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Nahrungsergänzungsmittel
Fast jede zweite Probe beanstandet
Immer wieder werden in Nahrungsergänzungsmitteln gefährliche Substanzen gefunden. Reichen die Kontrollen aus? Wir haben erstmals deutschlandweite Daten zu untersuchten Proben und Beanstandungen gesammelt und ausgewertet.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Viele Menschen nehmen Nahrungsergänzungsmittel
Zwischen April 2021 und März 2022 lag der Umsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland bei knapp 1,8 Milliarden Euro. 241 Millionen Packungen wurden laut dem deutschen Lebensmittelverband in diesem Zeitraum verkauft. Die Umsätze mit Nahrungsergänzungsmitteln aus dem Onlinehandel sind da noch gar nicht mit eingerechnet.
Warum du oft eigentlich gar keine Nahrungsergänzungsmittel brauchst, liest du hier.
Denn Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt: Laut einer Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nehmen mehr als ein Drittel der Deutschen mindestens einmal pro Woche Vitamine über Nahrungsergänzungsmittel zu sich, etwa jede sechste Person sogar täglich.
Kein Wunder, denn viele Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln preisen ihre Produkte online und im Laden immer wieder mit großen Versprechen an. So sollen sie etwa das Immunsystem stärken, Gelenkschmerzen verringern und das Gedächtnis verbessern.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Immer wieder gefährliche Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln
Dass die Qualität der Produkte stimmt und die Nahrungsergänzungsmittel alle nötigen Vorschriften erfüllen, ist allein Sache der Hersteller. Bevor sie ihre Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen, müssen sie das Produkt lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) anzeigen und in dem Rahmen unter anderem allgemeine Angaben über Namen und Hersteller machen sowie ein Muster des Etiketts hochladen.
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Verbraucherschützer:innen kritisieren schon seit Jahren, dass das Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln viel zu einfach sei. So schreibt uns etwa die Verbraucherzentrale NRW: "Unsere Erfahrungen (und die von vielen Journalist:innen) mit der NEM-Anzeige beim BVL zeigen, dass selbst wenn man Strychnin in die Zutatenliste schreibt, es selbst nach sechs Monaten noch keine Reaktion der Lebensmittelüberwachung gibt."
Strychnin ist extrem giftig und kann bereits in geringen Dosen eine Starre der Muskeln bewirken und zum Tod führen. Und auch generell werde die Anzeigepflicht für Nahrungsergänzungsmittel nach ihren Marktcheck-Erfahrungen je nach Produktgruppe bei zehn bis 30 Prozent der Produkte nicht so ernst genommen, sagt Verbraucherschützerin Angela Clausen.
Drei Arten von Herstellern
Immer wieder kommen Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, die entweder zu hoch dosiert sind, falsche Angaben auf dem Etikett enthalten oder sogar mit illegalen Dopingsubstanzen versetzt sind. Das passiert zwar nicht immer mit einer bösen Absicht dahinter, für Betroffene kann es trotzdem schädigend sein.

Agentur: picture alliance / imageBROKER
Laut Dirk Anton von der Kölner Liste, einer Initiative, die Nahrungsergänzungsmittel auf illegale Dopingsubstanzen kontrolliert, teilt sich der Markt seiner Erfahrung nach in drei Arten von Herstellern: "Es gibt kriminelle Hersteller, die bewusst Dopingsubstanzen beimischen. Diese Hersteller machen das, weil durch die Dopingsubstanzen auch eine Wirkung erzielt wird und die Nachfrage über Mund-zu-Mund-Propaganda stetig gesteigert wird. Dann sind da noch riskante Hersteller, die unbewusst Dopingsubstanzen beimischen. Die kennen meistens die Verbots- und Monitoring-Liste der WADA (Welt Anti-Doping Agentur) nicht."
Und dann gibt es laut Anton auch noch die dritte Kategorie der regulären Hersteller. Nur diese stünden auch auf der Kölner Liste: "Das können sowohl große Unternehmen als auch kleine Betriebe sein. Was sie eint, ist die achtsame Produktion nach bestem Wissen. Doch auch bei diesen Herstellern kann es vereinzelt zu Doping-Kontaminationen durch unsaubere Rohstoffe oder Verunreinigungen im Verarbeitungsprozess kommen", so Dirk Anton.
