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Feiertage und Corona
Sollte man Weihnachten mit Oma und Opa feiern?
Für die Weihnachtstage gelten in vielen Bundesländern lockere Coronaregeln. Das mag den Leuten entgegenkommen, dem Coronavirus aber umso mehr.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Weihnachten ist ein Fest – für das Virus, nicht für Ältere
Natürlich will man niemanden allein zu Hause zurücklassen und wenn, dann quält das schlechte Gewissen über die Weihnachtstage. Das ist nur verständlich und es sind gute Gründe, an Weihnachten zusammenzukommen.
Allerdings werden die Lockerungen zu Weihnachten dazu führen, dass sich das Virus stärker verbreitet. Und zwar bis in die Risikogruppen hinein, die man bisher möglichst schützen wollte. Gerade die Älteren sind häufiger von schweren Verläufen der Lungenerkrankung betroffen und haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu versterben.
Der Konflikt zwischen guten Absichten und schlechten Bedingungen macht die Diskussion so schwierig, die eigenen Entscheidungen so schwer.
Schauen wir uns also, warum Forscherinnen und Forscher vor einem "normalen“ Weihnachten warnen und wie man selbst zu einer Entscheidung kommen kann.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Alle Faktoren begünstigen Ansteckungen und gefährden die Älteren
Eine Einschränkung gibt es: Fast ein Drittel aller Todesfälle ist auf Infektionen in Alters- und Pflegeheimen zurückzuführen. Dort ist die Sterblichkeit überdurchschnittlich hoch.
Ältere Menschen sind also besonders häufig von schweren Krankheitsverläufen betroffen, obwohl sie nur 13 Prozent der bisherigen Coronafälle ausmachen.
Das ganze Jahr über hat man versucht, die Risikogruppen vor dem Infektionsgeschehen zu bewahren. An Weihnachten könnte das Gegenteil passieren. An Feiertagen treten fast alle Bedingungen ein, mit denen sich das Virus leichter verbreitet.
Nach Festen in anderen Ländern stiegen die Infektionszahlen
Das sind auch nicht nur theoretische Überlegungen, sondern das haben Forscher schon in anderen Ländern festgestellt. Wir wissen von anderen religiösen und traditionellen Festen aus dem Ausland, dass Feste das Ausbruchsgeschehen verschlimmert haben.
In Deutschland gab es bislang nur Ostern, das jedoch in die Phase des ersten Shutdowns gefallen ist. Woanders ging es im späteren Verlauf der Pandemie nicht so aus. Beispiele dafür sind:
- Rosch haSchana in Israel (Anfang September)
- Thanksgiving in Kanada (Mitte Oktober)
Auch von Thanksgiving in den USA (Ende November) wird erwartetet, dass es die Fallzahlen nochmals in die Höhe treibt. Sobald die Inkubationszeit vergangen ist und erste Erkrankungen einen schweren Verlauf nehmen, könnte das Fest als Warnung für Weihnachten gelten.
Was auf mehr Infektionen in den USA hinweist, ist etwa die Mobilität der Bewohner in den Tagen und davor. Mehr als drei Millionen Passagiere wurden die Tage vor dem amerikanischen Erntedankfest registriert, zwar weniger als 2019, aber angesichts der Pandemie immer noch überraschend viele und mehr als 2018.
Schlechte Bedingungen für Weihnachten
Es gibt noch weitere schlechte Vorzeichen für das Weihnachtsfest:
1. Hohes Grundniveau der Infektionen
Derzeit liegt die Inzidenz in Deutschland noch weit über den 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Mancherorts übertrifft sie diesen (politischen) Grenzwert um das 12-Fache. Je mehr Menschen infiziert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken.
Bei wenigen Neuinfektionen pro Tag wäre Weihnachten, ähnlich wie im Sommer, ein viel geringeres Problem als jetzt.
2. Leichte Übertragbarkeit
Der Hauptweg für Infektionen sind Aerosole, also kleine Tröpfchen, mit denen das Virus in der Luft schwebt. Die Konzentration der Partikel steigt, wenn eine infizierte Person über längere Zeit spricht und atmet. Begünstigt wird das zusätzlich durch:
- enge Innenräume
- lange Aufenthaltsdauer
- mehrere Personen
Im häuslichen Umfeld finden die meisten Ansteckungen statt.
3. Übergreifende Cluster
An den Weihnachtstagen kommen traditionell mehrere Haushalte zusammen, bei Familien auch mehrere Generationen. Dann treffen auch die unterschiedlichen Alltagsrealitäten und Infektionscluster zusammen, nämlich die der arbeitenden Eltern, die der Schulkinder und damit auch auf die Großeltern. Für das Coronavirus ideal:
- mehrere Generationen
- mehrere Haushalte
- hohe Mobilität
4. Indirekte Kontakte
Je nach Bundesland gelten (Stand jetzt) für Weihnachten unterschiedliche Regelungen. In den meisten Ländern sind bis zu zehn Personen erlaubt und es gibt keine Beschränkung der Haushalte. Kinder unter 14 Jahren sind ebenfalls nicht mit eingeschlossen.
