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Elternschaft
Muttermilch – alles Mythos, oder was?
Eine Frage, die werdende Mütter beschäftigt: Soll ich stillen? Muss ich das sogar? Stillen sei das Beste für das Kind, sagen die einen. Ich möchte über mich und meinen Körper selbst bestimmen, sagen die anderen.
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Flaschenmilch ist auf die Ernährungsbedürfnisse gesunder Säuglinge abgestimmt, das ist in der Diätverordnung festgelegt, betont das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Stellungnahme zum Vergleich von Muttermilch und industriell hergestellter Flaschennahrung.
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Was steckt in der Milch?
Milch passt sich Kindesbedürfnissen an
Besonders in den ersten Monaten mit Baby passt sich die Milch ständig den Bedürfnissen des Kindes an: Direkt nach der Geburt produziert die Brust das sogenannte Kolostrum. Es ist die erste Nahrung, die das Baby selbst zu sich nimmt, und sie enthält besonders viele Antikörper, weiße Blutkörperchen, Vitamine und Mineralstoffe sowie Proteine. Das hilft dem Immunsystem und der Verdauung des Babys auf die Sprünge. Da der Magen eines Neugeborenen nur so groß wie eine Murmel ist und es entsprechend wenig zu sich nehmen kann, müssen alle diese wichtigen Stoffe in ein kleines Volumen passen. Daher ist das Kolostrum dickflüssig und konzentriert.
Nach wenigen Tagen verändert sich die Zusammensetzung der Milch schon. Sie wird langsam zu "reifer" Muttermilch: Dabei nimmt vor allem der Gehalt an Fett und Zucker zu, damit das Baby viele Nährstoffe zum Wachsen bekommt. Nach etwa vier Wochen ist die Muttermilch "reif". Trotzdem kann sie sich jederzeit und auch kurzfristig den Bedürfnissen des Kindes und bestimmten Situationen anpassen: Zu Beginn einer Stillmahlzeit ist die Milch beispielsweise eher wässrig und enthält viel Laktose, das ist die sogenannte Vordermilch. Sie soll erst einmal den Durst des Babys löschen. Je länger das Kind trinkt, desto mehr Fett enthält die Milch. Diese Hintermilch stillt dann den Hunger. Sozusagen ein ganzes Menü in flüssig.
Aber Muttermilch kann noch viel mehr.
Artikel Abschnitt: Welche Effekte hat Muttermilch auf die Gesundheit des Säuglings?
Welche Effekte hat Muttermilch auf die Gesundheit des Säuglings?
Zudem gibt es Hinweise darauf, dass gestillte Kinder später seltener an Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 leiden. " Allerdings sind diese Effekte nur schwer nachzuweisen", schränkt Mathilde Kersting ein. Beispiel Übergewicht: "Da spielt oft auch der Lebensstil der Mütter eine Rolle!"
Schutz vor Allergien?
Oft heißt es, dass Stillen gegen Allergien und Hautkrankheiten wie Neurodermitis schützen soll. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich dies nicht belegen, die Studienlage dazu ist nicht eindeutig. Das BfR betont, dass "der Einfluss des Stillens auf atopische Erkrankungen insgesamt umstritten ist", und kommt zu dem Schluss, dass "insgesamt keine eindeutigen protektiven Effekte des Stillens auf allergische Erkrankungen wie Asthma, atopische Dermatitis und Ekzeme" feststellbar seien.
Artikel Abschnitt: Was macht die Muttermilch so besonders?
Was macht die Muttermilch so besonders?
Muttermilch wichtig für die Darmbesiedelung
Das Immunsystem und die Darmflora hängen bei jedem Menschen eng miteinander zusammen. Wenn sich zu Beginn des Lebens eine gesunde Darmflora aufbauen kann, hat das großen Einfluss darauf, wie gesund Kinder im späteren Leben sind. Bei einer gestörten Besiedlung steigt das Risiko für verschiedene Probleme wie Asthma, Verdauungsschwierigkeiten oder Übergewicht. Das Mikrobiom im Darm hat über die sogenannte "gut-brain axis" auch einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem und die Gehirnentwicklung.
Das wichtigste Instrument, um den Darm in den ersten 14 Lebensmonaten gesund zu besiedeln ist Muttermilch, aber auch, wie das Kind auf die Welt kam, also ob Kaiserschnitt oder natürliche Geburt, spielt eine Rolle. Studien haben gezeigt, dass die Darmflora des Babys und die Bakterien in der Muttermilch korrelieren. Und trifft Muttermilch auf den Speichel des Kindes, entstehen sogar Stoffe wie Wasserstoffperoxid, die dabei helfen, ungesunde Keime abzutöten.
