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Mentale Gesundheit
Wie Armut deine
Psyche beeinflusst
Psyche beeinflusst
In Deutschland ist etwa jede fünfte Person von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Betroffene leiden nicht nur an den unmittelbaren Konsequenzen: Die Geldsorgen belasten auch ihre körperliche und psychische Gesundheit. Woran das liegt und welche Maßnahmen helfen könnten.
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Inhalt
- Wie viele Menschen sind von Armut betroffen?
- Wie beeinflussen sich Armut und psychische Gesundheit gegenseitig?
- Was sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen als Folge von Armut?
- Wie werden Menschen in Armut von der Gesellschaft wahrgenommen?
- Was kostet psychische Gesundheit in Deutschland?
- Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es?
- Wie viele Menschen sind von Armut betroffen?
- Wie beeinflussen sich Armut und psychische Gesundheit gegenseitig?
- Was sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen als Folge von Armut?
- Wie werden Menschen in Armut von der Gesellschaft wahrgenommen?
- Was kostet psychische Gesundheit in Deutschland?
- Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es?
Artikel Abschnitt: Wie viele Menschen sind von Armut betroffen?
Wie viele Menschen sind von Armut betroffen?
Fast 11 Prozent der Weltbevölkerung in absoluter Armut
Schätzungen der Weltbank zufolge mussten im Jahr 2022 etwa 750 Millionen Menschen weltweit – fast 11 Prozent der Weltbevölkerung – mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen. Dieser Wert gilt als internationale, absolute Armutsgrenze.
Ein fixer Wert für absolute Armut liefert oft nur begrenzte Aussagekraft, da die Lebensbedingungen und Anforderungen weltweit stark variieren. Eine Summe, die in einem Land als völlig unzureichend erscheint, kann in einem anderen als angemessen gelten, um den Alltag zu bestreiten. Aus diesem Grund wird zusätzlich zur absoluten Armut auch die relative Armut berechnet. Sie berücksichtigt die spezifischen Lebensstandards eines Landes und ermöglicht eine realistischere Einschätzung, ob Menschen mit ihren verfügbaren Mitteln tatsächlich auskommen können.
Deutschland bei relativer Armut im Mittelfeld
Der ausschlaggebende Wert zur Berechnung der relativen Armut ist das mittlere Haushaltseinkommen der gesamten Population eines Landes. Wer weniger als einen festgelegten Anteil dieses Einkommens verdient, gilt demnach als arm. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) legt diesen Schwellenwert bei 50 Prozent des mittleren Einkommens fest.
Eine Analyse der OECD-Länder zeigte: In Island leben mit 4,9 Prozent relativ gesehen die wenigsten Menschen in Armut. In Costa Rica ist hingegen fast jeder Fünfte arm. Deutschland liegt mit rund 12 Prozent fast exakt im OECD-Mittel auf Platz 21 von 38.
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Weitere Angaben zum Artikel:
Indikatoren zur Bestimmung von Armut in der EU
Einkommensarmut
Das Nettoeinkommen beträgt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland. Das traf 2023 in Deutschland auf 14,3 Prozent der Bevölkerung zu – damals lag der Betrag (nach Steuern und Sozialabgaben) bei 1310 Euro im Monat.
Erhebliche materielle und soziale Entbehrung
Diese Messgröße erfasst, wie Menschen ihre eigene Lebenssituation wahrnehmen. Dazu gehört etwa, ob sie genug Geld für Miete und Rechnungen haben, gelegentlich in den Urlaub fahren oder essen gehen können. 2023 gaben in Deutschland 6,9 Prozent der Bevölkerung an, diese Lebensqualität nicht zu haben.
Leben in einem "Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung"
Hierbei geht es darum, wie lange – in Monaten – alle Haushaltsmitglieder zwischen 18 und 64 Jahren im vergangenen Jahr gearbeitet haben. Waren zwei Erwachsene jeweils 12 Monate erwerbstätig, liegt der Wert bei 100 Prozent. Konnte ein Mitglied des Haushalts hingegen gar nicht arbeiten, wäre die Erwerbsbeteiligung des Haushalts 50 Prozent. Fällt die Erwerbsbeteiligung in einem Haushalt auf weniger als 20 Prozent, gilt er als "Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung". Im Jahr 2023 lebten in Deutschland etwa 9,8 Prozent der Menschen in einem solchen Haushalt.
