 eine direkte Verbindung von der Quelle bis zur Mündung. Die restlichen Flüsse sind zerstückelt, bzw. "fragmentiert" durch Talsperren, Staudämme, Wehre und Schleusen. Auch Kanalisierungen und Begradigungen stören die Flüsse in ihrem natürlichen Lauf.
Detlev Ingendahl, Diplom-Biologe im Umweltministerium NRW, spricht von einem "beunruhigenden Befund". Die betroffenen Flüsse haben ihre eigentlichen Funktionen verloren, so der Experte.
Hinzu kommt: Diejenigen Flüsse, die noch weitgehend unberührt sind, liegen laut der Nature-Studie in Regionen, in denen sie wegen des extremen Klimas oder fehlender Mittel ohnehin nicht bebaut werden können – beispielsweise in der Arktis oder im Kongo. In dicht besiedelten Regionen sei der Großteil der Flüsse bereits durch den Menschen eingeschränkt.
Das gilt auch für das Industrieland Deutschland. In Nordrhein-Westfalen, so Biologe Ingendahl, seien auch viele kleine Flüsse und Bäche verbaut. Ingendahl schätzt, dass es in NRW pro Kilometer Flusslauf ein Querbauwerk gibt – also zum Beispiel ein Wehr oder eine Schleuse.
Artikel Abschnitt: Darum sollten wir drüber sprechen:
Darum sollten wir drüber sprechen:
Fließgewässer sind lebensnotwendig für Mensch und Tier
Verändert der Mensch ihren natürlichen Verlauf, hat das weitreichende Konsequenzen. Experten unterscheiden zwischen Schäden durch drei Arten von Verbauungen: Verbauungen im Längsverlauf (Wehre, Schleusen und Dämme), Verbauungen nach unten (Fahrrinnen im Flussbett) und seitliche Verbauungen (Begradigungen). Das sind die Hauptfolgen:
1. Wanderfische und andere Tierarten
Schleusen und Wehre schneiden Lebewesen in Flüssen den Weg ab. Das betrifft vor allem Wanderfische wie Lachse, Störe und Maifische. Diese sind in ihrer Population stark zurückgegangen, weil die Fischarten durch die Bebauungen ihre Laichplätze nicht erreichen.
Eine mögliche Hilfe für Lachse und Co.: Fischpässe bzw. "Fischtreppen". Diese können die meisten Wanderfische zwar überwinden. Aber: "Auch ein Fischpass ist ein Hindernis für die Tiere", sagt Experte Ingendahl. Zudem müssen die Fische meist mehrere Pässe hintereinander bewältigen, was sehr kräftezehrend für die Tiere ist. Es kommt häufig zu einem Rückstau, was die Fische anfälliger für Fressfeinde macht.
Außer Wanderfischen sind auch andere Fischarten wie Barben, Barsche und Nasen betroffen. Diese müssen zwar keine weiten Strecken zurücklegen. Sie sind aber auf ein frei fließendes Gewässer angewiesen, weil dieses ihre Nahrung heranspült. Wird der Fluss unterbrochen, entsteht ein anderes Ökosystem mit veränderten Nahrungsquellen.
Aus dem gleichen Grund sind Wasserinsekten wie Köcher- und Steinfliegen von den Bebauungen betroffen. Diese filtern ihre Nahrung aus dem treibenden Wasser. Auch bestimmte Wasserpflanzen wie der Hahnenfuß können in aufgestautem Wasser nicht überleben.
Eine weitere Folge der Unterbrechungen im Flussverlauf: Sedimente – kleinste Schwebeteilchen aus Kalk, Sand oder Kies – gelangen nicht bis zur Mündung und können sich dort nicht mehr ablagern. Experten gehen davon aus, dass Flussmündungen dadurch in Zukunft nicht mehr so gut auf den durch den Klimawandel steigenden Meeresspiegel reagieren können. Es könnte schneller zu Überschwemmungen kommen.
2. Trinkwasser
Nicht nur Unterbrechungen im Längsverlauf, sondern auch Verbauungen des Flussbetts verändern das Ökosystem. "Normalerweise besteht das Flussbett aus einem Lückensystem aus Sand und Kies, das Wasser filtert", erklärt Biologe Ingendahl. Während der Fluss an diesem natürlichen Filter entlang strömt, reinigt er sich automatisch selbst.