Doping durch Nahrungsergänzungsmittel
Die Verbraucherzentrale hat bereits 2011 bei einem Marktcheck in 64 von 70 (91 Prozent) untersuchten Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland festgestellt, dass sie eigentlich nicht verkehrsfähig seien. Besonders auffällig waren damals Schlankheitsmittel.
Obwohl alle Produkte ausdrücklich als natürliche Nahrungsergänzungsmittel angeboten wurden, fanden die Forschenden in 13 von 21 Schlankheitsmitteln (61,9 Prozent) und in acht von 13 Potenzmitteln (61,5 Prozent) Arzneisubstanzen wie Sennoside, Aloin, Barbaloin und Ephedrin, die zum Teil sogar verboten sind.

Agentur: picture alliance / Zoonar
Ende 2021 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel bei untersuchten Pre-Workout-Boostern – das sind Mittel, die die Leistung beim Kraftsport erhöhen und beim Fettverbrennen helfen sollen – in fast der Hälfte der 87 Proben (44,8 Prozent) potenziell gesundheitsgefährdende Stoffe gefunden. In mehr als jeder fünften Probe (21,8 Prozent) sogar gleich mehrere dieser Stoffe.
Am häufigsten hat das Amt die Substanzen Dimethylaminoethanol (DMAE) und Synephrin nachgewiesen. DMAE soll eine vermeintlich vorteilhafte Wirkung auf das zentrale Nervensystem haben und kann laut der Verbraucherzentrale Muskelverspannungen und Zuckungen sowie Schlaflosigkeit und Magenschäden verursachen. Synephrin wird häufig in Kombination mit Koffein angeboten und kann zu schweren Herzschäden führen.
Versehentliches Doping im Profisport
In der Welt der Profisportler:innen ist die Gefahr durch versehentliches Doping über Nahrungsergänzungsmittel real. Untersuchungen in Australien, Großbritannien und den USA haben gezeigt, dass etwa sechs bis neun Prozent der Dopingfälle auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgehen.
2021 veröffentlichte auch das Zentrum für Präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln eine Studie zu Nahrungsergänzungsmitteln. Das Ergebnis: In 24 von 110 Nahrungsergänzungsmitteln, die zwischen 2014 und 2020 im Zusammenhang mit positiven Dopingfällen untersucht wurden, konnten Dopingsubstanzen gefunden werden, die nicht auf dem Etikett angegeben waren.
Absichtliche Zufuhr von Dopingsubstanzen
"Wie groß das Problem ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Nahrungsergänzungsmittel, die stark mit Muskelaufbau, Fettabbau und Booster-Effekten beworben werden, häufig absichtlich mit Dopingsubstanzen gefälscht sind", sagt dazu Dr. Hans Geyer, Geschäftsführer des Zentrums für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule in Köln.
Fehlerhafte gesundheitsbezogene Aussagen
Und auch fehlerhafte gesundheitsbezogene Aussagen über Nahrungsergänzungsmittel tauchen immer wieder auf – gerade in sozialen Medien.
Das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart etwa hat die Instagram-Profile von 38 Betrieben aus dem Raum Stuttgart und Tübingen untersucht und sich Posts mit dauerhaft zugänglichen Bildern und Videos angeschaut.
In knapp 5000 Posts fanden die Forschenden 965 gesundheitsbezogene Angaben zu Nahrungsergänzungsmitteln, von denen sie etwa 39 Prozent als nicht zulässig einstuften.
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Nahrungsergänzungsmittel werden womöglich nicht ausreichend kontrolliert
Daten aus den Bundesländern haben sehr unterschiedliche Qualität
Um herauszufinden, wie oft zuständige Ämter Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland kontrollieren und mit welchen Ergebnissen, haben wir die Lebensmittel- und Verbraucherschutz-Ämter aller 16 Bundesländer angeschrieben und nachgefragt: Wie viele Nahrungsergänzungsmittel haben sie in den vergangenen Jahren auf ihre Zusammensetzung untersucht? Wie viele davon wurden beanstandet? Und was waren die Gründe dafür?
Diese deutschlandweiten Daten liegen bisher nicht vor, die Kontrolle von Lebensmitteln ist Ländersache und nicht zusammengefasst zugänglich – auch nicht beim Bund.
