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Tagebaue Garzweiler, Hambach und Inden
Braunkohle-Aus: So können wir die gigantischen Flächen im Rheinland nutzen
2038 ist endgültig Schluss mit der Braunkohle. Seen, schwimmende Solarparks – es gibt attraktive Ideen, die riesigen Flächen zu nutzen.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Nach dem Braunkohleausstieg werden im Rheinland riesige Flächen frei
Verschwinden die Schaufelradbagger, heißt das aber auch: Riesige Flächen werden frei – vor allem in Nordrhein-Westfalen. Denn in der Region zwischen Aachen, Düsseldorf, Köln und Mönchengladbach liegt auf insgesamt etwa 2500 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Braunkohlegebiet Europas. Dort baggert der Energiekonzern RWE in den drei aktiven Tagebaugebieten Hambach, Garzweiler und Inden jedes Jahr bis zu 100 Millionen Tonnen Braunkohle ab.
Was bleibt nach Ende des Tagebaus: Eine Region, die etwa dreimal so groß ist wie Berlin – und die Frage, was dann damit geschieht.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Es gibt attraktive Ideen, die Flächen zu nutzen
Wir bekommen drei riesige Seen
Die Dimensionen sind gewaltig. Die Löcher einfach wieder zu befüllen ist schlicht nicht möglich, da die Braunkohle weg ist und dadurch die nötige Masse fehlt. Die Alternative steht schon fest: In den Braunkohlelöchern entstehen Seen. Aus dem Tagebau Hambach wird der größte der drei Seen mit 36 Quadratkilometern, Garzweiler folgt mit 21 Quadratkilometern und der Indesee soll 12,6 Quadratkilometer messen.
Zum Vergleich: Der Biggesee, einer der aktuell größten Seen in Nordrhein-Westfalen, hat eine Fläche von rund acht Quadratkilometern. Dadurch bekommen wir ganz neue Naherholungsgebiete für Abkühlung an heißen Sommertagen. Allein mit dem Anlegen der Seen ist es im rheinischen Revier allerdings nicht getan. Es gibt noch mehr Ideen.
1. Idee: Schwimmende Solarparks
Durch das Ende der Braunkohleverstromung müssen umweltfreundlichere Alternativen her. Die Lösungen dafür haben wir theoretisch: In Nordrhein-Westfalen liegt das Ausbaupotenzial für Fotovoltaikanlagen bei mehr als 100 Gigawatt-Peak (für alle, die es nicht kennen: Watt Peak ist ein Vergleichswert für die elektrische Leistung verschiedener Solarmodule). Bisher nutzen wir weniger als fünf Prozent dieses Potenzials. Zu dem Ergebnis kommt die Zukunftsagentur Rheinisches Revier.
Die Tagebauflächen eignen sich prima für den Aufbau von Solarparks – etwa an den horizontalen Flächen der Abbaugruben, den sogenannten Böschungsbermen. Perfekt ausgerichtet nach Süden könnten sie an den Hängen immerhin so lange stehen, bis sie der langsam steigende See-Pegel erreicht. Eine andere Möglichkeit für Solarenergie liefern die geplanten Seen selbst: Floating-Solar. Das sind Fotovoltaikanlagen, die auf einem schwimmenden Gerüst montiert sind – schwimmende Solarparks. Alleine durch die Größe der Seen gäbe es auf den Wasserflächen genügend Platz für schwimmende Solarparks.
2. Idee: Windparks
Das Ausbaupotenzial für Windenergie liegt laut der Zukunftsagentur auf den Tagebauflächen bei einer Leistung von etwa 1,3 Gigawatt. Würden wir dieses Potenzial vollständig nutzen, könnten die Windräder rund 650.000 Haushalte im Jahr mit Strom versorgen – immerhin etwa sieben Prozent aller Haushalte in Nordrhein-Westfalen.
Die Windräder brauchen dafür aber einen sicheren Stand. "Auf lockerem Boden ist die Gefahr zu groß, dass die Turbinen nicht standhalten. Sie müssen tiefer in der Erde verankert werden“, sagt Professor Thorsten Schneiders von der Fakultät für Anlagen, Energie- und Maschinensysteme der Technischen Hochschule Köln (TH Köln). Die technischen Lösungen dafür gäbe es bereits. Was noch fehlt: die für die Windparks passenden Flächen.