Man trifft an solchen Tagen aber nicht nur diese 13 oder 14 anderen Personen aus anderen Haushalten, sondern im Grunde auch deren Kontakte der letzten Wochen.
Gerade die indirekten Kontakte spielen aufgrund der Inkubationszeit eine große Rolle. Infizierte sind auch schon am Tag vor den ersten Symptomen ansteckend und können das Virus unbemerkt verbreiten. Diese Gefahr wird häufig unterschätzt.
Maßnahmen können theoretisch helfen
Die bekannten Maßnahmen wie Abstand, Maske und Lüften können das Infektionsrisiko senken.
Tatsache ist aber auch: Sie sind keineswegs weihnachtlich. Gerade in Familien fallen solche Regeln schnell unter den Tisch. Hinzu kommen die psychischen Gründe, die uns ein coronataugliches Weihnachten erschweren und die wir uns im Folgenden vornehmen.
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie Weihnachten das Infektionsgeschehen beeinflusst
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Die menschliche Psyche arbeitet gegen uns
Das Virus hat den großen Vorteil, dass es geduldig ist. Man kann sich 23 Stunden und mehr am Tag an alle Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen halten, aber die eine Stunde ohne reicht für eine Infektion völlig aus.
Die Tücken unserer Psyche sind etwa folgende:
Reaktanz: "Mit mir nicht“
Der Mensch hat es nicht so mit Regeln, die ihm von anderen auferlegt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn er die Gründe dafür nicht nachvollziehen kann. Wenig Transparenz und schlechte Kommunikation vonseiten der Politik lassen viele Menschen zweifeln.
Und das zeigt sich auch daran, wie viele sich an Maske, Abstand und Co halten. Aktuell tragen viele die Maßnahmen mit, manche widerwillig, andere gar nicht.
Future discounting/ Present-bias: "Passiert ja jetzt nichts"
Es fällt besonders schwer, lange vorauszudenken. Wir entscheiden uns eher für kurzfristige Vorteile, auch wenn das auf längere Sicht nachteilig für uns ist. Die langfristigen Konsequenzen sind nicht konkret, nicht greifbar genug.
Heißt in der Praxis: Selbst, wenn wir uns vorstellen können, dass wir uns an Weihnachten infizieren, ist uns das zu abstrakt und wir entscheiden uns eher dafür, dann doch die Verwandten einmal im Jahr zu sehen und in den Arm zu nehmen.
Das könnte auch fürs Lüften gelten. Den Vorteil des Lüftens zu "sehen" ist kaum möglich, den kalten Luftzug spürt jeder, bestimmt auch die eh fröstelnde Oma.
Gruppenzwang: "Aber die anderen …"
Wir können noch so diszipliniert sein, doch wenn auf einmal alle um uns herum die Maske absetzen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man es auch tut. Man will nicht der Buhmann sein.
Kognitive Dissonanz: "Betrifft mich schon nicht"
Nur weil ein allgemeines Risiko besteht, muss das nicht für einen selber zutreffen. So redet man sich Gefahren und Realität oft schön. Genauso besteht folgendes Problem: Das Infektionsrisiko wird aufgrund der Sympathie zu Bekannten, Freunden und Familie als geringer eingeschätzt, als das bei fremden Personen der Fall ist.
Dort wird stärker auf Maßnahmen wie Abstand und Maske tragen geachtet – im Umkehrschluss: Dort, wo man das Risiko irrationalerweise als gering einschätzt, achtet man weniger auf Maßnahmen und steigert dann die tatsächliche Infektionsrate. Die liegt innerhalb des Haushalts höher als außerhalb.
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Und jetzt?
Abstand halten ist das Einzige, was verlässlich schützt
Eine einfache Regel wäre: Wer irgendwelche Symptome zeigt, bleibt zu Hause und isoliert sich, und die Kontaktpersonen ebenfalls.
Vorquarantäne ist sinnvoll – aber ein Luxus
Eine weitere, viel diskutierte Vorsichtsmaßnahme: die Vorquarantäne. Im Mittel liegt die Inkubationszeit von Corona zwischen fünf und sieben Tagen, bei manchen dauert sie bis zu 14 Tage. Wer so lange allein ausharrt, würde das Risiko minimieren, für andere ein Ansteckungsrisiko zu sein.
Es ist und bleibt aber eine Luxusmaßnahme, denn nur manche Berufe lassen sich aus dem Homeoffice erledigen. Außerdem hat nicht jeder Angestellte noch Urlaubstage, um sich selbst zu isolieren.
Treffen an Weihnachten mehrere Generationen aufeinander, wird es auch deshalb schwer, weil Schüler bis kurz vor Weihnachten auch noch im Unterricht saßen. Sollte sich während der Isolation ein Familienmitglied anstecken, wird der Zähler für die anderen vorerst auf null gesetzt. Die Quarantäne-Zeit würde also von vorne beginnen. Danach ist Weihnachten schon vorbei.
