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Artenschutz
Darum töten Zoos auch gefährdete Tiere
Zoologische Gärten dürfen überzählige Tiere töten. Das betrifft auch Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Wie kann das sein?
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Zoos töten regelmäßig gesunde Tiere
Die Entrüstung kam später. Im Netz. Artikel aus den USA, dann weltweit berichteten über die öffentliche Obduktion der post mortem berühmt gewordenen Giraffe "Marius" aus dem Kopenhagener Zoo.
Überzählige Tiere werden regelmäßig getötet
Der Grund: Marius war gerade mal zwei Jahre alt. Er war auch nicht krank. Er zählt sogar zu einer bedrohten Tierart, also etwas, das der Zoo Kopenhagen wie viele andere Einrichtungen schützen will. Das Problem: Mit dem Erbgut der Giraffe konnte der Zoo für die Zucht nichts anfangen.
Für Zoos ist es relativ üblich, solche "überzähligen Tiere", wie sie genannt werden, zu töten. Solche Obduktionen gehören in Dänemark zum Pflichtprogramm für Schüler:innen. Überall anders auf der Welt aber war das Entsetzen groß. Dann wurde das Fleisch an die Löwen verfüttert.
Das Heile-Welt-Bild der Zoos mag dann in vielen Köpfen gebröckelt haben. Und immer wieder wurde die Frage gestellt: Dürfen Zoos das?
Artikel Abschnitt: Deshalb müssen wir drüber sprechen:
Deshalb müssen wir drüber sprechen:
Zoos produzieren einen Überschuss an Tieren
An der Praxis hat der internationale Aufschrei kaum etwas geändert. Einige Zoos sind vielleicht vorsichtiger, aber getötet wird weiterhin. Am Eingang des Nürnberger Zoos lässt sich nachlesen, welche Tiere getötet und verfüttert wurden.

Wie viele Tiere das insgesamt jährlich betrifft, wird nicht systematisch erhoben. Der europäische Zooverband EAZA spricht von 3000 bis 5000 Zootieren in Europa pro Jahr.
Es kann mehrere Gründe dafür geben und die Argumentation ist komplex, aber fangen wir vorne an.
Die Nachzucht gehört zur Aufgabe der Zoos
Gestorben wird immer, aber in der Natur beschleunigt sich derzeit die Rate, mit der Tierarten für immer verschwinden. Vielen Tierarten können wir beim Aussterben zuschauen. Seit der EU-Zoorichtlinie ist es Aufgabe der Zoos, etwas für den Artenschutz zu tun.
Waren Zoos früher ausschließlich Freizeiteinrichtungen, in denen Zoodirektoren stolz exotische Tiere aus den entlegensten Winkeln der Erde präsentierten, sind sie heute auch ein großes Netzwerk von Zuchtanstalten.
In den europäischen Erhaltungsprogrammen (EEPs) etwa wollen die unterschiedlichen Zoos im Verbund bedrohte Tierarten und ihr Erbgut erhalten. Der Zeitraum wird oft mit bis zu 100 Jahren angesetzt – so lange sollen die Zoos die Tiere als gesunde (Reserve-)Population bewahren.
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Die Kontroverse: Artenschutz in situ versus ex situ
Hilfreicher wäre es, die Lebensräume zu schützen und die Tiere vor Ort wieder zu vermehren (in situ), also direkt in deren Heimat. Bei manchen Arten klappt das, bei anderen aber ist der Lebensraum so stark bedroht, dass die Zoos (ex situ) als letzte Option gelten. Manche Länder haben wenige der letzten Exemplare in europäische Zoos geschickt, um sie dort zu erhalten.
Derzeit fahren Artenschutzprojekte und Zooverbände immer häufiger eine zweigleisige Strategie. Doch der Wandel ist zeit- und kostenintensiv. Bis der Artenschutz eine höhere Priorität als Freizeit- und Wirtschaftsfaktoren einnimmt, werden in zahlreichen Zoos noch viele Jahre vergehen.
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Manche Tiere erkranken ohne Fortpflanzung
Bis in die 1970er-Jahre wurden Zootiere noch in der Wildnis eingefangen, importiert und gehalten. Alte Tiere wurden früher einfach durch neue Wildfänge ersetzt. Das ist inzwischen verboten oder zumindest erschwert. Heute sollen sich die Tiergruppen selbst erhalten, sich also im Zoo fortpflanzen.
Im Grunde sind Zoos so auch eine Art Tierfabrik, die am laufenden Band Tiere produziert. Die Fortpflanzung ist nicht nur das Mittel der Zucht. Sie kommt den Tieren auch insofern zugute, als sie so ihre natürlichen Verhaltensweisen der Balz, Fortpflanzung und Jungtieraufzucht ausleben können. Gibt es diese Möglichkeit nicht, kann es Probleme geben: Nashornarten etwa entwickeln Krankheiten im Geschlechtstrakt, wenn sie sich nicht früh fortpflanzen.
