Artikel Kopfzeile:
Qualzucht
So leiden Hunde unter ihrem "niedlichen" Aussehen
Extreme Stupsnase und Kulleraugen bei Mops und Co.: Was manche niedlich finden, ist ein bedenklicher Trend in der Hundezucht.
Sprungmarken des Artikels:
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Hunde vieler Moderassen sind krank gezüchtet
Ziel: schön, niedlich, exklusiv
Das hat auch die Hundezucht verändert, denn inzwischen ist das Aussehen oft wichtiger als die Gesundheit der Tiere. Heutzutage zielt die Rassezucht häufig auf äußerliche Merkmale ab, die einem bestimmten Schönheitsideal des Menschen entsprechen. Das Bestreben, Hunde mit einem schönen, niedlichen oder exklusiven Aussehen zu züchten, hat dazu geführt, dass bei einigen Hunderassen bestimmte Körpermerkmale stark ausgeprägt sind.
Möpse, Französische Bulldoggen und Chihuahuas haben zum Beispiel extreme Stupsnasen, extrem rund geformte Schädel und weit hervortretende Augen. Die ausgeprägte Kurz- oder Rundköpfigkeit ist bei diesen Rassen erwünscht und wird als Brachyzephalie bezeichnet. Das Problem dabei: Sowohl tiermedizinische Studien als auch Befragungen von Hundebesitzern ergaben, dass viele brachyzephale Rassehunde ein Leben lang unter den Umformungen ihres Körpers leiden. Die betroffenen Hunde sehen auf den ersten Blick vielleicht nicht krank aus. Doch zahlreiche Möpse und Bulldoggen stammen aus sogenannten Qualzuchten.
Was bedeutet Qualzucht?
Qualzucht ist in Deutschland verboten. Was genau Qualzucht bedeutet, ist in § 11b des Tierschutzgesetzes, dem sogenannten "Qualzuchtparagrafen" definiert. So handelt es sich um eine Qualzucht, wenn:
- bei den Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen, untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden und Schäden auftreten oder
- bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten.
Es ist demnach verboten, bei der Tierzucht Merkmale zu fördern, die Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen bei den Tieren hervorrufen. Das Tierschutzgesetz sieht in besonders schweren Fällen von Qualzucht sogar vor, die Zuchttiere unfruchtbar zu machen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurde im Jahr 1999 zusätzlich ein Gutachten zur Auslegung von §11b des Tierschutzgesetzes ("Qualzuchtgutachten") erstellt, in dem konkrete Qualzuchtmerkmale und die häufigsten Qualzuchtrassen bei Haus- und Heimtieren aufgelistet sind. Das Gutachten und die darin ausgesprochenen Zuchtverbote für bestimmte Rassemerkmale sind jedoch nicht rechtsverbindlich und haben vor Gericht lediglich Empfehlungscharakter.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Untersuchungen zeigen, dass die Tiere leiden
Die Folgen: Atemnot, Bewusstlosigkeit, Entzündungen
Doch Brachyzephalie ist ein problematisches Zuchtziel. Bei vielen brachyzephalen Hunden sind die oberen Atemwege, das Gebiss, die Augen, das Gehirn und sogar das Mittelohr stark deformiert. Mit gesundheitlichen Folgen – zusammengefasst unter dem Begriff "Brachyzephales Syndrom": Brachyzephale Rassen haben extrem verkürzte und verengte Nasengänge, ein zu langes Gaumensegel, eine überproportional große Zunge und eine schmale Luftröhre, die zum Kollaps neigt. Betroffene Rassen leiden daher häufiger an schwerer Atemnot und anderen gesundheitlichen Problemen, wie Zahnfehlstellungen oder Mittelohrentzündungen.
Eine Befragung unter Besitzern von Hunden mit extremer Brachyzephalie ergab, dass 56 Prozent dieser Hunde Atemprobleme beim Schlafen hatten, 24 Prozent der Tiere versuchten, im Sitzen zu schlafen, da sie im Liegen keine Luft bekamen, und dass 36 Prozent der Tiere schon einmal aufgrund von Atemnot umgefallen waren.