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Armut ist nicht nur mangelndes Einkommen
Allerdings gäbe es bei dieser Definition von Armut ein Problem, sagt Prof. Eva Münster. Sie ist Professorin für Allgemeinmedizinische Versorgungsforschung in vulnerablen Bevölkerungsgruppen an der Universität Witten/Herdecke. "Wenn man die Armut nur am Einkommen festmacht," so die Professorin, "übersieht man viele Menschen."
Ihr geht es um Überschuldung: "Man kann ein Einkommen über der Armutsgrenze haben, aber aufgrund von vielen Schulden bis hin zu Pfändungen nicht genug Geld für notwendige Ausgaben haben." Werden solche Fälle übersehen, kann das für Betroffene gravierende Folgen haben. Oft greifen etwa Hilfsmaßnahmen nicht, die Menschen in Armut helfen sollen. Schätzungen im Schuldneratlas gehen davon aus, dass 2024 in Deutschland rund 5,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger überschuldet waren.
Artikel Abschnitt: Wie beeinflussen sich Armut und die psychische Gesundheit gegenseitig?
Wie beeinflussen sich Armut und die psychische Gesundheit gegenseitig?
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Einfluss von Armut auf die psychische Gesundheit
Wer täglich unter Geldsorgen leidet, lebt ständig im Stress. Für den Körper bedeutet das ein andauernd erhöhtes Level des Stresshormons Cortisol. Und das wiederum hat negative Auswirkungen auf den ganzen Organismus und begünstigt sowohl körperliche als auch psychische Leiden. Auch Mangelernährung tritt bei ärmeren Menschen häufiger auf, da vollwertige Mahlzeiten oft teurer sind als beispielsweise Fastfood.
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Gewalterfahrungen und andere Traumata hängen häufig ebenfalls mit Armut zusammen, können Ursache oder Folge sein und belasten die Psyche auf verschiedenste Weise.
Einfluss von psychischer Gesundheit auf Armut
Psychische Erkrankungen erschweren es oft, die Arbeit aufrechtzuerhalten oder eine neue zu finden. Eine Depression kann etwa dazu führen, dass Betroffene ihre berufliche Leistung nicht wie gewohnt erbringen und dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Auch die zusätzlichen Kosten für Medikamente und Therapien können die finanzielle Lage verschärfen, was das Risiko für Armut noch weiter erhöht.
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Direkte Zusammenhänge schwer nachzuweisen
Viele dieser Ursache-Wirkungs-Gedanken können wir intuitiv sehen und verstehen. Der Anspruch der Wissenschaft ist allerdings, gerade kausale Zusammenhänge – eine Sache ist direkt für eine andere verantwortlich – nachzuweisen. So richtig gut ist das bei der Auswirkung von Armut auf die psychische Gesundheit noch nicht geschehen. Besonders, beim gezielten Blick auf bestimmte Erkrankungen.
Eine große britische Studie hat sich das mal genauer angeschaut, mit Daten von über 350.000 Europäerinnen und Europäern. Die Forschenden teilten die Teilnehmenden in vier Kategorien ein: Geringes Einkommen (weniger als 18.000 Britische Pfund), geringes mittleres Einkommen (weniger als 29.999 Britische Pfund), hohes mittleres Einkommen (mehr als 52.000 Britische Pfund) und hohes Einkommen (über 100.000 Britische Pfund).
Einfluss von Schizophrenie und ADHS auf Armut
In diesen Einstufungen verglichen sie genetische Faktoren für psychische Erkrankungen, also bekannte Mutationen, die solche Störungen begünstigen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass Schizophrenie und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) einen direkten Einfluss auf die Armut haben.
