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Corona
So schlecht sind Altenheime noch immer vor Corona geschützt
Seit Beginn der Pandemie gibt es immer wieder Ausbrüche in Altenheimen. Tausende Bewohner sterben, weil sie nicht ausreichend geschützt sind.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
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Viele Menschen sterben in Altenheimen an Corona
Generell ist die Gefahr eines tödlichen Verlaufs nach einer Covid-19-Infektion bei Älteren deutlich höher als in anderen Altersgruppen. Eine Metastudie aus den USA schätzt das Sterberisiko nach einer Infektion für 85-Jährige auf 15 Prozent. Die Verteilung der Corona-Sterbefälle nach Alter in Deutschland spiegelt dieses Bild wider.
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Auf einen Blick: das Coronavirus in Deutschland
Hälfte aller Covid-19-Todesfälle nur in Heimen?
Viele dieser Todesfälle gehen auf die Bewohner und Bewohnerinnen von Alten- und Seniorenheimen zurück. Wie viele ist nicht ganz klar, auch weil die veröffentlichten Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) nur wenige Rückschlüsse zulassen. Eine Untersuchung an der Universität Bremen kommt zu dem Ergebnis, dass gut die Hälfte aller Todesfälle, die in Zusammenhang mit Covid-19 stehen, auf Bewohner von Heimen zurückgehen könnte. Die Untersuchung bezieht sich auf das Frühjahr 2020.
Der Befund wird durch Studien im Ausland gestützt, denn Forschende aus den USA und Großbritannien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: In Alten- und Seniorenheimen gibt es sehr viele Ausbrüche mit entsprechend vielen Sterbefällen. Einen weiteren Hinweis darauf liefern zahlreiche journalistische Beiträge. Laut Recherchen der DPA sollen von Ende September bis Mitte Dezember 2020 rund 89 Prozent aller Corona-Todesfälle in Schleswig-Holstein auf Bewohner von Alten- und Pflegeheimen zurückgehen.
Eine groß angelegte Untersuchung in britischen Heimen zeigt: Die Sterblichkeit hat sich zeitweise mehr als verdoppelt, wenn man den Zeitraum von Ende März bis Ende Mai betrachtet und mit den fünf Jahren davor vergleicht. Die Untersuchung bezog sich nicht ausschließlich nur auf Alten- und Pflegeheime; allerdings fanden fast alle beobachteten Ausbrüche in dieser Art von Heimen statt.
Superspreading in Heimen
Die vielen Fälle in Heimen sind keine Überraschung: Nirgendwo sonst leben ältere, oft vorerkrankte Personen auf so engem Raum zusammen. Im Dezember 2020 hieß es in einem Pressebriefing des RKI, dass sich bei einem Ausbruch in einem Alten- oder Seniorenheim durchschnittlich 20 Personen anstecken – in keinem anderen Kontext (zum Beispiel Schule, Arbeit) sei diese Zahl derart hoch.
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Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Heime müssen besser geschützt werden
Gerade am Anfang der Pandemie im Frühjahr 2020 mangelte es an Schutzausrüstung für das Personal. Bei einer Befragung zeigte sich, dass fast jedes zweite Pflegeheim davon zumindest temporär betroffen war. Vor allem FFP2- und FFP3-Masken haben gefehlt, in vielen Fällen aber auch einfacher Mund-Nasen-Schutz. Darüber hinaus gab es zu wenig Desinfektionsmittel und auch Beatmungsgeräte. Sehr oft hat das Personal keine besonderen Schulungen erhalten, um mit dieser Sondersituation umzugehen.
Pandemiebedingt hat das Personal natürlich deutlich mehr zu tun: Schutzmaßnahmen und die gesonderte Behandlung infizierter Bewohner und Bewohnerinnen kosten Zeit und steigern die Arbeitsbelastung noch einmal erheblich – die bereits vor der Pandemie sehr hoch war.
Zusätzlich sind viele Arbeitskräfte ausgefallen, weil sie selbst krank waren oder in Quarantäne mussten. Die ohnehin angespannte Personalsituation verschärfte sich so noch stärker. Um die Heime zu “entlasten” erließ das RKI deshalb bei “akutem Personalmangel” eine Sonderregel, die bis Anfang Februar 2021 galt: Bei Pflegepersonal, das sich “nur” aufgrund eines Corona-Kontaktes in Quarantäne befindet, konnte diese Quarantäne verkürzt werden.
