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Social Distancing
Darum leiden auch Introvertierte unter dem Kontaktverbot
Introvertierte Menschen leben zurückgezogener, also haben sie auch weniger Probleme mit sozialer Distanz. Was logisch klingt, ist in Zeiten des Coronavirus aber zu kurz gedacht.
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Inhalt
- Darum geht’s: Kontakt zu anderen ist für Menschen notwendig
- Darum müssen wir drüber sprechen: Viele glauben, dass Introvertierten die Isolation leichter fällt
- Aber: Fehlender sozialer Austausch wirkt sich bei allen Menschen negativ auf die Psyche aus
- Und jetzt? Sozialleben unter erschwerten Bedingungen erhalten
- Darum geht’s: Kontakt zu anderen ist für Menschen notwendig
- Darum müssen wir drüber sprechen: Viele glauben, dass Introvertierten die Isolation leichter fällt
- Aber: Fehlender sozialer Austausch wirkt sich bei allen Menschen negativ auf die Psyche aus
- Und jetzt? Sozialleben unter erschwerten Bedingungen erhalten
Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Kontakt zu anderen ist für Menschen notwendig
Was notwendig ist, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten, hat Auswirkungen auf unser psychisches Wohlbefinden. Denn Menschen sind soziale Wesen, darin sind sich Psycholog:innen einig. "Evolutionär hat sich der Mensch in kleinen Verbänden entwickelt, typischerweise in Grüppchen von einigen Dutzend Personen."
Besserer Schutz vor Raubtieren
"Früher hatte das zum Beispiel den Vorteil, dass wir uns in der Gruppe besser gegen Fressfeinde verteidigen konnten. Bis heute ist es für uns wichtig, im Gruppenverband zu agieren“, sagt Jürgen Margraf, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum.
Einerseits hilft uns die Gruppe dabei, unsere körperlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Davon hat der Mensch viele: zum Beispiel Nahrung, Kleidung, Wärme oder ein Dach über dem Kopf. Das alles bereitzustellen, ist für eine einzige Person kaum möglich. In der Gruppe können Menschen die für ihr Überleben notwendige Beschaffung von Ressourcen untereinander aufteilen.
Zuwendung und Liebe sind wichtig
Die Nähe und der Kontakt zu anderen ist aber auch auf emotionaler Ebene wichtig für uns. Das zeigen Feldstudien aus Kinderheimen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von dem Psychoanalytiker René Spitz durchgeführt wurden. Spitz untersuchte Kinder, die von ihren Müttern getrennt aufwuchsen und in den Heimen zwar gefüttert und gewaschen wurden, ansonsten aber kaum Zuwendung erhielten. Das Ergebnis: Die Kinder entwickelten sich deutlich langsamer und schlechter.
Eine seit Anfang der 2000er-Jahre durchgeführte Langzeitstudie in rumänischen Kinderheimen kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Kleinkinder, die keine Zuwendung erhalten, sind auch Jahre später weniger intelligent, können sich sprachlich weniger gut ausdrücken und sind kleiner als ihre Altersgenossen.
Auch unsere jetzige Situation ist schwierig
Nun sind wir natürlich nicht so hilflos und isoliert wie die Kinder in diesen Studien. Auch, wenn wir unsere Freund:innen und Kolleg:innen nicht mehr treffen dürfen, können wir nach wie vor mit ihnen telefonieren, chatten oder uns via Video-Call sehen. Viele leben zudem mit ihren Partner:innen oder Familien zusammen.
Konkrete Vorhersagen, wie sich die angeordneten sozialen Einschränkungen auf unsere psychische Gesundheit auswirken werden, lassen sich nicht treffen. Schließlich gab es so eine Situation noch nie. Was wir aber wissen ist: "Soziale Distanz hat negative Folgen für unsere psychische Gesundheit“, so Jürgen Margraf.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Viele glauben, dass Introvertierten die Isolation leichter fällt
Introversion heißt "nach innen gewandt“ und beschreibt eine Persönlichkeitseigenschaft, die je nach Statistik auf 30 bis 50 Prozent der Gesellschaft zutrifft. "Introvertierte Menschen brauchen mehr Ruhe, mehr Sicherheit und weniger Stimulation als Extrovertierte“, sagt die Kommunikationstrainerin Sylvia Löhken.
Erstmals definiert wurden die Persönlichkeitsmerkmale Introversion und Extraversion 1921 von dem Psychologen Carl Gustav Jung. Bis heute beziehen sich Persönlichkeitstests auf Jungs Unterscheidung zwischen introvertiert und extrovertiert. Wobei Menschen nicht entweder introvertiert oder extrovertiert sind. Vielmehr ordnen wir uns irgendwo auf dem Spektrum zwischen diesen Extremen ein.
Die alten Theorien werden heute bestätigt
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Introversion und Extraversion keine reinen psychologischen Annahmen sind, sondern biologische Realität. Eine neurowissenschaftliche Studie der University of Iowa belegt, dass sich die Gehirnaktivität von introvertierten und extrovertierten Menschen unterscheidet.
