Das weiß man über die Sicherheit von Verhütungs-Apps

Verhütung

Das weiß man über die Sicherheit von Verhütungs-Apps

Sie locken mit federleichtem Design in Rot oder Rosa und manche wurden schon 100 Millionen Mal heruntergeladen. Doch wie sicher sind Zyklustracker, Eisprungrechner und Verhütungs-Apps?

15. Januar 2020 | Aktualisiert: 11. Februar 2021 | 8 Kommentare

Inhalt

Wie funktioniert Verhütung per App?
Wie sicher sind die Programme?
Welche wissenschaftlichen Grundlagen gibt es?
Was heißt richtige Anwendung?
Wie nützen die Apps bei Kinderwunsch?
Wie steht es um den Datenschutz?

Wie funktioniert Verhütung per App?
Wie sicher sind die Programme?
Welche wissenschaftlichen Grundlagen gibt es?
Was heißt richtige Anwendung?
Wie nützen die Apps bei Kinderwunsch?
Wie steht es um den Datenschutz?

Die Verkaufszahlen für die Pille und Co gehen zurück. Natürliche Verhütungsmethoden sind gefragt. Junge Frauen lassen sich dabei gern von einer App helfen, viele haben ohnehin schon eine für die Berechnung der Monatsblutung. Also einfach ein hübsches Programm herunterladen und fertig ist die Empfängnisverhütung? So einfach ist es leider nicht. Denn die Apps haben Tücken.

Wie funktioniert Verhütung per App?

Im Prinzip unterstützen die Apps eine natürliche Familienplanung – nur mit digitaler Aufzeichnung. Die meisten Programme bezeichnen sich nicht als Verhütungs-Apps, sondern als Zyklus-Apps. Sie errechnen aufgrund der eingegebenen Daten der letzten Monatsblutungen rein statistisch die nächste Periode. Einige Apps berechnen daraus auch die fruchtbaren Tage. Eine zweite Gruppe von Apps berechnet die Fruchtbarkeit und die Periode mit zusätzlichen Daten aus dem Zyklus der Nutzerin. Hierbei muss die Frau jeden Morgen ihre Temperatur messen und teilweise auch notieren, ob sie das Sekret aus dem Gebärmutterhals spürt oder sieht, den sogenannten Zervixschleim. Eine dritte Gruppe von Apps zieht andere Zyklusdaten heran, etwa die Hormonkonzentration im Urin oder im Speichel, die nächtliche Körpertemperatur oder den nächtlichen Ruhepuls. Für die Messung der Hormonkonzentration hält man Teststreifen in den Urin. Manche Tests zeigen das Ergebnis direkt auf den Streifen an, manche Streifen werden digital ausgewertet.

Wie sicher sind die Programme?

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) und der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) warnen: Fast alle dieser Apps taugten nicht für eine zuverlässige Verhütung. Und auch die Stiftung Warentest gab 2017 bei einem Vergleich viele schlechte Noten. Wer mit solch einer App sicher eine Schwangerschaft verhindern will, muss einigen Aufwand betreiben. Denn nur die Berechnung zurückliegender Zyklen reicht nicht, um im nächsten Zyklus den Eisprung und die Periode verlässlich zu bestimmen. Der Grund: Nur der idealtypische Zyklus dauert genau 28 Tage und selbst der kann sich durch äußere oder innere Einflüsse ändern. Bei vielen Frauen variiert diese Zeitspanne, 21 Tage sind ebenso möglich wie 35 Tage.

Der Pearl-Index im Vergleich

Der Pearl-Index zeigt an, wie viele von 100 Frauen in einem Jahr bei Anwendung einer Methode schwanger werden. Ein Pearl-Index von 1 bedeutet, dass eine von 100 Frauen trotz Verhütung innerhalb eines Jahres schwanger geworden ist. Man unterscheidet eine perfekte und eine typische Anwendung im Alltag – letztere schließt unter anderem Fehler bei der Anwendung ein. Deshalb sind die typischen Zahlen nur ein Anhaltspunkt. (Benannt ist die Berechnungsmethode nach dem amerikanischen Wissenschaftler Raymond Pearl.)