3. Idee: Rekultivierung der Tagebaue
Geht es um den Braunkohletagebau, kommen wir um die Rekultivierung, also die Wiedernutzbarmachung ehemaliger Abbauflächen, nicht herum. Es ist nicht damit getan, die Brachflächen nach dem Abbau sich selbst zu überlassen. Sie müssen so wiederhergestellt werden, dass wir sie für Land- und Forstwirtschaft, Naturschutzgebiete, Industrie oder eben erneuerbare Energien nutzen können. Der Prozess läuft im rheinischen Revier schon, seit es den Tagebau gibt.
Verantwortlich dafür ist in der Region RWE. Nach Ende des Tagebaus plant das Unternehmen, rund um den Tagebau Garzweiler große Areale von Grünflächen anzulegen, also Wälder und Wiesen. Weitere neun Quadratkilometer will RWE für die Landwirtschaft nutzbar machen. Auf dem heutigen Abbaufeld Hambach sollen durch den Erhalt des Hambacher Waldes und weiterer Aufforstung in Zukunft etwa 34 Quadratkilometer Wald entstehen. Für landwirtschaftliche Aktivitäten sind in Hambach rekultivierte Flächen von zwei und in Inden von 24 Quadratkilometern vorgesehen.
Wie können wir uns das konkret vorstellen?
Das Modell "Drehbuch Tagebaulandschaft Garzweiler“ zeigt, wie diese Ideen ganz konkret etwa auf dem Gebiet rund um den Tagebau Garzweiler aussehen könnten. Laut Drehbuch soll ein sogenanntes "grünes Band“ die komplette Tagebaulandschaft umschließen – ein Naturstreifen aus Bäumen und Pflanzen. Es verbindet Siedlungen rund um den Tagebau miteinander und ermöglicht Artenschutz und Biodiversität. Innerhalb des Bandes könnten dann drei Landschaften entstehen.
- Die erste, das Reallabor, dient als Experimentierfeld für neue Energieformen, also etwa dem Aufbau von Windkraftparks, Gewerbe und Landschaftsprojekten.
- Ein "Innovation Valley“ – das ökologische Herz um den Tagebau Garzweiler. Es soll eine vielseitig nutzbare Landschaft sein. Neben unterschiedlichen Feucht- und Trockenzonen könnten sich dort künftig Einrichtungen für Forschung und das Gesundheitswesen ansiedeln.
- Der Garzweiler See:
Als Naherholungsgebiet, Ausflugsziel und Radverkehrsrevier soll dieser Bereich für die nötige Ruhe sorgen.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Noch ist völlig unklar, ob die Ideen umsetzbar sind
1. Problem: Ohne Wasser aus Rhein und Rur keine Seen
Das zeigt schon die geplante Dauer zur Befüllung der Seen. Das Land NRW rechnet mit einem Zeitraum von mindestens 40 Jahren. Bis wir also in einem Garzweiler See schwimmen gehen können, dauert es noch. Hinzu kommt: Durch den jahrzehntelangen Braunkohleabbau ist der Grundwasserpegel in der Region stark gesunken. Würden die Löcher unkontrolliert mit Grundwasser volllaufen, könnten die Ränder, die sogenannten Restseeböschungen, ihre Stabilität verlieren. Die Gefahr: Sie brechen in sich zusammen. Dann hätte es sich mit den Seen erledigt, bevor wir überhaupt unsere Schwimmklamotten anhaben.
Damit das nicht passiert, wollen die Planerinnen und Planer die Seen hauptsächlich mit Wasser aus Rhein und Rur befüllen. Das sorgt nur für ein weiteres Projekt in der Region. Denn damit das Wasser aus dem Rhein in den Tagebau Garzweiler und über eine geplante Verlängerung in den Tagebau Hambach kommt, muss RWE eine etwa 25 Kilometer lange unterirdische Wassertrasse bauen. Sie soll von Dormagen bis zu einem RWE-Firmengelände in Frimmersdorf verlaufen und 2030 fertig sein. Die Wasserpipeline darf dann nur so viel Wasser ableiten, dass der Rheinpegel höchstens einen Zentimeter sinkt, um die Schifffahrt nicht zu gefährden. Die Füllzeit für den Tagebau Hambach hat sich dadurch von 40 auf 60 Jahre verlängert.
