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Coronavirus
Was die Daten zu Corona aussagen und was nicht
Mit dem neuen Coronavirus preschen täglich neue Zahlen auf uns ein – mehr Infizierte, neue Todesfälle, dazu Berechnungen über Verdopplungsraten und Sterberate. Wir erklären, was das bedeutet, was oft falsch gemacht wird und wo die Wissenschaftler noch streiten.
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Artikel Abschnitt: Was wissen wir über die Verbreitung des Virus?
Was wissen wir über die Verbreitung des Virus?
Wie häufig das passiert, das gibt die Basisreproduktionszahl (R0) an. Ein Wert zwischen 2 und 3, wie er auch für SARS-CoV-2 angenommen wird, bedeutet, dass eine Person mindestens zwei weitere ansteckt, diese Personen wiederum mindestens zwei und so weiter.
Die Basisreproduktionszahl wirkt wie in Stein gemeißelt. Das ist sie aber nicht. Verschiedene Institute und Behörden nennen unterschiedliche Werte oder Spannbreiten.
- Robert-Koch-Institut: 2 - 3,3
- Weltgesundheitsorganisation: 1,4 - 2,5
- Centers for Disease Control and Prevention: 2,79
Und: Sobald Maßnahmen greifen, verändert sich der Wert und heißt ab dann effektive Reproduktionszahl.
Die Basisreproduktionszahl ist eine konstante Vermehrungsrate. Bildlich ergibt sich bei einer laufenden Epidemie oder Pandemie keine konstant steigende Linie, sondern eine Kurve. Die Zahl der infizierten Personen entwickelt sich anfangs ziemlich langsam mit geringer Steigung, am Ende explodiert sie förmlich. Es handelt sich um ein exponentielles Wachstum.
Die effektive Reproduktionszahl variiert je nach Maßnahmen und je nachdem, wie viel Kontakt zwischen den Leuten besteht. So ergibt sich letztlich der genaue Verlauf der Kurve. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, muss die Reproduktionszahl unter den Wert von 1 gedrückt werden.
Es entbrennt oftmals ein Streit, ob der R-Wert nun bei 0,9 oder 1,0 liegt. Tatsache ist aber vielmehr, dass es einen möglichen Bereich gibt. Dieses Konfidenzintervall gibt etwa an, dass sich der Wert zu 95-prozentiger Sicherheit in einem Bereich bewegt. Ende April lag dieser Bereich zwischen 0,8 und 1,1.
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Häufige Fehler:
Schwankungen um 0,1 beim R-Wert unterliegen eher Schätzfehlern als wirklichen Tendenzen.
Ein R-Wert unter 1 ist weiterhin nur ein Durchschnittswert. Auch dann kann es mancherorts lokale Ausbrüche geben, wenn gleichzeitig woanders keiner mehr infiziert wird.
Die gemeldeten Fälle werden häufig als Diagramm dargestellt und zeigen eben eine solche Kurve. Dabei werden die gemeldeten Fälle schlicht zusammengezählt – ab einer gewissen Zeit überdramatisiert das. Denn wer die gemeldeten Fälle nur zusammenzählt, der vernachlässigt alle gesunden Patienten. Sobald mehr Menschen gesunden, als sich neu infizieren, nimmt die Gesamtzahl der aktiven, bekannten Fälle ab.
Artikel Abschnitt: Wie gut sind die Fall- und Todeszahlen?
Wie gut sind die Fall- und Todeszahlen?
Beispiel: Am 5. April 2020 waren laut Robert-Koch-Institut (RKI) 91.714 laborbestätigte Fälle bekannt.
Üblicherweise bezieht man die gemeldeten Fälle auf eine definierte Population (Menge an Menschen), etwa die gesamte Bevölkerung oder pro 100.000 Einwohner. Für diese Angabe müsste jedoch jede Infektion bekannt sein – warum das nicht der Fall ist, erklären wir später.
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Häufige Fehler:
Zahlenwerte für ein ganzes Land sind für die Praxis wenig bis nicht zielführend. In Italien konzentrierte sich die Hälfte der Covid-19-Fälle auf Norditalien. Diese Informationen gehen bei Länderzahlen verloren. Eine bessere Einordnung bietet etwa die Häufigkeit auf 100.000 Personen pro Bundesland. Für politische Entscheidungen zielführender könnte die Anzahl der Fälle pro verfügbarer Krankenhaus- und Intensivbetten sein.
