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Blut- und Verletzungsphobie
Das kannst du gegen die Angst vor Spritzen tun
Die Corona-Impfung war für Viele eine echte Überwindung – und zwar wegen der Nadel. Was sich hinter dem Phänomen verbirgt, wann es krankhaft wird und wie du es bewältigst.
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Artikel Abschnitt: Was ist Spritzenangst und wie häufig ist sie?
Was ist Spritzenangst und wie häufig ist sie?
Das Spektrum, wie groß diese Angst ist, ist breit: Manchen ist einfach ein wenig mulmig, sie fühlen sich unwohl, können ihre Sorgen aber überwinden. Andere leiden unter einer handfesten Phobie, gehen erst gar nicht zum Arzt oder vermeiden notwendige Behandlungen. Das ist die extreme Variante, die ärztlich behandelt werden sollte.
Spritzenphobie als spezifische Phobie
Die Spritzenphobie fällt in die Gruppe der Blut- und Verletzungsphobien. “Diese zählen zu den spezifischen Phobien”, sagt der Angstforscher und Psychiater Prof. Borwin Bandelow. Unter diesem Oberbegriff ist die Blut- und Verletzungsphobie etwa auch in der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) zu finden, in der alle Diagnosen festgehalten sind. Auch das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association (kurz DSM-5), oft als “Bibel der Psychiatrie” bezeichnet, kennt sie.
Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen von Spritzenangst betroffen sind, gibt es nicht. “Schätzungen zufolge leiden etwa zehn Prozent unter spezifischen Phobien”, sagt Bandelow. Zu denen zählen dann aber etwa auch die Angst vor Spinnen, vor Höhen oder engen Räumen.
Drei bis fünf Prozent leiden unter Blut- oder Verletzungsphobie
Für die Blut- oder Verletzungsphobie wird die Anzahl Betroffener auf etwa drei bis fünf Prozent geschätzt, wobei nicht jeder, der darunter leidet, etwas dagegen tut – und damit auch keine Diagnose bekommt. “In meiner jahrzehntelangen Arbeitszeit kam kaum jemand mit diesem Problem zur Therapie”, sagt Bandelow. “Dabei kann man gut helfen.” Gefährlich wird das für chronisch kranke Menschen, die eigentlich Spritzen bräuchten. Aber auch notwendige Behandlungen oder Vorsorgeimpfungen, die Betroffene wegen ihrer Phobie vermeiden, sind ein echtes Problem.
Meist tritt die Spritzenangst, korrekt müsste man bei der Krankheit eigentlich von Phobie sprechen, schon in der Kindheit auf und bleibt unbehandelt oft bis ins Erwachsenenalter bestehen – das ist auch typisch für spezifische Phobien. Allerdings: Eine gewisse Ängstlichkeit im Kindesalter ist vollkommen üblich – und wächst sich aus. Die Diagnose sollte daher immer ein Fachmann oder eine Fachfrau stellen.
Artikel Abschnitt: Wie zeigt sich Spritzenangst?
Wie zeigt sich Spritzenangst?
Die Angst ist bei einer Phobie stark, übermächtig, sie beeinträchtigt das Leben und sie steht in keinem Verhältnis zur Situation. Schon Wochen vor dem Termin plagen sich Betroffene mit schlaflosen Nächten. Dem DSM-5 zufolge zählt zu den Diagnosekriterien auch, dass die Furcht vor Spritzen mindestens seit sechs Monaten oder mehr besteht und dass sie sich nicht durch andere Störungen wie etwa eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Platzangst erklären lässt.
Ohnmacht beim Anblick der Spritze
“Besonders ist bei der Blut- und Verletzungsphobie, dass Betroffene sehr oft ohnmächtig werden, wenn sie die Spritze sehen”, sagt Bandelow. Das unterscheidet sie von anderen Phobien. “Bei einer Platzangst etwa denkt man, dass man bewusstlos wird. Das passiert dann gar nicht. Bei einer Spritzenphobie hingegen fällt man tatsächlich um.” Das Herz rast also nur am Anfang, der Blutdruck steigt. Dann sinkt die Herzfrequenz, der Blutdruck fällt ab. Das Blut sackt aus dem Hirn, wir kippen um. Bei anderen Phobien schnellt er weiter in die Höhe.
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Woher kommt die Spritzenangst?
Vermutlich evolutionäre Gründe
Heute geht man daher eher davon aus, dass sich spezifische Phobien entwicklungsgeschichtlich erklären lassen. Auch die Angst vor spitzen Gegenständen sowie vor Blut und das Umfallen haben vermutlich evolutionäre Gründe. “Ein Tier oder auch der Urmensch konnte nicht zum Arzt, wenn sie im Kampf verletzt wurden”, sagt Bandelow. Wer aus mehreren Wunden blutete, der fällt daher, so hat es die Natur wohl eingerichtet, – zack – in Ohnmacht. Der Blutdruck stabilisiert sich dadurch, bei Blutverlust ist die Gerinnung besser. Das Bewusstloswerden könnte bei einem Angriff auch eine alternative Überlebensstrategie gewesen sein. Und dass es am besten war, wütende Angreifer und klaffende Wunden gänzlich zu vermeiden, dürfte klar sein.