Darüber hinaus stellen praktische Tierärzte vermehrt fest, dass viele brachyzephale Rassen Probleme bei der Regulation ihrer Körpertemperatur haben, da Hunde nicht schwitzen, sondern ihren Wärmehaushalt über die Nasenschleimhaut regulieren. Brachyzephale Hunde müssen wegen der kurzen Nase ihre Körperwärme fast ausschließlich über Hecheln regulieren. Bei großer Hitze und langen Hechelepisoden kann dies zu körperlicher Erschöpfung bis hin zu Bewusstlosigkeit, Kollaps und Tod führen.
Mit einer Operation ist das Problem meist nicht erledigt
Damit die Hunde wieder richtig atmen können, ist der letzte Ausweg häufig nur eine Operation, bei der Teile des Gaumensegels entfernt werden. Doch selbst nach einer solchen Operation leiden manche Hunde weiterhin, da sie noch andere Gesundheitsprobleme haben.
Beispielsweise sind sie wegen der weit hervortretenden Kulleraugen anfälliger für Verletzungen und Geschwüre am Auge, was dauerhaft sehr schmerzhaft ist. Der stark verkürzte Oberkiefer bietet wenig Platz für die Zähne, die sich in der Folge entzünden oder sogar ausfallen können. Wegen der besonderen Anatomie im Mittelohr und im Gehörgang sind brachyzephale Rassen offensichtlich auch anfälliger für Entzündungen in diesem Bereich.
Eine Auswertung von tiermedizinischen Gesundheitsdaten von Möpsen in England ergab, dass über 43 Prozent der untersuchten Möpse mindestens eine Erkrankung im Kopf-Hals-Bereich hatten, darunter vor allem Erkrankungen der Augen, des Gehörgangs, der oberen Atemwege oder der Zähne.
Nicht nur Hunde sind von Qualzucht betroffen
Qualzucht gibt es bei fast allen Tierarten. So werden etwa haarlose Katzen gezüchtet, die ihre Körperwärme bedingt durch ihrerHaarlosigkeit nicht richtig regulieren können. Solche Nacktkatzen besitzen auch keine Schnurrhaare – und damit fehlt ihnen ein wesentliches Sinnesorgan, das sie zur Orientierung, zum Abtasten der Beute und bei der Aufnahme sozialer Kontakte benötigen.
Widderkaninchen zeichnen sich durch lange Hängeohren aus, doch können sich die Tiere mit diesen bodenlangen Ohren nur mühsam fortbewegen und leicht verletzen. Auch bei Vögeln gibt es Qualzuchten. Schon seit über 100 Jahren sind tierschutzrelevante Probleme bei der Zucht von Haubtenten bekannt – einer Entenart mit einer Federhaube auf dem Kopf, einem Büschel mit verlängerten Federn.
Ältere und neuere Untersuchungen zeigen, dass Haubenenten vermehrt Schädelmissbildungen aufweisen: Durch die Federhaube (und somit züchterisch bedingt) besitzen viele von ihnen Lücken im Schädeldach und einen Fettkörper, der in den Hirnschädel eingelagert ist und dadurch andere wichtige Hirnstrukturen zurückdrängt. Untersuchungen mit Haubenenten haben gezeigt, dass diese Missbildungen häufig zu motorischen und koordinativen Störungen führen. Bei schwerwiegenden Schädeldefekten kann es sogar zum Tod der Tiere kommen, manchmal bereits vor dem Schlupf.
Selbst bei Reptilien gibt es Qualzucht
Sogenannte "Morphen" sind Züchtungen mit Farben und Formen, die bei Tieren in der Natur nicht vorkommen. Beispielsweise gibt es Züchtungen von Schlangen- oder Echsenarten ohne Schuppen. Diese Designertiere bezahlen einen hohen Preis für ihr exotisches Aussehen, denn Schuppenverluste führen zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit, Störungen im Wasserhaushalt und nicht zuletzt Einschränkungen bei der artgemäßen Bewegung der Tiere sowie einer Intoleranz gegen das lebenswichtige UV-Licht.
Es werden auch nicht sichtbare schädliche Gene vererbt
Viele Rassetiere leiden nicht nur unter den Folgen ihres durch Zucht umgeformten Körpers. Innerhalb vieler Rassezuchten sind auch erblich bedingte Schäden weit verbreitet. Im "Qualzuchtgutachten" des Bundesministeriums sind einige bekannte und wissenschaftlich belegte Erbdefekte bei Rassetieren aufgelistet. Für besonders reine Zuchten und einheitliche Rassemerkmale werden eng verwandte Tiere miteinander verpaart. Diese Inzucht führt zu genetischen Schäden, die im schlimmsten Fall sogar den Tod des Tieres bedeuten.
