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Nutrigenomik
Einfach abnehmen durch personalisierte Ernährung?
Schlank werden oder gesund leben – das verspricht personalisierte Ernährung auf Grundlage von Gentests. Doch Vorsicht: Das hat Haken.
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Artikel Abschnitt: Individuelle Ernährung: Was steckt dahinter?
Individuelle Ernährung: Was steckt dahinter?
Deine Gene – deine Ernährung?
Dass Genvariationen mit Krankheiten verknüpft sind, ist bekannt, etwa mit dem Risiko zu Übergewicht oder Insulinresistenz, die zu Typ-2-Diabetes führen kann. Die Ratschläge für eine gesunde Ernährung sind jedoch für alle gleich, höchstens konkretisiert in spezielle Empfehlungen für Kinder, Sportler:innen oder alte Menschen. Und trotzdem ist es unabhängig vom Alter von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, wie wir Kohlehydrate, Fette oder Proteine verwerten. Daher haben individuelle Ernährungsempfehlungen zumindest theoretisch durchaus Sinn. Manche Menschen können etwa deutlich mehr essen, ohne zuzunehmen, manche mehr Koffein vertragen als andere, was abhängig ist von der Menge eines bestimmten Enzyms in der Leber. Studien haben außerdem gezeigt, dass der Blutzuckerspiegel oder der Cholesterinspiegel individuell sehr unterschiedlich ansteigt. Teilweise stieg bei Probandinnen und Probanden sogar trotz eines hohen Anteils gesättigter (schlechter) Fettsäuren der "gute" HDL-Cholesterinspiegel. Und nicht jeder, der seinen Salzkonsum reduziert, senkt damit seinen Blutdruck.
Artikel Abschnitt: Gibt es eindeutige Zusammenhänge zwischen Genen und Ernährung?
Gibt es eindeutige Zusammenhänge zwischen Genen und Ernährung?
Wenn Snips krank machen
Beispiel Adipositas: Man hat verschiedene Gene mit Snips gefunden, die das Risiko für Übergewicht erhöhen. Dazu gehört beispielsweise das FTO-Gen ("Fat mass and obesity associated“-Gen) in bestimmten Ausprägungen oder der Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R). Letzterer ist wichtig für die Signalweiterleitung und für die Regulierung von Appetit und Gewicht. Ein MC4R-Mangel kann daher zu Adipositas führen. Dass ein Snip zwingend zu einer Störung oder Erkrankung führt ist selten. Ein Beispiel ist die Laktoseintoleranz: Hierbei ist das Gen für das Enzym Lactase inaktiv aufgrund einer veränderten Nukleinbase. Der Körper kann den Milchzucker nicht aufspalten – es kommt zu Blähungen.
Gene sind selten die alleinige Ursache
Ein Problem ist die Menge möglicher Genvarianten und Snips mit Einfluss auf Ernährung und Stoffwechsel. Es sind sehr viele. Und die meisten erklären für sich genommen nur einen sehr geringen Teil der Unterschiede zwischen Menschen oder erhöhen das Krankheitsrisiko nur um wenige Prozent. Die deutlich größere Rolle spielt also der Lebensstil. Beim FTO-Gen nehmen offenbar vor allem die Genvarianten-Träger zu, die sich wenig bewegen.
Artikel Abschnitt: Wie sinnvoll sind Blut- oder Gentests?
Wie sinnvoll sind Blut- oder Gentests?
Wissenschaftliche Bestätigung steht oft aus
"Bisher konnten selbst gut ausgewählte Snips, die auf Studiendaten beruhten, nicht in Verifizierungsstudien bestätigt werden", sagt Andreas Pfeiffer von der Berliner Charité, Professor für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin. "Obwohl klar ist, dass Genvarianten mit dem Risiko für Übergewicht oder Insulinresistenz verknüpft sind, wird ihre Bedeutung durch epigenetische Einflüsse im Laufe des Lebens stark modifiziert." Drittens basieren Gentests nur auf Wahrscheinlichkeiten, liefern nur vage Empfehlungen und sind nur scheinbar individualisiert. Deshalb kann eine Ernährungsberatung, die die Krankenkasse bezahlt, deutlich günstiger und effektiver sein.