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Kinder besonders betroffen
Kinder und Jugendliche leiden ganz besonders unter psychosozialen Belastungen, wenn sie in einem Haushalt unterhalb der Armutsgrenze leben. In 20 der insgesamt 27 EU-Staaten sind sie sogar stärker als die erwachsene Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen.
In Deutschland wird das beispielsweise bei den Einschulungsuntersuchungen, zu denen alle Kinder erscheinen müssen, sichtbar. Dort wurde etwa festgestellt, dass Kinder aus finanziell benachteiligten Familien häufig Entwicklungsdefizite aufweisen: Sie sind also emotional, sprachlich, motorisch, körperlich und/oder kognitiv nicht so weit wie viele Altersgenossen.
Weniger Bildung, Bewegung und gesundes Essen
Dazu kommt, dass Jugendliche aus ärmeren Familien häufiger eine unzureichende Bildung erhalten, etwa, weil sie früh von der Schule gehen, um Geld zu verdienen. Gleichzeitig zeigte eine Untersuchung von 21 EU-Staaten, dass 26 Prozent der Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen die Schule vor ihrem 15. Geburtstag verließen. In der Allgemeinbevölkerung ohne psychische Erkrankung waren es nur 14 Prozent. Auch hier zeigt sich der gegenseitige Einfluss von Armut und psychischen Erkrankungen.
Besonders intensiv befasst sich die "Studie für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland" (KiGGS) mit der Situation junger Menschen. Aus den Daten der Studie lässt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Eltern und der psychischen Gesundheit der Kinder herstellen. Ein vergleichbares Muster fand sich auch bei anderen Lebensaspekten: Je höher das Einkommen der Eltern, desto besser die Ernährung der Kinder und desto höher die allgemeine Bewegung und der Freizeitsport – was ebenfalls einen Einfluss auf das psychische Befinden hat.
Artikel Abschnitt: Was sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen als Folge von Armut?
Was sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen als Folge von Armut?
Risikofaktor Überschuldung
Auf den ersten Blick ist eine Überschuldung nicht unbedingt sichtbar. Betroffene wohnen möglicherweise in einer guten Umgebung, besitzen ein Auto und gehen einem Beruf nach. Einige der Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung dürften hier gar nicht greifen, oder?
Tatsächlich komme da vieles zusammen, sagt Eva Münster: "Oft werden etwa die Kinder vom Sportverein abgemeldet, weil kein Geld mehr dafür zur Verfügung steht." Somit bewegen sie sich vielleicht nicht ausreichend und verlieren soziale Kontakte. "An allen Stellen wird geschaut, wo man noch Geld einsparen kann. Effektiv leben diese Menschen in Armut, auch wenn es nicht offensichtlich ist."
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Erkrankung fördert Schulden
Umgekehrt zeigen Statistiken, dass Menschen mit psychischen Problemen überproportional häufig stark verschuldet sind. In einer Stichprobe von 215 psychiatrischen Patientinnen und Patienten in Berlin zeigte sich: 47 Prozent hatte Schulden und Kredite zwischen 1000 und 9999 Euro, 36,3 Prozent sogar in Höhe von 10.000 bis 99.999 Euro. Besonders betroffen waren jüngere Patientinnen und Patienten sowie Menschen mit einer Suchterkrankung. Eine so kleine Datenmenge ist zwar nicht gerade repräsentativ, auffällig sind die Zahlen dennoch.
Eine britische Untersuchung legt ebenfalls nahe, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen das dreifache Risiko für eine Überschuldung haben als die Allgemeinbevölkerung. Und umgekehrt: Je mehr Schulden die Leute haben, desto wahrscheinlicher leben sie auch mit einer psychischen Störung.
Fehlendes Geld für Medikamente
In ihrem Bericht beschreiben Eva Münster und ihre Kolleginnen und Kollegen, auf welch vielfältige Weise die Gesundheit Überschuldeter gefährdet ist. Psychische und Verhaltensstörungen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit Überschuldung. Auch Psychosen und körperliche Erkrankungen treten bei Menschen mit langfristig hoher Verschuldung häufiger auf.
