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Qualität in der Forschung
So verändert die Corona-Pandemie die Wissenschaft
Täglich erscheinen neue Studien zu Covid-19. Doch mit der Dringlichkeit neuer Erkenntnisse rückt die Überprüfung der Forschung in den Hintergrund. Ein Vergleich von Risiken und Chancen.
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Inhalt
- Darum geht´s: Studien zu Corona liefern meist nur vorläufige Ergebnisse
- Darum müssen wir drüber sprechen: Politiker:innen müssen auf vorläufige Studien vertrauen, um Maßnahmen gegen Covid-19 festzulegen
- Aber: Die Forschung selbst kann von Transparenz profitieren
- Und jetzt? Wir müssen die Ergebnisse kritisch betrachten
- Darum geht´s: Studien zu Corona liefern meist nur vorläufige Ergebnisse
- Darum müssen wir drüber sprechen: Politiker:innen müssen auf vorläufige Studien vertrauen, um Maßnahmen gegen Covid-19 festzulegen
- Aber: Die Forschung selbst kann von Transparenz profitieren
- Und jetzt? Wir müssen die Ergebnisse kritisch betrachten
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Studien zu Corona liefern meist nur vorläufige Ergebnisse
Preprint-Server ermöglichen schnelle Ergebnisse
Wissenschaftler:innen laden ihre Studien derzeit vermehrt auf sogenannten Preprint-Servern hoch. Diese Plattformen erlauben es, vorläufige Forschungsergebnisse öffentlich zu machen, bevor diese durch andere Wissenschaftler:innen überprüft wurden.
In der Forschung sind Preprint-Server ein gängiges Medium, um vorläufige Ergebnisse mit anderen Forschenden zu diskutieren. Preprint-Studien sind aber nicht für öffentliche Debatten geeignet. Durch die Corona-Pandemie ändert sich das. Nun werfen auch Politiker:innen, Ärzt:innen und Journalist:innen einen Blick in die ungeprüften Studien, weil es oft noch keine anderen Daten zu Covid-19 und dem Coronavirus gibt. Das kann zu falschen Schlüssen führen.
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie die Publikation klinischer Studien normalerweise abläuft:
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Politiker:innen müssen auf vorläufige Studien vertrauen, um Maßnahmen gegen Covid-19 festzulegen
- In den USA wurden falsche Hoffnungen in die Wirksamkeit des Malaria-Medikaments Hydroxychloroquin gesetzt und kurzfristig klinische Studien gestartet.
- Ein Interview mit einem Wissenschaftler führte zu strengeren Distanzierungsregeln beim Joggen.
- Zwischenergebnisse aus der Forschung werden über Pressemitteilungen, in sozialen Medien oder sogar als Powerpoint-Präsentationen veröffentlicht, um möglichst schnell zu informieren.
Mit anderen Worten: Bevor Forschende die Möglichkeit haben, ihre Ergebnisse in einen Kontext zu stellen, können ihre Studien bereits als Grundlage für Entscheidungen in der Politik und in der Gesundheitsversorgung einzelner Patient:innen verwendet werden.
Zeitdruck gefährdet wissenschaftliche Qualität
Wissenschaftler:innen stehen unter Druck, Impfungen und Behandlungen für Covid-19 zu entwickeln und Politiker:innen bei akuten Entscheidungen zu beraten. Gleichzeitig sind derzeit viele Labore durch die Lockdowns geschlossen. Geplante Experimente können nicht stattfinden, die Forschungsarbeit steht stellenweise still. “Ein weiterer unerwarteter Effekt ist, dass viele Labore eine momentane Aussetzung der finanziellen Unterstützung erleben”, berichtet Dr. Bernd Pulverer, Leiter des Fachjournals EMBO. Es fehlen Mittel und Labore, um eine Publikation sauber und vollständig abzuschließen.
Dabei werden Ergebnisse gerade jetzt dringend gebraucht. Und genau diese Diskrepanz bereitet einigen Wissenschaftler:innen Sorge. Im Fachjournal "Science" geben zwei Ethiker zu bedenken, dass Forschende ihre wissenschaftliche Sorgfalt vernachlässigen könnten, um schneller Ergebnisse zu präsentieren. Sie sehen die Gefahr, dass Studien aus Zeitdruck mit zu wenigen Studienteilnehmer:innen durchgeführt werden, Vergleichsgruppen auslassen, den Untersuchungszeitraum zu früh beenden oder mögliche Störfaktoren ignorieren.
