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Medizin
Wie teuer dürfen Krebsmedikamente sein?
Moderne Krebsmedikamente kosten pro Jahr mehrere Hunderttausend Euro – Tendenz steigend. Das führt in Zukunft zu der Frage: Wie viel ist uns das Leben wert?
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
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Neue Krebsmedikamente stellen Preisrekorde auf
Nur: Für viele der teuren, neuen Krebsmedikamente gilt das nicht. In vielen Fällen verlängern sie das Leben lediglich um Wochen oder wenige Monate – und wichtiger noch: unter Nebenwirkungen.
Die Pharmahersteller haben weitere Medikamente in der Entwicklung, die ähnlich teuer werden könnten – und damit weit über dem Durchschnitt liegen. Für einen Krebspatienten zahlen die Krankenkassen im Durchschnitt 74.000 Euro pro Jahr. Mit der Hoffnung von Patient:innen und Angehörigen können Ärzt:innen, Kliniken und Unternehmen viel Geld verdienen. Die Frage ist aber: Was darf eine Krebstherapie kosten, gerade dann, wenn sie das Leben vielleicht nur für wenige Monate verlängert?
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
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Die Medizin wird besser, aber das kostet
Vor Jahrzehnten bekamen noch alle Patientinnen mit Brustkrebs ein und dasselbe Medikament. Bei manchen wirkte es gut, bei anderen schlug es nicht an oder führte zu starken Nebenwirkungen. Darauf mussten sich Patientinnen einlassen. Heute unterscheiden Ärzt:innen zwischen mehr als sieben Typen von Brustkrebs und identifizieren mit einer Erbgutanalyse, welche konkreten Mutationen bei den Krebszellen zum unkontrollierten Wachstum führen. Auf dieser Basis entscheiden die Onkolog:innen, welche Therapie für die Patient:innen geeignet ist.
Moderne Therapieformen produzieren gar für jeden einzelnen Patienten eine Art eigenen Wirkstoff. Dabei entnehmen Ärzt:innen den Patient:innen Zellen und programmieren das Immunsystem mit molekularen Methoden auf den Kampf gegen die Krebszellen um. Diesen effektiven, aber teuren Weg wird die Krebstherapie in den kommenden Jahren weiter beschreiten. Aber: Am Preis erkennen Patient:innen nicht zwangsläufig, wie viel sie sich von der Therapie erhoffen können.
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Hersteller müssen Fehlschläge einkalkulieren
Eine Studie des Tufts Centre for Drug Development berechnete: Bis zur Zulassung eines Medikaments kommen auf Hersteller durchschnittliche Kosten in Höhe von 2,7 Milliarden US-Dollar zu. Auf diesen Wert berufen sich viele Unternehmen und Branchenverbände. Doch es kursieren unterschiedliche Zahlen. Anderen Analysen zufolge beliefen sich die durchschnittlichen Entwicklungskosten auf lediglich 300 Millionen oder 640 Millionen US-Dollar. Der Gewinn hingegen betrug im Schnitt etwa 1,6 Milliarden US-Dollar – und damit ein Vielfaches der Investitionen.
Derzeit haben neun europäische Staaten einen Vorschlag bei der EU-Kommission eingereicht, damit Pharmaunternehmen die angefallenen Kosten offenlegen. Das soll Preistreiberei unterbinden. Laut Angaben von Ärzte ohne Grenzen verwehrt sich die Bundesregierung diesem Vorschlag bislang. Dabei ist Transparenz sinnvoll. Oftmals rechnen Hersteller Werbungskosten in ihre Investitionen, mit denen sie ihre neuen Medikamente insbesondere nach der Zulassung auf Tagungen, Seminaren oder Fachärzt:innen anpreisen. Doch intensives Marketing treibe den Preis noch nach oben, kritisieren Fachleute.
2015 haben die Krankenkassen insgesamt 19,9 Milliarden Euro für die Behandlung von Krebspatient:innen ausgegeben. Das entspricht einem Anteil von sieben Prozent an den gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland. Die Ausgaben für Arzneimittel gegen Krebserkrankungen haben sich in den letzten Jahren moderat, aber stetig erhöht. Das mag auch daran liegen, dass mehr Menschen zur Vorsorgeuntersuchung gehen und Ärzt:innen häufiger Krebs feststellen. Doch selbst wenn die Gesamtkosten überschaubar wirken: Einige Krebsmedikamente, selbst solche, die pro Jahr 60.000 Euro oder mehr kosten, scheinen sich für Patient:innen nicht einmal zu lohnen – für die Hersteller sehr wohl.
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Die teuren Medikamente sind nicht immer besser
Dies zeigt auch der AMNOG-Report 2018 über die zugelassenen Medikamente. Demnach stellen neue Krebsmedikamente nur 2,2 Prozent der Tagesdosen – aber 30 Prozent der Gesamtkosten. Ob sie allerdings besser wirken als bisherige Therapien, können die Hersteller immer seltener nachweisen. Bislang ist der sogenannte Zusatznutzen, wenn also ein neues Medikament die Lebensqualität oder Lebensdauer eines Menschen deutlich mehr verbessert als der übliche, ältere Wirkstoff, bei Krebsmedikamenten überdurchschnittlich gut. Doch seit Jahren sinkt er.
