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Geschlechterunterschiede
Corona: Darum erkranken Männer oft schwerer als Frauen
Corona: Darum erkranken Männer oft schwerer als Frauen
Männer müssen mit Covid-19 öfter ins Krankenhaus und sterben häufiger. Das könnte am Immunsystem, an den Sexualhormonen und an den Genen liegen.
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Artikel Abschnitt: Wie groß sind die Geschlechterunterschiede bei Infektionen, Verläufen und Sterblichkeit?
Wie groß sind die Geschlechterunterschiede bei Infektionen, Verläufen und Sterblichkeit?
In einigen Ländern sind die Unterschiede besonders ausgeprägt: In Mexiko und Kolumbien sind 63 Prozent der Corona-Toten Männer, in Peru sind es 68 Prozent und in Bangladesch sind es sogar knapp 77 Prozent. Das geht unter anderem aus der Datenbank Global Health 50/50 hervor, die geschlechtsbezogene Daten zu Corona weltweit zusammenstellt. Es ist auch belegt, dass es bei Männern länger dauert, bis sie sich von einer Corona-Infektion erholt haben.
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Keine Daten zum Corona-Verlauf bei Transpersonen und Intersexuellen
Bislang erfasst kein Land, inwiefern Transpersonen, intersexuelle oder nichtbinäre Menschen von Corona betroffen sind. Einzige Ausnahme: zwei Bundesstaaten in Indien. Auch das RKI macht dazu keine Angaben. Es gibt auch noch keine Forschung zur Immunreaktion von diversen Geschlechtern auf das Coronavirus – zum Beispiel dazu, wie Transpersonen während einer Hormontherapie auf das Coronavirus reagieren.
Artikel Abschnitt: Warum haben Männer schwerere Covid-19-Verläufe?
Warum haben Männer schwerere Covid-19-Verläufe?
Das Coronavirus nutzt den ACE2-Rezeptor aus, um in die Zellen "einzubrechen". Es kann mit seinem charakteristischen Spike-Protein daran andocken und in die Zelle eindringen.
Einige Studien zeigen, dass bei Frauen der Rezeptor ACE2 seltener im Lungengewebe vorkommt; zusätzlich verringert das weibliche Sexualhormon Östrogen die Ausprägung des Rezeptors. Das Virus hat dadurch weniger Chancen, die Zellen zu befallen. Auch bei Kindern ist ACE2 geringer ausgeprägt, was erklären könnte, warum sie selten schwere Verläufe haben.
Bei Männern tritt außerdem häufiger als bei Frauen das Protein TMPRSS2 auf den Zelloberflächen auf, das dem Coronavirus beim Eindringen in die Zelle hilft.
Wie unterscheidet sich das Immunsystem von Männern und Frauen?
Grundsätzlich ist das Immunsystem von Frauen besser gegen Viren gewappnet als das von Männern. Evolutionsbiologisch lässt sich das wahrscheinlich so erklären, dass schwangere Frauen sich selbst und ihr ungeborenes Kind vor Infektionen schützen müssen.
Diesen Vorteil im Immunsystem sehen wir bei vielen anderen Viruserkrankungen: Hepatitis A und Tuberkulose treten seltener bei Frauen als bei Männern auf. Die Viruslast ist beim HIV-Virus und bei Hepatitis C bei Männern höher. "Die Kehrseite ist allerdings, dass Frauen öfter an Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Schilddrüsenerkrankungen leiden", sagt Immunologe Prof. Marcus Altfeld vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Bei Autoimmunerkrankungen kann der Körper bei bestimmten Geweben nicht mehr unterscheiden, ob die Zellen darin fremd sind und oder zum Körper gehören – in der Folge greift das Immunsystem das eigene Gewebe an.
Immunsystem von Frauen erkennt Coronavirus früher
Erste Erkenntnisse zur Immunantwort gegen das SARS-CoV-2-Virus liefert eine Studie von der Yale-Universität. Die Forschenden haben von knapp 100 Covid-19-Patientinnen und Patienten Proben von Blut, Speichel, Urin und Stuhl genommen. Sie beobachten, dass Patientinnen mehr T-Zellen gegen das Virus produzieren als Patienten. Besonders ältere Männer haben eine schlechte T-Zellen-Antwort – nicht jedoch ältere Frauen.
Die Forschenden haben außerdem bei Patientinnen höhere Werte vom Abwehrstoff Interferon gefunden. Interferone sind lösliche Proteine, die helfen, andere Zellen über die Infektion zu informieren: "Sie sagen dem Körper, da ist das Virus, und werfen dann die Abwehrmechanismen an, um die Viren abzutöten", beschreibt es Immunologe Marcus Altfeld. So kann der Körper bei Frauen schneller auf das Virus reagieren und es schneller bekämpfen.
Frauen haben einen genetischen Vorteil bei der Immunabwehr
Diese schnellere Immunreaktion führen Forschende auf das zweite X-Chromosom und auf den Einfluss von Sexualhormonen zurück. Viele zentrale Informationen für das Immunsystem sind auf dem X-Chromosom gespeichert – von dem Frauen zwei haben. Die meiste Zeit ist das zweite X-Chromosom stillgelegt und spielt bei den Prozessen im Körper keine Rolle. In einem Teil der Zellen können jedoch einige fürs Immunsystem wichtige Gene dem Stilllegen entkommen und so ebenfalls bei der Abwehr von Viren helfen. Auf diese Art könnten Frauen besser vor Infektionen geschützt sein als Männer, die nur ein X-Chromosom besitzen. Dieser Mechanismus ist bei anderen Virusinfektionen erforscht und Forschende gehen davon aus, dass die Immunabwehr beim Coronavirus ähnlich funktioniert. Klinische Studien zur Rolle des X-Chromosoms bei einer Corona-Infektion gibt es noch nicht.