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Die etwas schlechtere Nachricht: Die Datenqualität ist sehr unterschiedlich. Teils erhielten wir detaillierte jährliche Auflistungen von 2010 bis 2022 zur Anzahl und Art der untersuchten Nahrungsergänzungsmittel, Art der zugehörigen Beanstandung und Zahl der Beschwerden von Verbraucher:innen.
Teils belief sich die Antwort auf kumulierte Zahlen und einen deutlich kürzeren Zeitraum. Der gemeinsame Nenner aller Antworten ist der Jahreszeitraum von 2018 bis 2021, die in den Jahren jeweils gezogenen Proben und die jeweilige Zahl der beanstandeten Proben.
Weitere Angaben zum Artikel:
Was bedeutet es, wenn eine Probe beanstandet wird?
Kurz: Irgendetwas ist mit der Probe nicht in Ordnung. Aber die Bandbreite dabei ist relativ groß.
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Nahrungsergänzungsmittel: fast jede zweite Probe beanstandet
Laut der Verbraucherschützerin gibt es "außer Fleisch/Geflügel und deren Produkten keine andere Lebensmittelgruppe, die so auffällig ist". Betrachtet man jedes Jahr für sich, so wurde nach unseren Recherchen 2021 der größte Anteil der Proben beanstandet: 48 Prozent, also tatsächlich fast die Hälfte aller Proben.
Risikoorientierte Kontrollen
Wichtig bei der Einordnung der Zahlen ist dabei, dass nicht unbedingt auf die Gesamtsituation des Marktes geschlossen werden kann. Denn die Kontrollen werden risikoorientiert durchgeführt. Das heißt, wer schon mal auffällig war, wird auch verstärkt kontrolliert.
Trotzdem hält auch Maik Maschke, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, eine Beanstandungsquote von 42 Prozent für "erstaunlich hoch", obgleich es sich mit dem decke, was sie als Kontrolleure auch vor Ort widergespiegelt bekämen.
"Dies ist eine sehr große Zahl an Beanstandungen und macht deutlich, dass die Probenahme bei Nahrungsergänzungsmitteln zukünftig verstärkt werden muss, um sichere Nahrungsergänzungsmittel auf dem deutschen Markt zum Kaufangebot zu bekommen", urteilt der Experte für Lebensmittelkontrolle.
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Also immer noch etwa jede fünfte Probe, die beanstandet wurde. Und auch der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure findet, es seien "zusammenfassend zu wenige Kontrollen, da die Bedeutung von Nahrungsergänzungsmitteln für den einzelnen Konsumenten und die einzelne Konsumentin deutlich zugenommen hat".
Immer wieder irreführende Angaben auf den Packungen
Das Bundesland mit der größten Beanstandungsquote aller Proben von 2018 bis 2021 ist Sachsen. 74 Prozent aller in diesem Zeitraum gezogenen Proben wurden beanstandet, die meisten davon aufgrund "unzulässiger nährwert- und / oder gesundheitsbezogener Angaben" (463), gefolgt von "Verstößen gegen Kennzeichnungsvorschriften" (357).
Sachsen gehört außerdem zu den Bundesländern, die uns Daten über den gesamten Zeitraum von 2010 bis 2021 zur Verfügung stellten und nach Gründen für die Beanstandung differenzierten.
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Baden-Württemberg etwa führt 36,8 Prozent der Beanstandungen von 2010 bis 2021 auf "Kennzeichnungsmängel" zurück und 24,4 Prozent auf "irreführende Angaben". Als tatsächlich "gesundheitsschädlich" oder "nicht zum Verzehr geeignet" galten 5,5 Prozent der Proben – eine deutlich kleinere Zahl. Also alles vielleicht nur halb so wild?
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So müssen auf der Verpackung etwa Stoffe stehen, die das Produkt charakterisieren, die empfohlene Tagesdosis in der absoluten Menge, Anwendungshinweise oder Hinweise für bestimmte Verbrauchergruppen, beispielsweise eine Einschränkung nach Alter oder bestehenden Erkrankungen.
"Liegen bei den oben genannten Kennzeichnungselementen Mängel vor, können diese zu erheblichen Risiken für Verbraucher führen, zum Beispiel durch auftretenden Freiverzehr und mögliche allergische Reaktionen", schreibt uns das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auf Anfrage. Aus Mängeln in der Kennzeichnung könnten sich somit unter anderem gesundheitliche Risiken ergeben und deshalb seien diese keineswegs zu vernachlässigen.