Wenn beispielsweise das für die Haarlosigkeit verantwortliche Gen von Nackthunden nicht nur von einem, sondern von beiden Elternteilen an die Nachkommen weitervererbt wird, sind die Welpen nicht lebensfähig und sterben im Mutterleib oder kurz nach der Geburt. Auch rein weiß gezüchtete Katzen leiden unter einer gravierenden Erbkrankheit. Denn nicht nur die weiße Fellfarbe vererbt sich mit dem entsprechenden Gen, sondern auch Taubheit. Bei reinrassiger Zucht bleiben diese Erbdefekte in der Population erhalten, wenn viele Zuchttiere diese schädlichen Gene in sich tragen.
Zwar sind Erbkrankheiten nicht züchterisch erwünscht, doch unter bestimmten Umständen gelten Zuchten, in denen nachweisliche schwerwiegende Erbkrankheiten auftreten, gemäß § 11b des Tierschutzgesetzes ebenfalls als Qualzucht. Nämlich dann, wenn ein solcher genetischer Defekt innerhalb dieser Züchtung mit hoher Wahrscheinlichkeit vererbt wird.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Qualzuchtrassen werden weiterhin gezüchtet
Dem scheint die Welpenstatistik des Verbands für das Deutsche Hundewesen (VDH) zu widersprechen: Die Welpenzahlen für brachyzephale Rassen wie Mops, Französische Bulldogge und Chihuahua waren in den Jahren 2004 bis 2018 größtenteils rückläufig. Interessanterweise wurde in diesem Zeitraum beim VDH ein verpflichtender Belastungstest für die Zuchttiere brachyzephaler Rassen eingeführt: Hunde, die nach einer definierten Strecke von 1000 Metern nicht die geforderte Erholung zeigen, erhielten keine Zuchtzulassung vom VDH.
Der Verband selbst ging gleichzeitig aber nicht davon aus, dass die tatsächliche Anzahl dieser Welpen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt abgenommen hatte. Der VDH begründete diese Annahme damit, dass es zu dieser Zeit ein entsprechend großes Internetangebot von Welpen der Rasse Mops oder Französische Bulldogge gab.
Mehr unangemeldete Zuchten?
Der Verband folgerte daraus, dass die erschwerten Zuchtkriterien beim VDH in Form des Belastungstests dazu geführt haben mussten, dass Zuchten nicht mehr beim VDH gemeldet wurden. Es war daher anzunehmen, dass viele Zuchten nicht gemeldet und gleichzeitig zahlreiche Hunde aus dem Ausland importiert wurden. Auch bei der Bundestierärztekammer ist man sich einig, dass viele Qualzuchtrassen nach wie vor in Mode sind, obwohl diese Tiere ein weites Spektrum von Gesundheitsstörungen aufweisen.
Dass Qualzucht ein aktuelles und ernst zu nehmendes Thema ist, spiegelt auch der Tierschutzbericht der Bundesregierung von 2019 wider. Darin wurde das Ziel formuliert, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Aspekte des Tierschutzes bei den Zuchtzielen stärker berücksichtigt und Qualzucht verhindert wird. Zwar ist das Verbot von Qualzucht hierzulande bereits seit 1986 im Tierschutzgesetz verankert, jedoch können viele Verstöße bis heute schwer geahndet werden.
Oft bleiben Verstöße ohne Folgen für die Züchter
Die meisten Hunde- oder Katzenzüchter sind den Kontrollbehörden nicht bekannt, denn nur gewerbsmäßige Züchter benötigen eine Zuchtgenehmigung und sind bei der Behörde gemeldet. Eine Hundezucht gilt beispielsweise erst ab drei Hündinnen oder drei Würfen pro Jahr als gewerbsmäßig. Alle Züchter, die in kleinerem Umfang züchten, fallen somit aus dem Kontrollnetz.
