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Quarks Storys Folge 36
Locked-in – wie vollständig Gelähmte kommunizieren können
Es gibt Menschen, die am ganzen Körper gelähmt sind – aber bei vollem Bewusstsein. Wie können sie mit der Außenwelt in Kontakt treten?
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Ein seltenes Krankheitsbild
Es gibt eine Krankheit, die Menschen ihrer Kommunikation beraubt. Sie trägt den Namen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und kann dazu führen, dass die Betroffenen am ganzen Körper gelähmt, aber gleichzeitig bei Bewusstsein sind. "Locked-in“ nennt sich dieser Zustand im letzten Stadium der Krankheit. Hirnforscher Niels Birbaumer hat über 30 Jahre versucht, für die Betroffenen einen Ausweg zu finden – und ihnen dabei zu helfen, wieder mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
Regungslos, aber bei Bewusstsein
Bei der ALS degenerieren die motorischen Nervenzellen, auch Motoneuronen genannt. Weil die Krankheit chronisch fortschreitet, kann das – je nach Form und Ausprägung – dazu führen, dass die Betroffenen die Kontrolle über alle Muskeln verlieren, die sie willentlich steuern können. Dazu gehört auch die Atemmuskulatur, weswegen Atemversagen die häufigste Todesursache der Erkrankung ist.
Wer sich jedoch für eine invasive Beatmung entscheidet, stirbt nicht an der ALS. Allerdings lässt sich die Krankheit nicht heilen und so verlernen die Patient:innen mit der Zeit, selbstständig zu schlucken, zu sprechen – und schließlich sogar zu blinzeln. Wenn sie am Ende nicht einmal mehr die Augen bewegen können, also komplett eingeschlossen sind, dann sprckt man vom Completely Locked-In Syndrom (CLIS).
Wie verändert sich das Denken der Betroffenen?
Was passiert mit unserem Gehirn, wenn wir keine Fragen mehr stellen, keine Wünsche mehr äußern, uns überhaupt nicht mehr mitteilen können? Diese Fragen treiben den Psychologen und Neurowissenschaftler Niels Birbaumer seit über 30 Jahren um. In den 1990er-Jahren haben er und sein Team zum ersten Mal ein Brain-Computer-Interface (BCI) entwickelt. Eine Art Computerprogramm, das Locked-in-Patient:innen Kraft ihrer Gedanken bedienen konnten und mit dessen Hilfe sie einzelne Sätze, teils sogar ganze Texte buchstabieren konnten. Doch das BCI funktionierte nie bei Patient:innen, die komplett eingeschlossen waren.
Eine Kopfhaube analysiert den Blutfluss zum Gehirn
Deswegen probieren Birbaumer und sein Kollege Ujwal Chaudhary in den 2010er-Jahren eine neue Methode: Eine Art Kopfhaube, die mittels funktionaler Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS) den Blutfluss im Gehirn von komplett eingeschlossenen Patient:innen analysiert – und darin Ja-/Nein-Antworten erkennen will. In einem Fachartikel behaupten die beiden Wissenschaftler, dass ihnen die Kommunikation mit vier CLIS-Patient:innen gelungen ist. Eine Sensation! Doch dann attestieren zwei Untersuchungskommissionen Birbaumer und seinem Kollegen wissenschaftliches Fehlverhalten. Birbaumers Ruf ist ruiniert – und wieder steht die Frage im Raum: Wie fühlen und denken Menschen, wenn sie jeden Kontakt zur Außenwelt verloren haben?
Macher:innen
Autorin: Hannah Rau
Moderation: Sebastian Sonntag
Regie: Jana Magdanz
Dramaturgie: Sven Preger
Technik: Timo Ackermann
Redaktion: Maike Westphal
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