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Flüge teurer, Immobilien günstiger?
Prognosen für unseren Alltag nach oder mit Corona
Nicht nur über das Virus selbst machen sich Forscher Gedanken, sondern auch über seine Auswirkungen auf unseren Geldbeutel.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Das Coronavirus hat Folgen für die weltweit vernetzte Wirtschaft
Gleichzeitig war die Maßnahme für viele Betriebe und Arbeitnehmer ein herber Einschnitt. Und sie werden weiterhin mit ihren Auswirkungen zu kämpfen haben – denn von Normalität kann in naher Zukunft wohl keine Rede sein.
Die Folgen könnten schlimmer sein als die der Finanzkrise
Die globale Konjunktur ist durch die Auswirkungen der Pandemie "massiv eingebrochen." So steht es in einer Gemeinschaftsdiagnose von fünf namhaften Wirtschaftsinstituten: DIW Berlin, ifo-Institut aus München, IfW Kiel, IWH und RWI Essen.
Auch Deutschland wird demnach in eine "schwerwiegende Rezession" rutschen. Die Forscher erwarten den stärksten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts seit 1970 – dabei hatten wir nach 2008 eine Weltfinanzkrise.
Anleger und Unternehmen sind pessimistisch
Die ersten Reaktionen auf die Corona-Krise machten Ökonomen an Indikatoren wie dem Aktienmarkt oder Unternehmensbefragungen fest. Die Leitindizes der Länder – dazu zählt beispielsweise der deutsche DAX – sind zeitweise um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Die Stimmung in Unternehmensbefragungen ist noch schlechter "als in der akuten Phase der Weltfinanzkrise", heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose.
Aber: Für Prognosen gibt es noch mehr Unsicherheiten als sonst
Wie krass die mittel- und langfristigen Folgen sind, kann bisher aber niemand voraussagen. Die Datenlage ist schlecht, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fest.
Und es gibt noch viele offene Fragen: Wie wird sich die Lage überhaupt entwickeln? Wie wird die Politik weiter agieren? Prognosen sind also "mit noch größerer Unsicherheit behaftet als üblich", so das DIW. Und nicht nur die.
Unsicherheiten sind ein riesiger Punkt
Wie nachhaltig uns das Virus beschäftigen wird, hängt unter anderem davon ab, wann Unternehmen und private Haushalte wieder Planungssicherheit haben.
Solange Menschen Angst haben müssen, ihren Job zu verlieren, treffen sie ihre (Konsum-) Entscheidungen vorsichtiger als sonst. Die Verunsicherung wird so lange anhalten, bis ein Impfstoff gefunden ist, schätzt Ökonom Justus Haucap von der Uni Düsseldorf.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Die Pandemie betrifft auch unseren Geldbeutel
1) Folgen für den Arbeitsmarkt
"Die Corona-Krise hat spürbare Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt", heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsinstitute. Die Ökonomen rechnen damit, dass die Zahl der Arbeitslosen zukünftig steigt. Einige Unternehmen werden Mitarbeiter entlassen, andere werden ihr Geschäft aufgeben müssen. "Der größte Teil der Anpassung wird jedoch über einen kräftigen Rückgang der Arbeitsstunden je Erwerbstätigen erfolgen." Sprich: über Kurzarbeit.
Die Produktion stockt
Wie lange Arbeitnehmer in Kurzarbeit tätig bleiben, kann man pauschal nicht sagen. Betriebe, die in internationalen Wertschöpfungsketten agieren, könnten allerdings Zeit brauchen, um zum Alltag zurückzukehren.
Viele produzierende Unternehmen sind auf Komponenten von ausländischen Zulieferern angewiesen. Können die nicht liefern – weil sie zum Beispiel insolvent sind – gerät die Produktion ins Stocken. Sind die Teile dann auch noch speziell, kann es dauern, bis ein neuer Lieferant gefunden ist.
2) Folgen für den Konsum: Kaufrausch oder Sparen?