Antibabypille: 0,1 bis 0,9

Spirale: 0,16 (Hormonspirale) bzw. 0,3 bis 0,8 (Kupferspirale)

Symptothermale Methode: 0,4 bis 1,8 (kombiniert mit Verzicht auf Geschlechtsverkehr an den fruchtbaren Tagen)

Hormoneller Vaginalring: 0,4 bis 0,65

Kondome: 2 – 12

Kalendermethode: 9

Koitus interruptus: 4 bis 18

Ohne Verhütung: 85

Die Werte geben eine Spanne an, der kleinere Wert gilt für eine perfekte Anwendung, der höhere für die typische Anwendung.
Quelle: Pro Familia und Stiftung Warentest. Die Werte variieren je nach Quelle und sind nur ein Anhaltspunkt.

Symptothermale Methode

Wer zur Verhütung keine Hormone nehmen möchte, muss täglich zwei Parameter beobachten. Denn wirklich verlässlich für die natürliche Verhütung ist laut DGGEF und BVF nur die sogenannte symptothermale Methode, das heißt die regelmäßige Messung von Morgentemperatur und die Beobachtung des Zervixschleims. Zwar verändert sich auch der Hormonspiegel während des Zyklus, so produziert der Körper vor dem Eisprung vermehrt Östrogen und nach dem Eisprung vermehrt Progesteron, aber für eine zuverlässige Verhütung ist die Messung dieser Hormone aufgrund der Streubreite nicht geeignet. Das gilt ebenfalls für den LH-Spiegel (luteinisierendes Hormon). Zudem ist wichtig, dass die App das fruchtbare Zeitfenster für den aktuellen Zyklus bestimmt und dass sie wirklich die individuellen Daten im jeweiligen Zyklus zur Bestimmung der fertilen Phase nutzt. Dadurch ist die Anwendung unabhängig von Zykluslänge oder einem vorverlagerten Eisprung sicher. Manche Apps treffen die Vorhersage aus statistischen Daten anderer Anwenderinnen und liefern reine Durchschnittswerte.

Der weibliche Zyklus

Der Zyklus beginnt mit dem ersten Tag der Menstruation und endet mit dem letzten Tag vor der nächsten Blutung. In jedem Zyklus reifen im Eierstock Eibläschen (Follikel) neu heran, von denen eines beim Eisprung eine reife Eizelle freigibt. Findet keine Befruchtung dieser Eizelle statt, folgt nach 12 bis 16 Tagen die Menstruation. In der Phase vor dem Eisprung ist die Basaltemperatur auf einem niedrigen Niveau und steigt dann um den Eisprung signifikant auf ein höheres Niveau an. Der Zervixschleim, den die Spermien zum Überleben benötigen, setzt in der Regel kurz nach der Menstruation ein und verändert sich – abhängig von den Eierstockhormonen – in Aussehen und Konsistenz. Um den Eisprung erreicht er seine beste Qualität.

Welche wissenschaftlichen Grundlagen gibt es?

Laut der wissenschaftlichen Fachgesellschaft fehlen für fast alle Apps bislang Studien für den praktischen Nachweis ihrer Sicherheit im Alltag. Das liegt daran, dass Gesundheits-Apps Medizinprodukte sind, die nicht von einer staatlichen Stelle zugelassen werden und Studiennachweise vorlegen müssen, sondern nur von Prüfunternehmen nach der Medizinprodukteverordnung zertifiziert werden und ein CE-Zeichen erhalten, das jedoch nichts über die Verhütungssicherheit aussagt.

Eine einzige App wurde bislang in den USA von der Behörde zur Überwachung von Nahrungs- und Arzneimitteln (FDA) zugelassen, aber der Berufsverband der Frauenärzte und die DGGEF warnten im August 2018, der Betreiber führe zwar Studien an, diese hätten aber "schwerwiegende Mängel“. Da Frauen, die während der Verwendung der App schwanger wurden, von der Auswertung ausgeschlossen worden seien, habe die Firma eine "sehr niedrige Schwangerschaftsrate herbeigerechnet“.

Was heißt richtige Anwendung?

Wer definitiv nicht schwanger werden möchte, aber keine hormonelle Verhütung wünscht, findet in der symptothermalen Methode eine aufwendige, aber sichere Alternative – wenn sie richtig angewendet wird. Das heißt: Die Frau misst einmal am Tag die Temperatur, und zwar jeden Morgen nach dem Aufwachen und vor dem Aufstehen im gleichen Zeitraum. Das wird als Basaltemperatur bezeichnet und geschieht am besten mit einem mechanischen Thermometer – entweder oral, vaginal oder rektal. Im Mund muss das Thermometer direkt am Zungenbändchen unter der Zunge angelegt werden und der Mund geschlossen bleiben.