Ausgerechnet in dieser Situation hat es in Alten- und Pflegeheimen nur sehr wenige Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen gegeben – in einer ohnehin schlechten Versorgungssituation, in der Verwandte keinen Zugang zu den Heimen hatten. Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell (Rhein-Ahr-Campus Remagen der Hochschule Koblenz) bewertet diesen Zustand als “Staatsversagen”.
Testen, testen, testen
Als im Herbst das Infektionsgeschehen in Deutschland wieder stärker wurde, schien der Mangel an Schutzausrüstung behoben. Das allein reichte aber nicht, um Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen zu verhindern. Dabei hatte es einige recht naheliegende Empfehlungen von Forschern und Forscherinnen gegeben, um genau dem vorzubeugen.
Sinnvoll seien vor allem regelmäßige Tests für Bewohner und Personal; auch um Infektionscluster in den Einrichtungen nachzuverfolgen. Zusätzliche Schnelltests könnten PCR-Testungen ergänzen und Infektionen schneller aufdecken. Die Experten und Expertinnen weisen allerdings sehr deutlich darauf hin, dass es dafür extra Personal bräuchte.
Inzwischen gibt es diese erweiterten Testmöglichkeiten für Heime – personelle Unterstützung, zum Beispiel durch die Bundeswehr, allerdings eher selten. Die verbesserte Teststrategie sei also nur begrenzt umsetzbar, kritisierte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz im Dezember im WDR-Hörfunk.
Corona-Test: Welche Tests es gibt und wie zuverlässig sie sind.
Kein ausgereiftes Konzept für Besuche?
Die maßgeblichen Empfehlungen für die Arbeit in Alten- und Pflegeheimen veröffentlicht das RKI. Letztendlich entscheiden die Bundesländer aber selbstständig, wie sie diese umsetzen.
Im Dezember veröffentlichte auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, ein “Konzept” für Heime. Ihm ging es vor allem darum, Besuche von Angehörigen zu ermöglichen. Konkrete Anordnungen enthält diese Veröffentlichung allerdings nicht. Sie basiert auf Empfehlungen, ist nicht besonders umfangreich und zum Erscheinungszeitpunkt bereits überholt. Der Einsatz von Schnelltests bei Besuchern und Besucherinnen wird darin lediglich als Möglichkeit dargestellt, nicht als dringend empfohlene Maßnahme. Erstaunlich ist auch die Bewertung von FFP2-Masken für Besuch: Sie werden für diesen Einsatz als ungeeignet beschrieben.
Die Empfehlungen des RKI sind immerhin deutlich umfangreicher. Allerdings wird selbst in der aktuellsten Fassung von Anfang Januar 2021 lediglich ein “mehrlagiger Mund-Nasen-Schutz” für Besucher empfohlen. Kurz danach beschließt die Regierung eine Tragepflicht medizinischer Masken für Handel und ÖPNV – aber nicht für die Besucher und Besucherinnen von Alten- und Seniorenheimen. Immerhin für das Personal werden FFP2-Masken verpflichtend.
Auch bezüglich der Testungen gibt es Luft nach oben: Besucher und Besucherinnen sollen den Empfehlungen zufolge nur einmal pro Woche mit einem Schnelltest getestet werden, unabhängig davon, wie oft sie zu Besuch sind.
Die bisherigen Konzepte berücksichtigen die Angehörigen der Heimbewohner und -bewohnerinnen also nur sehr begrenzt. Dabei müssten die Schutzkonzepte auf jeden Fall nicht nur mit Bewohnern und Personal, sondern auch mit dieser Gruppe abgestimmt sein, kritisiert Adelheid Kuhlmey, Medizinsoziologin an der Berliner Charité. Eine zusätzliche FFP2-Maskenpflicht für Besuch könnte zusätzlich helfen, die Virusausbreitung einzudämmen.