Während des Shutdowns gab es viele Entbehrungen. Dadurch konnten die Menschen das Geld, das sie verdient haben, nicht ausgeben. "Diese zurückgestaute Kaufkraft wird sich (…) in Konsumnachfrage entladen, sobald die Verhältnisse dies erlauben“, meinen die Ökonomen Stefan Kooths und Gabriel Felbermayr vom ifw Kiel.
Das ist eine Möglichkeit. Die andere ist, dass die Menschen weniger Geld im Portemonnaie haben – weil sie beispielsweise in Kurzarbeit tätig sind. Oder weil sie zukünftig mehr Geld zurücklegen wollen, um für Krisen wie Corona besser gerüstet zu sein.
Der soziale Konsum könnte eingeschränkt werden
Gerade der "soziale Konsum“ und personenbezogene Dienstleistungen könnten – vorerst – weniger in Anspruch genommen werden. "Die privaten Haushalte werden weiter versuchen, eine Ansteckung zu vermeiden", sagen die Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose. Die Menschen werden also weniger in Kinos oder Theater und zur Maniküre gehen, weil man sich dort nahe kommt. Und weil man im Zweifel auf diesen Konsum verzichten kann, selbst wenn es schwerfällt.
Die Nachfrage aus dem Ausland wird es nicht auffangen
In unsicheren Zeiten verzichten Menschen zudem darauf, sich größere, kostspielige Dinge anzuschaffen. Das gilt auch für die Corona-Krise, sagt das DIW.
Unternehmen, die ihre Produkte exportieren, können nicht mal darauf hoffen, dass es die Nachfrage aus dem Ausland schon richten wird. Denn auch dort wird der Gürtel wohl enger geschnallt. Schließlich wütet Corona in nahezu allen Staaten – und das auch noch gleichzeitig.
3) Reisen: Was weg ist, ist weg
Ein weiteres Problem: In manchen Bereichen gibt es kaum Möglichkeiten, den Kauf einfach "nachzuholen“. Das gilt beispielsweise für die Reisebranche, sagt Justus Haucap von der Uni Düsseldorf. "Die Menschen werden in der zweiten Jahreshälfte – wenn sich die Lage hoffentlich etwas entspannt hat – mit Sicherheit nicht doppelt so viel Urlaub machen“, sagt er. "Das Geld aus dieser Zeit ist für die Tourismusbranche damit verloren.“
Erst billig, dann teuer?
Dennoch versuchen die Betriebe, Kunden zu locken – mit niedrigen Preisen. Ob die dauerhaft tief bleiben, ist allerdings fraglich. Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg-Essen betont, dass Prognosen derzeit schwierig sind. Er geht aber davon aus, dass Fliegen zukünftig wieder zum Luxusgut wird.
"Sonst rentiert sich das für die Airlines nicht.“ Schließlich sinkt die Auslastung in den Maschinen – die Kosten, um den Flug durchzuführen, bleiben aber auf dem gleichen Niveau.
Die Auslastung sinkt – die Kosten nicht
Fluggesellschaften sind vorerst pessimistisch: Es könne Jahre dauern, bis "die weltweite Nachfrage nach Flugreisen wieder dem Vorkrisen-Niveau entspricht“, sagt die Lufthansa. Ryanair-Chef O'Leary erwartet eine Erholung frühestens für Sommer 2022. "Alle Airlines werden unter Druck stehen, ihre Flugzeuge zu füllen."
Die Auslastung der Maschinen könnte auch sinken, wenn die Mittelplätze der Sitzreihen zukünftig unbesetzt blieben. Das wird diskutiert, um den Abstand zwischen Reisenden zu erhöhen. Der Luftfahrt-Branchenverband IATA hat vorgerechnet, dass die Ticketpreise dadurch – je nach Region – zwischen 40 und 50 Prozent ansteigen könnten. Ansonsten drohten den Airlines Verluste.
Weniger Geschäftsreisende im Flieger
Insbesondere Businessreisende könnten zukünftig zu Hause bleiben, meint Verkehrsforscher Schreckenberg. Schließlich habe man nun die Erfahrung gemacht, dass Videokonferenzen funktionieren. Auch das würde die Auslastung in Flugzeugen verringern. Auf längere Sicht könnte es dann zu einer Verknappung des Flugangebots kommen – weil die Airlines bestimmte Strecken aus ihrem Programm nehmen oder weniger häufig fliegen.