Dass der Anblick eines Speers erschüttern kann, ist verständlich. Aber warum hat der Mensch heute Angst vor diesen kleinen Spritzchen? “Die sitzt tief im primitiven Angstsystem des Gehirns”, sagt Bandelow. “Durch Logik und gutes Zureden lässt es sich schlichtweg nicht erreichen.”
Spezifische Phobien wie vor Spinnen oder eben auch vor Blut wären somit angeboren, letztlich um den Bestand der Tierwelt und der Menschheit zu sichern. “Wenn man etwa die Angst vor gefährlichen Spinnen oder Wunden immer wieder neu erlernen müsste, hätte es viel zu viele Totalausfälle in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gegeben.”
Tief sitzende Angst
Die Angst sitzt also tief, auch wenn Spinnen heute zumindest bei uns nicht mehr lebensbedrohlich sind. Vor Dingen, die heute tatsächlich eine Gefahr bergen, wie etwa Motorrädern oder Steckdosen, entwickeln wir jedoch keine Phobie.
Bei spezifischen Phobien ist der erbliche Faktor besonders hoch. Studien zufolge berichten an die 80 Prozent der Spritzenphobiker, dass ein Verwandter ersten Grades ebenfalls unter dieser Phobie litt. Auch fürs Ohnmächtigwerden haben Forschende Gene gefunden.
Denn: das primitive Angstsystem macht wiederum keinen Unterschied zwischen großer und kleiner Wunde. Bei manchen Menschen ist es dem Angstforscher zufolge überempfindlich eingestellt.
Erfahrungen könnten auch eine Rolle spielen
Doch warum betrifft es nur manche? “Auch Ängste sind normalverteilt”, sagt Bandelow. Anders gesagt: Die Menschheit braucht ein paar sehr Mutige – die voranpreschen. Und Ängstliche, die vor Gefahren warnen. Warum die entwicklungsgeschichtlich sinnvolle Angst bei manchen Menschen pathologisch wird, ist aber letztlich noch nicht komplett geklärt.
Dennoch: Erfahrungen könnten bei der Spritzenphobie mit eine Rolle spielen. So zeigen Studien, dass die Schmerzempfindlichkeit bei Kindern höher ist, bei denen schon früh medizinische Eingriffe nötig waren, etwa regelmäßige Blutentnahmen wegen chronischer Krankheiten. Die Angst wäre damit allerdings eine reale Angst vor den Schmerzen. Einige Betroffene erinnern sich auch an eine sehr schmerzhafte Erfahrung in der Kindheit. Verglichen mit anderen Angststörungen sind die Einflüsse traumatischer Erfahrungen bei sozialen Phobien allerdings weniger deutlich, das betont auch die aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen, eine Art Behandlungsempfehlung für Ärztinnen und Ärzte.
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Was lässt sich dagegen tun?
Die Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen empfiehlt bei spezifischen Phobien die Expositionstherapie. Heißt: Nicht vermeiden, sondern sich mit dem konfrontieren, was man fürchtet. “Sie können stundenlang reden, aber was hilft, sind Taten, nicht Worte”, sagt Bandelow. “Das primitive Angstsystem überzeugen sie nur mit der Holzhammermethode.”
Konfrontationstherapie als Lösungsmöglichkeit
Doch auch die sollte nicht rabiat sein. Konkret könnte eine Konfrontationstherapie bei der Spritzenphobie so aussehen, dass man sich in der Therapie erst einmal Bilder von Spritzen anschaut. Dass man dann zu dünnen Spritzen (ohne Nadel, dann mit) übergeht und diese in der Hand hält und vielleicht auch gegen die Haut drückt. Dass man sich vorstellt, wie man im Wartezimmer sitzt und wie man gespritzt wird. Und dass man schließlich Arzttermine zum Impfen oder Blutabnehmen auch wahrnimmt – sich der Angst also abgestuft und wohldosiert stellt. Und merkt, dass man die Prozedur überlebt. Mit der Zeit lässt so die Angst nach.
Solche Konfrontationstechniken werden auch bei Kindern ab etwa sieben Jahren mit Spritzenphobie empfohlen. Einen Versuch kann es auch wert sein, sie auf kleinere Kinder zu übertragen – etwa indem man mit ihnen ein Buch über Spritzen liest und sie dem Teddy eine Spritze geben lässt, bevor sie selbst eine Spritze bekommen.
Behandlung gut und schnell möglich
Wie lange eine solche Therapie dauert, ist unterschiedlich. In Studien wurden dafür eine bis fünf Sitzungen veranschlagt. “In der Regel lässt sich das gut und schnell behandeln”, sagt Angstforscher Bandelow. Auch der Einsatz von virtueller Realität ist zur Therapie von spezifischen Phobien möglich und wird etwa bei Flug- oder Höhenangst schon angewendet. Den Einsatz von Medikamenten empfiehlt die Leitlinie bislang nicht, da Studien zum Nachweis der Wirksamkeit fehlen.