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Soziale Isolation ist keine Lösung
Im Herbst stiegen die Fallzahlen erneut, wieder kam es in Alten- und Seniorenheimen zu zahlreichen Ausbrüchen. Anders als während der ersten Welle waren Besuchsverbote diesmal aber recht schnell vom Tisch. Sozialverbände sprachen sich deutlich gegen die soziale Isolation aus. Auch die Bundesregierung folgte dieser Linie und rückte damit von ihrer ursprünglichen Haltung ab. In dem “Konzept”, das Anfang Dezember vom Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung veröffentlicht wurde, heißt es: “Der persönliche Kontakt mit An- und Zugehörigen ist für die Bewohnerinnen und Bewohner unverzichtbarer Teil ihres Lebens. Er darf deshalb nicht infrage gestellt werden.“
Soziale Isolation macht krank
Der Hintergrund: Für Menschen in Heimen ist die soziale Isolation nicht nur einsam, sondern hat extrem schlechte Auswirkungen auf die Gesundheit. Verschiedene Studien zeigen, dass die psychische Verfassung und das Herz-Kreislauf-System enorm leiden, wenn Heimbewohner und -bewohnerinnen keinen Besuch empfangen (können). Daraus ergibt sich ein deutlich erhöhtes Sterblichkeitsrisiko.
Die Herausforderungen für die Alten- und Pflegeheime sind also sehr groß: Einerseits soll unter allen Umständen eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 verhindert werden. Andererseits ergibt sich daraus fast zwangsläufig, dass die Menschen dort noch weniger soziale Kontakte haben als ohnehin schon – was auch mit negativen Folgen für die Gesundheit verbunden ist.
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Politisches Versagen? – Hoffen auf die Impfung
Das Personal hat besonders zu Beginn der Pandemie vielerorts unter widrigen Bedingungen arbeiten müssen und dabei die eigene Gesundheit riskiert. Aus der Forschung gab es gleichzeitig schon früh Hinweise auf hilfreiche Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen in den Heimen einzudämmen. Viele davon wurden aber erst viel später umgesetzt, weil Bund und Länder teils zu zögerlich reagierten.
Andererseits scheint Deutschland kein Sonderfall zu sein, weltweit beobachtet man diese Probleme in Heimen. In Deutschland zeigt sich allerdings sehr deutlich, dass die Mängel in der Pflege, die bereits lange vor der Pandemie herrschten, jetzt zu einem noch größeren Problem geworden sind. Pflegeberufe bieten wenig Attraktivität, entsprechend groß ist der Personalmangel – erst recht während der Corona-Pandemie. Und wo kein Personal, da gibt es einfach nicht ausreichend Zeit oder Möglichkeit, um sich intensiv um alle Heimbewohner und -bewohnerinnen zu kümmern.
Die Heime selbst stehen vor einem großen Dilemma: Auf der einen Seite müssen sie für größtmöglichen Schutz sorgen, gleichzeitig kann soziale Isolation keine Option sein. Helfen könnten derzeit, aber auch in Zukunft, digitale Hilfsmittel (zum Beispiel Videotelefonie), die sozialen Kontakt ermöglichen – das ist in sehr vielen Einrichtungen aber noch nicht etabliert.
Hoffen auf die Impfung
Große Hoffnungen ruhen deshalb auf den Impfstoffen. In Deutschland werden diese zuerst in Alten- und Pflegeheimen an Bewohner und Bewohnerinnen sowie Personal verabreicht. Um weitere Infektionen und Todesfälle zu verhindern, könnte eine schnelle Impfung des Umfelds dieser beiden Gruppen wichtig sein – auch im Hinblick auf die neuen, deutlich ansteckenderen Mutationen des Coronavirus.
Corona: Wie sicher ist der Impfstoff?
Wie gut wissen wir eigentlich wirklich Bescheid?
Generell gibt es nur wenige Untersuchungen über die Situationen in den Alten- und Pflegeheimen. Die vom RKI veröffentlichten Statistiken sind dahingehend unvollständig und lassen keine validen Aussagen darüber zu, wie viele Heimbewohner und Heimbewohnerinnen im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion sterben.
Aber nur mit solchen Analysen, die konkrete Entwicklungen und Mängel aufzeigen, können Maßnahmen gezielt und effizient getroffen werden. Es ist daher wichtig, dass Forschende weitere Daten erheben und zusätzlich mehr Daten von den Behörden erhalten.
Autor: Christopher Ophoven
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