Hilfreich wäre auch, die Zahl der durchgeführten Tests zu nennen und eine Bezugsgröße zu schaffen. In Deutschland sind nur rund sechs bis neun Prozent der Verdachtsfälle auf SARS-CoV-2 positiv.
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Die Verdopplungszeit
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Häufige Fehler:
Wenn die Testkapazitäten dann verdoppelt werden und dementsprechend auch mehr Fälle diagnostiziert werden, hat das mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit nichts zu tun.
Auch der Meldeverzug beeinflusst die Verdopplungsraten. Wenn am Wochenende wenig gemeldet wird, verläuft die Kurve am Montag flacher. Die Ursache ist aber wieder nicht die Ausbreitung.
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Die Sterblichkeit
Davon zu unterscheiden ist die Letalität. Dieser Begriff stellt die Todesfälle in Bezug auf die Anzahl aller Erkrankten dar.
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Häufige Fehler:
Mit genaueren Patientendaten kann man auch einzelne altersspezifische Todesraten berechnen, die etwa zeigen, dass besonders ältere Patienten mit Covid-19 versterben. Das ist sinnvoll, da die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, gemäß chinesischen Daten für Personen über 80 Jahre mehr als 70-mal höher ist als für 20- bis 30-Jährige.
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Häufige Fehler:
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Daraus ergibt sich: 1342/36.508 = 3,7 Prozent.
Das wäre ein recht hoher Wert für die Letalität. Er liegt weit über denen der saisonalen Grippe (2017/2018: 0,4 Prozent) und den Schätzungen, die Experten schon zu Anfang der Pandemie genannt haben. Diese lagen zwischen 0,3 und 0,7 Prozent. Es handelt sich auch tatsächlich nicht um die Letalität, allenfalls um eine vorläufige Berechnung. Man spricht vom Fall-Verstorbenen-Anteil (CFR, englisch: case fatality rate), da ja nicht die tatsächliche Zahl der Infizierten im Nenner steht, sondern die Zahl der gemeldeten Fälle. Die Zahl der tatsächlich Infizierten liegt höher. Damit wird auch die Todesrate niedriger sein als der Fall-Verstorbenen-Anteil.
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Häufige Fehler:
Beispiele für die korrekte Bezeichnung:
Der Ausbruch hat für dieses Gedankenspiel geendet. In einem Dorf leben 1000 Menschen. 50 davon sind an Covid-19 erkrankt, fünf verstorben.
Morbidität = Erkrankte / Population = 50 / 1000 = 5 Prozent
Mortalität = Verstorbene / Population = 5 / 1000 = 0,5 Prozent
Letalität = Verstorbene / Erkrankte = 5 / 50 = 10 Prozent
Artikel Abschnitt: Kann man Länder miteinander vergleichen?
Kann man Länder miteinander vergleichen?
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Häufige Fehler:
Italien: 13.915 / 69.200 = 20,1 Prozent
Frankreich: 5398 / 22.600 = 23,8 Prozent
Spanien: 10.348 / 39.900 = 25,9 Prozent
Ein Vergleich der Länder mit Deutschland ist allerdings wenig aussagekräftig. Das Problem: In diesen Ländern wurde vermutlich nicht ausreichend getestet und wohl vermehrt bei schwerkranken Patienten.
(3. April, Quelle: JHU)
Artikel Abschnitt:
Häufig dient auch das Beispiel Schweden dafür, dass der lockere Umgang mit der Epidemie funktioniere. Die Teststruktur lässt bei Schweden aber noch keine eindeutigen Schlüsse zu und auch die Bevölkerungsstruktur und Wohnsituation sind dort anders.
Wie sinnvoll ist der schwedische Sonderweg ist, erfahrt ihr hier.? Mehr dazu hier …
Artikel Abschnitt: Welche Unsicherheiten gibt es?
Welche Unsicherheiten gibt es?
- Anzahl der Tests: je mehr Tests, desto wahrscheinlicher auch mehr positive Fälle.
- Strategische Durchführung der Tests: je mehr Tests bei älteren, schwerkranken Personen, desto höher die CFR. Je mehr Tests an jungen Personen, desto geringer die CFR.
