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Der eigene Tod
Geschäftsmäßige Sterbehilfe ist jetzt erlaubt
2015 hatte der Bundestag Ärzt:innen verboten, "Suizidbeihilfe“ zu leisten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mittlerweile für verfassungswidrig erklärt.
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Inhalt
- Darum geht’s: Der Sterbehilfeparagraf im Strafgesetzbuch ist "nichtig“, sagt das Bundesverfassungsgericht und betont das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
- Darum müssen wir drüber sprechen: Die Mehrheit der Deutschen will Sterbehilfe
- Aber: Der Staat und die Ärzteschaft wollen Leben erhalten
- Und jetzt? Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden – aber die Debatte um Sterbehilfe wird weitergehen
- Darum geht’s: Der Sterbehilfeparagraf im Strafgesetzbuch ist "nichtig“, sagt das Bundesverfassungsgericht und betont das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
- Darum müssen wir drüber sprechen: Die Mehrheit der Deutschen will Sterbehilfe
- Aber: Der Staat und die Ärzteschaft wollen Leben erhalten
- Und jetzt? Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden – aber die Debatte um Sterbehilfe wird weitergehen
Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Der Sterbehilfeparagraf im Strafgesetzbuch ist ``nichtig“, sagt das Bundesverfassungsgericht und betont das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
"Aber die zunehmende Entstellung durch den Tumor im Halsbereich und der Geruch waren für ihn sehr entwürdigend. Er zeigte mir eine Gasflasche im Nachtschränkchen. Damit werde er sich 'friedvoll vergasen‘. Ich hatte Sorge, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch seine Frau gleich mit töten könnte. Ich habe ihn beraten und ihm das Versprechen abgenommen, die Gasflasche nicht zu benutzen. Ich durfte sie entsorgen. Tage später fand ich ihn tot im Bett.“
Der Arzt heißt Dr. Matthias Thöns. Aus Angst vor juristischen Konsequenzen wollte er bis vor Kurzem anonym bleiben. Denn er hätte sich vermutlich strafbar gemacht. Nach der bis zum 26. Februar 2020 gültigen Rechtslage konnte seine “Beratung” als “geschäftsmäßige Suizidbeihilfe” gewertet werden. Dann hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Ärzt:innen die Suizidbeihilfe erlaubt ist. Es ist ein Grundsatzurteil, welches jedem Individuum das Recht einräumt, das eigene Leben zu beenden und dafür die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen.
“Geschäftsmäßige” Suizidbeihilfe war strafbar
Im Jahr 2015 hatte der Bundestag den Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches (StGB) beschlossen. Seitdem wurde die “geschäftsmäßige” Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt, nachdem über 100 Jahre lang Beihilfe zum Suizid straffrei war. Im Paragraf 217 StGB hieß es: “Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
Gegen den Paragraf 217 sind mehrere Verfassungsbeschwerden eingelegt worden: von Sterbehilfevereinen mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz; von einigen schwerkranken Patient:innen, die ihr Leben mithilfe eines solchen Vereins beenden möchten; sowie von einigen Ärzt:innen, die in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung arbeiten.
Die grundsätzliche Frage
Die Vereine und Ärzt:innen sahen sich in ihrer Vereins-, Berufs-, und Gewissensfreiheit verletzt. Die Schwerkranken in ihrem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) und in ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie leiteten aus den Grundgesetzartikeln 1 und 2 ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Im Kern ging es also um die Frage, ob es ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben gibt und wie weit dieses Recht reicht. Nach Meinung der vor dem Bundesverfassungsgericht klagenden Patient:innen umfasst es auch das Recht, die Unterstützung von Vereinen oder Ärzt:innen beim Suizid in Anspruch zu nehmen. Weil diese Unterstützung seit 2015 strafbar war, konnten sie ihr Grundrecht nicht ausüben, so das Hauptargument.
Weitere Angaben zum Artikel:
Die Rechtslage in Deutschland
- Die aktive Sterbehilfe ist bei uns verboten. Wer einem todkranken Menschen auf dessen Wunsch hin eigenhändig die Giftspritze setzt oder das tödlich wirkende Medikament einflößt, kann wegen "Tötung auf Verlangen" bestraft werden. Nur in Luxemburg, in Belgien und den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe gesetzlich erlaubt; in Belgien und den Niederlanden inzwischen sogar für Kinder.
- Die passive Sterbehilfe ist in Deutschland erlaubt, wenn eine entsprechende Willensäußerung des Todkranken oder eine gültige Patientenverfügung vorliegt. In diesem Fall können lebensverlängernde Maßnahmen (Beatmung, künstliche Ernährung) abgebrochen oder reduziert werden.
- Erlaubt ist ebenfalls die indirekte Sterbehilfe. Gemeint sind damit Behandlungen (zum Beispiel von starken Schmerzen), die kurzfristig zu einer Verbesserung des Zustandes führen können, aber auch zu einer Verkürzung der Lebensdauer. Passive und indirekte Sterbehilfe sind in Europa nur in Polen ausdrücklich verboten.