Überschuldete haben ein 20 Prozent höheres Risiko für psychische Erkrankungen als Menschen, die nicht von Armut betroffen sind. Dieser Zusammenhang könnte gesundheitliche Probleme sogar noch vergrößern, so Eva Münster: "Wir konnten zeigen, dass viele Menschen bei Überschuldung ihre verschriebenen Medikamente nicht mehr in der Apotheke einlösen." Denn für viele notwendige Medikamente müssten sie direkt vor Ort etwas zuzahlen. Das könnten sich Überschuldete teilweise nicht leisten.
Arbeitslosigkeit bis zur Verzweiflung
Menschen, die ihren Job verlieren oder lange keinen finden, können darunter psychisch sehr leiden. Laut einer US-amerikanischen Studie verdoppelt sich das Risiko für Depressionen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit. Selbst ein Suizid ist wahrscheinlicher: Die Studie mit Daten aus 175 Ländern zeigte für eine Zeitspanne von 1999 bis 2017, dass jedes Prozent mehr Arbeitslosigkeit in einem Land die Suizidraten bei den 30- bis 59-Jährigen um 2 bis 3 Prozent steigen ließ. Auch Kinder, deren Eltern kurz- oder langfristig arbeitslos sind, haben ein höheres Risiko für psychische Störungen.
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Die Lebensumgebung als Risikofaktor
Menschen, die in ärmeren Stadtbereichen leben, leiden häufiger unter Depressionen, Angststörungen und Psychosen als solche in reichen Umgebungen.
Das kann verstärkt auftreten, wenn immer mehr Menschen in die Städte ziehen und die Leute dichter gedrängt wohnen. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2012 zeigte beispielsweise, dass Menschen in städtischen Gebieten ein mehr als doppelt so hohes Risiko haben, an Schizophrenie zu erkranken, im Vergleich zu denen, die auf dem Land leben.
Wie die Lebensumgebung einen – zumindest indirekten – Einfluss auf die psychische Gesundheit ausüben kann, hängt wiederum von verschiedenen Aspekten ab: Wie stark ist der Zusammenhalt in der Nachbarschaft? Ist die Umgebung gut durch öffentliche Verkehrsmittel vernetzt? Wie sauber oder verschmutzt ist die Luft?
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Je ungleicher das Einkommen, desto höher die psychische Gefährdung
Ein großes Problem von westlichen Industrieländern ist die anhaltende ungleiche Einkommenssituation verschiedener Personengruppen. Darauf deuten mehrere Studien und Meta-Analysen hin – etwa eine aus 2022. Hier zeigte die Zusammenfassung von 42 Originalarbeiten mit den Daten von insgesamt über 7 Millionen Menschen, eine stärkere Ungleichverteilung des Einkommens mit allgemein schlechterer psychischer Gesundheit und mehr Depressionen und Psychosen zusammenhängt. Wie genau die Ungleichheit die Psyche belastet, ist bisher nicht belegt. Es gibt aber zwei Theorien:
1) Sozialkapital-Hypothese: Menschen mit sehr niedrigem Einkommen können in einer allgemein eher reichen Umgebung weniger am Sozialleben teilnehmen, ihnen wird weniger Vertrauen entgegengebracht und sie fühlen sich weniger zugehörig.
2) Statusangst-Hypothese: Eine große Ungleichheit im Einkommen sorgt für Minderwertigkeitsgefühle, da es einen Wettstreit um den Status gibt und stark untereinander verglichen wird – was wiederum zu chronischem Stress führt.
Die ungleiche Verteilung von Einkommen kann auch zumindest teilweise ein Paradox erklären, das in der Wissenschaft beschrieben ist: Zwar scheinen reichere Menschen generell seltener psychisch krank zu sein, dennoch kommen psychische Erkrankungen in wohlhabenden Ländern nicht weniger vor als in armen.
