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Das kannst du tun, wenn dein Baby sehr viel weint
Das Baby schreit. Dauernd. Schütteln Eltern es dann aus Frust, kann das tödlich enden.
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Rund jeder sechste Säugling in Deutschland ist ein Schreikind
Wenn das so ist, dann bist du nicht alleine. Bis zu 25 Prozent aller Neugeborenen sind Schreikinder – je nachdem, welche Definition und Methode Forschende für ihre Studie verwenden und in welchem Land sie diese durchführen. Eine anerkannte und häufig verwendete Definition ist dabei die Dreierregel von Morris Wessel: Mindestens drei Stunden am Tag, drei Tage die Woche, über drei Wochen lang – Babys, die so viel schreien, gelten als Schreikinder.
Nach der Dreierregel schreit oder jammert in Deutschland jeder sechste Säugling für sein Alter unverhältnismäßig viel. Konkret heißt das: Unter den Babys, die im März dieses Jahres geboren wurden, sind über 10 000 potenzielle Schreikinder – und damit auch genauso viele Eltern, die sich vermutlich verzweifelt fragen: Warum hört mein Kind nicht auf zu weinen?
Mit dem Alter nimmt das exzessive Schreien ab
Wenn ein Kind viel schreit, bedeutet das meist nicht, dass mit ihm “etwas nicht stimmt” oder die Eltern ”alles falsch gemacht“ haben. Die Kinder müssen erst lernen, sich selbst zu beruhigen, beispielsweise, indem sie an ihrem Daumen saugen oder mit ihrer Kuscheldecke schmusen. Und dabei sind manche Kinder weniger anpassungsfähig als andere. Sie reagieren sensibler auf Reize und weinen mehr.
Sie alle haben aber eines gemeinsam: Bis zur fünften oder sechsten Woche nimmt das Weinen zu, erst danach nimmt es wieder ab – bis zum dritten oder vierten Monat um die Hälfte. In Deutschland schreien oder jammern ab dem dritten Monat nur noch 5,8 Prozent der Kinder übermäßig viel, ab dem sechsten Monat nur noch 2,5 Prozent. Leiden Kinder allerdings länger, das heißt über vier Jahre an einem Schrei-, Schlaf- oder Fütterungsproblem, dann haben sie später ein erhöhtes Risiko, an ADHS zu erkranken. Gleiches gilt, wenn sie ab dem fünften Monat an mehreren Regulationsstörungen gleichzeitig leiden.
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Überforderte Eltern neigen dazu, ihr Baby zu schütteln
Ein Teufelskreis, der auch tödlich enden kann. In einer niederländischen Studie gaben 3,35 Prozent der Eltern an, ihr Kind in den ersten sechs Lebensmonaten mindestens einmal geschüttelt zu haben – und 5,6 Prozent der Eltern, ihr Kind wegen des Schreiens in diesem Zeitraum mindestens einmal geschlagen, geschüttelt oder ihm die Luft abgedrückt zu haben. Vor allem Eltern, die arbeitslos waren, nur kurze Arbeitszeiten hatten oder das Schreien ihres Kindes als unverhältnismäßig wahrnahmen, wurden dabei körperlich.
Werden Babys geschüttelt, kann das tödlich enden
Eine andere Forschungsgruppe um Nichole Fairbrother untersuchte, welche Gedanken Teilnehmende haben, wenn ein Kind länger schreit. Sie spielten frisch gebackenen Müttern zehn Minuten lang ein Tonband vor, auf dem ein Baby weinte, dann sollten diese auf einem Fragebogen ankreuzen, welche Gefühle sie dabei hatten. 23,5 Prozent der Teilnehmerinnen gab an, ungewollte Gedanken gehabt zu haben, dem Baby wehzutun, es zum Beispiel zu schütteln.
Das Shaken-Baby-Syndrom (SBS), auch genannt Schütteltrauma, zählt zu den körperlichen Misshandlungen von Säuglingen. Bei einer Untersuchung in North Carolina waren rund 30 pro 100.000 Kindern unter einem Jahr betroffen. In ihrer Verzweiflung neigen vor allem Väter dazu, das Kind an der Brust oder den Oberarmen zu packen und es zu schütteln.
Dabei wird der Kopf des Säuglings in Extremsituationen nach vorne und hinten geschleudert und beginnt zu rotieren. Neuronale Verbindungen können reißen, es kann zu retinalen Blutungen kommen, Blutungen in den Augen.
Rund 18 bis 25 Prozent der geschüttelten Babys sterben, bei den Überlebenden kommt es häufig zu Langzeitschäden mit körperlicher Behinderung wie schweren Seh-, Hör- oder Sprachstörungen.
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Oft wissen Eltern nicht, welche Folgen das Schütteln haben kann
Und siehe da: Die Inzidenz von missbräuchlichen Kopfverletzungen ging zurück – innerhalb des Studienzeitraums von fünfeinhalb Jahren um 47 Prozent. Die Vermutung: Dieser Effekt ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die richtigen Menschen zur richtigen Zeit an die Gefahren des Schüttelns erinnert wurden. In einer anderen Studie mit ähnlichen Methoden stellten Wissenschaftler:innen sogar einen Rückgang um 75 Prozent fest.
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Und jetzt?