DNA-Probe nicht leichtfertig abgeben
Ganz grundsätzlich sollte man zudem mit der Weitergabe seiner persönlichen DNA sehr vorsichtig sein, selbst wenn in der Datenschutzerklärung eines Anbieters steht, dass keine genetischen Profile gespeichert werden, sondern nur eine Einordnung in bestimmte Stoffwechseltypen. Für medizinische DNA-Tests sieht das Gendiagnostikgesetz eine ausführliche ärztliche Aufklärung zwingend vor. Bei Ernährungsgentests führen die Kund:innen ihre Speichelprobe jedoch selbst durch und schicken sie ohne Arztkontakt direkt zum Labor.
Ob das als medizinischer Gentest gilt oder als Lifestyleprodukt, ist bisher nicht juristisch geklärt. Die Gesellschaft für Humangenetik warnte bereits 2011 vor der zunehmenden Verbreitung dieser Gentests. Die Käufer und Käuferinnen würden mit den Ergebnissen ihrer Genanalyse allein gelassen und seien mit möglichen Konsequenzen überfordert. Außerdem sei unklar, wer die Qualität der Analysen und die Interpretation der Ergebnisse kontrolliert.
Artikel Abschnitt: Gibt es den Kohlenhydrat-Typ, den Fett-Typ oder den Protein-Typ?
Gibt es den Kohlenhydrat-Typ, den Fett-Typ oder den Protein-Typ?
Doch auch wenn die untersuchten Snips jeweils durch wissenschaftliche Veröffentlichungen belegt sind, geht es meist nur um Assoziationen, nicht um kausale Zusammenhänge. Auch wenn eine bestimmte Genvariation und ein Stoffwechselproblem gleichzeitig vorhanden sind, kann ein Ernährungstyp "Kohlenhydrate" oder "Fett" daraus nicht abgeleitet werden. Für Gen-Diäten gibt es derzeit keine wissenschaftliche Grundlage. Zwar liegen Hinweise vor, dass das FTO-Gen und das Melanocortin-4-Rezeptor-Gen (MC4R) mit der Energieaufnahme in Zusammenhang stehen. Aber eine große Studienauswertung der TU München zeigte 2018, dass die Ergebnisse für die anderen Gene uneinheitlich sind, sodass der Forschungsstand es noch nicht zulässt, aus genetischen Informationen individuelle Ernährungsratschläge fürs Gewichtsmanagement abzuleiten.
Wunsch nach personalisierten Ernährungsempfehlungen ist groß
Die Wechselwirkungen zwischen genetischen Faktoren und der Art der Ernährung sind noch nicht komplett verstanden. Studien liefern Hinweise, dass Sport und Ernährung zu epigenetischen Veränderungen führen. Das heißt: Sie verändern nicht direkt die Gene, sondern die Teile einer Zelle, die dafür sorgen, ob ein Gen abgelesen werden kann oder nicht. Man spricht auch von Genregulation. Um konkrete Empfehlungen zur Sportart, Intensität oder Dauer abzugeben, reicht die Studienlage zu den epigenetischen Veränderungen durch Sport und Ernährung jedoch noch nicht aus.
Allerdings können Gentests offenbar immerhin die Motivation steigern: Verhaltensänderungen fallen manchen Menschen damit leichter. Das zeigte auch eine Umfrage der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) zur personalisierten Ernährung. Insgesamt stimmten 47 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass sie sich durch personalisierte Ernährungsempfehlungen vermutlich besser und gesünder ernähren würden. Aber nur 19 Prozent konnten sich eher oder sehr gut (4 Prozent) einen kostenpflichtigen personalisierten Ernährungsplan inklusive DNA-Tests vorstellen.
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