- Kriterien und Todesursache: Logistisch lässt sich nicht in allen Fällen eine Obduktion durchführen, um die genaue Todesursache herauszufinden. Covid-19 begünstigt auch eine Lungenentzündung bakterieller Art – stirbt der Patient daran, ist dann das Virus oder das Bakterium schuld? Ist der Patient also "an“ Covid-19 oder "mit“ Covid-19 gestorben? Diese Unsicherheit bleibt, sie kann höchstens verringert werden.
Wie weit das Virus in der Gesellschaft verbreitet ist, weiß man für Deutschland noch nicht
Eine Abwandlung der case fatality rate ist die sogenannte infection fatality rate (IFR). Hierbei wird die Zahl der bekannten Infektionen den Todesfällen gegenübergestellt. Das Problem: Das Virus infiziert einige Menschen, löst dabei aber keinerlei Symptome aus. Das ist gut für die Person, aber schlecht für die Erfassung. Schließlich kann sie das Virus durchaus weiterverbreiten, wird aber vermutlich nicht erfasst. Der Manifestationsindex gibt an, wie viel Prozent der Infizierten sichtbar erkranken. Dieser liegt für Covid-19 zwischen 51 und 81 Prozent.
Es ist das altbekannte Problem der Dunkelziffer. Letztlich ist nie genau bekannt, wie viele Menschen denn wirklich Träger des Virus waren oder zum jetzigen Zeitpunkt sind.
Wie hoch die Dunkelziffer ist, dazu haben wir die Heinsberg-Studie eingeordnet.
Dieser Wert wird daher geschätzt. Für Covid-19 geht man von einer Dunkelziffer aus, die bis zu 11-mal höher liegen könnte. Das hat erheblichen Einfluss auf zum Beispiel die Sterblichkeit und Verdopplungszeit.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Repräsentative Analysen klären über Dunkelziffer auf
Solche weitreichenden, wenn auch nicht repräsentativen Tests, wurden auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, im italienischen Ort Vo und annähernd auch auf Island durchgeführt. Auf Island wurden mehr als 6000 Personen zufällig ausgewählt. Dabei kam heraus, dass die Häufigkeit der Infektion bei 0,84 Prozent lag (6163 Tests, 52 positive Fälle, Bevölkerung 364.000).
Immer mehr Menschen können sich testen lassen
Die Tests bestätigten auch, dass die Hälfte der positiven Fälle gar keine Symptome zeigte. Diese Menschen fallen in Deutschland und vielen anderen Ländern derzeit völlig aus dem Raster. Das RKI hat die Testkriterien jedoch angepasst. Mittlerweile ist der vorherige Kontakt zu einem bestätigten Coronafall nicht mehr zwingend erforderlich. Stattdessen werden inzwischen auch Risikopatienten (Vorerkrankungen) oder Risikogruppen (Ärzte und Pfleger) mit grippeähnlichen Symptomen getestet. Möglich macht das aber auch, dass die Testkapazitäten von anfangs rund 80.000 auf mittlerweile rund 700.000 mögliche Tests pro Woche erhöht wurden.
Nachträglich kann man das Virus kaum mehr nachweisen. Allerdings besteht im Nachhinein die Immunantwort, die einen indirekten Hinweis liefert. Über Antikörper lässt sich zeigen, wie viele Menschen bereits (unbemerkt) mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Das erlaubt einen wichtigen Hinweis auf die Dunkelziffer, die Durchseuchung der Gesellschaft – und damit die Gesamt- sowie altersspezifische Sterblichkeit.
Repräsentative Studien sind geplant
Eine Studie unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung soll das Blut von mehr als 100.000 Probanden nun auf Antikörper untersuchen. Auch sie ist nur eine Momentaufnahme, aber solche Stichproben sind das Beste, was Politikern als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht.
Die Tests sollen anschließend regelmäßig stattfinden, um die Entwicklung der Pandemie in Deutschland zu beobachten. Neben den Einweisungen auf die Intensivstationen wäre es eine wichtige Datengrundlage, um den möglichen Verlauf der Pandemie besser einschätzen zu können, geeignete Maßnahmen zu ergreifen oder Einschränkungen wieder zu lockern.