Das Schreien von Kindern lässt sich reduzieren
In angeleiteten “Baby-Lese-Stunden” können Eltern zudem professionelle Hilfe beim Deuten der Signale ihres Kindes bekommen. Weint das Baby beispielsweise, wenn Eltern es ins Bett bringen, kann das auch damit zusammenhängen, dass es normalerweise auf den Armen der Mutter einschläft. Brechen Eltern dann mit den bekannten Erfahrungen des Babys, legen sie es also ins Bett, anstatt es auf dem Arm zu wiegen, reagiert das Kind mit Quengeln.
Babys brauchen Routine
Eltern beginnen meist, ihr Baby als Reaktion auf das Schreien zu tragen. Schläft das Kind dann in den Armen der Mutter ein, gewöhnt es sich daran. Es lernt nicht, selbst einzuschlafen. Eine niederländische Studie hat gezeigt, dass sich das Schreien dagegen bei einem regelmäßigen Tagesablauf mit der Abfolge von Schlaf, Mahlzeit, Wachphase, Schlaf bereits nach einer Woche um 42 Prozent reduziert. In der Wachphase haben sich die Eltern dabei zuerst mit dem Baby beschäftigt und es anschließend alleine im Laufstall spielen lassen. Bei den ersten Anzeichen von Müdigkeit wurde es ins Bett gebracht.
Neben einem regelmäßigen Tagesablauf kann auch das Reduzieren von Reizen dazu führen, dass das Schreien abnimmt. Oft sind Säuglinge durch das “Bei-Laune-Halten” der Eltern und den häufigen Wechsel von Beruhigungsstrategien überfordert. Statt das Kind zum Einschlafen zu bringen, bewirkt man damit eher das Gegenteil. Also lieber bei einer Strategie bleiben.
Bei großer Anspannung, Erschöpfung oder ansteigender Wut müssen Eltern für sich einen Weg finden, damit umzugehen. Helfen können dabei kurze und längere Time-outs. Bevor man das Kind beruhigt, sollte man erst sich selbst beruhigen und beispielsweise in einem Nebenraum durchatmen. Wichtig sind auch Entspannungszeiten für Mutter oder Vater ohne Kind. Großeltern oder Freundinnen und Freunde können die Eltern entlasten.
Schreiambulanzen bieten professionelle Hilfe an. Sie sollen nicht nur helfen, die Regulationsstörung der Kinder zu mindern, sondern auch die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu verbessern, die durch das exzessive Schreien oft beeinträchtigt ist.
Geschrieben von: Sarah Bioly
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Puh. Ich lese grundsätzlich gern bei euch, aber hier bin ich tatsächlich auch negativ überrascht, was ihr als Lösung anbietet. „Schläft das Kind dann in den Armen der Mutter ein, gewöhnt es sich daran. Es lernt nicht, selbst einzuschlafen.“ Echt, jetzt? Wo habt ihr das denn her? Sicher kann ein… Weiterlesen »
Warum schreibt ihr in dem Artikel teilweise nur von Müttern? Es geht doch um die Beziehung von Eltern und Kind, oder ist die Beruhigung des Kindes nur Sache der Frau? Unpassend formuliert…
Vielen Dank für den Hinweis. Das liegt daran, dass die Studien, über die wir berichten, normalerweise mit Müttern durchgeführt wurden. Aber wir schauen nochmal, ob es möglich ist, das teilweise auch neutraler zu formulieren.
ich will gerne anmerken, das adhs doch mitlerweile als eine art gendefekt/andersartigkeit definiert wird und die kinder somit nicht adhs bekommen sondern damit geborden werden. soweit jedenfalls mein wissenstand. der zugegebenermaßen gering ist.
ADHS hat eine genetische Ursache/ genetische polymorphismen im zusammenspiel mit Umwelteinflüssen. Exzessives Schreien kann ein Hinweis auf die Entwicklung einer Aufmerksamkeitsstörung sein aber man muss hier ganz klar unterscheiden, exzessives Schreien, irritabilität und reizoffenheit und Schreien durch fehlerhafte Interpretation kindlicher Signale. Andersherum viele Kinder mit ADHS haben sich in der… Weiterlesen »
Dass Quarks hier mit einem Rückfall in die schwarze Pädagogik glänzt, hat mich schon erschüttert. „Es lernt nicht, selbst einzuschlafen.“, „Gewöhnt sich ans Tragen“, „feste Zeiten für Mahlzeiten“. Wo habt ihr das her? Aus den unsäglichen Schlaftrainings-Ratgebern?
Ich empfehle euch dringend, Renz-Polster zu lesen.
Ich stimme Herrn Knoche zu. Dr Herbert Renz Polster oder andere Bedürfnis-/Bindungsorientierte PädagogInnen gibt es zu Genüge. Ich halte nichts von Checking, so nennt sich die Ferber Methode auch/verhaltenstherapeutisch orientiert/ Konditionierung. Letztlich stellt sich der Säugling irgendwann aus Angst tot und ist dann ruhig/schläft vermeindlich zufrieden von alleine ein, Kind… Weiterlesen »
Ein wichtiges Thema. Als betroffene störe ich mich sehr am Fokus im Titel. Eltern wissen, was Schütteln tun kann. Eltern bekommen ÜBERALL gesagt nicht schütteln. Eltern bekommen NICHT so einfach gesagt WAS sie tun können. Wie auch in ihrem Artikel. Die Ansätze sind individuell, das istmir bewusst, aber keiner zeigt… Weiterlesen »