Für Krebspatient:innen bedeutet das: Pharmaunternehmen werben bei Ärzt:innen für ihre neuen Wirkstoffe und erzielen direkt nach Zulassung besonders hohe Preise. Der neueste Wirkstoff ist für den Einzelnen aber weder zwangsläufig verträglicher noch effektiver. Ein teures Medikament ist also nicht unbedingt besser.
Bei fast der Hälfte aller zwischen 2010 und 2017 neu zugelassenen Stoffe hat der dafür zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) aufgrund fehlender Studien oder mangelhafter Daten keinen Zusatznutzen erteilt. 20 Mal hat der Bundesausschuss die Prüfung aufgeschoben und weitere Studien abgewartet. Trotzdem konnten die Daten der Hersteller in zwei Drittel aller Fälle nicht überzeugen.
Ähnliches gilt für den Wirkstoff Palbociclib für Brustkrebs-Patientinnen. Die Behandlung kostete im ersten Jahr nach der Zulassung 60.000 Euro, anschließend 30.000. Viel Geld dafür, dass ältere Medikamente offenbar genauso gut oder sogar besser sind – denn der G-BA bescheinigte dem Medikament keinen Zusatznutzen gegenüber älteren Wirkstoffen, zu denen etwa Tamoxifen oder Fulvestrant zählen. Wegen starker Nebenwirkungen leiteten die Fachleute sogar einen Hinweis auf "geringeren Nutzen" ab, wie das zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) schreibt.
Ohne Zusatznutzen ist die Verschreibung schwieriger. Selbst bei Patientinnen, bei denen Palbociclib sogar nebenwirkungsarm und erfolgreich eingesetzt wurde – einige profitieren von der Zeit, in der das Mittel das Tumorwachstum bremst. Für die Bewertung durch den G-BA, der den Zusatznutzen am Gesamtüberleben festmacht, spielte das aber keine Rolle. Auch eine dritte Studie konnte die Expert:innen nicht überzeugen, die Bewertung wurde daher im März 2019 bestätigt.
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Ein lohnenswertes Geschäft für die Pharmaindustrie: Orphan Drugs
Dabei stellt das IQWiG in seinem Jahresbericht 2015 klar: Eine fehlende Nutzenbewertung stellt für Patient:innen ein hohes Risiko dar.
Solch ein Risiko gibt es auch bei Kymriah, dem teuren Medikament gegen Leukämie. Die Behandlung ist innovativ: Erfolgreich therapierte Patient:innen leben nicht nur einige Monate länger – ihr Immunsystem soll die Krebszellen ein Leben lang abwehren. Aber: Wer für diese Behandlung infrage kommt, muss mit hohen Fieberschüben und Entzündungsreaktionen rechnen. Die sind zwar ein Zeichen dafür, dass der Körper die Krebszellen bekämpft. Doch gleichzeitig sind sie eine so große Belastung, dass die Behandlung auch tödlich enden kann. Nur: Wer ansonsten als austherapiert gilt, für den also keine andere Behandlung mehr infrage kommt, der wagt womöglich auch diesen Schritt.
Häufig ist die Krebstherapie ein Geschäft mit der letzten Hoffnung. Schnell fortschreitende Tumoren können binnen weniger Monate zum Tod führen. Gerade hier ist Lebenszeit viel wert. Mit einer Krebstherapie lassen sich Wochen und Monate gewinnen, indem das Krebswachstum verlangsamt wird. Wer unbedingt noch die Taufe seiner Enkelin oder die Hochzeit seines Sohnes miterleben möchte, für den zählt jeder Tag.
Die Hersteller können daher höhere Preise verlangen, weil Patient:innen bereit sind, so viel dafür zu zahlen – und die Krankenkassen diese Kosten bislang mittragen. Expert:innen meinen daher: Die Preise für Krebsmedikamente haben sich vom Markt abgekoppelt – und sie betrachten die Entwicklung mit Sorge.
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Weniger Chemotherapie, mehr palliative Medizin?
Eine mögliche Option, wenn keine Chance mehr auf Heilung besteht: eine palliative Behandlung. Denn es zählen oft nicht nur die verbleibenden Tage, sondern vor allem die Tage, an denen sich der Patient/die Patientin gut genug fühlt, um diesen Tag gerne zu erleben. Nicht selten aber geht die Chemotherapie mit starken Nebenwirkungen einher, unter denen die Patient:innen leiden.
Palliativmediziner:innen nehmen sich die Zeit, um die Schwere von Krankheitssymptomen wie Schmerzen und Übelkeit zu besprechen und zu lindern. Das Ziel ist, die Lebensqualität der Patient:innen für die verbleibende Zeit zu verbessern. Einige Studien konnten zudem nachweisen, dass palliativ betreute Menschen sogar länger leben als solche, die sich gegen Lebensende noch einer Chemotherapie unterziehen.
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Und jetzt?
Die Gesellschaft muss entscheiden, wann Krebsbehandlungen wirklich Sinn machen
An ein zusätzliches Lebensjahr wird man auch in Zukunft kein Preisschild hängen können. Für Krebspatient:innen muss die teuerste Therapie aber nicht die beste Entscheidung sein. Dafür müssen Ärzt:innen und Patient:innen gemeinsam besprechen, welche Wünsche bestehen, wie der Alltag mit der Krankheit aussehen soll und welches Risiko es lohnt, auf sich zu nehmen. In manchen Fällen ist die risikolose Palliativmedizin möglicherweise die sanftere Art, die verbleibende Zeit sinnvoll zu erleben.
Autor: Mathias Tertilt
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