Oder weil es weniger Fluggesellschaften gibt. Der Preiskampf, der bislang in der Branche tobt, würde dadurch abgeschwächt. Wer dann den Flieger nutzen will, muss mehr zahlen.
Ein Rattenschwanz von Unsicherheiten
All das sorgt wiederum für Unsicherheiten bei Veranstaltern, Hotels, Restaurants und deren Mitarbeitern: Wie ist es um ihren Betrieb oder ihren Arbeitsplatz bestellt? Der Rattenschwanz ist riesig.
4) Immobilien: Etwas, das stabil bleibt?
Wie genau reagieren Angebot und Nachfrage nun auf Corona? Das kann man pauschal nicht sagen. Am Beispiel der Immobilienbranche kann man aber gut sehen, wie Privatleute, Investoren und Banken zusammenspielen.
Zwei Faktoren sind wichtig
Die mittel- und langfristige Entwicklung der Immobilienpreise hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab:
- Wie schnell erholt sich die Wirtschaft? Sprich: Wie stark steigt die Zahl der Arbeitslosen? Wie viele Insolvenzen wird es geben?
- Wie reagieren die Banken auf die Entwicklungen? Werden sie beispielsweise mehr Eigenkapital fordern, bevor sie Kredite vergeben?
Szenarien für die Kaufpreise
Wenn viele Menschen ihre Kredite zukünftig nicht mehr tilgen könnten, weil sie beispielsweise arbeitslos sind, könnten ihre Häuser wieder auf den Markt kommen. Dann würde das Angebot an Immobilien steigen.
Die Sorge, dass Kredite platzen, könnte dazu führen, dass Banken vorsichtiger werden. Sie könnten beispielsweise mehr Eigenkapital fordern und weniger Kredite vergeben. Die Folge wäre, dass weniger Leute eine Immobilie kaufen könnten. Die Nachfrage würde also sinken. Ein größeres Angebot und eine sinkende Nachfrage führen zu sinkenden Preisen – zumindest theoretisch. Gleichzeitig könnten aber auch weniger Investoren Geld für Neubauten aufbringen. Das wiederum würde das Angebot verringern – und theoretisch zu steigenden Preisen führen.
Immobilienpreise könnten stabil bleiben
Was passiert also nun? Das kann man nicht vorhersagen. "Relativ sicher bin ich mir nur darin, dass wir in den nächsten beiden Jahren nicht die hohen Preisanstiege der letzten Jahre haben werden“, sagt Ivan Čadež vom Lehrstuhl für Immobilienwirtschaft der Uni Dortmund.
Čadež geht aber davon aus, dass die Preise mittelfristig stabil bleiben könnten. "Insbesondere gute Immobilien sind Anlagen, die selten einen großen, anhaltenden Wertverlust verzeichnen“, sagt der Fachmann. Das gute alte Betongold also.
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Es gibt Hoffnung auf Erholung
Die "Beeinträchtigungen durch die Pandemie“ werden nach ein bis zwei Jahren überwunden sein, schätzen die Ökonomen. Auch Philipp Scheuermeyer von der nationalen Förderbank KfW ist optimistisch, dass sich die Wirtschaft bis Herbst 2021 wieder erholt hat – sofern es keine zweite Infektionswelle gibt.
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Und jetzt?
Die Corona-Krise ist auch eine Chance für unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt
Werden wir jetzt grüner und digitaler?
Durch die Corona-Krise sind zwei viel diskutierte Herausforderungen in den Hintergrund gerückt: der Klimawandel und die Digitalisierung.
Forscher und Politiker fordern nun: Wenn man schon jede Menge Geld investiert, um die Wirtschaft anzukurbeln, dann sollen die Summen in Zukunftstechnologien fließen.
