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Reitsport
Darum sind Galopprennen kein Spaß für Pferde
Am Wochenende zum Pferderennen und richtig Kohle absahnen? Für die Pferde bedeutet der Renntag vor allem eins: Stress. Und für manche sogar den Tod.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Pferderennen stehen immer wieder in der Kritik
Wie die Tiere tatsächlich empfinden, lässt sich leider nicht herausfinden. Studien konnten aber zeigen, dass sich bei Rennpferden Krankheiten häufen, die auf Stress zurückzuführen sind.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Viele Pferde leiden unter dem Sport
Doch das täusche, sagt Pferdetierärztin Dr. Anna Ehrle: “Man darf nicht vergessen, dass die Pferde das Kapital der Besitzer und Trainer sind und ihnen auch sehr am Herzen liegen. Niemand hat Interesse daran, dass ein Pferd krank oder verletzt im Stall steht. Sportpferde werden in der Regel von Fachleuten betreut, die sich mit der Pferdepflege und -gesundheit bestens auskennen.” Rennpferde könnten nur Höchstleistungen bringen, wenn sie in Topform seien. Daher sind Ehrles Erfahrung nach Rennpferde gesundheitlich oft besser versorgt als viele Freizeitpferde.
Ist die Kritik also unberechtigt? Wir haben vier häufige Vorwürfe überprüft:
Vorwurf 1: “Die Peitsche wird übertrieben eingesetzt.”
Der Einsatz der Peitsche ist bei deutschen Galopprennen stark reglementiert: Sie darf pro Rennen höchstens fünfmal benutzt werden. Dabei muss sie vor dem Schlag ins Blickfeld des Pferdes geführt werden. Das sei so vorgeschrieben, weil bereits das Anzeigen der Peitsche eine motivierende Wirkung auf das Pferd haben könne, so ein Ausbilder des Verbands Deutscher Galopp.
Auch für den Aufbau der Peitsche gibt es strenge Regeln: Die Peitsche muss an der Spitze gepolstert sein und darf an keiner Stelle schmaler als acht Millimeter sein. Das soll dem Schlag die Wucht nehmen. Wird die Peitsche zu oft oder zu massiv gebraucht, kann es Geldstrafen geben oder das Pferd wird für weitere Rennen gesperrt. Die Bestrafung liegt im Ermessen der Turnierrichter:innen.
Laut Rennsportverband dient die Peitsche vor allem der Sicherheit: Sie helfe dem Jockey oder der Jockette, das Pferd in der Spur zu halten, damit es keine Unfälle gibt. Tierärztinnen und Tierärzte würden die Pferde außerdem vor und nach jedem Rennen auf Verletzungen untersuchen. Allerdings: So lässt sich nicht prüfen, wie stark die Peitsche im Training eingesetzt wird.
Studien haben gezeigt: Jockeys und Jocketten peitschen vor allem zum Ende des Rennens, wenn die Pferde erschöpft sind. Schneller werden die Tiere durch den Peitscheneinsatz aber nicht. Auch einen Einfluss auf die Platzierung konnte die Studie nicht nachweisen.
In Zeitlupenaufnahmen konnten Forschende außerdem sehen, dass in 80 Prozent der untersuchten Fälle nicht nur der gepolsterte Teil der Peitsche den Pferdekörper trifft, sondern auch der härtere Teil. Sie gehen davon aus, dass eine wiederholte Reizung derselben Körperstelle auch ohne sichtbare Verletzung dazu führt, dass das Pferd schmerzempfindlicher wird.
Vorwurf 2: “Pferde verletzen sich oft beim Galopprennen.”
Im Jahr 2019 kam es in Deutschland zu neun Unfällen mit Todesfolge: Das Pferd starb direkt durch den Unfall oder musste noch auf der Rennbahn eingeschläfert werden. Meist handelt es sich bei solchen Unfällen um Beinbrüche oder Sehnenschäden. Weil Pferde ihre Beine nicht “hochlegen” können, lassen sie sich schwer behandeln. Tierärzte und Besitzer entscheiden dann, ob das Tier weiterlebt.
Klar: Neun tote Pferde sind neun zu viel.
Aber: Insgesamt fanden 2019 an 146 Renntagen 1144 Rennen statt. Registriert wurden 10.094 Einzelstarts – welches Pferd wie oft startet, wird nicht erfasst. Man könne davon ausgehen, dass ein Rennpferd pro Jahr vier- bis fünfmal startet, so der Rennsportverband Deutscher Galopp, der die Daten über Zucht und Wettkämpfe erhebt.