Essen, Wohnen, Scham: Unsicherheit auf vielen Ebenen
Sowohl Armut als auch psychische Erkrankungen können großen Stress verursachen, der sich negativ auf die gesamte Lebenssituation auswirkt. Dies kann zu belastenden Familiendynamiken und problematischen Erziehungspraktiken führen, die wiederum zu negativen Kindheitserfahrungen führen, welche im Laufe der Zeit sowohl die psychische Gesundheit als auch das Einkommen beeinträchtigen können. Das liegt etwa daran, dass Eltern unter Stress weniger Kapazitäten haben, um einfühlsam mit den Kindern umzugehen. So kommt es häufiger zu Streit, Bestrafungen oder sogar Misshandlungen. Wichtig ist jedoch: Das gilt keineswegs für alle Familien mit begrenzten finanziellen Mitteln – viele von ihnen erziehen ihre Kinder mit großer Fürsorge und Einfühlungsvermögen.
Zudem ist die Ernährung oft ungesund, manche Familien in Deutschland können sich nicht immer eine ausgewogene und ausreichende Mahlzeit leisten. Ungesundes Essen schadet sowohl der körperlichen als auch der psychischen Gesundheit. Darüber hinaus verursacht es zusätzlichen Stress, wenn Menschen nicht wissen, ob sie genug zu essen haben, um abends satt ins Bett gehen zu können.
Dazu kommt die Unsicherheit der Wohnsituation: Kann die Miete bezahlt werden? Wirft der Vermieter die Familie doch irgendwann raus? Muss jemand häufig umziehen und sich ständig an andere Umgebungen anpassen? Das sind nur einige der Fragen, die Menschen mit wenig finanziellen Möglichkeiten immer wieder stellen müssen.
Zusätzlich zu all diesen Stressfaktoren kommt manchmal auch die Scham. Denn noch immer wird Armut häufig als ein Makel betrachtet und stigmatisiert. Auch dieses Wissen trägt dazu bei, dass finanziell schlechter gestellte Menschen eher an psychischen Erkrankungen leiden.
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Wie werden Menschen in Armut von der Gesellschaft wahrgenommen?
Aktuell das Bürgergeld: Hochrangige Politiker äußern immer wieder – mal direkt, mal subtil – die Ansicht, dass arme Menschen grundsätzlich nicht arbeiten wollen und dass das Bürgergeld ihnen ermögliche, sich auf Kosten der Steuerzahlenden "auszuruhe".
Hartnäckige Falschaussagen
Ein Beispiel hierfür ist eine Äußerung von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Juli 2024 gegenüber der Funke-Mediengruppe: "Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen."
In Deutschland beziehen derzeit etwa 5,6 Millionen Menschen Bürgergeld, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Juli 2024 auf seiner Website mitteilte. Von diesen sind rund 4 Millionen grundsätzlich erwerbsfähig – doch das bedeutet nicht unbedingt, dass sie auch tatsächlich arbeiten könnten. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe übt andere Tätigkeiten aus, die sie daran hindern, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen: Dazu gehören Studium, Schulbesuch, Kinderbetreuung, die Pflege von Angehörigen oder ähnliche Verpflichtungen.
Bürgergeld: Fast immer wirklich nötig
Nur ein sehr kleiner Teil der Bürgergeldempfänger verweigert tatsächlich die Aufnahme von Arbeit. In solchen Fällen gibt es Sanktionsmöglichkeiten, die dazu führen können, dass die Betroffenen ein bis zwei Monate gar kein Geld erhalten. Damit existieren durchaus Maßnahmen, um Missbrauch des Systems zu verhindern.
Dennoch halten sich Falschaussagen über das Bürgergeld und damit die Stigmatisierung gegen Menschen in Armut hartnäckig. Dass solche Behauptungen einen echten Schaden hinterlassen, betont die christliche Wohltätigkeitsorganisation Caritas: Sie schreibt, dass manche Menschen aus Scham auf das Bürgergeld verzichten, obwohl es ihnen eigentlich zusteht.
Stigmatisierung im Gesundheitsbereich
Selbst medizinische Fachleute haben zu wenig Wissen darüber, was es bedeutet, in Armut zu leben, schreiben Forschende in einer Studie aus dem Jahr 2022. Auch dadurch entstünden Stigma und ungleiche Behandlung von Patientinnen und Patienten. Gerade in Anbetracht der psychischen Herausforderungen von Armut wäre es wichtig, dass sich Ärztinnen und Ärzte und andere medizinische Fachleute gut mit dem Thema auskennen und wissen, wie sie helfen können.