Wird das Gewässer jedoch für Schiff-Fahrrinnen versiegelt, geht dieser Filter-Mechanismus verloren. Das gleiche gilt für Flüsse, die durch ständige Unterbrechungen sehr langsam fließen. "Hier setzt sich Sediment in das Lückensystem und verstopft das Flussbett", so Ingendahl.
Die Folge: Der Fluss wird schmutziger, der Gehalt an Sauerstoff nimmt ab. Viele Fisch- und Insektenarten können in diesem Milieu nicht überleben. Insektenlarven und Muscheln, die sonst das Wasser filtrieren, fehlen nun im Fluss. Das Wasser wird noch unreiner. "In großen Flüssen breiten sich stattdessen Algen aus, die teilweise giftig sind", sagt Expertin Jähnig.
Verdichtete Flussbette können auch uns Menschen vor Probleme stellen. Ein Teil unseres Trinkwassers gewinnen wir aus Uferfiltrat von Flüssen. Dabei wird das abgesickerte, gefilterte Flusswasser abgepumpt und zu Trinkwasser aufbereitet. Ist das Flussbett für Fahrrinnen versiegelt oder durch Sedimente verstopft, gelangt weniger und schmutzigeres Wasser in die Pumpen.
3. Hochwasser
Weitere Schäden entstehen dadurch, dass viele Ufer von Flüssen begradigt sind. Natürlicherweise bilden sich neben Flüssen Überschwemmungsgebiete – die sogenannten Auen. Bei Hochwasser können die Wassermassen in diesen Flächen leicht versickern und langsam wieder zurückfließen. Und: Für viele Tiere sind Auen ein Rückzugsort während des Hochwassers.
Ist der Fluss begradigt, können Wassermassen bei Hochwasser nicht mehr zur Seite ausweichen, sondern fließen immer schneller flussabwärts. Dort kommt es dann häufig zu Hochwasserschäden. Daten des Bundesinstituts für Naturschutz (BfN) zeigen, dass in Deutschland nur noch zehn Prozent der Auen der größeren Flüsse funktional sind.
Außerdem nimmt die Strömung durch die Einengung zu. Der Fluss reißt Teile des Flussbetts mit und gräbt sich noch weiter ein – wodurch das Wasser noch schneller fließt. "Ein Teufelskreis entsteht", fasst Jähnig zusammen. Sowohl zu langsame, als auch zu schnelle Strömung schadet also dem Fluss. Nur seine natürliche Fließgeschwindigkeit bringt ihn ins ökologische Gleichgewicht.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Flüsse zu renaturieren ist nicht einfach
Das hat mehrere Gründe. Oft werden Fließgewässer beispielsweise aufgestaut, um Energie aus Wasserkraft zu gewinnen. Würde man diese Staudämme entfernen, würde ein Teil der erneuerbaren Energien auch in Deutschland wegfallen.
Außerdem sind Fluss-Bebauungen häufig an die Infrastruktur vor Ort gebunden. Wehre dienen beispielsweise als wichtige Brücken, die Straßen miteinander verbinden. Bevor ein Wehr oder ein Damm abgebaut wird, muss zudem genau berechnet werden, wie sich der Fluss seinen neuen Weg bahnen wird. Es könnten zum Beispiel Siedlungen in Gefahr sein.
Zuletzt sind gestaute Gewässer oft beliebte Ausflugsziele. Rudervereine und Campingplätze beispielsweise müssten ihre Arbeit einstellen, wenn ein Staudamm entfernt wird. "Man muss immer abwägen, wie sich der größte Nutzen für Mensch und Natur erreichen lässt", fasst Ingendahl zusammen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Bebauungen stoppen
Neue Wehre können hierzulande nur noch in Ausnahmefällen gebaut werden. Experten müssen Kosten und Nutzen vorher sorgfältig abwägen. Außerhalb von Europa sieht die Situation anders aus: In der Türkei, in Indien und Brasilien etwa gibt es derzeit große Staudammprojekte. Der Gewässerschutz hat dort keine Priorität.
Aber auch in Europa ist die Situation der Flüsse trotz der Bemühungen weiterhin schlecht – das hat zuletzt die Nature-Studie gezeigt. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie besagt, dass Flüsse in einen "guten ökologischen Zustand" gelangen sollen. "Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt", sagt Expertin Jähnig.
Über den/die AutorIn:
Quellenangaben zum Artikel:
Social Sharing:
Artikel Überschrift: