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Wirrwarr um Corona-Medikament
Remdesivir:
Heilsbringer oder Fehlschlag?
Heilsbringer oder Fehlschlag?
Geleakte Zwischenergebnisse, eilige Pressekonferenzen und nun die Zulassung? Im Rennen um ein Corona-Medikament scheinen wissenschaftliche Prinzipien gerade außer Kraft gesetzt. Was sagen die Daten zu Remdesivir wirklich?
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Inhalt
- Darum geht's: Auf Remdesivir werden große Hoffnungen gesetzt
- Darum müssen wir drüber sprechen: Das Medikament hat entscheidende Vorteile
- Aber: Schaut man genauer hin, zeigt sich ein Problem
- Und jetzt? Wir brauchen solide Ergebnisse – keine Leaks
- Darum geht's: Auf Remdesivir werden große Hoffnungen gesetzt
- Darum müssen wir drüber sprechen: Das Medikament hat entscheidende Vorteile
- Aber: Schaut man genauer hin, zeigt sich ein Problem
- Und jetzt? Wir brauchen solide Ergebnisse – keine Leaks
Artikel Abschnitt:
In den USA wurde Remdesivir per Notfallzulassung für erweiterte Zwecke zugelassen. Die europäische Zulassungsbehörde European Medicines Agency (EMA) hat das Mittel als erste Therapie bei Covid-19 zur bedingten Zulassung empfohlen.
Weiterhin bleiben viele Fragen offen. Die Daten zeigen noch nicht, dass Remdesivir das Sterberisiko verringert oder dass die Behandlung dazu führt, dass weniger Leute beatmet werden müssen. Die Daten zu mehreren Tausend Patienten werden derzeit noch erhoben. Es gibt kaum Studien, die sowohl eindeutige Schlüsse zulassen als auch unabhängig geprüft und veröffentlicht wurden.
Möglicherweise kommt Remdesivir nur für einen Teil der Patienten infrage. Für schwere Verläufe braucht es jedoch vermutlich andere Medikamente mit einem anderen Wirkstoffprinzip.
Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Auf Remdesivir werden große Hoffnungen gesetzt
Gerade bei schweren Krankheitsverläufen aber steigt das Risiko, dass die Patienten an Covid-19 sterben. Im Ernstfall greifen Ärzte daher auch auf experimentelle Medikamente zurück, etwa solche, die sich eigentlich gegen andere Viruserkrankungen richten – im sogenannten "compassionate use“. Die Hoffnungen konzentrieren sich vor allem auf ein Mittel: Remdesivir. Eigentlich ein ausrangiertes Ebola-Mittel, das bislang nicht zugelassen war.
Die ersten Ergebnisse widersprechen sich
Der Druck ist groß und darum war die Berichterstattung äußerst turbulent. Zuerst fachte ein Mitschnitt einer Studien-Klinik in Chicago die Hoffnungen an, wenige Tage später bremsten geleakte Zwischenergebnisse einer Studie aus China die Erwartungen. Bis die US-Gesundheitsbehörde National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) wieder positive Ergebnisse publizierte: Remdesivir habe bei Patienten zu einer schnelleren Entlassung geführt. Der Börsenkurs raste hoch und genauso schnell wieder runter. Eine Achterbahnfahrt.
Und genau das ist das Problem: Informationen drängen stückchenhaft in die Öffentlichkeit. Es braucht aber: solide Ergebnisse.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Das Medikament hat entscheidende Vorteile
So sehr einige Medikamente bereits in den Himmel gelobt werden: Noch befinden sie sich alle in klinischen Studien – oder noch nicht einmal das. Remdesivir gilt schon seit Beginn des Ausbruchs im chinesischen Wuhan als aussichtsreicher Kandidat und wurde auch bei schwer kranken Patienten schon experimentell eingesetzt. Nur: Berichte über einen erfolgreichen Einsatz in Einzelfällen reichen nicht.
Man braucht große klinische Studien, die das Mittel unter kontrollierten Bedingungen testen, um zu wissen: Kann ein Wirkstoff das Virus wirklich bekämpfen – oder war es doch nur Zufall?
Remdesivir wurde seit 2003 gegen Ebola entwickelt
Der Wirkstoff war anfangs gar nicht für das Coronavirus gedacht, sondern galt als Hoffnung gegen den Ebola-Ausbruch in Westafrika. Doch andere Mittel schnitten in den Tests deutlich besser ab. Dieser Rückschlag sorgt nun für einen entscheidenden Vorteil: Man verfügt bereits über jahrelange Erfahrung darüber, wie der Mensch das Medikament verträgt. Die erste wichtige Hürde ist damit schon genommen.
Die zweite wichtige Hürde: wie effektiv das Mittel das neuartige Coronavirus bekämpft.
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie Remdesivir wirkt
Das Virus bringt sein Erbgut mit in die Zelle: einen RNA-Strang, der alle nötigen Informationen für jedes Bauteil des Virus enthält. Er ist damit auch der Bauplan für ein ganz spezielles Enzym, das in menschlichen Zellen gar nicht vorkommt, das Virus aber unbedingt braucht: die RNA-Polymerase. Dieses Enzym vervielfältigt das Erbgut des Virus – und baut aus den vier RNA-Bausteinen neue Erbgutstränge.