Fehler bei Angaben auf Etikett: "kein Kavaliersdelikt"
Auch Clausen sieht in Kennzeichnungsfehlern "kein Kavaliersdelikt". Laut der Expertin kann es sich dabei beispielsweise um fehlende Allergenkennzeichnungen, ausschließlich fremdsprachige Beschreibungen und Warnhinweise, falsche Zutatenlisten oder Nährwertangaben handeln. "Gerade bei den Allergenen bedeutet das unter Umständen eine erhebliche Gesundheitsgefahr", warnt sie.
Das sieht auch Maschke so. Laut dem Bundesvorsitzenden der Lebensmittelkontrolleure in Deutschland ist eine "Überprüfung hinsichtlich der Kennzeichnung von NEM im Onlinehandel wie auch im Einzelhandel unabdingbar und die Beanstandungen aufgrund von Kennzeichnungspflichten ernst zu nehmen und in keinster Weise vernachlässigbar".
2021 keine besseren Zahlen
Betrachtet man nur das Jahr 2021, sehen die Zahlen nicht besser aus: Insgesamt sieben Länder erreichen einen Beanstandungsanteil von über 50 Prozent: Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Sachsen und Schleswig-Holstein.
Mit 76 Prozent führt Sachsen erneut die Liste an. Die hohen Beanstandungsquoten in manchen Ländern spiegeln laut Clausen unter anderem die Aktivität der jeweiligen Untersuchungsämter wider. Ihres Wissens seien die Ämter in Sachsen oder Baden-Württemberg in diesem Themenfeld auch besonders engagiert.
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Dauerbaustelle Onlinehandel
Noch schwieriger ist die Lage im Onlinehandel. Denn wie viele Nahrungsergänzungsmittel über das Internet verkauft werden, ist kaum zu beziffern. Dazu kommt, dass die Produkte zum Teil aus dem Ausland kommen. Expert:innen sehen insbesondere bei Produkten aus dem Netz daher ein größeres Risiko.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schreibt, dass unabhängig vom Vertriebsweg auch für Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet die deutschen und europäischen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen gelten.
Aber: Laut dem BfR könne man beim Kauf von Nahrungsergänzungsmitteln über das Internet von Herstellern aus dem Ausland nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass Nahrungsergänzungsmittel den deutschen und europäischen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen entsprechen.
Der Onlinehandel bietet Anonymität
Das sieht auch Dirk Anton so. "Im Falle von Beanstandungen wird der Onlinehandel eingestellt, die Begleitkosten sind deutlich geringer als bei Rückrufaktionen und Vertrauensverlust über den stationären Handel." Auch biete der Onlinehandel die Anonymität, bei Beanstandungen ohne großen Aufwand unter einer anderen Seite das gleiche Produkt unter anderem Namen weiterzuverkaufen, so Anton.
Wir haben die Ämter der Bundesländer darum auch explizit nach Anzahl und Bewertung ihrer online gezogenen Proben gefragt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nur vier der Bundesländer konnten uns eine Differenzierung zwischen Onlinehandel und stationärem Handel für das Jahr 2021 schicken: Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
Unterscheidung zwischen stationärem und Onlinehandel wichtig
Die Begründungen der anderen Länder für die fehlende Differenzierung sind unterschiedlich. Einige verwiesen darauf, dass eine Unterscheidung schlicht nicht möglich und auch nicht nötig sei, da Händler die gleichen Produkte sowohl online als auch stationär vertrieben.
Laut Clausen lässt diese Aussage darauf schließen, dass diese Länder sich "wahrscheinlich gar nicht um die Internetverkäufer und deren Shops gekümmert haben, sondern wirklich nur um die Produkte von den Herstellern, die in Deutschland sitzen". Das wiederum würde bedeuten: Die Nahrungsergänzungsmittel, die ausschließlich online vertrieben werden, würden – jedenfalls von Länderseite – so gut wie gar nicht kontrolliert.
Lebensmittelrecht erst 2021 angepasst
Eine Unterscheidung zwischen stationärem und Onlinehandel sei aber durchaus wichtig, sagt Clausen. Außerdem gehe es auch um die ganze Vermarktung drum herum. "Gerade auf Marktplätzen, in Onlineshops und sozialen Medien findet man besonders viele Verstöße gegen gängiges europäisches Lebensmittelrecht", erklärt die Verbraucherschützerin.