Auch wenn das verletzte Pferd am Leben bleibt, bedeuten solche Verletzungen meist das Karriere-Aus im Rennsport. Die Tiere werden dann entweder in der Zucht eingesetzt oder verkauft. Wenn sie nicht (mehr) für Rennen oder Zucht registriert sind, verfolgt der Verband die Pferde nicht weiter. Es ist daher unklar, wie viele Rennpferde mit Folgeschäden weiterleben – oder ob sie auch eingeschläfert werden.
Unbekannt ist auch, wie viele Pferde sich während des Trainings verletzen.
Vorwurf 3: “Pferde leiden unter Angst und Stress.”
Für einen TV-Beitrag hat Quarks 2019 bei einem Pferderennen in Köln gedreht. Die Bilder zeigen: Einige Pferde wirkten sehr gestresst und waren unruhig. Eines war schon vor dem Rennen nass geschwitzt – der Rennbahntierarzt schloss es vom Rennen aus.
Andere Tiere weigerten sich, in die Startboxen zu gehen. Das klappte erst mit Hilfsmitteln wie Ohrstöpseln, Hauben oder Scheuklappen über den Augen. Ein Pferd wurde mithilfe einer Schärpe, die um die Hinterbeine gelegt wird, in die Box “gezogen”. Tierschützer:innen sehen hier zu viel Zwang.
Tatsächlich zeigen viele Studien, dass Pferde am Renntag erhöhte Cortisolwerte aufweisen. Das deutet auf Stress hin. Der kann durch die fremden Geräusche und Gerüche auf der Rennbahn entstehen, aber bei erfahrenen Pferden bereits durch die Erwartung des Rennens – das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Ein Forscherteam aus Lissabon stellte 2016 fest: Die biologische Reaktion auf kurzzeitige Stressauslöser kann dem Pferd sogar helfen, die Situation besser zu meistern.
Verhaltensbiologin Dr. Kathrin Kienapfel-Henseleit bestätigt: “Ein potenziell guter Maßstab, um herauszufinden, ob ein Pferd etwas gerne tut, ist zu schauen, ob das Pferd das Verhalten auch zeigt, wenn es die Wahl hat.” In diesem Fall könnte ein Indikator sein, ob das Pferd ohne Druck und zügig in die Startbox geht, was durchaus auch vorkommt.
Ein Indiz für eine zu hohe Stressbelastung sind Magengeschwüre, die bei Rennpferden deutlich häufiger auftreten als bei anderen Pferden.
Neben Stress begünstigen aber auch andere Faktoren die Entstehung von Magengeschwüren: Rennpferde bekommen getreidereiches Kraftfutter, das die Leistung steigern soll. Die Pferdeverdauung ist aber vor allem auf sogenanntes Raufutter wie Gras oder Heu ausgelegt. Dazu kommt: Die obere Hälfte des Pferdemagens ist säureempfindlicher. Während der Rennen ist der Magen fast leer und die Säuren verteilen sich durch die Bewegung im ganzen Magen. Die Geschwüre bilden sich vor allem in der oberen Magenhälfte.
Mit gutem Training können Pferde lernen, mit Stress umzugehen. Wichtig dafür ist auch der regelmäßige, artgerechte Kontakt zu anderen Pferden, etwa durch gemeinsamen Weidegang.
Vorwurf 4: “Rennpferde beginnen zu früh mit dem Training.”
Das ist umstritten. Viele Rennpferde beginnen im Alter von zwei Jahren mit dem Training. Zum Vergleich: Üblich ist das sogenannte Anreiten in anderen Reitsportdisziplinen im Alter von etwa drei Jahren – abhängig davon, ob das Skelett und die Muskulatur bereits genug ausgebildet sind, um das Gewicht eines Reiters oder einer Reiterin zu tragen.
Kritiker:innen meinen daher, dass Rennpferde körperlich im Alter von zwei Jahren noch gar nicht bereit für die starke Belastung seien.
Befürworter:innen des frühen Trainingsbeginns halten dagegen, dass gerade ein früher Trainingsbeginn zu einer optimalen Anpassung an die Belastung führt. Immer wieder taucht auch das Argument auf, dass Rennpferde “frühreif” und daher schneller ausgewachsen seien als andere Pferderassen.
Fakt ist: Mit zwei Jahren sind die meisten Pferde noch nicht ausgewachsen – eine Frühreife bei Rennpferden gibt es nicht. Wenn Rennpferde mit zwei Jahren ins Training starten, sind Muskulatur und Knochenapparat noch im Wachstum.
Studien zeigen aber: Entscheidend ist hier nicht, wie alt das Pferd zu Trainingsbeginn ist, sondern wie das Training abläuft und wie gut die allgemeine Versorgung ist. Auch die Fütterung muss gut abgestimmt sein: Sie beeinflusst unter anderem, wie schnell ein Pferd wächst.