2. Problem: Die Chemie muss stimmen
Neben dem Faktor Zeit spielt die Beschaffenheit der Seen eine wichtige Rolle. Das Umweltministerium NRW warnt, den Zufluss von sulfathaltigem Wasser in die Seen zu minimieren – da es ansonsten zur Versäuerung der Seen kommt. Das kann man verhindern: Die Ränder der Seen müssen an möglichst wenig vom Abbau beeinflusste Flächen grenzen und kompakt und tief sein. Das unterstützt ihre chemisch stabile Schichtung.
3. Problem: Es droht Wasserknappheit
Nicht nur die Befüllung der Seen stellt das rheinische Revier vor Probleme. Für den Tagebau musste das Grundwasser jahrzehntelang abgepumpt werden, die sogenannte Sümpfung. Die Folge: Heute ist der Grundwasserpegel tief gesunken. Das abgepumpte Wasser wird in andere Teile der Region geleitet, um etwa Ökosysteme zu versorgen. Endet der Tagebau, fehlt das natürlich. Das Wasser aus Rhein und Rur brauchen wir dann nicht nur für die Befüllung der Seen, sondern auch zum Erhalt der Systeme und zur Stützung anderer Gewässer.
Nur können wir nicht unbegrenzt Wasser aus dem Rhein ins Revier leiten. "Der Wasserbedarf im rheinischen Revier wird nach Ende des Tagebaus steigen. Dadurch könnten Konflikte um Wasser zunehmen, die der Klimawandel durch Trockenheitsperioden voraussichtlich auch noch verstärken wird“, warnt etwa Professor Lars Ribbe, Gründungsdekan der Fakultät für Raumentwicklung und Infrastruktursysteme an der TH Köln.
4. Problem: Windparks ja, aber nicht in meinem Garten!
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen strebt im rheinischen Revier bis 2030 ein starkes Wachstum bei erneuerbaren Energien an: Sie will die Leistung auf 10,5 Gigawatt Wind und 11,5 Gigawatt Fotovoltaik verdoppeln. Bis 2050 will sie die Energieversorgung dann hauptsächlich über Wind, Fotovoltaik, Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung, Geothermie und grünen Wasserstoff sichern. Gutes Ziel. Was für den weiteren Ausbau aber fehlt, ist schlicht die Akzeptanz für Solar- und Windparks.
Die Zukunftsagentur rheinisches Revier schreibt: "Der Widerstand gegen neue Windenergieprojekte hat in der Umgebung von potenziellen Standorten spürbar zugenommen. Die Folge sind Mehrkosten und Verzögerungen durch juristische Interventionen von Interessengruppen.“
Ein ähnliches Problem sieht Thorsten Schneiders von der TH Köln. Er befürchtet, dass viele Landwirtinnen und Landwirte ihre rekultivierten Böden, die sie von RWE zurückbekommen, nicht für erneuerbare Energien hergeben wollen. Denn die in der Region meist sehr nährstoffreichen Flächen eignen sich gut für den Ackerbau.
"Eine Lösung kann Agro-Fotovoltaik, also Solaranlagen auf hohen Stelzen über den Ackerflächen, sein. So können die Böden gleichzeitig für Landwirtschaft und Solarparks genutzt werden.“ Laut Schneiders braucht es dafür aber eine Initialzündung, also gemeinsame Projekte von Landwirten und Energieversorgern. Noch überwiegt die Sorge, dass diese Konstruktionen das Bewässern und Bewirtschaften der Äcker erschwert.
Ähnliche Konflikte bahnen sich in vielen Bereichen bei der Frage nach der zukünftigen Nutzung der Tagebauflächen an. Die Zukunftsagentur erwartet etwa auch Konkurrenz in der Frage: Neue Naherholungs- und Naturgebiete – oder neue Flächen für Wohnen, Gewerbe und Industrie? – Ende offen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Die Politik, Kommunen und Bürgerinnen und Bürger sind gefragt
Klingt kompliziert? Ist es auch. Damit die Neugestaltung von Garzweiler, Hambach und Inden klappt, müssen die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger die unterschiedlichen Ideen und Projekte sinnvoll koordinieren. Eine Aufgabe, die uns wohl noch länger beschäftigen wird. Unlösbar ist sie aber nicht.
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