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Insekten in Not
Darum ist das Insektensterben ein echtes Problem
Die Insekten in Deutschland werden immer weniger. Die Gründe dafür sind vielfältig – die Auswirkungen auch. Klar ist: Das könnte für uns alle übel enden.
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Die Insekten sterben
Der Entomologische Verein Krefeld hat in dieser Zeit fliegende Insekten gesammelt und gewogen. An zwei Standorten stellten die Insektenforscher:innen einen Rückgang von bis zu 80 Prozent der Insektenmasse fest.
Die von den Hobbyforscher:innen erhobenen Daten bestätigte ein Forschungsteam um Prof. Caspar Hallmann der Universität Radboud. Deren Publikation liefere den Beleg dafür, dass wirklich ein großflächiges Phänomen vorliege, erklärt der nicht an der Studie beteiligte Prof. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).
"Die Ergebnisse der Untersuchung sind schockierend. Die Arbeit ist methodisch sauber und zeigt flächendeckend für eine große geografische Region Mitteleuropas einen massiven Biomasserückgang für Insekten. Wir befinden uns mitten in einem Albtraum, da Insekten eine zentrale Rolle für das Funktionieren unserer Ökosysteme spielen", warnt Prof. Johannes Steidle der Universität Hohenheim.
In einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2019 bestätigten Wissenschaftler:innen um den australischen Ökologen Francisco Sánchez-Bayo vom Sydney Institute of Agriculture diese Entwicklung auch global.
Sie werteten 73 Studien über den Rückgang unterschiedlicher Insektenarten aus. Die Daten kamen zum überwiegenden Teil aus Westeuropa und Nordamerika. Die Forschenden stellten fest, dass der Bestand von mehr als 40 Prozent aller Insektenarten weltweit zurückgeht. Betroffen sind vor allem Schmetterlinge, aber auch Hautflügler, zu denen Ameisen, Wespen und Bienen gehören.
Die Wissenschaftler:innen warnen davor, dass es in 100 Jahren keine Insekten mehr geben könnte, wenn weiterhin jedes Jahr so viele Arten aussterben. Diese Prognose ist allerdings wissenschaftlich nicht haltbar – zu viele Faktoren sind nicht vorhersehbar.
Im April 2020 erschien eine weitere große Übersichtsstudie zur Zahl der Insekten. Dabei werteten Forschende um Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) 166 bestehende Langzeitstudien aus verschiedenen Orten aus. Das Ergebnis: Die Insekten an Land werden immer weniger. Ihre Zahl ist durchschnittlich um etwa ein Viertel in 25 Jahren gesunken.
Allerdings zeigte die Arbeit, dass es im Detail viele Unterschiede gibt. Denn die Zahl der im Wasser lebenden Insekten steigt nach dieser Erhebung im Gegensatz zu den Insekten an Land wieder an. Und auch von Ort zu Ort sind die Unterschiede nach dieser Studie groß. Warum das so ist, kann die Arbeit nicht genauer erklären. Dafür sind die Daten nicht aussagekräftig genug.
Doch klar ist, dass es ein massives globales Insektensterben gibt. Und das beeinflusst uns alle.
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Darum müssen wir drüber sprechen:
Ohne Insekten brechen die Ökosysteme zusammen
Bestäuber sind für etwa 35 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich und für bis zu 40 Prozent für die Versorgung mit Mikronährstoffen wie Vitamin A. Ohne Insekten würde es weniger Früchte, Gemüse und Nüsse geben. Die Blüten müssten per Hand bestäubt werden.
Mehrere Millionen Menschen würden jedes Jahr als Folge der Mangelernährung sterben.
Ohne Insekten verarmen ganze Lebensräume, sie sind die Grundlage für das Funktionieren von Ökosystemen.
Für das Ökosystem "Wiese“ hat ein Experiment der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) untersucht, wie wichtig Tiere verschiedener Größe sind. Das Ergebnis: Ohne die großen Tiere wie zum Beispiel Hirsche funktioniert das Ökosystem anders, aber nicht schlechter. Ohne Insekten geht die Pflanzenvielfalt auf der Wiese zurück, die Wiese verarmt und kann weniger gut auf geänderte Umweltbedingungen reagieren. In verarmten Ökosystemen wiederum finden weniger Tiere Nahrung und Lebensraum. Das Artensterben wird noch weiter beschleunigt.