Stigmatisierende Glaubenssätze von klein an
Die Abwertung von ärmeren Menschen scheint laut einer neuen Untersuchung tief verwurzelt. Forschende beobachteten das Verhalten von 12- bis 15-Monate alten Kindern in sieben verschiedenen Experimenten. Sie analysierten dabei, wie lange die Kleinkinder mit ihren Augen auf Videos reagierten.
In einer der Studien beispielsweise sahen die Kinder in einem Video, wie eine erwachsene Person Spielzeuge und Knabbergebäck ungleichmäßig auf zwei Kinder verteilte. Zunächst schauten sie etwa gleich viel auf beide Kinder im Video. Dann hörten sie die Stimme einer erwachsenen Person, die entweder "Sie ist ein braves Mädchen, sie hat das gut gemacht" oder "Sie ist ein böses Mädchen, sie hat das schlecht gemacht" sagte.
Abneigung gegen Ärmere tief verwurzelt
Hier kam jetzt der große Unterschied bei Kleinkindern ab 14 Monaten: Hörten sie die positive Botschaft, verteilten sie ihre Aufmerksamkeit weiterhin gleichmäßig auf das "reiche" Kind mit mehr Spielzeug und Knabbergebäck und auf das "arme" Kind mit weniger Ressourcen. Hörten sie aber die negative Botschaft, blickten sie deutlich länger auf das „ärmere“ Kind. Damit wurde laut Studie gezeigt, dass die Kleinkinder negatives Verhalten mit den geringeren Ressourcen verknüpfen: Jemand hat weniger, also war er oder sie böse. Die Forschenden schließen daraus, dass die Kinder nicht unbedingt eine Präferenz für reiche Leute haben. Dafür aber eine Abneigung gegen ärmere.
Stigma bei Überschuldung umso stärker
"Menschen mit hohen Schulden werden in unserer Gesellschaft umso mehr stigmatisiert", sagt Eva Münster. Die Menschen glaubten, Überschuldete hätten es sich selbst zuzuschreiben, weil sie schlecht wirtschafteten und schlicht zu viel konsumierten." Tatsächlich sind es aber meist Lebensschicksale, die Menschen in eine Überschuldung treiben", so die Expertin. "Es kann wirklich jeden treffen."
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Was kostet psychische Gesundheit in Deutschland?
Ein Besuch der hausärztlichen Praxis ist – für Menschen mit Krankenversicherung – ja erst einmal kostenlos. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass 2019 etwa 61.000 Menschen in Deutschland nicht krankenversichert waren.
Eigentlich müssten nach der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2007 und der privaten Krankenversicherung 2009 alle Menschen krankenversichert sein. Dennoch haben einige Menschen davor ihren Versicherungsschutz verloren, zum Beispiel aufgrund von Obdachlosigkeit, und ihn bislang nicht wieder aufgenommen.
Die Psychotherapie und die Krankenkassen
Ist beispielsweise eine Psychotherapie nötig, wird diese in der Regel von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Privatversicherte müssen sich allerdings ihren Vertrag genau ansehen, denn nicht immer übernehmen die privaten Krankenkassen die benötigten Leistungen.
Dies wird besonders relevant für Menschen mit Überschuldung, die sich vor ihren finanziellen Problemen für eine private Krankenversicherung entschieden haben. Oder für Selbstständige in einer Privatversicherung, die aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten können.
Für den Besuch bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin ist keine Überweisung nötig. In der ersten Sprechstunde wird zunächst festgestellt, ob eine psychische Erkrankung vorliegt und welche Maßnahmen notwendig sind. Dann muss die Krankenkasse die Therapie genehmigen. Bei dem Antrag helfen in der Regel die Therapeutinnen und Therapeuten.
