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Digitalisierung
Darum sind Gesundheits-Apps auf Rezept noch keine gute Idee
Sie speichern Blutzuckerwerte, zählen Kalorien oder warnen vor Pollenflug: Hunderttausende Menschen nutzen Gesundheits- oder Fitness-Apps. Heute wird entschieden, ob manche von Krankenkassen bezahlt werden. Doch das ist der zweite Schritt vor dem ersten.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
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Der Bundesgesundheitsminister will Apps auf Rezept
Anbieter sollen Anträge beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen, das nach einer ersten Prüfung von Qualität und Sicherheit für ein Jahr eine vorläufige Erstattung genehmigen kann. In dieser Zeit muss der Hersteller beim BfArM nachweisen, dass das Angebot positive Effekte für die Versorgung hat.
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Darum müssen wir drüber sprechen:
Gesundheits-Apps sind gefragt – auch Kassen und Pharmafirmen bieten sie an
Allein mit der neuen gemeinsamen Gesundheits-App "Vivy“ von derzeit 26 gesetzlichen und vier privaten Krankenversicherungen können mehr als 17 Millionen Kunden Gesundheitsdaten kostenlos speichern. Und es hört sich ja toll an: Über Gesundheits-Apps lernt man mehr über den eigenen Körper und kann auf Augenhöhe mit dem Arzt sprechen.
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Die Apps können schaden oder manipuliert werden
Selbst wenn die App als Medizinprodukt von den Krankenkassen bezahlt werden soll, reicht bisher eine CE-Kennzeichnung. Das ist keine regelrechte Zulassung mit Nutzen- und Risikobewertung, sondern lediglich eine Zertifizierung durch privatrechtliche "Benannte Stellen“ (zum Beispiel der TÜV). Als Medizinprodukte gelten Apps, die einen klaren medizinischen Zweck haben, also für Diagnose oder Therapie einer Krankheit eingesetzt werden. Apps, die gesundheitsbezogene Daten erfassen wie gelaufene Kilometer oder verbrauchte Kalorien zählen nicht dazu.
Das BfArM soll bei der Prüfung zwar Kriterien wie Datenschutz, Datensicherheit, Transparenz und Nutzerfreundlichkeit berücksichtigen. Wenn ein Arzt eine App an Patienten einsetzen will, muss er aber bisher streng genommen selber klären, ob das Programm für den gedachten Zweck geeignet und erkennbar sicher ist.
Doch Gesundheits-Apps können auch schaden
Etwa wenn ein Programm eine mögliche Krankheit, etwa Hautkrebs, nicht zuverlässig erkennt oder wenn die Messwerte beim Blutdruck oder Blutzucker falsch sind. Wer haftet für die Folgen, wenn eine Erkrankung übersehen wird? Und: Belege dafür, dass Gesundheits-Apps die Gesundheit fördern und langfristige Verhaltensänderungen anstoßen, fehlen bisher. Die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie "Charismha“ („Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps“) gibt 2016 nur "einzelne Hinweise darauf, dass Apps eine positive Auswirkung auf die Zunahme der körperlichen Aktivität, die Anpassung der Ernährung und die Gewichtskontrolle haben können“.
Trotzdem setzen sich schon Produkte im Markt fest, etwa eine App zur Behandlung von Tinnitus, die seit 2015 von mehreren Krankenkassen bezahlt wird, obwohl bisher kein Vorteil gezeigt werden konnte, wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kritisiert. Deshalb schlägt das IQWiG (unter anderem zuständig für Nutzenbewertungen von Arzneimitteln) bei risikobehafteten digitalen Anwendungen eine beschleunigte Nutzenbewertung vor, die eine Erstattungsentscheidung in wenigen Monaten ermöglichen soll. Eine solche Nutzenbewertung fordert auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung, denn es sei unmöglich, dass sich jeder Arzt "mit einer Flut verschiedener App-Produkte beschäftigen“ könne.
Gefahr durch Hacker
Und dann sind da noch die grundsätzlichen digitalen Risiken: Unsere Handys und Tablets haben Sicherheitslücken, ebenso die Server, mit denen die App kommuniziert (Krankenhäuser, Krankenkassen, Arztpraxen, Labore). Einige Gesundheits-Apps verbinden sich direkt nach dem Start, schon vor der ersten Benutzereingabe, mit mehreren Tracking-Diensten auch außerhalb der EU und übermitteln diverse Daten, warnte 2018 die Gesellschaft für Informatik. Befunde, Blutwerte, Medikationspläne, Impfpässe und Röntgenaufnahmen könnten also mitgelesen und manipuliert werden.
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Und jetzt?
Gesundheits-Apps müssen besser geprüft werden
Die Gesellschaft für Informatik empfiehlt, mit Gesundheitsdaten sorgsam umzugehen. Folgende Punkte sollten Nutzer versuchen zu klären, rät Bernhard Breil, Professor für Gesundheitsinformatik an der Hochschule Niederrhein: Wer ist der Anbieter? Wer hat das Produkt mit welcher Kompetenz und welcher Absicht entwickelt? Wer verdient Geld damit? Wo werden die Daten gespeichert?
International ist man schon weiter
Insgesamt hängt Deutschland bei dem Thema ziemlich hinterher. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat zwar eine Orientierungshilfe für die Zulassung von Gesundheits-Apps entwickelt, aus der sich "eine zentrale Anlaufstelle für Gründer und App-Entwickler entwickeln“ soll. Und das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) stellte im Juni 2018 einen Katalog mit 290 Kriterien für die Beschreibung und Bewertung von Gesundheits-Apps online. "Appkri" richtet sich aber vor allem an Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen und Verbände.
Der britische National Health Service (NHS) bietet dagegen bereits eine Apps-Library mit klaren Empfehlungen an und die Schweiz mit "eHealth Suisse“ eine zentrale und übergeordnete Kompetenz- und Koordinationsstelle für digitale Gesundheit und einen mit allen Beteiligten abgestimmten Kriterienkatalog für Gesundheits-Apps.
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