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Dimension Ralph
Stottern: wie sehr es belastet und was hilft
Von Hänseleien bis zu hartem Mobbing: Stottern kann für Betroffene sehr belastend sein – besonders für Kinder. Was sind die Ursachen, wenn die Sprache stockt, und welche Therapien gibt es?
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Artikel Abschnitt: Wie viele Menschen stottern?
Wie viele Menschen stottern?
Bis zu acht Prozent der Vorschulkinder stottern, meist handelt es sich aber nur um ein sogenanntes Entwicklungsstottern. Bei 80 Prozent von ihnen geht das von allein wieder vorüber, vor allem bei Mädchen. Diejenigen, die ihr Leben lang stottern, sind meistens Männer – fünfmal häufiger als Frauen.
Bei Kindern verschwindet das Stottern oft wieder
Genaue Zahlen gibt es zwar nicht, aber in der Kindheit sind zumindest einige von uns mal betroffen gewesen. Wenn wir von den vorliegenden Studiendaten ausgehen, gibt es wohl über 800.000 stotternde Menschen in Deutschland.
Bis heute gibt es keine Therapie, die Stottern vollständig beseitigt. Für die lebenslang Betroffenen sind Therapie und Selbsthilfe dennoch sinnvoll. Sie können helfen, das Stottern zu verringern und als weniger belastend zu erleben.
Artikel Abschnitt: Was macht Stottern mit den Menschen?
Was macht Stottern mit den Menschen?
Rückblickend wird von vielen stotternden Personen die Schulzeit als besonders belastend beschrieben. Studien belegen: Mobbing führt bei stotternden Jugendlichen zu geringerer Lebenszufriedenheit. Davon ist oft die ganze Familie betroffen. Die Angehörigen berichten von einer hohen emotionalen Belastung und Konflikten in der Familie.
Was helfen kann: verständnisvoll mit stotternden Menschen umzugehen. Das kann die Nachteile vollständig ausgleichen.
Nach Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes haben Stotternde sogar ein Anrecht auf einen Nachteilsausgleich. Lehrende und Logopäd:innen sollen in Absprache mit den Eltern angemessen fördern. Doch in der Praxis passiert das in vielen Schulen nicht.
Artikel Abschnitt: Welche Ursachen gibt es für das Stottern?
Welche Ursachen gibt es für das Stottern?
Weitere Angaben zum Artikel:
Die drei Arten des Stotterns
Bei Wortwiederholungen werden einsilbige Wörter wiederholt (»kann-kann-kann«), Anfangssilben (»ka-ka-kann«) oder auch Anlaute (»k-k-k-kann«).
2. Dehnungen
Dehnungen unterbrechen den Redefluss, während der Atem aber weiterfließt. Lippen, Zunge und Stimmlippen bleiben dabei auf der Stelle: (»fffffast«, »aaaaber«). Bei stark stotternden Personen können die Dehnungen zehn Sekunden und länger anhalten.
3. "Gespannte Pausen" (Blocks)
"Gespannte Pausen", sogenannte Blocks, unterbrechen den Rede- und Atemfluss komplett (»----kann«). Sogar Gesten und Handbewegungen, die das Sprechen begleiten, werden gestoppt. Blocks können auch unregelmäßig wiederholte Anfangslaute sein (»----p--p----p-passt«).
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Hat Stottern eine mechanische Ursache?
Lange Zeit dachte man, die Ursache für Stottern ist mechanisch, eine Art Fehlbildung im Sprechapparat. Schon im 19. Jahrhundert wurden Apparate konstruiert, die das korrigieren sollten.
Vermutlich hat die unangenehm zu tragende Apparatur eine Zeit lang vom Stottern abgelenkt. Ansonsten waren sie nutzlos. Immerhin ließ sich die unnütze Technik einfach wieder herausnehmen.
Bei den chirurgischen Eingriffen des Arztes Johann Friedrich Dieffenbach war das anders. Seine Behandlung blieb für immer. Im Jahr 1841 hat er 200 stotternden Personen Teile der Zungenwurzel entfernt.
Die Operationen hatten aber auch nur einen kurzen vorübergehenden Effekt und waren im Nachhinein betrachtet nutzlose Verstümmelungen. Einige Personen sollen an den Folgen dieser Eingriffe sogar gestorben sein.
Als deutlich wurde, dass keine einfache mechanische Ursache für Stottern zu finden ist, übernahm die Persönlichkeitsforschung: Stotternde und nicht-stotternde Personen wurden miteinander verglichen, aber trotz jahrzehntelanger Suche konnten keine Merkmale einer "Stotterpersönlichkeit" gefunden werden.
Artikel Abschnitt: Hat Stottern eine Ursache im Gehirn?
Hat Stottern eine Ursache im Gehirn?
Neuere Auswertungen von MRT-Bildern vieler Patient:innen zeigen jedoch Auffälligkeiten.