- Grundsätzlich straffrei ist bei uns der assistierte Suizid. Weil die Selbsttötung in Deutschland kein Strafdelikt ist, ist es die Beihilfe auch nicht. Der 2015 beschlossene Paragraf 217 StGB (Verbot der "geschäftsmäßigen“ Beihilfe) schränkte die Straffreiheit allerdings erheblich ein. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 ist bei uns der assistierte Suizid erlaubt, so wie in den Benelux-Staaten, in der Schweiz, in einigen Staaten der USA und in Kanada. In China sind Suizidassistenz und aktive Sterbehilfe streng verboten.
Artikel Abschnitt:
Befeuert hatte die Debatte außerdem ein Urteil vom Frühjahr 2017. Damals entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass der Staat Bürger:innen, die sich in einer “extremen Notlage” befinden, den Erwerb eines tödlichen Medikaments nicht verweigern darf. Doch der Staat weigerte sich, das Urteil umzusetzen. Das Bundesgesundheitsministerium untersagte dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, entsprechende Anträge zu bearbeiten.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Die Mehrheit der Deutschen will Sterbehilfe
63 Prozent antworteten, sie seien dafür. 15 Prozent sprachen sich dagegen aus. 22 Prozent waren unentschieden oder machten keine Angaben. Das Fazit aus Allensbach: "Die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe geht quer durch alle Bevölkerungsschichten, weitgehend unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung oder Konfessionszugehörigkeit." Dennoch stand 2015 im Bundestag die "aktive Sterbehilfe" nicht zur Debatte. Diskutiert wurde die "Beihilfe zum Suizid". Und es ging der Mehrheit der Abgeordneten auch nicht um eine Liberalisierung von Regelungen, sondern um eine Verschärfung.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden
Diese Verschärfung hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile für "nichtig“ erklärt. Es betont die Autonomie des Menschen in Fragen von Leben und Tod. Sein Recht, über den eigenen Tod zu bestimmen, bestehe "in jeder Phase der menschlichen Existenz“, sagen die Karlsruher Richter:innen; es ist also nicht auf alte und schwer kranke Menschen beschränkt. Der/die Sterbewillige darf nach diesem Urteil die Hilfe anderer Menschen in Anspruch nehmen. Und der Staat muss diese Hilfe möglich machen.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Der Staat und die Ärzteschaft wollen Leben erhalten
"Die Berufsordnungen aller 17 Ärztekammern regeln einheitlich und bundesweit, dass es die Aufgabe von Ärzten ist, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. (…) Sie sollen Hilfe beim Sterben leisten, aber nicht Hilfe zum Sterben“, hieß es in einer Stellungnahme der Ärztekammer Hamburg.
"Suizidbeihilfe ist keine ärztliche Aufgabe." Und die niedersächsische Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker meinte: "Allein die Option einer Suizidassistenz wird den Druck auf ältere und kranke Menschen erhöhen."
Schwache schützen
In den Plädoyers gegen den “ärztlich assistierten Suizid” war dieses Argument besonders häufig zu hören: Es gehe darum, die Schwachen zu schützen. Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, nannte sie: “die Schwächsten der Gesellschaft”.
Er meinte die in Armut lebenden Alten, die Kranken und Schwerbehinderten, die ihren Kindern wegen der hohen Pflegekosten nicht zur Last fallen wollen, die sagen: “Eher möchte ich sterben.” Und die eventuell überforderte Angehörige dazu drängen würden, den Weg zu gehen, den eine Erlaubnis der ärztlichen Beihilfe ebnen könnte.
Die Autonomie und Selbstbestimmung dieser “Schwächsten” zu garantieren, sei Ziel des Paragrafen 217 StGB gewesen, sagt Michael Brand (CDU-Bundestagsabgeordneter), der seinerzeit federführend an dem Gesetz beteiligt war. Auch er beruft sich in seiner Argumentation auf Artikel 1 (“Würde”) und 2 (“Recht auf Leben”) des Grundgesetzes.
Die Sorge, der Sterbewunsch sei nur temporär
So wie seine Kollegin Kerstin Griese (Bundestagsabgeordnete der SPD). Sie habe damals aus vielen Gesprächen gelernt, dass Suizidwünsche häufig ambivalent seien. “Es ist nicht der Ruf nach dem Tod, sondern der Ruf nach Hilfe.” Diese Erfahrung machen ärztliche Mitarbeiter:innen und Pflegekräfte auf Intensiv- und Palliativstationen tatsächlich immer wieder: Der Wunsch zu sterben ist meistens nicht von Dauer. Kranke schwanken zwischen verzweifeltem Todeswunsch und der Angst, jemand werde diesen Wunsch erfüllen.