Der Clou: Remdesivir tarnt sich als einer der vier Bausteine für die RNA. Die RNA-Polymerase des Virus erkennt keinen Unterschied, baut den falschen Baustein ein – und der Kopiervorgang stoppt. Es entstehen keine oder weniger Viruskopien.
Zellen verfügen zwar über eingebaute Reparaturmechanismen. Doch auch die scheint Remdesivir zu stören.
Artikel Abschnitt:
In Zellkulturen zeigte sich ebenfalls: Remdesivir hemmt die Vervielfältigung dieser drei Coronaviren. Bei anderen Viren war es weniger wirksam – ein gutes Zeichen. Zwar geht man davon aus, dass das Mittel ein Breitbandvirostatikum ist, aber je spezieller es nur bestimmte Viren hemmt, desto effektiver könnte es sein.
Angesichts der schnellen Ausbreitung in China versuchten Ärzte daher schon zu Beginn der Pandemie, Remdesivir zur Bekämpfung des neuen Coronavirus einzusetzen – und der Hersteller stellte es kostenfrei zur Verfügung.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Schaut man genauer hin, zeigt sich ein Problem
Remdesivir vermutlich nur für die frühe Phase geeignet
Während nach und nach erste Ergebnisse aus Studien mit Remdesivir publiziert wurden (viel zu klein, um aussagekräftig zu sein), wiesen unabhängige Wissenschaftler bereits auf ein mögliches Problem hin. Sie halten Remdesivir bei Patienten mit schweren Verläufen für ungeeignet. Sie argumentieren, dass die Krankheit praktisch in zwei Phasen abläuft: Zuerst befindet sich das Virus in den oberen Atemwegen, später auch in der Lunge. Es vervielfältigt sich – und ist zu diesem Zeitpunkt angreifbar, etwa für Remdesivir.
In der darauffolgenden Phase aber sorgt vor allem das körpereigene Immunsystem der Patienten für die Symptome. Es zeigt eine übersteuerte Immunreaktion, den sogenannten Zytokinsturm. Dagegen kann so ein antivirales Mittel aber nichts ausrichten. Der Vorschlag: Man sollte Remdesivir schon früher geben. Nur wann ist dafür der richtige Zeitpunkt?
Es geht um die wenigen ersten Tage nach den ersten Krankheitsanzeichen – also noch bevor sich entscheidet, ob die Krankheit weiterhin mild verläuft oder einen schweren Verlauf nimmt. Danach könnte Remdesivir womöglich seinen Nutzen verlieren.
Studien-Battle: widersprüchliche Ergebnisse?
Diese Einschätzung scheint sich nun zu bestätigen. Erst wurde im Fachmagazin "The Lancet" die Studie aus Wuhan publiziert, deren Zwischenergebnisse Ende letzter Woche bereits geleakt wurden – und so dazu führten, dass der Hoffnungsträger Remdesivir plötzlich als gescheitert galt. Das Mittel habe weder Todesfälle verhindert noch die Genesung beschleunigt.
Die finalen Ergebnisse zeigen aber vor allem eins: dass die Studie nichts aussagt. Die Ergebnisse sind nicht signifikant. Am Ende fehlten den Ärzten und Wissenschaftlern in den chinesischen Krankenhäusern schlicht die Probanden, weil der Ausbruch abebbte. Aus diesem Grund wurde die Studie vorzeitig abgebrochen. Daraus ein Scheitern von Remdesivir abzuleiten, wäre falsch.
Erneuter Druck aus den USA
Die erste große und seriöse Studie zeigt, dass Remdesivir bei Patienten zu einer schnelleren Entlassung geführt habe. Sie konnten das Krankenhaus nach 11 statt 15 Tagen verlassen – im Vergleich zu einer Placebo-Gruppe. Die Daten seien darüber hinaus statistisch signifikant und es sei daher ethisch nicht vertretbar, anderen nur ein Placebo zu verabreichen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass wie vermutet eine frühe Gabe entscheidend ist. Bei Affen konnten Wissenschaftler mit dem frühzeitigen Einsatz sowohl Atemwegserkrankungen verhindern und Schäden im Lungengewebe verringern. Immerhin also: die Datenlage wird besser und die Hinweise auf einen Nutzen verdichten sich.
Doch Experten haben weiterhin offene Fragen. Beispielsweise ist nicht belegt, dass die Gabe von Remdesivir die Todesraten verringert. Genauso gibt es über Nebenwirkungen wenig Daten. Bislang heißt es, der Einsatz sei sehr sicher. Was dafür sprechen könnte: Nach der FDA hat nun auch die die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Remdesivir Ende Juni als erste Therapie bei Covid-19 zur bedingten Zulassung empfohlen.