Passen Training und Versorgung zum körperlichen Zustand des Pferdes, ist ein frühes Training laut Studien tatsächlich besser fürs Pferd: Forschende konnten zeigen, dass früh antrainierte Pferde sich über die Lebensspanne seltener verletzen, weil der Körper besser an die Belastung angepasst ist.
Weitere Angaben zum Artikel:
Welche Pferde werden für Galopprennen eingesetzt?
Während Menschen immer wieder neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen, blieb die Höchstgeschwindigkeit bei Rennpferden in den letzten Jahrzehnten auf einem Level – zumindest auf mittleren bis großen Distanzen. Das zeigt: Zucht und Versorgung sind in dieser Hinsicht bis zum Maximum optimiert worden und eine natürliche Grenze ist erreicht.
Auf der kürzesten Rennstrecke – eine Distanz von etwa 1200 Metern – wurden die besten Rennpferde zwischen 1997 und 2012 etwa zwei Stundenkilometer schneller: Statt 59 Kilometer pro Stunde schafften sie nun eine Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 61 Kilometer pro Stunde.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
In Deutschland sieht’s im internationalen Vergleich noch ganz gut aus
Die Rennbahnbetreiber:innen gaben in Interviews an, der Untergrund habe sich durch starken Regen verhärtet. Tierschützer:innen glauben aber, dass verletzte Pferde unter Schmerzmitteln an den Start gegangen sind und der Belastung nicht standhalten konnten. Eine aussagekräftige Untersuchung fehlt bisher. Mittlerweile finden in Santa Anita Park wieder Rennen statt – jetzt mit stärkeren Dopingkontrollen.
Auch in anderen Reitsportdisziplinen kommt es zu tödlichen Unfällen bei Turnieren, etwa beim Spring- oder Vielseitigkeitsreiten. Anders als beim Galopprennen werden diese Zahlen aber nicht gebündelt erhoben. Noch unklarer ist auch hier, wie die Zahlen abseits der Turniere im Training aussehen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Es ist eine ethisch-moralische Frage
Wie die Pferde beim Rennen wirklich empfinden, können wir nicht wissen. Sie können laut Studienlage lernen, mit dem Stress umzugehen, und sie können körperlich auf die Belastung vorbereitet werden. Dass sie einen sportlichen Kampfgeist entwickeln, hält Verhaltensbiologin Kienapfel-Henseleit aber für sehr unwahrscheinlich: “‘Kampfgeist’ würde ich nur in Form von Konkurrenz gelten lassen. Dies tritt eher bei verknappten Ressourcen auf, besonders bei Primärquellen wie Futter und Wasser und auch bei der Wahl der Sexualpartner.” Nicht aber aus Freude am Wettkampf selbst.
Über den/die AutorIn:
Die Peitsche (Reitgerte mit weichem Endstück) darf seit 01.01.2023 nicht mehr als 3 Mal im gesamten (!) Rennen eingesetzt werden. Im Ausland ist es maximal 5. Vor dem eigentlichen Einsatz muss dem Pferd die Peitsche gezeigt werden: Was also aussieht, als würde der Reiter jedes Mal von vorne nach hinten… Weiterlesen »
Das Zeigen der Peitsche hat eine „motivierende Wirkung“? Klingt für mich sehr seltsam.
Lasst doch bitte diese Gendersprache weg und verwendet einfach korrektes Deutsch. Oder wenn Ihr schon „gendert“, dann bitte richtig. „Rennveranstalter, Hersteller für Pferde- und Jockey-Ausstattung, Futterproduzenten, Züchter und Pferdehändler“ „Man darf nicht vergessen, dass die Pferde das Kapital der Besitzer und Trainer sind und ihnen auch sehr am Herzen liegen.“… Weiterlesen »
Vielen Dank für diesen guten und sachlichen Bericht. Meine Eltern sind selbst im Galoppsport aktiv und wir besitzen aus selbst Rennpferde und züchten auch selbst. Ich möchte nur zwei Aspekte ergänzen: Erstens steht das Tierwohl bei mindesten 99% der Besitzer im Galoppsport immer an erster Stelle. Geld verdienen kann man… Weiterlesen »
Ein schlauer Mann sagte mal, „Rennpferde sind die schönste Geldvernichtungsmaschine der Welt.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. 😉
Ich war am Wochenende zum ersten mal bei einem Galopprennen dabei. Es hatte schon eine große Faszination auf mich, wobei ich auch glaube, dass es für Pferd und Jockey sicherlich angenehmere Zusammenkünfte gibt als gaffende Zuschauer und die lautstarke Beschallung, etc. Was ich absolut bemerkenswert bei meiner Besuch fand, war,… Weiterlesen »