Ohne Kostenübernahme können viele eine Therapie nicht zahlen
Teuer kann es werden, wenn die Krankenkasse die Therapie nicht genehmigt oder die Leistung in der privaten Versicherung nicht inbegriffen ist. Wie viel genau eine Therapie kostet, hängt von vielen Faktoren ab. Laut der Gebührenordnung der Bundespsychotherapeutenkammer liegt der Preis für eine 50-minütige Verhaltenstherapie bei etwa 80 bis 120 Euro. Je nach Therapieart und Praxis können die Preise schwanken, und in begründeten Fällen sind sogar höhere Gebühren möglich. Ohne die Kostenübernahme durch die Krankenkasse können viele Menschen eine Psychotherapie also kaum bezahlen.
Nur bei zugelassenen Fachleuten
Damit die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden müssen Therapeutinnen und Therapeuten geboten eine spezielle Zulassung für die gesetzlichen Krankenkassen besitzen. Behandlungen in privaten Praxen werden hingegen nur in Ausnahmen von den Krankenkassen übernommen. Im Jahr 2021 etwa lehnten die gesetzlichen Kassen fast die Hälfte aller Anträge auf eine Kostenerstattung ab, wenn es um eine Therapie in einer Privatpraxis ging. Die Betroffenen hatten vorher versucht, einen Termin in einer von der Krankenkasse zugelassenen Praxis zu bekommen – vergeblich.
Ein allgemeiner Mangel an psychotherapeutischen Angeboten besteht nicht. Der Engpass entsteht vielmehr dadurch, dass die Bedarfsplanung festlegt, wie viele Kassensitze für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zur Verfügung stehen dürfen. Diese Planung berücksichtigt jedoch den aktuellen Bedarf unzureichend, insbesondere in ländlichen Regionen.
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Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es?
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Die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle
"Primäre Zielgruppe sind psychisch kranke Menschen und Menschen, die von einer psychischen Erkrankung bedroht sind, die jedoch aus unterschiedlichen Gründen keine medizinischen, ambulanten oder teilstationären Hilfsangebote annehmen beziehungsweise annehmen können", schreibt der Verband auf seiner Webseite. Auch Angehörige und Bezugspersonen dürfen in die Beratung einbezogen werden. So können die Mitarbeitenden darüber aufklären, welche Versorgungsangebote es für die Betroffenen gibt und wie die Familie sie unterstützen kann.
Die nächste PSKB lässt sich über einen PLZ-Finder im Internet finden – oder einfach beim örtlichen DRK-Verband erfragen.
Ein niederschwelliges Angebot bei allen Gesundheitsfragen ist zudem die Telefonnummer 116 117 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Die Nummer ist für alle möglichen Beschwerden gedacht, die nicht warten können, bis ein Arzttermin etwa beim Hausarzt frei ist. Andere telefonische Hilfenummern sind beispielsweise die Nummer gegen Kummer 116 111 (Kinder- und Jugendtelefon) und 0800 111 0 550 (Elterntelefon) oder überregionale Krisentelefone bei Depressionen wie die Telefonseelsorge 0800 11 10 111.
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Verbesserungsmöglichkeiten
Davon abgesehen können verschiedene Maßnahmen die psychische Gesundheit von Erwachsenen und Kindern stärken. Eine Übersichtsstudie sieht Interventionsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen.
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Mögliche Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit
Im Alltag: Verbesserte Arbeitsbedingungen und eine durchdachte soziale Unterstützung bei Arbeitslosigkeit helfen bei der Prävention psychischer Erkrankungen.
In Gemeinschaft: Ein wichtiger Schritt ist die Stärkung der Sicherheit und Verringerung von Gewalt in der Nachbarschaft. Das fördert gleichzeitig die Teilhabe der Menschen am Leben in der unmittelbaren Gemeinschaft.
Staatliche Leistungen: Nicht nur Familien profitieren von einem Zugang zu guter Kinderbetreuung, guten Schulen, dem Gesundheitswesen und sozialen Angeboten.
In der Gesellschaft: Hier geht es um die großen Ziele: Verringerung der Armut, der Ungleichheit und der Diskriminierung. Menschenrechte, die Arbeitsplätze und das Gesundheitswesen sollen gestärkt werden.