Wenn sich Tiere im Zoo fortpflanzen können, lernen Jungtiere außerdem von den ausgewachsenen Exemplaren, wie es geht.
Im Zoo überleben überdurchschnittlich viele Jungtiere
In freier Wildbahn ist der Nachwuchs den harschen Bedingungen der Natur ausgesetzt. Um sie herum lauern Fressfeinde, während das eigene Futter oder Frischwasser knapp ist. Wenn die Löwenmutter ohne Beute heimkehrt, verhungern Löwenjunge. Das passiert im Zoo nicht.
Bei vielen Arten überleben überdurchschnittlich viele Tiere, die es in der Natur nicht geschafft hätten. Man könnte meinen, das ist bei bedrohten Arten doch eine gute Sache: je mehr, desto besser?
Die Natur kontrolliert selbst, der Zoobetreiber ebenso
Im künstlichen Raum des Zoos führt das aber zu Problemen. Je mehr Tiere sich darin befinden, desto weniger Platz hat jedes einzelne. Rückzugsräume, die viele Tiere benötigen, schwinden dann. Auch die Sozialstruktur verändert sich. Bei Elefanten etwa wandern die heranwachsenden Männchen, die Bullen, irgendwann ab. Im Zoo müssten sie bei der Gruppe bleiben. Zwei ausgewachsene Bullen in einer Herde gibt es jedoch nicht. Es drohen nicht nur bei Elefanten teils gefährliche Konkurrenzkämpfe.
Wo früher jedes Elefantenbaby eine Sensation war, normalisiert sich der Zuchterfolg mittlerweile. Für Männchen bedeutet das aber auch: Sie brauchen ein neues Zuhause. Die Zoos vermitteln die Tiere an andere.
Eine weitere Lösung: Junggesellengruppen. Der Zoo Heidelberg etwa hält eine Gruppe an jungen männlichen Elefanten. Auch das entspricht natürlichen Gruppierungen in der Natur. Solange die Tiere nicht geschlechtsreif sind, sammeln sie sich auch dort für einige Zeit, ehe sie sich später wieder alleine um den Platz in einer Herde bemühen.
Männchen sind besonders häufig betroffen
Bei anderen Tieren wird die Vermittlung schwieriger. Das trifft insbesondere Männchen. Ein Beispiel: Viele Tierarten agieren in einem Harem. Ein Männchen paart sich mit mehreren Weibchen. Da der Zoo die Tiergruppe über 100 Jahre in seinem Gehege erhalten will, braucht er in der nächsten Generation wieder genauso viele Tiere. Doch da potenziell genauso viele Männchen wie Weibchen geboren werden, sind es am Ende statistisch überzählige Männchen.
Viele Tiere in einer Gruppe bringen noch ein weiteres Problem: Inzucht. Irgendwann könnten sich die Kinder mit den Eltern verpaaren oder Geschwister untereinander. Damit steigt das Risiko für Erbkrankheiten – und der Genpool verarmt. Genau das wollen die Artenschutzprogramme verhindern. In vielen dieser Fälle werden die überzähligen Tiere dann getötet und oftmals verfüttert.
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Zum Töten gibt es bisher oft keine Alternative
Um Tiere zu töten, braucht es in Deutschland aber einen "vernünftigen Grund". Die Praxis, wie sie in Dänemark oder Schweden üblich ist, Tiere einfach wegen ihres Erbguts auszusortieren, greift hier nicht.
Ein Vorfall im Magdeburger Zoo, bei dem drei Tigerjunge getötet wurden, landete vor Gericht. Die Tatsache, dass die Tiere nicht reinrassig waren, wurde als Grund abgewiesen. Einige Zoodirektor:innen setzen sich dafür ein, dass auch das Erbgut in Zukunft als Grund akzeptiert wird.
Verfüttern in der Regel immer erlaubt
Das Verfüttern von Tieren jedoch ist möglich und erlaubt. Insofern sind es insbesondere die natürlichen Beutetiere, die für den Artenschutz auf dem Speiseplan der Raubkatzen landen, zum Beispiel Ziegen, Schafe oder andere Huftiere.

Das Töten von Zootieren kann man auch in den Gesamtkontext einordnen, denn täglich werden in Deutschland mehr als zwei Millionen Tiere geschlachtet. Die getöteten Zootiere gehen in dieser Masse an Nutztieren fast vollständig unter.
Die Krux: Das Töten von Nutztieren ist gesellschaftlich akzeptiert, die Empathie mit Schweinen, die ausschließlich für die Lebensmittelproduktion produziert werden, geringer als mit den üblichen Zootieren.
Geburtenkontrolle: Auch Verhütung hat Konsequenzen
Manche Tierschutzverbände fordern, bei Zootieren grundsätzlich oder vermehrt zu verhüten. Es gibt diverse Verhütungsmethoden für Tiere:
- Regelmäßige Hormonbehandlung wie eine Antibabypille oder Implantate
- Kastration oder Sterilisation
- Trennung der Tiere und Zuchtpausen
Alles ist möglich, hat aber ebenfalls Konsequenzen für den Zoo und die Zootiere. Diese können dann Fortpflanzung und Aufzucht nicht ausleben oder erlernen, zusätzlich zu anderen Verhaltensweisen, die im Zoo fehlen.
