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Krebstherapie
Hilft Methadon gegen Krebs?
Ob Methadon helfen kann, Krebserkrankungen zu behandeln – darüber gehen die Meinungen auseinander. Dabei fehlt in der Diskussion vor allem eins: eine wissenschaftliche Grundlage.
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
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Unklar, ob Methadon gegen Krebs wirkt oder nicht
Übrigens: Diskutiert wird Methadon als Mittel, das die Wirkung einer Chemotherapie verstärken kann. Es geht nicht darum, Methadon selbst als Krebstherapeutikum zu verwenden. Diese Information ist in der Debatte zum Teil untergegangen.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Methadon im Fokus der Öffentlichkeit
Erstens: Es ist zwar erforscht, wie Methadon als Schmerz- und Drogenersatzmittel auf den Menschen wirkt. Es ist aber nicht erforscht, wie Methadon in Kombination mit einer Chemotherapie auf den Menschen wirkt. Man weiß in diesem Kontext also wenig über mögliche Wechselwirkungen. Hinzu kommt, dass Methadon schwer dosierbar ist und eine Überdosis tödlich enden kann.
Zweitens: Methadon ist nicht zum Einsatz in der Krebstherapie zugelassen. Ärzt:innen, die ihren Patient:innen das Opioid dennoch verschreiben, tun es "unter der Hand" als Off-Label-Use. Das heißt: Selbst wenn Patient:innen einwilligen und die Verantwortung tragen wollen, haften die Ärzt:innen für mögliche Folgeschäden.
Artikel Abschnitt: Wie alles begann:
Wie alles begann:
Methadon in Zellversuchen
Widersprüchliche Ergebnisse zu Methadon
Methadon hefte sich über Opioid-Rezeptoren an Tumorzellen, erklärte Friesen die Ergebnisse. Einmal angedockt, lege das Opioid so einen molekularen Schalter um. Was das wiederum bewirkt, ist im Detail noch nicht verstanden. Chemikerin Friesen vermutete folgenden Mechanismus: Durch Methadon könnten Chemotherapeutika besser in die Tumorzellen eindringen – das funktioniere auch bei Zellen, die bereits Resistenzen gegen Chemotherapeutika gebildet haben. So verstärke es die Wirkung einer Chemotherapie, meint Friesen.
Sie behandelte außerdem in zwei Versuchen 17 (Versuch 1) bzw. 16 (Versuch 2) krebserkrankte Nacktmäuse. Im ersten Versuch bekamen die Tiere entweder Methadon, ein Chemotherapeutikum oder eine Kombination aus beiden, wodurch die Tumoren langsamer wuchsen als in den Kontrollgruppen, in denen Mäuse gar nicht behandelt wurden. Die Kombination von Methadon und Chemo wirkte aber nicht signifikant besser als die Chemotherapie alleine. Im zweiten Versuch wurden die Mäuse ausschließlich mit Methadon behandelt. Auch hier ging das Tumorwachstum zurück. Jedoch kann dies nicht auf dem von Friesen postulierten Wirkmechanismus von Methadon als Wirkverstärker eines Chemotherapeutikums beruhen.
Methadon im Kampf gegen Krebs – was steckt nun dahinter? Einige Ergebnisse sind zunächst positiv, keine Frage …
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Die Ergebnisse sind nicht auf den Menschen übertragbar
Wer sich nun fragt, warum so kleine Mäuse diese hohe Methadondosis vertragen und Menschen nicht: Nagetiere verstoffwechseln das Opioid schneller als wir Menschen.
Und andere Forschende sagen, es sind eben nur die Ergebnisse aus einem Zellversuch und zwei Tierversuchen. Zu früh, um daraus Hoffnung für die Krebstherapie am Menschen abzuleiten. Zur Aussagekraft von Tierversuchen lässt sich allgemein sagen: Von den Wirkstoffen gegen Krebs, die im Tierversuch erfolgreich waren, werden nach weiteren Untersuchungen schließlich nur etwa acht Prozent zur Behandlung von Menschen zugelassen. 92 Prozent der anfangs Erfolg versprechenden Kandidaten gehen also auf dem Weg zur Zulassung verloren.
Hinzu kommt: Bisher wurde die chemotherapieverstärkende Wirkung von Methadon nur an wenigen Zelltypen untersucht, vor allem an Leukämie- und Hirntumorzellen. Und es gibt auch Forschende, die für eben diese Glioblastome in Zellstudien keine, nur eine eingeschränkte oder sogar eine gegenteilige Wirkung beobachten konnten. Ob und wie Methadon auf andere Krebszellen wirkt, darüber kann man bislang nur spekulieren.
Trotzdem wurden auf Basis dieser Kenntnisse positive Einzelfallberichte in den Medien diskutiert, obwohl zu dieser Zeit jegliche Forschung am Menschen fehlte.