Ein Vorschlag: Konjunkturprogramme könnten an den Zielen des European Green Deal ausgerichtet werden. Zudem könnte der Berufsverkehr zu Land und in der Luft geringer werden, wenn Unternehmen aus der Krise gelernt haben: Mehr Arbeitnehmer würden aus dem Homeoffice arbeiten, Konferenzen finden via Videochat statt.
Werden wir jetzt lokaler?
Vorteilhaft für unsere Umwelt wäre ebenfalls, wenn Produkte nicht mehr durch die ganze Welt gekarrt würden. Das ist mit unseren international vernetzten Wertschöpfungs- und Lieferketten allerdings nicht möglich. Durch Corona gab es nun aber eine "Erfahrung der Verwundbarkeit", sagt Hennig Vöpel vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).
Die Abhängigkeiten wurden sichtbar: Beispielsweise war medizinische Schutzausrüstung Mangelware, weil man sich jahrelang auf die Lieferungen aus Fernost verlassen hat. Als die Produktion in China ins Stocken geriet, fehlten in vielen Betrieben hierzulande zudem wichtige Bauteile. Torben Stühmeier von der Bertelsmann-Stiftung schlägt deshalb vor, die Technologie des 3-D-Drucks zu nutzen, um selbst Bauteile herzustellen. Für Vorprodukte, bei denen das nicht möglich ist, bräuchte man indes mehr "Beschaffungsquellen“.
Werden wir jetzt innovativer?
Die Krise könnte für mehr Unternehmensgründungen sorgen – was eine "Chance für die Modernisierung der Wirtschaft sein kann“, so Stühmeier. Einerseits könnte es zwar schwieriger werden, an Finanzierungen zu kommen. Andererseits könnten Menschen, die arbeitslos werden, nun aus der "Not" heraus gründen.
Das meint auch Georg Metzger von der KfW-Bank. Allerdings werden wohl auch mehr Gründer aufgeben als üblich, weil die Corona-Krise für viele Selbstständige zur Existenz-Bedrohung wird. "Welcher Effekt letztlich überwiegen wird, bleibt abzuwarten.“
Werden wir jetzt demokratischer?
3.000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben in einem Manifest gefordert, Arbeit zukünftig "demokratischer“ zu gestalten. Sie kritisieren, dass Mitarbeitervertretungen wie Betriebsräte bislang nur eine "schwache Stimme" gehabt hätten und es keine Teilhabe in Unternehmen gebe. Die Wissenschaftler schlagen daher vor, dass Mitarbeitervertreter in den Aufsichtsräten von großen Unternehmen vertreten sein sollten. Sie könnten dann bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen – beispielsweise bei der Festlegung der Unternehmensstrategie.
Wird die Krise eine Bedrohung für Europa?
Die Corona-Pandemie wird die Haushalte der EU-Länder stark belasten, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose.
- Durch die lahmende Konjunktur brechen Steuereinnahmen weg.
- Die Ausgaben in den Sozialsystemen wachsen – beispielsweise, weil Menschen arbeitslos werden.
- Die Regierungen haben Soforthilfen zugesichert, die ihre Verschuldung steigen lassen.
Länder wie Italien und Spanien sind besonders von der Krise betroffen. Sie haben viele Corona-Infizierte; für ihre Wirtschaft spielt der Tourismus eine vergleichsweise starke Rolle. Und insbesondere Italien hat schon zuvor unter einem Schuldenberg geächzt. Die Staaten fordern daher von ihren Nachbarn Solidarität.
Kooths und Felbermayr vom Institut für Weltwirtschaft Kiel geben zudem zu bedenken, dass systemrelevante Banken in Europa abgesichert werden sollten. Falls die Krise andauert, sind "erhebliche Kreditausfälle wohl nicht zu vermeiden“, schreiben auch die Wirtschaftsinstitute.
Auch wenn das Bankensystem stabiler ist als zu Zeiten der Finanzkrise 2008, könnte es – im schlimmsten Fall – erneut zu einer Bankenkrise kommen. Die wäre ein großes Risiko für die Währungsunion.
Autorin: Claudia Wiggenbröker
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