Vor Ort bleibt nichts anderes übrig, als regelmäßig zu lüften und Maske zu tragen. Ein Mindestabstand von 1,5 Metern und mehr wäre natürlich gut, aber spätestens das ist für die meisten nicht weihnachtlich. Das individuelle Risiko je nach Maßnahmen im Wohn- und Esszimmer kann man näherungsweise mit einem Rechner vom Max-Plack-Institut für Chemie durchrechnen:
Der Aerosol- und Risk-Rechner vom MPI
Die richtige Entscheidung treffen
Weihnachten mit Großeltern – das muss man für sich und am besten gemeinsam entscheiden. Es hilft, das im Voraus offen und zusammen zu diskutieren. Sicherlich wird es Großeltern geben, die sich des Risikos bewusst sind, und solche, die das Risiko unterschätzen.
Letztlich müssen aber auch die Jüngeren und Gesunden, die vor dem Coronavirus wenig zu befürchten haben, die Entscheidung und das Risiko mittragen, dass sie unbemerkt ihre Großeltern anstecken könnten – mit allen Konsequenzen. Diese Verantwortung können auch abgeklärte Großeltern nicht übernehmen.
Vor Ort auf Maßnahmen achten und das Risiko kennen
Es führt nichts daran vorbei, dass das Risiko an Weihnachten besonders groß ist. Die Wissenschaft rät eher davon ab, mit den Großeltern zusammen zu feiern - solange die Fallzahlen hoch sind. Man sollte das Risiko für sich und seine Angehörigen kennen. Es hilft nichts, sich dabei selbst zu belügen.
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Weihnachten normalerweise: ca. 40 Personen über 3 Tage verteilt, ein Großteil davon Risikogruppe. Weihnachten dieses Jahr: Jeder Haushalt für sich. Wir nutzen die Feiertage und die Resturlaubstage für die Vorquarantäne, an Neujahr nach 10 Tagen Vorquarantäne dann ein verschobenes Weihnachtsessen mit 4 Personen aus 2 Haushalten mit allen Vorsichtsmaßnahmen, die… Weiterlesen »
Klingt sehr vernünftig! ? Frohes Fest!
Hat sich hier jemand schon mal wirklich nur ganz einfache Fragen gestellt? Simple, nachzuvollziehende Fragen? Was läuft denn in dieser Welt ab? Hier mal eine einfache Frage, die ich mir gestellt habe. Gibt es diesen Virus wirklich in dieser dargestellten Form. Einen Killervirus, der die ganze Bevölkerung dahin raffen könnte?… Weiterlesen »
1. Aktuelle Zahlen des RKI zur Grippe gibt es hier https://influenza.rki.de/ 2. Was bringt die Frage, ob man nicht gegenüber der Grippe ähnliche Maßnahmen hätte ergreifen sollen. Ja, das wäre sicher hilfreich. Aber die Grippe ist keine akute Pandemie mit unüberschaubaren Folgen. Es gibt eine – jeweils angepasste – Impfung.… Weiterlesen »
Danke für den tollen Artikel. Ich hätte nur noch eine Punkt zum Thema, der nicht im Artikel aufgegriffen wird. Meine Oma geht jetzt auf die 90ig zu, ist aber geistig noch fit. Somit hat sie über 4 mal solange gelebt hat wie ich (inkl. 2. Weltkrieg) und man weiß nicht… Weiterlesen »
Wir können dir keinen letztgültigen Rat geben, sorry. Du musst auch für dich selber entscheiden, ob du deine Oma der Gefahr aussetzen möchtest, die ja auch darin besteht, da du das Virus auch unbemerkt weitergeben kannst. Wenn zu „davor alles tun“ auch Vorquarantäne gehört oder evtl ein Schnelltest (wobei die… Weiterlesen »
Danke für diesen sehr guten Artikel! Die Fakten nochmal so zusammengekehrt und insbesondere die psychologischen Mechanismen zu kennen, hilft sehr bei dieser schwierigen Entscheidung. Das Fazit finde ich auch gut formuliert. Wir fahren nicht zu den Verwandten, auch wenn die zum Teil sehr traurig darüber sind. Ein Weihnachten ausfallen lassen… Weiterlesen »
Liebe Leute – das ist ja alles schön und gut, aber in einem der letzten Artikel hattet Ihr den Hinweis, dass in manchen Ländern möglicherweise über 70% der Toten gar nicht auf das Konto von Covid 19 gehen, sondern auf das Konto der Maßnahmen (Angst, Isolation, Armut) – es ist… Weiterlesen »
Ich sehe keine große Angst im Alltag um mich herum, und wenn, dann eher aufgrund von schlimmen Verläufen im Bekanntenkreis oder Schilderungen von Medizinern, nicht aufgrund der Einschränkungen. Und panische Reaktion? Die sähe denke ich auch anders aus. Die Politik reagiert doch eher gemächlich und in kleinen Schritten, statt übereilt.… Weiterlesen »