Wirkungsnachweis für Methadon als Zusatztherapie fehlt
Erst anschließend gab es eine Fallkontrollstudie mit 27 Hirntumorpatient:innen mit Fokus auf den Nebenwirkungen von Methadon, nicht einem möglichen therapeutischen Potenzial. Laut der Veröffentlichung habe sich der Tumor hier nur bei 9 von 27 Patient:innen im Untersuchungszeitraum weiterentwickelt. Es ist nicht möglich, daraus allgemeine Schlüsse abzuleiten, denn die Studie hat etliche Schwächen: die Krankheitsverläufe der 27 Teilnehmer:innen waren sehr unterschiedlich und 27 ist eine kleine Fallzahl. Außerdem wurde nur rückblickend analysiert. Bei dieser Vorgehensweise bleibt unklar, wo Ursache und Wirkung liegen, ob positive Entwicklungen auf Methadon, auf andere Behandlungen (wie Operationen) oder einfach auf günstige Risikofaktoren zurückzuführen sind. Zu guter Letzt betonen die Autor:innen der Studie selbst, dass es auf Basis ihrer Ergebnisse weiterhin keinen Wirksamkeitsnachweis für eine zusätzliche Therapie mit Methadon zur Tumorkontrolle gibt.
Genauso ist es bei den Einzelfallberichten. Diese sind zudem schwer miteinander zu vergleichen, da sie nicht systematisch in einer Studie organisiert wurden. Übrigens: Zu den positiven Beispielen haben sich mittlerweile auch negative gesellt. Einige Ärzt:innen, die Krebspatient:innen Methadon zur Chemotherapie gaben, meldeten lebensbedrohliche Komplikationen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Wir müssen uns noch eine Weile gedulden
1: In Tierversuchen muss ermittelt werden, bei welcher Dosis welche möglicherweise erwünschten und unerwünschten (Neben)Wirkungen und Wechselwirkungen zu erwarten sind und welche Methadondosis für weitere Studien und die klinische Anwendung sinnvoll wäre. Wobei zu den Nebenwirkungen zu sagen ist, dass man darüber aus der Zulassung für Sucht- und Schmerzmedizin schon viel weiß.
2: Um schließlich die Wirksamkeit von Methadon zur Co-Therapie von Tumoren beurteilen zu können, müssen prospektive, kontrollierte, randomisierte Studien mit Krebspatient:innen durchgeführt werden.
Mittlerweile erreichte das Thema Methadon zur Behandlung von Krebspatient:innen sogar das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Ein Mann, dessen Vater an Krebs erkrankt ist, hatte eine Petition auf den Weg gebracht, die mehr als 53.000 Mal unterzeichnet wurde. Er forderte, dass die Regierung Gelder für klinische Studien zur Verfügung stellt. Der Petitionsausschuss des Bundestags hat der Petition im Sommer 2019 einstimmig stattgegeben und unterstützt die Forderung des Antragstellers, dass mit öffentlichen Geldern in klinischen Studien erforscht wird, ob Methadon gegen Krebs wirken kann. Das BMBF muss spätestens nach einem Jahr dem Petitionsausschuss vorlegen, welche konkreten Schritte gegangen wurden. Bisher gibt es allerdings keinen Beschluss zur staatlichen Finanzierung solcher Studien.
Erste klinische Studien zu Methadon
Die Deutsche Krebshilfe fördert jedoch jetzt eine klinische Studie von Forschenden des Universitätsklinikums Ulm über einen möglichen Einsatz von Methadon in der Krebstherapie mit 1,6 Millionen Euro. Sie soll im Jahr 2020 starten. An Patient:innen mit fortgeschrittenem Darmkrebs, bei denen die Chemotherapie nicht mehr anschlägt, wollen die Forschenden untersuchen, ob das Chemotherapeutikum durch Methadon besser in die Krebszellen eindringen und dadurch effektiver wirken kann. In der erste Phase wird zunächst an einer kleineren Patientengruppe die Verträglichkeit des Methadons und die Dosis in Verbindung mit der Chemotherapie untersucht. In der zweiten Phase der Studie erhält eine Patientengruppe die Chemotherapie zusammen mit Methadon, eine Kontrollgruppe bekommt ausschließlich eine Chemotherapie. So wollen die Forschenden herausfinden, bei welchen Patient:innen sich eine bessere Wirkung zeigt – bei denen mit oder ohne Methadon. Mit ersten Ergebnissen rechnen die Forschenden aus Ulm 2022.
Ganz wichtig: Die Studie behandelt diese Frage komplett ergebnisoffen. Es könnte also auch herauskommen, dass Methadon keine Wirkung hat. Zudem würden die Ergebnisse erst einmal für Patient:innen mit fortgeschrittenem Darmkrebs gelten, sie sind nicht auf andere Krebsarten übertragbar. Die Ulmer Studie kann daher nur einen kleinen Teil des Puzzles rund um Methadon in der Krebstherapie lösen. Weitere Studien werden also notwendig sein.
Außerhalb der Forschung raten viele Fachgesellschaften wie die Deutsche Krebshilfe nach wie vor von einer Off-Label-Anwendung von Methadon im Rahmen der Krebstherapie ab, da es für diesen Behandlungsansatz noch keine belastbaren Daten aus klinischen Studien gibt.
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