Baden-Württemberg weist darauf hin, dass erst 2021 das Lebensmittelrecht dahin gehend angepasst worden sei, dass nun Produkte für eine amtliche Probe im Internet anonym beschafft werden dürften. Das sei zuvor nicht der Fall gewesen und stattdessen seien Nahrungsergänzungsmittel im Rahmen von Projekten als Testkäufe gekauft, untersucht und beurteilt worden.
Viele Beanstandungen im Onlinehandel
Insgesamt stellt das Amt in Baden-Württemberg jedoch fest, dass auffällig sei, "dass die Angaben im Internet häufiger als im stationären Handel nicht den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen entsprechen". In Internetangeboten würden häufig "unzulässige gesundheitsbezogene Angaben recherchiert, die teilweise schon arzneimittelrechtlich zu bewerten" seien.
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Gut möglich ist angesichts der sehr kleinen Probenzahlen und der hohen Beanstandungsquote jedoch auch, dass diese Proben gezielt gezogen wurden, zum Beispiel, weil ohnehin ein Verdacht bestand.
Schleswig-Holstein erklärte, dass von den 140 Proben des Jahres 2021 115 von eigenen Herstellern oder aus dem stationären Handel stammten und die restlichen 25 Proben zur Begutachtung vom Zoll übermittelt wurden. Hierbei sei davon auszugehen, dass die Proben aus dem Onlinehandel stammten. Sie wurden alle beanstandet, hauptsächlich wegen "Kennzeichnungsmängeln" und "unzulässiger gesundheitsbezogener Angaben".
Überprüfung von Onlinehändlern oft schwierig
"Als Lebensmittelkontrolleur ist die Überprüfung des Onlinehändlers manchmal sehr schwierig", erklärt Maschke. Wenn der Gewerbetreibende, der den Onlineshop betreibt, nicht im Überwachungsgebiet ansässig sei, erfolge bei Auffälligkeiten die Information an das zuständige Amt, um weitere Recherche zu betreiben. Oftmals seien es zudem Zufallsfunde und der Onlinehändler sei "nicht greifbar, da er außerhalb der EU seinen Sitz hat".
Dazu kommt: Viele Onlinehändler sind den Lebensmittelüberwachungsbehörden offenbar gar nicht bekannt. Beispielsweise würden manche Onlinehändler ihren Handel in der Privatwohnung betreiben, die nicht als Gewerberaum angemeldet ist, erzählt Maschke. Oder es existiere kein Warenlager oder hinter der angegebenen Adresse verberge sich eine "Briefkastenfirma".
"In den letzten Jahren ist es fast schon Normalität, dass der Anbieter des Onlineshops ständig wechselt", klagt der Bundesvorsitzende der Lebensmittelkontrolleure. Und noch etwas mache die Kontrolle des Onlinehandels zur Herausforderung: Eingehende Bestellungen würden teilweise an eine andere Adresse, beispielsweise den Hersteller, Vermarkter oder Händler, weitergeleitet, die dann die Waren oft aus dem Ausland an die Kunden und Kundinnen versenden würden.
Angesichts solcher Probleme sollte man meinen, dass in die Überprüfung des Onlinehandels mit Nahrungsergänzungsmitteln besondere Kapazitäten gesteckt werden.
G@zielt als Sonderstelle
Tatsächlich: Eine Stelle, die gezielt Produkte aus dem Onlinehandel bezieht und prüft, liegt beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Es ist die gemeinsame Zentralstelle "Kontrolle der im Internet gehandelten Erzeugnisse des LFGB und Tabakerzeugnisse", kurz G@ZIELT. Sie existiert seit 2013.
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Das sind die beiden zentralen Aufgaben von G@zielt:
- Angebote risikobehafteter Lebensmittel finden, die die Verbraucher:innen eventuell gesundheitlich schädigen oder täuschen können
- nicht registrierte Lebensmittelunternehmen identifizieren
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Gut möglich also, dass die G@zielt-Proben bereits in den Zahlen der Länder enthalten sind. Trotzdem haben wir uns die Zahlen einmal gesondert schicken lassen, um zu sehen, wie aktiv G@zielt denn im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel ist. Das sind die Ergebnisse:
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Immerhin: Eine personelle Verdopplung auf zwölf Vollzeitäquivalente der Zentralstelle ist laut BVL bis 2024 geplant. Trotzdem wirkt es alles in allem eher nicht so, als würde der Onlinehandel für Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Risiko und seiner wachsenden Bedeutung für Konsument:innen kontrolliert werden.