Doch auch für den Fall, dass ein Sterbewunsch eindeutig, nachvollziehbar und dauerhaft sei, äußerte Peter Dabrock grundsätzliche Bedenken gegen eine Liberalisierung der Suizidbeihilfe: Eine Gesellschaft müsse alles dafür tun, dass jeder Mensch in Würde sterben könne. Dies bedeute aber nicht, “dass der Staat Mittel zur Verfügung stellen muss oder dass Vereine, die hier ein Geschäft mit dem Tod betreiben, ihre Ziele verfolgen können”.
Palliativmedizin statt Sterbehilfe?
Ein weiteres Argument gegen den ärztlich assistierten Suizid kam aus der Palliativmedizin. Es lautet: Die Palliativmedizin ermöglicht ein Sterben in Würde. Selbsttötungen seien eigentlich gar nicht nötig, weil die ärztliche und pflegerische Expertise in Hospizen, auf Palliativstationen und in der ambulanten Versorgung selbst unerträgliches Leid und existenzielle Ängste lindern könne.
Für die kleine Zahl an schwerstkranken Menschen, bei denen man aber keine ausreichende Leidensminderung erreichen kann, stünden, so die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) in einer Stellungnahme, "Alternativen zu einem Suizid" zur Verfügung: ein Verzicht oder Abbruch jeder Art von lebensverlängernder Therapie (Beatmung, Ernährung, Medikamente, Dialyse) sowie eine "angemessene Sedierung", die zu einer "verminderten Bewusstseinslage" oder zur Bewusstlosigkeit führt.
Hilft sie jedem?
Heißt das, die Palliativmedizin kann alle Fragen beantworten und alle Probleme am Lebensende lösen? "Nein!", sagt Dr. Matthias Thöns, Palliativmediziner aus Witten. Er hat vor einigen Jahren eine Umfrage unter DGP-Mitgliedern in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Einerseits gaben 95 Prozent seiner Kolleg:innen an, "dass Patienten von ihrem vorzeitigen Sterbewunsch durch Palliativversorgung abgekommen" seien. Andererseits: "Von den 216 DGP-Mitgliedern, die ein eigenes Familienmitglied beim Sterben begleiteten, empfanden 97 (44,9 Prozent) die Phase als leidvoll." "Es bleiben Fälle, in denen wir nicht helfen können", sagt Matthias Thöns.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden – aber die Debatte um Sterbehilfe wird weitergehen
In den ersten Reaktionen auf das Urteil taucht häufiger die Sorge auf, dass nun der Druck auf alte und kranke Menschen zunehme. "Ich habe die Sorge, dass jetzt die Zahl der Suizide steigt“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese, die die vom Verfassungsgericht gekippte Regelung mitinitiiert hatte. Und die Kirchen befürchten, dass "organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land (…) zur akzeptierten Normalität werden“ (Gemeinsame Erklärung der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz).
Die Sterbehilfe soll einen Rahmen bekommen
Allerdings sieht das Gericht durchaus diese Sorgen. In der Urteilsbegründung wird dem Bundestag, der jetzt reagieren muss, ein Rahmen gesetzt, innerhalb dessen auch eine restriktive Sterbehilferegelung möglich ist. Die Karlsruher Richter:innen plädieren für eine "umfassende Beratung und Aufklärung hinsichtlich möglicher Entscheidungsalternativen“. Und sie sagen, es sei legitim, einer "gesellschaftlichen Normalisierung“ der Sterbehilfe entgegenzuwirken.
Autor: Georg Wieghaus
Quellenangaben zum Artikel:
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Artikel Überschrift:
Wallach sogar
Und psychisch Kranke sollen nach der Meinung vieler weiterhin ausgeschlossen werden… Was ist so schwer daran, durch zwei unabhängige Fachleute (Psychiater:in und/oder Psycholog:in) überprüfen zu lassen, inwiefern der Suizidwunsch „echt“ ist? Der Genehmigungprozess wird eh einige Wochen, wenn nicht sogar Monate, dauern und man hat immer die Möglichkeit, abzuspringen (zumindest… Weiterlesen »
Wie zitiere ich diese Internetseite angemessen? Wie lautet der Autor? Erscheinungsjahr (2020) habe ich schon „entdeckt“
Der Autor heißt Georg Wieghaus.
Lustiges Gespräch ??
Als betroffener und gleichzeitig Kläger in dieser Angelegenheit möchte ich Euch mitteilen, es lebt sich zwar nicht besser aber wesentlich beruhigender mit der Gewissheit nicht mehr ins Ausland zu müssen um zu Sterben. Fehlt nun nur noch die Herausgabe des Natrium-Pentobarbital. Herr Spahn, das Medikament nicht herauszugeben ist wie einem… Weiterlesen »
Danke, dass du deine Meinung als Betroffener hier teilst! Wir wünschen dir alles erdenklich Gute!