Insekten sind außerdem ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Alleine ihre Bestäubungsleistung wird auf 153 Milliarden Euro im Jahr geschätzt.
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Aber:
Die Gründe für das Insektensterben sind vielfältig
Dazu kommt der Einsatz von Pestiziden. Diese treffen oft nicht nur die Schädlinge, sondern auch alle anderen Insekten.
Besonders in der Kritik sind die Neonicotinoide (NNI). Die hochwirksamen Insektennervengifte werden seit Mitte der 1990er-Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt. Mit ihnen wird das Saatgut behandelt. Mit dem Wachsen der Pflanze verteilt sich das Gift bis in die Pollen und den Nektar.
Inzwischen gibt es einige Studien, die negative Auswirkungen der Neonicotinoide auf Bienen belegen. So berichteten Schweizer Forschende 2016 im Fachmagazin "Proceedings of the Royal Society B", dass bestimmte Neonicotinoide die Fruchtbarkeit männlicher Honigbienen verringern und deren Lebensspanne senken.
Eine Untersuchung des Neurobiologen Randolf Menzel der FU Berlin zeigt, dass Neonicotinoide das Gedächtnis von Bienen beeinflussen. Zwei aktuelle Studien aus Großbritannien bestätigen den schädlichen Einfluss. An der Studie aus Großbritannien werden methodische Schwächen kritisiert, die gemessenen Parameter seien sehr grob. Dennoch zeigt die Studie klare Effekte auf die Überwinterungsfähigkeit von Bienen.
Auch der Anbau von Monokulturen trägt zum Insektensterben bei. In Agrarlandschaften ohne Kräuter, Blühpflanzen, Hecken und Randstreifen auf den Feldern finden Insekten kaum Nahrung und Lebensraum.
Der Klimawandel führt unter anderem dazu, dass viele Pflanzen früher blühen. Der frühere Blühzeitpunkt bringt den Rhythmus mancher Insekten durcheinander. So steuert zum Beispiel bei Schmetterlingen die Tageslichtlänge, wann sie aus der Winterpause erwachen. Wenn dann ihre Futterpflanzen bereits abgeblüht sind, finden sie keine Nahrung mehr.
Andere Insekten werden vom Klimawandel profitieren und sich stark vermehren. Durch die milden Winter überleben mehr Parasiten und machen auch den Insekten zu schaffen.
In den letzten Jahrzehnten wurden außerdem immer mehr Flächen in Deutschland für neue Siedlungen, Verkehr und Gewerbe versiegelt. Verlorener Lebensraum für Insekten.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Insekten müssen geschützt werden
Ein Zusammenschluss von 150 europäischen Forschenden hat einen Neunpunkteplan zur Rettung der Insekten aufgestellt. Die Wissenschaftler:innen fordern die Einschränkung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft. Neonicotinoide und Totalherbizide sollten komplett verboten werden. Sie raten außerdem zu insektenfreundlicheren Grünflächen und Naturschutzgebieten, um dort die Artenvielfalt zu erhöhen. Die Behörden müssten dafür mit mehr Geld ausgestattet werden. Bei der Straßenbeleuchtung sollten nur noch LED-Lampen verwendet werden, die für Insekten weniger attraktiv seien – besonders bläuliches Licht zieht Insekten stark an.
Die Anzahl der Insekten im Wasser stieg nach der oben beschriebenen weltweiten Übersichtsstudie aus April 2020 global zwar wieder leicht an, aber auch für die Wasserinsekten fordern Fachleute weitere Verbesserungen. In den letzten Jahren sind viele Bäche und Flüsse renaturiert worden: Betonrinnen wurden entfernt und wieder natürliche Bachbetten mit Kurven und Auen geschaffen. Das hilft auch Insekten. Allerdings: Laut dem Gewässerökologen Prof. Peter Haase vom Senckenberg-Institut in Frankfurt sind das bisher nur kurze Abschnitte der Flüsse. Außerdem sei das Wasser weiter zu stark mit Schadstoffen belastet. Um Wasserinsekten effektiv zu schützen, sei es zum Beispiel sehr wichtig, dass weniger Pestizide von den Feldern in die Bäche gelangten.