Beschleunigte Begutachtungsprozesse für Corona-Studien
Der Publikationsdruck gefährdet auch die Arbeit von medizinischen Fachzeitschriften. Studien zu Covid-19 werden derzeit im doppelten Tempo begutachtet und bereits nach wenigen Tagen veröffentlicht, berichtet der niederländische Forscher Serge Horbach. Er befürchtet, dass in dieser Zeit keine gründliche Überprüfung der wissenschaftlichen Qualität stattfinden kann. “Zeitschriften sind wahrscheinlich nicht davor gefeit, qualitativ schlechte Forschung auf ihren Seiten zu veröffentlichen”, sagt Horbach. Dies sei besonders problematisch, da Zeitschriftenartikel den Anschein haben, verifiziertes Wissen zu enthalten.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Die Forschung selbst kann von Transparenz profitieren
"Auch wenn wir notgedrungen etwas schneller schießen, gibt es doch eine ganze Menge Sicherheitsschlösser", betont auch Prof. Thomas Hartung, Direktor des Center for Alternatives to Animal Testing an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Damit meint er Kontrollen, die vor und während einer Studie stattfinden: etwa die Genehmigung von Fördermitteln, die Erlaubnis der Ethikkommission und die Überwachung der durchführenden Ärzt:innen.
Ein weiterer Vorteil der Transparenz: Wissenschaftler:innen, die zu ähnlichen Themen forschen, können ihre Forschungsansätze miteinander abgleichen – und so unter Umständen voneinander lernen. “Covid-19 zeigt, dass dieses duale System Geschwindigkeit zulässt, ohne die Qualität zu untergraben“, sagt Dr. Bernd Pulverer, Leiter des wissenschaftlichen Fachjournals EMBO. Er begrüßt die hohe Anzahl der Preprint-Veröffentlichungen – zusätzlich zu Publikationen in Fachjournalen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Wir müssen die Ergebnisse kritisch betrachten
Deshalb ist es wichtig, verantwortungsvoll mit vorläufigen Forschungsergebnissen auf Preprint-Servern umzugehen. Hier ein paar Vorschläge, wie das funktionieren könnte:
- Unsere Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden, dass nicht alle Studien die gleiche Aussagekraft haben.
- Journalist:innen müssen deutlicher darauf hinweisen, dass Preprint-Studien noch nicht auf ihre Qualität überprüft worden sind und dass die Ergebnisse deshalb mit Vorsicht zu genießen sind.
- Wissenschaftler:innen müssen die Einhaltung der Qualitätskriterien noch konsequenter dokumentieren.
- Die Betreiber von Preprint-Servern wie bioRxiv und medRxiv müssen die Qualität vorläufiger Studien verschärft kontrollieren.
Wissenschaftliche Qualität setzt sich durch ...
... und schlampige Forschung bekommt die Quittung, wenn sich die Ergebnisse als unbedeutend herausstellen. Das ist am Ende die Hoffnung der Fachwelt. Das System reguliert sich also im besten Fall selbst.
Indem breiter angelegte Forschungsvorhaben bei der Förderung bevorzugt werden, könnte eine hohe wissenschaftliche Qualität in Entwicklung und Durchführung von Studien zusätzlich attraktiver werden. Und wenn die Wissenschaft aus dem Diskurs über Qualitätsstandards auch nachhaltig etwas lernen könnte, wäre das ein großer Gewinn.
Weitere Angaben zum Artikel:
Fünf Kriterien für gute wissenschaftliche Praxis klinischer Studien
- Relevanz
Studien sollten Wissenslücken schließen und klinisch bedeutsame Effekte aufdecken. Um doppelte Forschung zu vermeiden, scannen Forschende alle vorhandenen und laufenden Untersuchungen. Erst dann leiten sie die vielversprechendste Forschungshypothese ab. - Forschungsdesign
Studien sollten so angelegt sein, dass sie klinisch bedeutsame Effekte von Wirkstoffen einschätzen können. Ein Indikator für gutes Studiendesign ist eine Randomisierung, also eine zufällige Aufteilung der Studienteilnehmer:innen in zwei Gruppen, die unterschiedlich behandelt werden. - Analytische Integrität
Die Studie wird in allen Stadien protokolliert. Schon in den ersten Entwürfen des Studiendesigns spezifizieren die Autor:innen das Vorhaben und führen die Untersuchung dementsprechend durch. - Veröffentlichung
Studien sollen vollständig, zeitnah und konsistent mit vordefinierten Analysen berichtet werden. Forschende müssen die Qualität von Methodik und Ergebnissen in Bezug auf die Forschungsfrage kritisch einordnen. Das Peer-Review ist dabei ein wichtiger Prozess, um Stärken und Schwächen der Studie herauszuarbeiten. - Durchführbarkeit
Studien müssen eine glaubwürdige Aussicht haben, ihr Forschungsziel zu erreichen, um innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens abgeschlossen werden zu können. Diese Bedingung muss erfüllt werden, ohne die anderen vier Kriterien zu lockern.
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