Die Hirnareale, die für die Kontrolle der Sprechmotorik zuständig sind, waren bei Menschen, die stottern, kleiner und nicht so aktiv. Mit Sprechmotorik sind alle Muskelbewegungen gemeint, die zum Sprechen nötig sind, zum Beispiel Bewegungen der Zunge. Diese Bewegungen werden von der linken und rechten Gehirnhälfte gesteuert. Bei Personen, die nicht stottern, war die linke Gehirnhälfte in der Studie/den Studien aktiver. Bei Menschen, die stottern, waren beide Hälften dagegen ungefähr gleich aktiv. Doch es stellt sich die Frage, ob diese Veränderungen bloß eine Folge des Stotterns sind oder wirklich dessen Ursache.
Bisher völlig ungeklärt ist auch die Frage, warum bei einigen Kindern das Stottern von allein wieder verschwindet, bei anderen dagegen ein Leben lang bleibt.
Nicht eine, sondern mehrere Ursachen?
Deutlich ist: Es gibt ein genetisches, vererbbares Risiko für Stottern. Dessen Einfluss wird auf 70 bis 80 Prozent geschätzt. Wer stotternde Verwandte hat, hat ein höheres Risiko, selbst zu stottern. Trotzdem kann das Stottern auch ausbleiben. Selbst bei eineiigen Zwillingen gibt es Fälle, in denen der eine Zwilling stottert, der andere aber nicht. Neben den genetischen Faktoren muss es offenbar auch umweltbezogene Faktoren geben, die darüber entscheiden, ob Stottern auftritt oder nicht. Mangelnde Empathie von Mitmenschen, fehlende Bindungsmöglichkeiten, Überforderung, Druck, bis hin zu Traumatisierungen – die Liste möglicher Einflussfaktoren ist lang.
Aber: Stottern hat zwar eindeutig mit Stress in sozialen Interaktionen zu tun, aber etwa 40 Prozent der stotternden Personen stottern auch, wenn sie allein sind.
Artikel Abschnitt: Was verstärkt das Stottern?
Was verstärkt das Stottern?
Dabei ist durch Studien belegt, dass Stottern besonders bei Anfangslauten auftritt und besonders häufig bei Wörtern:
● die mit einem Konsonanten beginnen;
● die lang sind;
● die zu den ersten drei Wörtern eines Satzes gehören;
● die betont sind.
Und je wichtiger das Wort ist, also je wichtiger die Information ist, für die es steht, desto schwieriger wird es. Bei einem betonten langen inhaltsschweren Wort am Satzanfang, das mit einem Konsonanten beginnt, ist die Wahrscheinlichkeit zu stottern also am größten.
Stress verstärkt das Stottern
Welche Rolle spielen die Gesprächssituation beziehungsweise die Gesprächsatmosphäre? Das wurde in Studien untersucht, in denen beispielsweise ein Bewerbungsgespräch simuliert wurde. Dabei zeigte sich, dass Stress ein wichtiger Faktor ist: Wurde das Gespräch konfrontativ geführt, stotterten die Versuchspersonen deutlich mehr als bei einem zugewandt unterstützenden Gesprächsstil.
Menschen, die stottern, sind oft in zwei Teufelskreisen gefangen:
1. Das Vermeiden von Stottern verstärkt die Angst vor dem Stottern, das wiederum verstärkt das Vermeiden von Situationen, in denen man stottern könnte, und so weiter …
2. Die Frustration darüber, zu stottern, führt dazu, dass mehr Anstrengung aufgewendet wird, um gegen das Stottern anzukämpfen. Das verstärkt sich dadurch aber und führt wiederum zu mehr Frustration und so weiter …
Artikel Abschnitt: Was für Therapien gegen Stottern gibt es?
Was für Therapien gegen Stottern gibt es?
Die Methode, mit jemandem gemeinsam zu sprechen, ist tatsächlich sehr effektiv, um Stottern zu verringern. Anders als es der Film suggeriert, ist König George sein Stottern zeitlebens nicht losgeworden. Und selbst in aktuellen Therapien gegen Stottern gelingt so etwas nicht. Aber sie können das Sprechen verbessern.
Statt zeitgleich zu sprechen, kann der Therapeut oder die Therapeutin auch mit geringer Zeitverzögerung vorsprechen. Ein anderes oft erfolgreiches Rezept gegen Stottern ist die Veränderung der Stimmlage oder Singen. Allerdings kann man das im Alltag nicht immer anwenden.
Gedehntes Sprechen kann helfen
Beim Singen werden die Laute langsamer und gedehnter hervorgebracht. Auch bei gedehntem Sprechen und stark verlangsamtem Sprechen verringert sich das Stottern. Eine weitere Beobachtung ist, dass rhythmisches Sprechen hilft, zum Beispiel mit Metronom. Diese Erkenntnisse haben zur Entwicklung einer Therapie geführt, die auf englisch: "Fluency Shaping" genannt wird, auf deutsch: "Gestaltung des Redeflusses".
Dabei lernen die Betroffenen gezielt ein neues Sprachmuster, um flüssiger sprechen zu können. Sie dehnen Silben und kontrollieren die Sprechgeschwindigkeit oder sie sprechen langsam. Fluency Shaping wird meist in Gruppentherapien geübt. Manche Stotternden empfinden das Sprechen mit Fluency Shaping aber sogar als auffälliger, als ihr Stottern selbst. Angst- und Schamgefühle werden daher beim "Fluency Shaping" nicht verringert.
