Neue Maßeinheiten – gut, aber kompliziert

Nicht nur Physiker:innen wissen: Messungen sind immer ungenau. Deshalb sollen SI-Einheiten wie Kilogramm, Kelvin oder Ampere in Zukunft nur noch berechnet werden. Wissenschaftler:innen fordern eine Neudefinition des Internationalen Einheitensystems (système international d‘unités, kurz SI). Warum? Darum.

Im 19. Jahrhundert wurde in Sèvres bei Paris ein faustgroßer Klotz aus einer Platin-Iridium-Legierung als Urkilogramm bestimmt. Damals erhielt jedes Land eine Kopie dieses Urkilogramms. Und noch heute werden diese speziell angefertigten Metallklötze als Eichmittel für alle Waagen der Welt benutzt. Das Problem: Das Material der Klötze hat sich mit der Zeit verändert – und ihr Gewicht ebenfalls. Heute unterscheiden sich alle "Urkilos“ in ihrer Masse und der Unterschied nimmt zu, zum Teil um ein halbes Mikrogramm pro Jahr.

Diese scheinbar minimale Gewichtsänderung hat fatale Auswirkungen, vor allem bei extrem großen oder extrem kleinen Mengen. Ein Beispiel: Land A will tonnenweise Erdöl an Land B verkaufen. Doch leider bringt das Öl in Land A mehr auf die Waage als in Land B. Die große Frage: Nach welchem Gewicht soll sich der Kaufpreis richten? Ein Streitpunkt, der mit Waagen nicht zu lösen ist. Denn selbst Physiker:innen können nicht mehr genau messen, wie schwer ein Kilogramm wirklich ist.

"Das Urkilogramm hat beispielsweise auch Auswirkungen auf die Messwerte von Ampere, weil diese direkt mit der Masse zusammenhängen“, erklärt Jens Simon, Pressesprecher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Er gehört zu den Unterstützer:innen des neuen SI-Systems. Insgesamt sollen fünf SI-Einheiten neu definiert werden: Kilogramm (Gewicht), Ampere (Stromstärke), Kelvin (Temperatur), Mol (Stoffmenge) und Candela (Lichtstärke).

Das neue SI-System hat aber auch einen großen Nachteil: Unverständlichkeit. Bisher hat jedes Schulkind verstanden, wie das Prinzip Kilogramm funktioniert. Bald wird es viel komplizierter: Gewicht wird dann mit Naturkonstanten berechnet. Das sind abstrakte Gleichungen, die in jedem physikalischen Raum gelten - die aber kaum jemand versteht.

"Im Alltag werden wir die Änderung nicht spüren“, vermutet Simon. Aber in der Wissenschaft, Pharmazie, Medizin und auch in der Industrie können Gewicht, Temperatur und Co. dann exakt berechnet werden – an jedem Ort der Welt. Das neue Einheitensystem tritt sehr wahrscheinlich am 20. Mai 2019 in Kraft.