EU-Agrarsubventionen müssen nach Ansicht der 150 Fachleute an ökologische Leistungen der Landwirt:innen gekoppelt werden. Außerdem brauche es eine Forschungs- und Bildungsoffensive in Deutschland, da die Artenkenntnisse der Menschen im Land gering seien. Auch Privatgärten ließen sich insektenfreundlicher gestalten. Tipps dafür findest du hier.
Autoren: Monika Sax, Mathias Tertilt, Alexandra Hostert
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Sie schreiben: „Die Biomasse von fliegenden Insekten ist zwischen 1989 und 2014 insgesamt um über 75 Prozent zurückgegangen. Erhoben wurden die Daten an 63 Standorten in Naturschutzgebieten in NRW, Rheinland-Pfalz und Brandenburg.“ Das soll doch wohl heißen: Die Biomasse ist in den erforschten Naturschutzgebieten um 75 Prozent zurückgegangen, oder? In… Weiterlesen »
Hi! Wir würden das weiterhin so stehen lassen, da es eine repräsentative und valide Untersuchung ist, also lassen sich die Ergebnisse (wenn auch vielleicht nicht zu 100%, aber doch zumindest weitestgehend) auch auf die nicht untersuchten Gebiete übertragen. Dennoch verstehen wir deine Sorge und halten die Entwicklung auch für dramatisch… Weiterlesen »
Was hier noch nicht erwähnt wird sind die Autos. Rechnet man das mal hoch kommt da sehr viel zusammen.
Man muss die Geschwindigkeit zur Insektenflugzeit auf min 80 kmh oder mehr reduzieren.
https://www.wochenblatt-dlv.de/politik/insektensterben-autofahrer-schuld-552284
Ich schreibe momentan eine Belegarbeit und dieser Beitrag bietet mir eine gute Grundlage. Ich meine aber, dass zu einigen Aussagen keine Quelle angegeben wurde, z.B. zu „Die Hälfte aller auf der „Roten Liste“ stehenden Pflanzenarten ist laut einer Studie des Umweltbundesamtes wegen zu viel Stickstoff bedroht.“ Könntet ihr die vielleicht… Weiterlesen »
Hallo Marie, schön, dass dir der Text hilft! Die Studie findest du hier: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/einfluss-von-atmosphaerischen-stickstoffeintraegen — Wir sehen zu, dass sie noch verlinkt wird. Danke.
Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht kann mir irgend jemand meine (seit Jahren) Beobachtungen bestätigen? Ich sehe, wenn ich im Gras liege fast nur noch Ameisen jeglicher Form und Rasse! Egal ob im eigenen Garten wo alles mögliche wächst für die verschiedensten Insekten oder auch auf sonstigen Wiesen. Und die… Weiterlesen »
Bitte korrigieren Sie Ihre Angaben zur Bedeutung von Insekten zur Erzeugung von Nahrungsmitteln: Ihre Beispiele sind falsch: Bei Möhren werden die Wurzeln gegessen, ein Blühen der Möhren ist unerwünscht.(außer zur Erzeugung von Saatgut) Zucchini sollen nicht befruchtet werden, wenn Samen entstehen werden sie ungenießbar. Auch Brokkoli wird gegessen bevor er… Weiterlesen »
Hallo,
danke für das Feedback. Haben Sie eine gute Quelle für Ihre Aussagen? Zu den Zucchini zum Beispiel haben wir nur Informationen gefunden, dass das Bestäuben die Ernte erhöht. Auch manche Nussarten setzen auf Bestäuber, es geht uns ja nicht nur um Hasel- und Walnuss. 🙂
Viele Grüße
Ihr Quarks-Team
Na ja, aber das Saatgut braucht man doch schon auch, sonst gibt es keine Möhren mehr. Zucchini werden ungenießbar, wenn Samen entstehen???? Häh?
In der Tat, bei der naechsten Generation aus diesen Samen koennen die urspruenglich weggezuechteten Bitterstoffe/giftstoffe wieder in der pflanze aufschlagen ..