Muttermilch als Medizin
Muttermilch ist außerdem eine ziemlich individuelle und wirksame Medizin: Ist das Kind krank, ändert der Körper der Mutter die Zusammensetzung der Milch. Das Baby bekommt dann beim Trinken besonders viele immunaktive Stoffe wie Antikörper, Makrophagen und andere weiße Blutkörperchen. Das hilft dem Kind dabei, die Infektion zu bekämpfen. Studien haben beispielsweise nach einer Corona-Impfung Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen, die dann auch über das Stillen beim Kind ankommen. Die Bestandteile des Impfstoffes wie mRNA dagegen ist nicht in der Muttermilch vorhanden.
Artikel Abschnitt: Wie hilft Muttermilch bei Schmerzen?
Wie hilft Muttermilch bei Schmerzen?
Stillen als Schmerztherapie
Eine Theorie ist, dass die Laktose in der Milch den Opioid-Signalweg des Kindes aktiviert und dafür sorgt, dass das Gehirn Hormone wie Serotonin und Endorphine ausschüttet, die den Schmerz lindern. In manchen Studien hatte Zuckerlösung auch einen ähnlichen tröstenden Effekt wie Stillen, in anderen aber wieder nicht. Allerdings zeigt sich in Hirnscans, dass das Stillen große Teile des Gehirns aktiviert. Es könnte sein, dass diese ganzen Reize den Schmerz überschreiben. Zuckerlösung allein verursacht keine solche Aktivierung. Der Zucker kann also nicht der einzige Grund dafür sein, dass Stillen tröstlich wirkt.
Auf jeden Fall funktioniert Stillen als Schmerztherapie so gut, dass die WHO das Stillen in ihre Richtlinie für Maßnahmen bei Impfungen übernommen hat. Auch die Initiative "babyfreundlich" empfiehlt in ihren Richtlinien das Stillen oder die Gabe von Muttermilch um Schmerzen bei Babys zu lindern.
Artikel Abschnitt: Was, wenn die Mutter sich schlecht ernährt?
Was, wenn die Mutter sich schlecht ernährt?
Auch wenn Muttermilch besser abschneidet als Flaschennahrung, kann eine Frau gute Gründe haben, NICHT zu stillen. Weil es trotz guter Unterstützung durch eine Stillberaterin nicht klappt oder weil sie schnell zurück an den Arbeitsplatz möchte oder muss. Ein schlechtes Gewissen muss keine Frau deswegen haben. Vielmehr ist es wichtig, dass Frauen gut und vor allem ideologiefrei beraten werden - egal für welche Variante sie sich entscheiden. Mathilde Kersting: "Mütter brauchen Unterstützung – wenn sie stillen und wenn sie nicht stillen!"
Artikel Abschnitt: Ist Muttermilch aus dem Labor eine Alternative?
Ist Muttermilch aus dem Labor eine Alternative?
Richtige Mischung als Hormonen, Nährstoffen und Vitaminen
Wichtig dafür ist, das betonen etwa die Wissenschaftlerinnen, die die amerikanische Firma Biomilq gegründet haben, die richtige Mischung aus Hormonen, Nährstoffen und Vitaminen, um die Milchproduktion anzukurbeln. Das Produkt, damit wirbt die amerikanische Firma, solle "der Muttermilch so nah wie möglich" kommen. So könnte im Labor mit den Zellen einer Frau personalisierte Milch entstehen.
Der Vorteil: Mütter, die nicht stillen können – weil es nicht klappt oder weil sie etwa aus beruflichen Gründen keine Gelegenheit dazu haben – hätten das gute Gefühl, dass ihre Babys mit ihrer eigenen Milch gefüttert werden. Die Milch aus dem Labor kann bestimmte Nährstoffe enthalten, die für das Immunsystem wichtig sind: menschliche Proteine, Fette und Kohlenhydrate. Und sie basiert – anders als Flaschenmilch – eben nicht auf Kuhmilch.
Was die Labormilch nicht enthält: Antikörper, die die Mutter bildet und damit auch den Säugling vor bestimmten Infektionen schützen kann. Auch unterschiedliche Geschmacksnuancen, die die Muttermilch über die Ernährung der Mutter aufnimmt und die vermutlich die Geschmackswahrnehmung der Säuglinge mit beeinflussen, fließen nicht mit in die Labormilch ein.
Welche Rolle könnte diese Option in der Säuglingsernährung spielen?