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Und jetzt?
Es gibt einige Baustellen
Sie kritisiert, dass Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel seien und dementsprechend keine Substanzen enthalten dürfen, die einen Arzneimittelcharakter hätten. Darum fordern Verbraucherzentralen schärfere Kontrollen von Nahrungsergänzungsmitteln, gerade im Onlinehandel.
Und auch die Aufklärung von Konsument:innen kommt hierzulande aus Sicht der Expertin oft noch zu kurz. Sie wünscht sich, dass in Deutschland offener und umfänglicher über die möglichen Probleme mit Nahrungsergänzungsmitteln – sowohl beim Einkauf als auch in der Nutzung – gesprochen wird.
Strukturelle Probleme bei Lebensmittelkontrolle
Und dann gibt es offenbar noch strukturelle Probleme bei den Lebensmittelkontrolleur:innen, die gelöst werden müssten. Das größte sei der Fachkräftemangel, klagt Maschke. "Unsere Aufgaben werden immer mehr und das Personal wird immer weniger". Rund 2500 Kontrolleur:innen gibt es aktuell in Deutschland.
Allein um die grundsätzlichen Aufgaben zu schaffen, würden laut Maschke schon etwa 1500 bundesweit fehlen. Da sei noch nicht die Rede von verstärkten Kontrollen im Onlinehandel oder der Arbeit der Kolleg:innen im Labor und denjenigen, die die Ämter leiten.
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie viele Kontrollen schafft ein Lebensmittelkontrolleur?
Kontrollen im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel gelten jedoch als "teilweise sehr aufwendig". "Die Betriebe arbeiten oft ohne die nötige Registrierung und Anmeldung in privaten Wohnungen, teilweise werden Produkte auch aus Drittländern ohne die nötige Zulassung in Verkehr gebracht", erläutert Maschke. Dieses Aufgabenfeld würde darum zunehmend mehr Personal binden und durch die Vielfalt der Aufgaben oft vernachlässigt werden.
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Personalprobleme sind nicht neu
Der Personalmangel bei den Lebensmittelkontrolleur:innen besteht schon seit Langem. Bereits für 2018 stellte etwa die Verbraucherorganisation Foodwatch bei einer Datenanalyse fest, dass ungefähr jede dritte vorgeschriebene Kontrolle ausfiel.
Aktuell gilt die Regelung, dass je 1000 Einwohner:innen und Jahr von der amtlichen Überwachung bei Lebensmitteln grundsätzlich fünf amtliche Proben genommen werden müssen. Eine explizite Regelung für Nahrungsergänzungsmittel gibt es nicht.
Informationsaustausch dauert zu lange
Eine weitere Schwierigkeit sieht Maschke im bürokratischen Aufwand. Gerade wenn sie als Lebensmittelkontrolleur:innen bei Onlinehändlern wie Amazon Anträge stellen würden, dass beispielsweise gewisse Produkte oder Seiten gesperrt werden sollten, falle das auf. "Bis die notwendigen Informationen vorliegen, ist das entsprechende Lager oder der Makler oft schon weitergezogen und dann nicht mehr für die Kontrolleure erreichbar", klagt er.
Von der Politik wünscht sich Maschke außerdem eine grundsätzlich bessere Vernetzung zwischen den Behörden in Deutschland, eine voranschreitende Digitalisierung und entsprechende Ausstattung.
Das BVL berichtet uns, dass es aktuell den Onlinezugang und das Onlineanzeigeformular für Nahrungsergänzungsmittel überarbeite. "Neben einer höheren Benutzerfreundlichkeit sowohl für die Anzeigenden als auch die Beschäftigten der Behörden ermöglicht die neue Struktur auch eine deutlich verbesserte Recherche, zum Beispiel nach verwendeten Inhaltsstoffen", erläutert die Behörde.
Dadurch könnten die zuständigen Landesbehörden gezielter bestimmte Nahrungsergänzungsmittel für ihre Kontrollen auswählen oder nach unerwünschten Inhaltsstoffen suchen. Die Inbetriebnahme des Zugangs ist noch in diesem Jahr geplant.