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Große Ziele, schwere Umsetzung
Unbestritten ist wohl, dass die Bekämpfung von Armut eins der wichtigsten Ziele unserer Zeit ist. So haben es auch die Vereinten Nationen (UN, United Nations) in ihren "Sustainable Development Goals", also den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung festgelegt. Von 17 großen Hauptzielen steht das Ende der Armut an erster Stelle.
Ideen gibt es viele, an der Umsetzung hängt es häufig. Auch deshalb, weil oft gar nicht sicher ist, wie hilfreich die jeweiligen Ansätze überhaupt sind, sagt Eva Münster: "Viele Präventionsmaßnahmen sind aus einem guten Willen heraus entstanden. Aber ob sie wirklich helfen, ist nicht immer wissenschaftlich belegt, und so kann es passieren, dass die nötigen Gelder einfach verpuffen."
Scheitern an praktischen Fragen
Apropos Geld: "Die Armutsforschung ist sozusagen auch unterversorgt", weiß Eva Münster aus eigener Erfahrung. Es gäbe viele wichtige Forschungsfragen, für die schlicht die Mittel fehlen. In ihrem Kernthema, der Überschuldung, sähe Eva Münster einen guten Schritt in der Kombination von Überschuldungsberatung und psychotherapeutischer Hilfe. "Wenn beide Stellen Hand in Hand arbeiten, könnte das den Betroffenen eine Menge Schwierigkeiten ersparen." Praktisch umsetzen ließe sich das allerdings kaum – zumal sowohl die Beratungsstellen als auch die therapeutischen Angebote ohnehin lange Wartezeiten haben.
Wissen kann Geld sparen
Ein anderer, wichtiger Ansatzpunkt könnte die Wissensvermittlung sein. "Beispielsweise wissen viele Menschen gar nicht, dass sie unter bestimmten Umständen die kompletten Kosten für eine spezifische Behandlung von der Krankenkasse bezahlt bekommen können." Häufig verzichten Menschen mit geringen finanziellen Mitteln auf die vom Arzt verschriebenen Medikamente, weil sie selbst etwas dazu zahlen müssten und es sich schlicht nicht leisten können.
"Dabei gibt es die Höchst- oder Belastungsgrenzen bei den gesetzlichen Krankenkassen: Betragen die jährlichen Kosten der Zuzahlungen mehr als zwei Prozent des Bruttoeinkommens zum Lebensunterhalt aller Haushaltsmitglieder pro Jahr, übernimmt die Krankenkasse ab dann die volle Summe, nach einem entsprechenden Antrag", erklärt Eva Münster. Bei chronisch Kranken geht das schon ab einem Prozent.
Eva Münster sieht da die Krankenkassen in der Verantwortung, die über die Kosten ihrer Versicherten informiert sind und in vulnerablen Fällen direkt über die Härtefallregelung aufklären könnten.
Bürokratische Hürden
Zudem müssen Betroffene derzeit erst einmal nachweisen, dass die Kosten für die Medikamente derart hoch sind: Das bedeutet, ein Jahr lang sämtliche Belege sammeln und dann einen entsprechenden Antrag stellen. In diesem ersten Jahr müssen die Betroffenen die Zuzahlungen noch selbst übernehmen. Gerade für Menschen mit einer psychischen Erkrankung kann der Prozess eine große Hürde darstellen.
Auf diese Weise rutschen manche Menschen auch in Schulden bei der Krankenkasse. Medizinische Leistungen bekommen sie dann nur noch im Notfall bezahlt. Außer, die Betroffenen zahlen die Schulden in Raten ab – was auch nicht alle können.
Bankkonto vorausgesetzt
Zuletzt noch eine Schwierigkeit, die in Deutschland rund eine halbe Million Einwohner betrifft, und für diese eine gewaltige Hürde für die meisten Hilfsmöglichkeiten darstellt: Es gibt Menschen, die kein Konto bei der Bank haben. Manche Hilfsleistungen, wie das Bürgergeld, können auch per Scheck in Anspruch genommen werden, was aber nicht auf alle Leistungen zutrifft und ebenfalls einen Mehraufwand für die Betroffenen bedeutet.
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