Noch ist die Milch aus dem Labor Zukunftsmusik. In einigen Jahren könnte sie aber auf den Markt kommen. Mathilde Kersting, Professorin am Forschungsinstitut für Kinderernährung an der Ruhr-Universität Bochum, hält Muttermilch aus dem Labor eher "für eine Spielerei". Muttermilch, sagt Kersting, könne man nicht imitieren, "allenfalls die Grobstrukturen". Das Individuelle der Muttermilch sei in der Petrischale nicht nachzubauen. Auch Regina Ensenauer, Professorin am Institut für Kinderernährung am Max-Rubner-Institut, ist skeptisch. "Das Herstellen der Milch aus Brustzellen ist nur die eine Seite", sagt sie. "Stillen ist aber mehr als nur die Aufnahme von Nährstoffen."
Bisher wisse man zu wenig über die Sicherheit und Wirkung der Labormilch. Ob sie besser ist als beispielsweise Flaschenmilch, müsse man erst in Studien zeigen. "Echte" Muttermilch sei immer noch das Beste, betonen Ensenauer und Kersting. Und auch bei der Flaschenmilch aus Pulver wisse man inzwischen sehr gut, dass es sich um ein sicheres Produkt mit den notwendigen Nährstoffen handele. Daher rechnet Kersting nicht damit, dass die Labormilch einen großen Vorteil gegenüber etablierter Flaschenmilch haben wird. Hinzu kommt, dass Muttermilch aus dem Labor aller Wahrscheinlichkeit nach ein vergleichsweise exklusives und entsprechend teures Produkt wäre.
Kersting betont: "Unser Ziel sollte sein, Mütter darin zu bestärken, dass der Weg, den sie gewählt haben, richtig ist."
Autorinnen: Annika Frank und Andrea Herrmann
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Der Industrie ist daran gelegen so viel Fertigmilch wie möglich zu verkaufen. Gibt’s Dokus darüber. Auch im Krankenhaus wird Druck ausgeübt, wie ich selbst erleben musste. Mein Kleiner muss wegen einer eingedrückten Schädeldecke operiert werden. Mit dem Stillen beginnen konnte ich erst nach fünf Tagen. Mit jeder Mahlzeit hat er… Weiterlesen »
Für mich als Mutter eines Kindes mit Galaktosämie, ist diese Diskussion schwer zu ertragen. Bei Galaktosämie, einer extrem seltenen angeborenen Stoffwechselerkrankung, können die Kinder Galaktose nicht verstoffwechseln wie gesunde Kinder. Galaktose, ein Spaltprodukt von Laktose, die leider In großen Mengen in Muttermilch enthalten ist, zerstört kurz gesagt Zellen verschiedener Organe.… Weiterlesen »
Der Beitrag ist super informativ! Die Kommentare teilweise sehr engstirnig. Man sollte auch Frauen nicht verurteilen, die nicht stillen wollen! „Dann sollte sie keine Kinder haben“, ist ziemlich engstirnig zu sagen. 1. Es gibt ganz viele Gründe, nicht zu stillen. Frauen mit PTBS, die aufgrund ihrer Erlebnisse nicht stillen wollen,… Weiterlesen »
Wie sieht die Studienlage eigentlich bei einer Zwiemilch-Ernährung aus? Da konnte ich bislang nicht viel zu finden. Als Erklärung zum Begriff „Zwiemilch“: Damit bezeichnet man die Kombination von Muttermilch und Pre-Nahrung, z.B. wenn Frühchen-Mütter wie ich für ihr Kind Milch abpumpen, die Milch aber Mengenmäßig nicht reicht. Mich würde nach… Weiterlesen »
Mein Motto und auch das meiner Hebamme damals. Soviel Muttermilch wie geht und der Rest eben Pulver. Jeder Tropfen ist wertvoll, keine Frage. Hauptsache das Kind ist satt und zufrieden. Meiner war zwar kein Frühchen aber die ersten 4 Tage komplett auf sich und die Betreuung der Kinderkrankenschwestern und Hebammen… Weiterlesen »
Hochinteressant und sehr informativ. danke dafür. Aber doch eher geeignet für Frauen, die nicht stillen können. denn, wenn eine Frau stillen kann, sollte man ihr immer empfehlen, dies auch zu tun. Für das Stillen gibt es etliche gute Gründe: Zeitersparnis, leichteres spontaneres Stillen ohne zeitliche Verzögerung möglich, Kosten Ersparnis, Unabhängigkeit… Weiterlesen »
Genau, es ist einfach die natürlichste und einfachste Ernährung des Babys, die es gibt. Muttermilch ist perfekt auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt, das schafft kein Ersatzprodukt. Babys signalisieren der mütterlichen Brust sogar mit Hilfe ihres Speichels, welche Zusammensetzung der Muttermilch sie benötigen. Ich finde es schade, dass Stillen in… Weiterlesen »