Tiere, die einmal kastriert sind, kommen auch nicht mehr als Zuchttier infrage. Ihr Erbgut ist quasi verloren. Nüchtern betrachtet nimmt es anderen, genetisch wertvolleren Tieren den Platz im Gehege weg. Auch werden diesen Tieren Fortpflanzung und Aufzucht vorenthalten.
Raubkatzen, etwa Leoparden- und Jaguarweibchen oder Löwinnen, entwickelten durch die Gabe von Hormonpräparaten Krankheiten wie Krebs. Die Abwägung des Tierwohls ist dann schwierig. Außerdem ist es nicht so einfach, nach einer Zuchtpause direkt wieder Nachwuchs zu produzieren. Manche Tierarten benötigen Monate oder Jahre, um sich wieder erfolgreich fortzupflanzen.
Auswildern nur selten möglich
Die einzelnen Tiere lassen sich auch nicht einfach auswildern. Auswilderungen sind mit die teuersten und aufwendigsten Projekte im Artenschutz- und Zoobereich. Fremde Tiere in eine Herde zu integrieren, gelingt bei einigen Arten nicht. Aufzucht, Transport und Management vor Ort sind sehr teuer und für jedes überzählige Tier in andere Kontinente zu fliegen, ist im Budget nicht drin. Bei heimischen Tieren ist das oftmals leichter.
Was entscheidet über den Tod der Tiere?
Ob ein überzähliges Tier in einem Zoo getötet wird, hängt für die meisten Tiere von drei Faktoren ab:
- Ist das Erbgut wertvoll?
- Reicht der Platz im Gehege aus?
- Ließe sich das Tier an andere Zoos vermitteln?
Wenn das alles nicht zutrifft, können Zoos etwa Huftiere schnell töten und verfüttern. Auch Löwen wurden in Nachbarländern schon getötet, aber nicht verfüttert.
An Elefanten, Delfine oder Menschenaffen hat man sich in Deutschland offiziell auch nicht herangetraut. Zu groß ist die Sympathie und Empathie mit den Tieren. Rein aus genetischen Blickwinkeln und dem Artenschutzargument spräche jedoch nichts dagegen, auch einen seltenen Menschenaffen zu töten, wenn er für den Fortbestand der Population nicht wichtig ist und sich in keinem anderen Zoo unterbringen lässt.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Diskussion über Artenschutz nötig
Dass sich Zootiere fortpflanzen und der Nachwuchs überlebt, sind auch Indikatoren dafür, wie es Tieren in Gefangenschaft geht.
Doch wenn junge, gesunde und dazu noch seltene Tiere im Zoo getötet werden, prallen Emotionalität und Empathie auf die nüchternen Rechenbeispiele der Zucht- und Populationsgenetik. Das ist eine genauso unbequeme wie wichtige Diskussion.
Angesichts der Zuchtprogramme muss aber diskutiert werden, was Artenschutz darf. Akzeptieren wir das Töten von Tieren, die es womöglich in der Natur nicht geschafft hätten, im Zoo aber überleben, oder gibt es andere Lösungen?
Der Artenschutz muss weiter diskutiert werden
Gerade wenn vom Aussterben bedrohte Tierarten nur noch in Zoos gehalten und nachgezüchtet werden, spielt das Erbgut eine bedeutende Rolle. Gelten getötete Tiere dann als Schande oder Erfolgsmerkmal für den Zoo? Stellen wir den Arterhalt über das Individuum oder andersrum?
Im Grunde geht es auch um die gesellschaftliche Wahrnehmung von Natur, die in der Moderne sehr romantisch, in der Realität aber durch und durch skrupellos ist.
Was die Zoos dürfen und wie wir Artenschutz betreiben, das gehört in eine größere gesellschaftliche Debatte – eigentlich schon seit dem Tod von Giraffe Marius im Jahr 2014.
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ich finde das zoos eine tierquälerei sind.
Was ist humaner?Zoo Tiere Sterilisieren lassen oder Vermehrung der Zoo Tiere und den Nachwuchs danach zu töten?Alles klar?
Dasselbe beim Menschen.Sterilisieren ist human(bin auch sterilisiert).In Afrika verhungern Kinder wegen fehlender Verhütung. und daher zu wenig Nahrungsmittel.
Liebe Janina! Sie sollten den Beitrag wirklich noch einmal genau durchlesen!
Liebes Quarks-Team, ich habe mir soeben die Sendung vom 05.09.20 zu den Zoos angeschaut und bin etwas enttäuscht. Ich fand die Sendung diesmal ungewohnt oberflächlich. Ehrlich gesagt haben sich durch die Sendung viele Fragen nicht beantwortet. Meiner Meinung nach wurden viel zu viele Zoo-Bilder gezeigt und es kamen nur Zoo-Mitarbeitende… Weiterlesen »