So bietet Social Media Unterstützung in Krisen

Ein Team um die Psychologin Prof. Christiane Eichenberg analysierte in einer 2011 veröffentlichten Untersuchung Youtube-Videos von acht Menschen mit psychischen Erkrankungen, die im Internet über ihre Krankheit sprechen. Auch wenn die Zahl der untersuchten Videos gering war, konnten die Forschenden verschiedene Typen ausmachen, denen sie einen griffigen Namen gaben. Zum einen sei da der “Aufklärer”, der informieren möchte und sich als Experte für seine Krankheit sehe. Der Typus des “Narzissten” setze sich bewusst in Szene, wirke überheblich, aber häufig auch unsicher. Der “Ankläger”, so Eichenberg, verstehe sich als kompetenter Kritiker in medizinischen und gesellschaftlichen Fragen.

Auch in anderen Krisen wenden sich Menschen an die Online-Community. Bei unerfülltem Kinderwunsch etwa unterstützen sich Betroffene – emotional und auch ganz praktisch, wie eine Untersuchung zeigt. Sie tauschen sich über medizinische Möglichkeiten, Samenspenden und auch sogenanntes Co-Parenting aus, bei dem zwei Menschen, die nicht in einer Beziehung sind, gemeinsam ein Kind aufziehen.

Was passiert eigentlich mit unseren Social-Media-Profilen, wenn wir sterben? Manchmal werden sie zu Treffpunkten für Trauernde, die sich von dem oder der Verstorbenen verabschieden und letzte Worte an ihn oder sie richten. Dieses Phänomen untersuchten die Kommunikationswissenschaftler Brian Carroll and Katie Landry 2010 anhand von Posts auf Facebook und dem damals angesagten Netzwerk Myspace. Die Website mydeathspace.com wurde sogar eigens für Nachrufe auf verstorbene Myspace-Nutzer und -Nutzerinnen eingerichtet. Familie und Freunde der oft durch Suizid verstorbenen Teenager konnten dort die Erinnerung an den geliebten Menschen wachhalten und sich untereinander austauschen. Viele hinterließen nur kurze Botschaften wie “Ich vermisse dich” oder “R.I.P.” (“Rest in Peace”).

Andere erzählten von ihren liebsten Erlebnissen mit der verstorbenen Person oder erinnerten an die Werte, die dem oder der Toten zu Lebzeiten wichtig waren. So sahen einige in der neuen Form des Trauerns eine Chance, das Leben des Verstorbenen zu feiern und Trost zu finden. Die Online-Denkmäler bieten eine wichtige Möglichkeit, der eigenen Trauer Ausdruck zu verleihen, schlussfolgerten Brian Carroll und Katie Landry. Um abschließend zu klären, welche Wirkung solche virtuellen Gedenkstätten auf uns haben, brauche es aber noch mehr Forschung, fanden die Forschenden damals.

Eine 2015 erschienene Untersuchung beleuchtete den Effekt auf die Hinterbliebenen genauer. Forschende um die Sozialwissenschaftlerin Jo Bell befragten dafür elf Personen, darunter Eltern, Geschwister und Freunde, die im letzten halben Jahr jemanden durch Selbstmord verloren und daraufhin bei Facebook eine digitale Gedenkstätte errichtet hatten. In den Interviews bestätigten sie, dass sie dadurch ihren Schmerz ausdrücken, mit anderen Trauernden in Kontakt treten und mit Unbekannten kommunizieren konnten, die das Gleiche durchmachten. Gemeinsam schufen sie ein positives Bild des oder der Verstorbenen, was die Forschenden als wichtigen Schritt im Trauerprozess identifizierten.

Selbsthilfegruppen gibt es für verschiedenste psychische und körperliche Erkrankungen und für alle möglichen Lebenslagen: für Trauernde, frisch Getrennte, Adoptiveltern, queere Menschen und viele mehr. Sie informieren, geben Ratschläge, bieten Unterstützung in schweren Zeiten und lassen neue Freundschaften entstehen. Das Problem: Gerade bei seltenen Anliegen ist es schwierig, andere Betroffene und Gleichgesinnte zu finden. Auch in ländlichen Gegenden klappt das häufig nicht. Menschen finden sich daher immer öfter digital zusammen.

Deutsche Forschende verglichen 2017 traditionelle Face-to-Face-Selbsthilfegruppen für Prostatakrebs-Patienten mit entsprechenden Online-Gruppen. Sie sammelten und analysierten dafür Daten von insgesamt über 1000 Mitgliedern. Das Ergebnis: Die Patient:innen bewerteten beide Arten sehr positiv und gaben an, dass der Austausch mit anderen einen großen Einfluss auf Entscheidungen zur Behandlung hatte.

Es zeigte sich, dass ältere Patienten etwas mehr vom Vor-Ort-Kontakt profitierten, während jüngere auch mit dem Online-Format gut klarkamen. In den traditionellen Gruppen, die sich zu persönlichen Treffen verabredeten, fühlten sich die Mitglieder nach eigenen Angaben etwas besser anerkannt, informiert und emotional unterstützt als diejenigen, die nur online zusammenkamen. Digitale Selbsthilfegruppen sind trotzdem eine gute, leicht zugängliche Alternative für alle, die sich online gut zurechtfinden, schlussfolgerten die Autoren der Studie.