Arbeiten an Höchstmengen wieder aufgenommen
Außerdem wurden die Arbeiten an der Festlegung von Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe auf EU-Ebene wieder aufgenommen. Das sei insbesondere auf deutsche Initiative hin geschehen, schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Der Zeitplan für einen entsprechenden Rechtsakt sieht derzeit eine Annahme durch die Kommission im ersten Quartal 2024 vor.
Bis zum Inkrafttreten dieser Höchstmengen können sich Hersteller, Behörden und Verbraucher an den Höchstmengen-Empfehlungen für Vitamine und Mineralstoffe des Bundesinstituts für Risikobewertung orientieren, so das BVL.
Und dann gibt es noch die sogenannte Anreicherungsverordnung. Im Anhang wird dort auch auf andere Stoffe als Vitamine und Mineralstoffe eingegangen, die in Lebensmitteln nicht zulässig sind oder nur mit Beschränkung verwendet werden können. Dieser Anhang wird nach und nach durch die Europäische Kommission zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten gefüllt.
Für die dort aufgelisteten Stoffe existieren also auf EU-Ebene bereits Höchstmengen oder Verwendungsbeschränkungen. Daneben gibt es in Deutschland allerdings bisher keine rechtsverbindlichen Positiv- oder Negativlisten, an denen man sich orientieren könnte.
Stofflisten als Orientierungshilfe
Bund, Länder und Expert:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben allerdings Stofflisten erarbeitet, die als Orientierungshilfe für die rechtliche Einstufung von Pflanzen, Pflanzenteilen und Pilzen dienen, die als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Eine weitere Liste für Algen ist im Jahr 2023 geplant.
Da steht dann zum Beispiel, ob ein Stoff in Lebensmitteln allgemein oder etwa nur in Nahrungsergänzungsmitteln oder mit anderen Einschränkungen verwendet werden sollte. Diese Listen sind zwar nicht rechtsverbindlich, aber trotzdem müssen Lebensmittelunternehmen jede Abweichung gegenüber der zuständigen Behörde gut begründen, so das BVL.
Es tut sich also schon etwas. Allerdings ist fraglich, ob Listen und Verordnungen auch Probleme wie den Personalmangel und die zunehmend komplexeren Aufgaben für Lebensmittelkontrolleure – gerade im Onlinehandel – lösen können.
Ob sich, basierend auf den Ergebnissen unserer Recherche, im Bereich der Kontrollen für Nahrungsergänzungsmittel nun etwas ändern sollte, dazu haben sich übrigens weder das BMEL noch das BVL geäußert.
Autor:innen: Jana Heck und Lucas Tenberg
Faktencheck: Anja Wollschläger
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Toller Artikel. Nutzlos für Endverbraucher. Welchen Herstellern kann man denn nun vertrauen? Wenn Krankenkassen nicht so geizig wären, könnte man Vitaminmängel aufdecken. So hat man aber keine 100€ für den einen oder anderen Test, aber die 99 Cent für ein Röhrchen Multivitamin-Brausetabletten bei Aldi…
Ja, es gibt Betrüger bei NEM – Hersteller, aber auch in anderen Bereichen. Ja, viele Bürger nehmen NEM ohne zu wissen warum und ob es überhaupt nötig ist. Hier sehe ich die allg. Ärzte in der Pflicht, mehr nach NEM bei den Patienten nachzufassen, ob und welche genommen werden. Nicht… Weiterlesen »
Hallo, Mittlerweile nehmen sehr viele Menschen Magensäureblocker ein. B12 kann aber nur aufgenommen werden, wenn Magensäure im Magen vorhanden ist. Dabei muss gerade bei älteren Menschen, Diabetikern und Demenz erkrankten und Menschen mit Polyneuropathie an Vitamin B12 gedacht werden. Ist es zu wenig, kann es ein Grund für diese und… Weiterlesen »
Schöner Versuch die Nahrungsergänzer schlecht zu machen. Es sollte jeder wissen, dass unsere Landwirtschaft durch EU-Verordnungen derart geschwächt wird, dass eine bedarfsgerechte Ernährung nicht mehr gewährleistet ist. Die Böden sind völlig ausgelaugt, Düngemittel werden rationiert, Giftspritzmittel toleriert und weitere irrsinnige Maßnahmen angeordnet um uns irgendwann das Brot, das Fleisch ja… Weiterlesen »