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Bakterien und haben Ferien
Lock-down, Massnahmen, Ma阝nahmen, Kinderserien (Sonntag: RTL, Pro 7, SAT.1, VOX, Kabel 1, RTL zwei)
Hallo quarks. Ich wusel mich erst nach und nach durch eure Artikel und bin eben (zufällig) auf diesen, doch schon etwas älteren, gestoßen. Ich finde ihn schön „neutral“ geschrieben. Man hat wenig das Gefühl es würde eine Meinung vertreten werden. An manchen kleinen Ecken fehlen noch ein paar Worte. z.B.:… Weiterlesen »
Danke für dein Feedback und deinen Wunsch nach mehr Artikeln. Wir arbeiten kontinuirlich an neuen Artikeln und die alten Uptodate zu halten. 🙂
Ein Fehler, den der Autor meiner Meinung nach macht, ist der positive PCR Testergebnisse mit Infektionen gleichzusetzen. Aus einer anderen Quelle geht jedoch hervor, daß der PCR Test nur Nukleinsäuren, aber nicht das Virus anzeigt und somit keine Virusinfektion nachweisen kann. Quelle: Frau Prof. Dr. Ulrike Kämmerer, Virologin und Immunologin… Weiterlesen »
Liebe Quarks-Redaktion,
nachdem jetzt die Erkenntnis entstanden ist, das bei Corona eine „schiefe Verteilung“ vorliegt, müsste man die Aufstellung oben noch um den Dispersionsfaktor ergänzen, oder? Die Grafik: Das passiert, wenn jeder Infizierte zwei Leute ansteckt. stimmt ja nur bei höherem Dispersionsfaktor, wenn ich das richtig verstanden habe.
Könnte es sein, dass hier massenhaft Leute (inklusiv Quarks) die sogenannte „Cargo-Kult-Wissenschaft“ betreiben? Siehe Richard Feynman: Challenger Katastrophe. Oder die BSE Erkrankung. Ein weiterer Beitrag zum R-Wert: https://multipolar-magazin.de/artikel/warum-die-pandemie-nicht-endet Selbst bei einem Verschwinden der Krankheit würde sich dieser eins annähern. Oder wenn alle wirksam geimpft wären. Grund: Falsch Positive Resultate von… Weiterlesen »
Erklär doch mal etwas genauer, was du damit meinst.
@Hr. Kiss, halten wir mal folgendes fest: * es ist eine klassischen Methode von Verschwörungstheoretikern in eine Diskussion pauschal Vorwürfe ein zu werfen, letztlich nichts sonst dazu zu schreiben, und statt dessen einen Link zu präsentieren (unter meist komischen Pseudonymen) * Dieser Link riecht dann meist sehr nach Verschwörung und… Weiterlesen »
Hallo Ludwig! Danke erstmal für deine lange, faktenbasierte Antwort und deinen Einsatz gegen irgendwelche kruden Theorien – wir haben nicht die Zeit und Manpower, hier immer auf alles zu reagieren. Zu deinem Vorwurf am Ende: Wir versuchen immer, so neutral und so nah an den Fakten/dem wiss. Stand der Dinge… Weiterlesen »
Zitat aus Wikipedia zu Cargo-Cult-Wissenschaft: Feynman warnte, dass Wissenschaftler zuallererst vermeiden müssten, sich selbst zu täuschen, wenn sie verhindern wollten, zu Cargo-Kult-Wissenschaftlern zu werden. Wissenschaftler sollten bereit sein, ihre eigenen Theorien und Resultate in Frage zu stellen. Beim Umgang mit Technologie führte Feynman später seine Eindrücke aus der Untersuchungskommission der… Weiterlesen »
Stellt man die ‚öffentliche Meinung‘ auch nur ansatzweise in Frage, wird man sofort mundtot oder in die Verschwörerecke gestellt. Danke Harry. Mich erinnert das alles an Szenarien vor 90 Jahren…
Hast ja Recht! Biergarten ist ok. Ist alles sehr kompliziert. Keiner weiß wirklich Bescheid. Geht ja auch nicht, weil „1000“ Faktoren mitspielen….
Quarks betreibt überhaupt keine Wissenschaft. Quarks gibt in allgemeinverständlicher Sprache die wissenschaftlichen Erkenntnisse über unsere Welt wieder trägt selbst aber nichts zu irgendeiner Weiterentwicklung oder zu neuem Erkentnisgewinn bei, so dass der Kargo-Kult Vorwurf etwas konstruiert wirkt und ins Leere zielt. Zum R-Wert: Das RKI betont ausdrücklich, dass der R-Wert… Weiterlesen »