In Gehirnen von Introvertierten ist der frontale Kortex stärker durchblutet. Das ist ein Areal, das unter anderem für nach innen gerichtete Tätigkeiten wie Planung, Erinnerung und Problemlösungen zuständig ist. Bei Extrovertierten dagegen weisen Bereiche einen stärkeren Blutfluss auf, in denen Sinneseindrücke von außen, wie Hören oder Sehen verarbeitet werden.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Gehirne von introvertierten Menschen im Normalzustand schon stärker stimuliert sind. Extrovertierte dagegen müssen sich diese Stimulation außerhalb suchen. Deshalb sind Introvertierte ruhiger, konzentrieren sich stärker auf sich und leben zurückgezogener als Extrovertierte, deren Gehirne aus Geselligkeit und sozialen Aktivitäten Energie ziehen.
"Stellen Sie sich vor, wir haben im Gehirn einen Parkplatz für die ganzen Sinneseindrücke, die von draußen reinkommen. Introvertierte haben einen kleineren Parkplatz, die haben schneller die Nase voll, wenn viel los ist. Extrovertierte dagegen haben mehr Platz für viele verschiedene Sinneseindrücke“, sagt Sylvia Löhken.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Fehlender sozialer Austausch wirkt sich bei allen Menschen negativ auf die Psyche aus
Wenn die bisherigen Wege, um mit unseren Mitmenschen in Kontakt zu treten, eingeschränkt werden, kommt es darauf an, neue Formen des Miteinanders zu finden. Und das kann extrovertierten Menschen leichter fallen, so Margraf: "Man kann natürlich sagen, ein introvertierter Mensch, der nicht so viele Kontakte pflegt, der kommt vielleicht leichter mit der Isolation klar. Man kann aber genauso sagen, dem fällt es jetzt viel schwerer als einem Extrovertierten, zum Telefon zu greifen und alle Leute abzutelefonieren.“
Introvertiert heißt nicht gleich menschenscheu
"Introvertierte, die die Ruhe schätzen und wenig Stimulation, mögen Menschen auch“, sagt auch Sylvia Löhken. Tatsächlich ist es eines der gängigsten Missverständnisse, dass Introvertierte menschenscheu sind, nicht gerne reden und keine Sozialkompetenz haben. So bezeichnet Löhken zum Beispiel das Führen inhaltsreicher Gespräche und zwischenmenschliches Einfühlungsvermögen gerade als Stärken Introvertierter. Sie bevorzugen dabei nur vertraute Gruppen oder Einzelgespräche.
Löhken sieht in den Ausgangsbeschränkungen noch einen weiteren Nachteil für Introvertierte: fehlende Rückzugsmöglichkeiten in beengten Wohnverhältnissen. Denn während Extrovertierte aus dem Kontakt mit anderen Menschen Energie schöpfen, kostet die zusätzliche Stimulation Introvertierte Kraft. "Eine Ballung von vielen Menschen auf relativ wenig Raum ist für Intros psychisch belastend“, so Löhken.
Dazu kommt, dass Introvertierte ein empfindlicheres Sicherheitszentrum haben. Das zeigen Messungen des Stresshormons Cortisol in der Amygdala, dem Hirnbereich, der Gefahren einordnet. "Zeiten, in denen ein Virus Gesundheit und möglicherweise die finanzielle Sicherheit bedroht, bedeuten für Introvertierte deshalb mehr Stress“, sagt Sylvia Löhken.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Sozialleben unter erschwerten Bedingungen erhalten
Es komme jetzt darauf an, der sozialen Distanz entgegenzuwirken und neue Wege zu etablieren, um unsere sozialen Beziehungen aufrechtzuerhalten und dem Gefühl der Isolation vorzubeugen. Sprich, zum Telefon zu greifen oder digitale Medien zu nutzen, um den Kontakt zu halten. "Körperlicher Kontakt ist zwar auch wichtig, den brauchen wir“, sagt Margraf. „Nur ist es nicht so, dass wir sofort in schreckliche Konsequenzen verfallen, wenn wir das vorübergehend nicht haben.“
Wie gut wir eine Krise meistern, hängt weniger davon ab, ob wir introvertiert oder extrovertiert sind. Laut Margraf kommt es auf ein Konglomerat an Eigenschaften an, das er "positive Gesundheit“ nennt: "Wenn wir dem Leben einen Sinn abgewinnen können, wenn wir stabile, vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen haben. Wenn wir Vertrauen in unsere Fähigkeiten haben und optimistisch sind. Wer da gut abschneidet, der kommt ganz gut durch Krisen durch.“
Autorin: Teresa Bechtold
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Der Artikel triffts auf den Punkt. Ich bin laut Briggs eine INTJ und fühle mich gerade trotz Partner ziemlich einsam und gestresst. Nicht nur, dass wir gerade den Wohnort nach Emden verlegt haben; ich habe einfach gar nicht so viele Menschen in meinem Leben, die ich abtelefonieren könnte. Abgesehen davon,… Weiterlesen »
Ich als sehr Introvertiert fühle mich grösstenteils sehr wohl im Homeoffice, da ich gerne für mich in Ruhe arbeite und auch sonst nicht so der Typ bin, der näheren Kontakt mit meinen Arbeitskollegen pflegt. Mein Vorteil ist sicherlich, dass mein Freund und ich getrennte Wohnungen haben, so kommen wir uns… Weiterlesen »
Top. Finde mich da wieder und habe mich bereits gewundert, warum mir das alles so stark zusetzt. Gut, dass so mal zu lesen.
Danke! 🙂