Bei kleinen Kindern ist es sinnvoll, dass die Eltern sie begleiten und beruhigen. Hilfreich sind auch Ablenkmanöver: Seifenblasen etwa, etwas vorlesen, zählen lassen oder bei Älteren einfach sprechen und diese in ein Gespräch verwickeln. Das kann auch bei Erwachsenen helfen, die Spritzen etwas unangenehm finden, aber keine ausgewachsene Phobie haben. Ärzte raten auch: Vielleicht zuvor schon etwas Kurzärmeliges anziehen, damit man sich den Ausziehstress erspart. Jemanden mitnehmen, der die Hand hält. Auch eine vertraute Stimme beruhigt. Oder sich auf etwas Schönes konzentrieren, bei der Corona-Impfung etwa darauf, was danach alles wieder möglich ist.
Spezielle Techniken können helfen
Hilfreich kann es auch sein, offen die Ängste anzusprechen. Wer Angst vorm Umfallen hat, legt sich lieber besser gleich auf eine Liege. “Das verhindert oft schon, dass jemand bewusstlos wird”, sagt Bandelow.
Sinnvoll auch bei Spritzenphobie: Zusätzlich zur Konfrontationstherapie Techniken erlernen, die einem Umkippen entgegenwirken, auch als angewandte Anspannung bezeichnet. Studien deuten darauf hin, dass dies helfen kann. Dabei werden die Arme und die Beine rhythmisch angespannt (siehe etwa hier). Dies hilft, den Blutdruck nicht absacken zu lassen, das Gehirn wird weiter mit Blut versorgt – was einer Ohnmacht entgegenwirkt. Zusätzlich vermittelt die Technik wohl das Gefühl, die Situation etwas kontrollieren zu können.
Tiefes Atmen, Entspannungstechniken oder autogenes Training könnten bei milder Spritzenangst und einem mulmigen Gefühl hilfreich sein. Bei einer echten Spritzenphobie könnten sie allerdings auch eher das Gegenteil bewirken und das Umkippen beschleunigen.
Spritzenangst schwächt sich mit dem Alter ab
Die erfreuliche Nachricht zum Schluss: Die Angst vor Spritzen – egal ob schwach ausgeprägt oder phobisch – schwächt sich mit dem Alter ab oder verschwindet ganz. Warum das so ist, ist noch nicht ganz geklärt. “Letztlich schwächt sich aber vieles im Alter ab, auch die Emotionen”, sagt Bandelow. Und wer alt ist, hat wahrscheinlich auch schlichtweg schon so viele Spritzen hinter sich, dass er gelernt hat, damit umzugehen. Und weiß, dass er den Piks überlebt.
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Na Ja, hilfreich war das nicht. Ich hab auch Angst vor Spritzen und Blut kann ich schon gar nicht sehen. Verletzungen sind für mich eine Katastrophe. Mir wird übel und ich habe richtig Panik. Ich konnte nicht erkennen, dass das was da steht mir helfen könnte. Wie soll man sich… Weiterlesen »
Wenn du regelmäßig in die Konfrontation willst geh Blut oder noch besser Plasma spenden. Du bekommst Geld rettest Menschenleben und überwindest deine Phobie.
Ich hatte als Kind/Teenager schlimme Angst vor Spritzen. z.B. Habe ich einen Arzt eine Spritze ? aus der Hand geschlagen, danach haben mich 4 Pflegekräfte festgehalten ? Durch regelmäßiges Blutspenden habe ich die Angst überwunden Ich kann heute beim stechen nicht hinsehen??♀️ , aber damit ich 2 Entbindungen, empfohlen Impfen… Weiterlesen »
Guten Abend…….
Ich bin als Kind ziemlich mit Spritzen gequält worden.
Selbst 56 Blutspenden konnten die „Angst“ nicht überwinden.
Heute muss ich mich als Diabetiker auch noch selbst spritzen……
Es geht, wenn man muss…..
Herzliche Grüße aus dem Münsterland ????
… nur leidet die Lebensqualität, ich bin „Neudiabetiker“ und mein ganzer Tag dreht sich nur um die nächste Spritze. Bisher kam ich den Dingen gut aus und konnte es kompensieren, da man Blutabnahme/Impfung nur vlcht. 2x im Jahr bekamm, also aushaltbar. Aber ich schaffe meine Spritzen 4 x täglich kaum,… Weiterlesen »
Helfen dir eventuell eine Insulinpumpe und so ein Pflaster zum Zucker messen? Dafür wirst du auch gepiekst aber seltener.
Was macht man, wenn man angesichts einer Zwangs-Impfung regelrecht durchreht?
Vom 22.07.2020: https://www.swr.de/wissen/coronaimpfstoff-fuer-die-nase-100.html Aber: Das Land Baden-Württemberg hat sich erstmal gegen eine Förderung entschieden. Die Fördermaßnahmen sind laut Wissenschaftsministerium für “aktuell dringende Forschungsvorhaben”. Ein Schelm, wer dabei denkt, wem ein solcher Impfstoff schaden würde, bzw. wessen Lobby eine durchschaubar große Motivation hätte, eine Förderung in dieser Richtung zu behindern. 05.04.2021… Weiterlesen »