Auch andere Wirkstoffe haben Nachteile
Fakt ist: Die Studienlage ist weiterhin dünn. Das gilt nicht nur für Remdesivir, sondern auch für die Konkurrenz. Die übrigen Kandidaten, beispielsweise das Malariamittel (Hydroxy-)Chloroquin oder die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir, beide für andere Krankheiten zugelassen, haben in ersten klinischen Studien ebenfalls enttäuscht.
Im Fall von Chloroquin musste die Studie sogar wegen Gesundheitsbedenken abgebrochen werden. Die Patienten entwickelten Herzrhythmusstörungen. Die US-Zulassungsbehörde hat die Genehmigung zum Einsatz von Chloroquin anschließend widerrufen.
Welche Medikamente es gegen Covid-19 gibt, haben wir hier für dich zusammengefasst.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die vier prominenten Kandidaten in eine groß angelegte Studie namens "Solidarity" aufgenommen. Dank gleicher Durchführung können auch Patienten aus unterschiedlichen Ländern später in den Studien zusammengeführt und miteinander verglichen werden. Denn je mehr Menschen, desto aussagekräftiger die Ergebnisse – so hofft man.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Wir brauchen solide Ergebnisse – keine Leaks
Da sich Politik und Gesellschaft derzeit nicht in Geduld üben, muss es die Wissenschaft umso mehr tun – und auf ihren Prinzipien beharren. Es braucht am Ende unabhängig geprüfte und veröffentlichte Studienergebnisse. Und das schwarz auf weiß.
Welchen Einfluss das Coronavirus auf die Wissenschaft hat, das zeigen wir dir hier.
Für eine Zulassung, die mehrere Millionen potenzielle Patienten betrifft, braucht es valide und überzeugende Studienergebnisse. Ganz egal, ob am Ende Remdesivir oder ein anderer Wirkstoff das Rennen macht: Ein Medikament gegen das Coronavirus muss nicht nur die Krankheit und die Viren bekämpfen können, sondern auch verträglich sein. Remdesivir scheint bei Sauerstoffmangel, wenn Ärzte es früh verabreichen, die Heilung zu verbessern. Es fehlen allerdings weiterhin überzeugende Daten, dass damit auch Todesfälle verhindern werden können.
Trotzdem braucht es für schwer kranke Patienten und die zweite Phase der Covid-19-Erkrankung braucht es geeignete Medikamente. Im Hintergrund der ganzen Remdesivir-Diskussion müssen auch hier Forscher Erfolg versprechende Präparate prüfen und Ergebnisse vorlegen.
Voreilige Schlüsse, egal in welche Richtung, gefährden die langfristige Gesundheit oder gar das Leben der Patienten. Übereilte Aktionen holen uns früher oder später ein. Dann ist es für die Patienten schon zu spät.
Über den/die AutorIn:
20.09.2022 – Remdesivir begünstigt die Entstehung gefährlicher Virusmutanten Eine gerade im Journal Cell Reports Medicine veröffentlichte Studie kommt zum Ergebnis, dass die „Behandlung mit Remdesivir die genomische Diversität innerhalb des Wirts erhöhen und zur Entstehung neuer Hauptvariantenspezies führen kann, die feste Mutationen beherbergen.“ Quelle: Remdesivir-induced emergence of SARS-CoV2 variants in… Weiterlesen »
Danke für den Hinweis.
Inzwischen rät die WHO explizit von Remdesivir ab [1]. Aber für den Hersteller des fragwürdigen Medikaments hat sich die weltweite PR Kampagne dank der Unterstützung durch die Medien und Politiker dennoch gelohnt. Europa (allen voran Deutschland [2, 3]) hat sich vertraglich zur Abnahme von mehr als 500.000 Behandlungseinheiten verpflichtet. Obwohl… Weiterlesen »
Es ist wenig überraschend, dass nun auch die WHO in einem aktuellen Text (preprint) zum Schluss kommt, dass Remdesivir (genau wie alle anderen potentiellen Wundermittel gegen das Coronavirus) die hohen Erwartungen nicht erfüllt hat: „These Remdesivir, Hydroxychloroquine, Lopinavir and Interferon regimens appeared to have little or no effect on hospitalized… Weiterlesen »
Komisch, vor zwei Monaten war Remdesivir das große Thema in den Medien, obwohl die Wirksamkeit umstritten war. „Wir brauchen solide Ergebnisse“ wurde deshalb zu Recht gefordert. Nun wurden solide Ergebnisse veröffentlicht, aber kein Journalist ist mehr interessiert. Das nennt man wohl Anti-Klimax. 😉
Wichtige Ergänzung zu meinem Beitrag vom 23.08.2020 – Lakritze gegen Corona ? – Wollte selbstverständlich mit meinem o. a Beitrag nicht dazu auffordern, dass jede Person zur Vorbeugung gegen COVID -19 ab sofort Lakritze im Übermaß, oder gar Efeu (giftig!) zu sich nimmt, wobei ich nochmals dringend auf die entsprechenden… Weiterlesen »
Es gab 2003 sogar in Nature einen Artikel zu diesem Thema:
Liquorice may tackle SARS https://www.nature.com/articles/news030609-16