Selbst wenn den Behörden eine Qualzucht bekannt ist, gestaltet sich der Vollzug des Qualzuchtparagrafen häufig schwierig. Im Tierschutzgesetz ist Qualzucht zwar definiert, doch es gibt bisher weder konkrete Verbote für die Zucht bestimmter Rassen noch für die Zucht bestimmter schädlicher Merkmale. Um ein Zuchtverbot zu erwirken, muss die zuständige Veterinärbehörde daher in jedem Einzelfall nachweisen, dass es sich um eine Qualzucht handelt. Daher gibt es in Deutschland bisher nur eine Handvoll Gerichtsurteile, die ein solches Zuchtverbot erwirkt haben.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Zuchtverbände und Hundehalter können gegensteuern
Es werden konkrete Verbote gefordert
Die Tierärztekammer Berlin fordert deshalb konkrete Zuchtverbote für bestimmte Rassen oder Rassetypen, ein Ausstellungsverbot für Qualzuchten sowie ein Importverbot für Qualzuchtrassen. Nun sind die Zuchtverbände gefragt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, gesunde und leistungsfähige Hunde zu züchten. So könnten die Verbände selbst Grenzen für bestimmte Merkmalsausprägungen festlegen und entsprechende Gesundheitschecks oder Belastungstests einführen – wie den Belastungstest, den beim VDH gelistete Zucht-Möpse seit 2009 bestehen müssen. Sie legen eine Strecke von 1000 Metern innerhalb von elf Minuten zurück. Der Test ist nur dann bestanden, wenn sich im Anschluss sowohl Herzfrequenz als auch Atemfrequenz innerhalb einer bestimmten Zeitspanne normalisieren.
Einzelne Zuchtvereine gehen sogar noch weiter und lassen nur Zuchthunde zu, die einen genetischen Test oder eine strenge Beurteilung ihrer Körpermerkmale, weg von extremen Ausprägungen, bestehen. Diese positiven Bestrebungen mancher Züchter und Zuchtverbände haben dazu geführt, dass einige extreme Zuchttendenzen bereits zurückgehen und es etwa wieder mehr Französische Bulldoggen mit längeren Schnauzen gibt. Ob sich ein Tier für die Zucht eignet, ist oft nicht leicht zu beantworten. In diesen Fällen sollte der potenzielle Züchter den Rat eines Tierarztes einholen, der mögliche gesundheitliche Mängel durch gezielte Untersuchungen feststellen kann.
Auch die Tierbesitzer sind verantwortlich
Doch nicht nur Züchter tragen Verantwortung. Auch zukünftige Tierbesitzer müssen wissen, welche Gendefekte bei bestimmten Zuchtrassen auftreten oder was der "niedlich" gezüchtete Körperbau für viele Tiere bedeutet: Dass beispielsweise das Grunzen, Röcheln und Schnarchen von Möpsen nicht süß, sondern Ausdruck eines ernsthaften Schadens ist. Vor dem Kauf eines Welpen sollte sich jeder zukünftige Besitzer umfassend über die Rasse informieren – nicht nur beim Züchter. Insbesondere beim Kauf im Internet oder aus dem Ausland ist Vorsicht geboten, da es sich hier laut Bundestierärztekammer häufiger um illegalen Tierhandel beziehungsweise illegale Importe handeln kann. Informationsmaterial über Qualzuchten stellen unter anderem die Bundestierärztekammer und die Tierärztekammer Berlin bereit. Als Faustregel gilt: Besondere Merkmale bedeuten häufig besonderes Leid.
Autorin: Johanna Leitenbacher
Quellenangaben zum Artikel:
Social Sharing:
Artikel Überschrift:
Ich habe leider auch einige Freunde in meinem Umfeld, die sich für Frenchies oder Pugs entschieden haben. Süß sind sie schon, aber ich hab auch Mitleid mit den Kleinen, weil sie wirklich schnell Probleme bei der Atmung bekommen. Am besten immer einen Hund aus dem Tierschutz holen und diese Züchter… Weiterlesen »
„Widderkaninchen zeichnen sich durch lange Hängeohren aus, doch können sich die Tiere mit diesen bodenlangen Ohren nur mühsam fortbewegen und leicht verletzen.“ Das ist allgemein nicht richtig. Es gibt Standards, welche die gewünschte Ohrlänge definieren. Außer bei den Englischen Widdern sind Widderohren nicht bodenlang, und die Tiere haben keine höhere… Weiterlesen »