Östrogen fördert die Immunantwort, Testosteron hemmt
Sexualhormone, vor allem Östrogen und Testosteron, haben einen wichtigen Einfluss auf die Immunabwehr gegen Viren. Östrogen kann die Immunantwort beschleunigen. Testosteron, das männliche Sexualhormon, hat eine immunhemmende Wirkung, verschlechtert also die Reaktion des Immunsystems und unterdrückt Immunantworten, die der Körper zur Bekämpfung von Covid-19 braucht. Das kann Prostatakrebspatienten wiederum zugutekommen: Wenn sie durch die Hormontherapie weniger Testosteron im Körper hatten, verringert sich auch ihr Risiko bei einer Covid-19-Infektion.
Wie komplex die Wirkungen der Hormone sind, zeigt die Studie der Yale-Universität. Denn die immunhemmende Wirkung von Testosteron ist nicht nur schlecht für die Virenabwehr. Das Hormon kann männliche COVID-19-Patienten auch vor einer übermäßigen Immunantwort, einem Zytokin-Sturm schützen. Der Zytokin-Sturm ist ein Grund für besonders schwere Verläufe.
Bei Männern altert das Immunsystem früher
Veränderungen im Immunsystem gefährden besonders ältere Menschen. Bei Männern Anfang 60 verändert sich das Immunsystem abrupt. Der Körper kann nicht mehr so gut Antikörper herstellen, die Viren bekämpfen. Diese Veränderungen beginnen bei Frauen erst fünf bis sechs Jahre später. Das könnte erklären, warum deutlich mehr ältere Männer an einer Covid-19-Infektion sterben als Frauen.
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Welche Rolle spielen Vorerkrankungen und Verhalten?
Rauchen erhöht das Risiko
Rauchende, die sich mit Corona infizieren, müssen öfter ins Krankenhaus und haben ein doppelt so hohes Risiko, schwere oder kritische Verläufe zu entwickeln. Das belegt eine Metastudie, die Daten zu fast 33 000 Covid-19-Patientinnen und -Patienten ausgewertet hat.
Die Erklärung: Menschen, die Zigaretten rauchen, haben einen stärker ausgeprägten ACE2-Rezeptor, über den das Coronavirus an die Zellen andockt. Das trifft eher Männer als Frauen, denn weltweit rauchen deutlich viel mehr Männer als Frauen: 35 Prozent der Männer rauchen, nur 6 Prozent der Frauen.
Händewaschen und Masketragen
Einige Studien diskutieren, inwiefern sich auch geschlechtsbezogene Verhaltensmuster auf Infektionen und Verläufe auswirken könnten – zum Beispiel, dass Frauen sich öfter die Hände waschen und möglicherweise öfter Maske tragen. Doch wirklich belastbare Daten für solche Verhaltensunterschiede gibt es nicht, da man sie nur sehr schwer von anderen Faktoren isolieren kann.
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Was bedeutet das für die Therapie von Covid-19?
Auch bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten sollte das Geschlecht berücksichtigt werden. Grundsätzlich sprechen Frauen besser auf Impfstoffe an und entwickeln besser Antikörper – berichten aber öfter Nebenwirkungen, zum Beispiel bei Impfstoffen gegen Influenza, Hepatitis B oder Herpes-Viren.
Wissen über Hormone nutzen
Das Wissen über den immunologischen Vorteil von Frauen könnte dabei helfen, Medikamente zur Corona-Behandlung zu entwickeln. Ein brasilianisches Forschungsprojekt hat ergeben, dass das Sexualhormon Östradiol Zellen im Labor vor einer SARS-CoV-2-Infektion und der Virus-Replikation schützen kann. Eine andere Studie besagt, dass Frauen, die im Zuge einer Hormontherapie nach der Menopause regelmäßig Östradiol einnehmen, höhere Überlebenschancen bei einer Corona-Infektion haben. Inwiefern eine Therapie mit weiblichen Sexualhormonen bei Corona tatsächlich schwerere Verläufe verhindern könnte, ist aber noch kaum erforscht.
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Sollten Männer zuerst geimpft werden?
Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts hat eine geschlechtsspezifische Empfehlung diskutiert, sich dann aber dagegen entschieden. Das teilt das RKI auf Quarks-Anfrage mit. "Eine Unterscheidung zwischen Frauen und Männern wäre kaum gerecht umsetzbar. Das größte Risiko für schwere Verläufe und Todesfälle ist nach der vorliegenden Evidenz – nur diese kann die STIKO ja bewerten und als Entscheidungsgrundlage heranziehen – das Alter", heißt es in der Antwort.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in ihren Richtlinien zur Impfstoff-Verteilung davon abgeraten, Männer zu priorisieren. Das könne Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschärfen, da Frauen in einigen Regionen ohnehin schon schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung hätten als Männer – und Frauen gleichzeitig überrepräsentiert seien in Berufen mit einem hohen Ansteckungsrisiko und in der Altenpflege.
Autorin: Luisa Meyer
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Sehr schöner Artikel. Vielen Dank! Da ist ein klitzekleiner Schönheits Fehler: „ Diesen Vorteil im Immunsystem sehen wir bei vielen anderen Virus-Erkrankungen: Hepatitis A und Tuberkulose treten seltener bei Frauen als bei Männern auf.“ Tuberkulose ist eine bakterielle Erkrankung.