Weniger Stress – weniger Stottern
Stress beim Sprechen abzubauen, steht im Zentrum eines anderen verbreiteten Therapieverfahrens, der Stottermodifikation. Diese Therapie wurde in den 1930er-Jahren an der Universität von Iowa entwickelt. Ziel ist nicht, das Stottern zu vermeiden oder zu beseitigen, sondern die Angst vor dem Stottern zu verlieren. Aus einer körperlich sichtbaren Anspannung beim Stottern soll ein entspanntes Stottern werden.
Deshalb beziehen sich viele Übungen der Stottermodifikation auf die unmittelbare Stottersituation. Zum Beispiel gibt die Therapeutin im Moment des Stotterns ein Signal. Im Falle einer Stotter-Dehnung spricht der Patient den Laut weiter, stottert also absichtlich stärker und länger. Er setzt das so lange fort, bis die Therapeutin ein zweites Signal gibt.
Eine andere Übung ist, absichtlich zu stottern, anstatt dagegen anzukämpfen, also das Stottern zuzulassen. Dadurch wird das alte Stottermuster durch ein selbstbestimmtes Stottern abgelöst.
Genauso wie es offenbar nicht die eine Ursache für Stottern gibt, gibt es auch nicht die eine Therapie. Die Praxis zeigt: Bei einigen stotternden Personen ist "Fluency-Shaping" effektiver, bei anderen Stottermodifikation. Dritten wiederum hilft eine Kombination dieser beiden Therapieansätze am besten. Ergänzend sind oft auch psychotherapeutische Verfahren hilfreich und Selbsthilfegruppen.
Therapie bei Kindern
Bei jungen Kindern wird meist mit einer indirekten Therapie begonnen. Das heißt, es wird nicht beim Stottern angesetzt, sondern stattdessen wird versucht, die sprachlichen Voraussetzungen für flüssiges Sprechen zu verbessern. Gleichzeitig wird versucht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der kein Druck herrscht, schnell sprechen zu müssen.
Für Kinder im Vorschulalter gibt es auch eine kindgerechte Version der Stottermodifikation. Sie können in einem geschützten Raum üben, selbstbewusster zu stottern.
Außerdem wird für diese Altersgruppe die sogenannte Lidcombe-Therapie angeboten. Lidcombe ist ein Stadtteil in Sydney, wo das Verfahren entwickelt wurde. Es basiert auf der Erkenntnis, dass sich Stottern reduzieren lässt, wenn die Bezugspersonen des Kindes jeweils Rückmeldung geben. Dafür lernen die Eltern, direkt in der Situation flüssiges Sprechen zu loben und nicht flüssiges Sprechen in freundlichem Ton zu korrigieren.
Für Kinder ab dem Schulalter sind "Fluency-Shaping" und kombinierte Verfahren zusammen mit Stottermodifikation geeignet.
Es gibt nicht eine "Wunder-Therapie"
Obwohl sich die Wissenschaft schon sehr lange mit Stottern befasst, gibt es leider keine "Wunder-Therapie", aber Möglichkeiten, in vielen Fällen das Stottern zu verringern oder damit besser leben zu können. Es lohnt sich also, Therapien gegen das Stottern auszuprobieren, wenn man darunter leidet, – egal wie alt man ist. Und es kommt auch auf das Umfeld an: Entscheidend ist, wie Menschen, die nicht stottern, auf das Stottern von anderen reagieren.
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Also bei mir hat die „Intensive Intervall-Therapie nach van Riper“ geholfen. Damals war ich 22 Jahre alt und bin seitdem ein meist flüssiger Stotterer. Aber vor (großen) Gruppen zu sprechen vermeide ich immer noch…
Bin selbst Stotterer seit meiner Einschulung. Habe als Kind auch Sprachtherapien mitgemacht (dort wurde vor allem das langsame Sprechen geübt, nützt natürlich nichts wenn man sich im Alltag spontan äußert) ohne viel Erfolg. Mittlerweile habe ich meine eigene Methode, solange ich die folgenden Punkte strikt einhalte ist mein Stottern praktisch… Weiterlesen »
Lieber Cap Deine Methode hat mich sehr beeindruckt und erinnert mich an das, was meinem verstorbenen Mann, der ebenfalls Stotterer war, geholfen hat: Mein Mann war jahrelang Mitglied einer Theatergruppe. Wenn er eine Rolle spielte, ging es ohne Stottern und so hat sich das flüssige Sprechen zusammen mit bewusster Atmung… Weiterlesen »
Sorry, aber die Antistotter- Methode, bei der Eltern störungsfreies Sprechen loben und stotterndes Sprechen liebenswürdig verbessern, wirkt sich wie ein pures Gift aus. Ich weiß, wovon ich rede, es gibt tatsächlich nichts Schlimmeres. Könnt ihr nicht wissen, eure „Fachleute“ natürlich ebenso wenig. Dazu hätte man natürlich wenigstens einen überdurchschnittlich intelligenten… Weiterlesen »