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Crispr
Genmanipulierte Kinder: Ist das bald normal?
Gibt es bereits gentechnisch modifizierte Babys? Ein Fall aus China sorgt für Aufregung – und zeigt erneut, dass der Wissenschaft klare Ziele und Regeln im Umgang mit Embryos fehlen.
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
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In China gibt es möglicherweise die ersten genmanipulierten Babys
Konkret habe der Forscher im Erbgut der Kinder ein bestimmtes Gen verändert, das als Einfallstor für HIV gilt. Die Kinder des an HIV infizierten Vaters sollen demnach nicht an Aids erkranken können.
Doch noch gibt es keinerlei offizielle Bestätigung über die genetischen Experimente. He hat die Forschung im Geheimen durchgeführt, wissenschaftliche Beweise gibt es nicht. Man schließt nicht aus, dass das Ganze nur eine Marketingaktion ist, um Aufmerksamkeit auf die Visionen von Genforscher:innen zu lenken. Doch egal, ob diese Geschichte stimmt oder nicht, die Diskussion um genmanipulierte Embryonen muss endlich geführt werden.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Die Genschere Crispr wird Alltag werden
Der entscheidende Punkt: Wer das Erbgut von Embryonen manipuliert, greift in die sogenannte Keimbahn ein. So nennt sich die Entwicklungslinie von Zellen, deren Gene auch an die Nachkommen weitergegeben werden. Hier technisch einzugreifen, ist für viele Menschen ein Tabubruch – und in der Wissenschaft höchst umstritten. Je nach Land ist die Forschung an Embryonen zwar erlaubt und wurde auch bereits begonnen. Der Unterschied ist nur: Die genveränderten Embryonen wurden bislang nie geboren – und sollten es auch nicht. Nana und Lulu wären nun die weltweit ersten Crispr-Kinder.
Trotz aller Bedenken ruhen auf der Methode viele Hoffnungen. Denn weltweit leiden Millionen Menschen an Krankheiten, die man damit möglicherweise heilen könnte, darunter die Duchenne-Muskeldystrophie, die Huntington-Krankheit oder genetisch bedingte Blindheit. Lassen sich einzelne Gene für die Krankheit ausfindig machen und anschließend mit der Genschere gezielt entfernen oder ersetzen, kann das viele Krankheiten beheben oder gar verhindern. Die Vision ist klar: Crispr wird in Zukunft vermutlich auch immer mehr im menschlichen Erbgut aktiv sein.
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Aber:
Der Einsatz muss gerechtfertigt und sicher sein
Schon kurz nach der Ankündigung folgten weltweite Reaktionen. 122 Forschende aus China verurteilten die Versuche von He in einem Protestbrief. Auch Ethikverbände, Nobelpreisträger:innen und Politiker:innen zahlreicher Länder kritisierten dessen Vorgehensweise. Denn: Die genetische Veränderung des Erbguts sei in diesem Fall weder notwendig gewesen noch könne der Forscher die langfristigen Folgen für die Kinder abschätzen. Nach Berichten amerikanischer Wissenschaftler:innen hatte sich He zwar mit anderen Forschenden über die ethischen Fragen eines solchen Projekts ausgetauscht, sich durch deren Warnungen und Bedenken aber offenbar nicht davon abhalten lassen.
Auch fernab der ethischen Aspekte gibt es Kritik: Das in diesem Fall modifizierte CCR5-Gen ist zwar als Einfallstor für die HIV-Infektion bekannt. Die genetische Veränderung ist laut Fachleuten jedoch keine Garantie dafür, dass die Krankheit niemals ausbrechen kann.
Vor allem aber bedeutet eine HIV-Infektion heutzutage nicht mehr, dass man damit zwangsläufig andere Menschen ansteckt oder die Krankheit auf die Kinder überträgt. Dank der Standardmedikation gelten HIV-Infizierte nicht mehr als infektiös. Die Standardtherapie hätte daher ausgereicht, um die Kinder vor HIV zu schützen.
Der chinesische Forscher hat aber grundsätzlich in Kauf genommen, dass mit dem Einsatz der Genschere Crispr bei den Zwillingen auch andere, lebenswichtige Teile des Erbguts verändert oder geschädigt wurden.
Einige Expert:innen meinen etwa, He habe bei den Babys eine völlig neue Mutation hervorgerufen. Solche sogenannten Off-Target-Mutationen haben Forschende in letzter Zeit auch im Labor häufiger beobachtet. Welche langfristigen Folgen das hat, ist aber noch völlig unklar.
Die meisten Wissenschaftler:innen halten es angesichts dieser Risiken derzeit für nicht vertretbar, Crispr beim Menschen anzuwenden. In vielen Ländern ist die Forschung an Embryos ohnehin stark eingeschränkt, so auch in Deutschland. Doch sind die Regeln oftmals überholt, denn gleichzeitig sind neuere Methoden wie die Präimplantationsdiagnostik erlaubt.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Die Wissenschaft braucht klare Regeln und Ziele
Gleichzeitig zeigt sich, dass internationale, verpflichtende – oder zumindest vereinbarte – ethische Prinzipien für diese Methode weiterhin fehlen. So finden zwar theoretische Diskussionen statt, im Labor aber wird längst geforscht. Immerhin: Als Reaktion auf den Fall aus China hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt angekündigt, ein Gremium aus Fachleuten zusammenzustellen, um klare Richtlinien für den Eingriff ins menschliche Erbgut zu entwerfen.
He selbst hat in einem eigenen Ethikdokument fünf Prinzipien aufgestellt, unter denen er den Einsatz von Crispr für angemessen hält – nämlich nur dann, wenn die Genschere gegen Krankheiten eingesetzt wird. Der andauernden Debatte um Designerbabys, die sich Eltern wie nach Baukastenprinzip zusammenbasteln, erteilt er damit immerhin eine Absage. Doch müsste genau diese Frage auch im größeren Stil diskutiert werden: Wo wollen Forschende und die Gesellschaft als Ganzes eine rote Linie ziehen?
Egal ob es sich letztlich um eine PR-Aktion handelt oder wirklich die ersten genetisch veränderten Kinder auf die Welt gekommen sind: Der Vorfall zeigt, wie sehr die Diskussion um ethische Grenzen hinter der Praxis herhinkt. Die Genschere Crispr wird in der Forschung weiter zum Standardrepertoire gehören, daran wird dieser Fall nichts ändern. Ganz im Gegenteil kann er zeigen, wie schnell der Tag kommen könnte, an dem Kinder nicht nur auf Vater und Mutter zurückgehen, sondern auch auf das Werk von Forschenden – und wie sehr es daher Grenzen braucht, die für alle gelten.