Zervixschleim zeigt Fruchtbarkeit an

Dazu kommt die Beobachtung des Zervixschleims. Normalerweise verschließt ein Schleimpropf den Gebärmutterhals (Zervix) und damit den Weg von der Scheide in die Gebärmutter. Spermien können im sauren Scheidenmilieu nicht überleben und sterben innerhalb kürzester Zeit. Steigt aber der Östrogenspiegel, löst sich der Schleimpropf. Der Zervixschleim entwickelt eine Kanälchenstruktur, eine Art Transportsystem, mit dem die Spermien in die Gebärmutter gelangen. Zudem ernährt er die Spermien. Bis zu fünf Tage lang können sie so überleben.

In Apps wird immer wieder die Qualität des Zervixschleims unterschieden. Doch die Arbeitsgruppe Natürliche Familienplanung (NFP) der Malteser warnt: Fruchtbar ist eine Frau nicht nur, wenn die beste Zervixschleim-Qualität vorliegt – glasig, durchsichtig, dehnbar und als "S+" bezeichnet. Fruchtbar ist eine Frau vielmehr, sobald Zervixschleim zu spüren oder zu sehen ist. Feucht heißt also Zervixschleim = fruchtbar. Trocken oder nichts heißt kein Zervixschleim = nicht fruchtbar.

Sicherheit braucht Übung

Um sicher zu verhüten, ist Übung nötig, etwa über drei Zyklen. Die Arbeitsgruppe NFP der Malteser bildet Sensiplan-Beraterinnen aus, die die Frauen oder Paare über diese Zeit beratend begleiten. Dann lernt man auch den Zervixschleim von Ausfluss zu unterscheiden oder zu erkennen, wie sich der Zervixschleim beispielsweise durch Infektionen, Arzneimittel oder Erregung verändern kann.

Das Ende der fruchtbaren Phase beginnt übrigens nicht mit dem Einsetzen der Blutung, sondern wird im System der symptothermalen Methode ebenfalls anhand der beiden Parameter Temperatur und Zervixschleim bestimmt: Die unfruchtbare Zeit nach dem Eisprung beginnt danach entweder am Abend des dritten Tages der erhöhten Temperatur oder am Abend des dritten Tages nach dem Höhepunkt des Zervixschleim-Symptoms – je nachdem, was zuletzt kommt.

An weiteren, zuverlässigeren Methoden für die natürliche Verhütung wird geforscht. Ein Ovularing etwa soll eine digitale Auswertung des Zervixschleims ermöglichen. Aber nach Einschätzung der Experten ist das noch nicht zuverlässig genug. Bislang ist also einiger Aufwand nötig, um die symptothermale Methode zu beherrschen. Wenn es klappt, kann ein Paar mit ihr fast so sicher verhüten wie mit der Pille.

Wie nützen die Apps bei Kinderwunsch?

Zyklus-Apps nutzen nicht nur Frauen, die verhüten wollen, sondern auch Paaren mit Kinderwunsch. Da in beiden Fällen die fruchtbaren Tage ermittelt werden müssen, gilt hier das Gleiche wie für die Verhütung: Nur mit zwei Parametern, der Temperatur und der Beschaffenheit des Zervixschleims, gilt die natürliche Familienplanung bislang als zuverlässig. Zwar wirbt auch der eigens für Frauen mit Kinderwunsch entwickelte Ovularing damit, dass er Frauen dabei "unterstützt", ihren Zyklus besser zu kennen. Aber der Kunststoffring, der nach der Menstruation eingeführt und jeweils einen Zyklus lang getragen wird, misst vor allem die Temperatur (288 Mal pro Tag). Nach Angaben der Arbeitsgruppe NFP der Malteser kommt es bei Kinderwunsch vor allem auf die Beobachtung des Zervixschleims an. Noch mehr Werte ermittelt das Ava-Armband. Es wird nachts getragen und misst neun Parameter, unter anderem Ruhepuls, Hauttemperatur, Atemfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und Schlafdauer. Diese Daten, die jeden Morgen mit der Ava-App per Bluetooth synchronisiert werden, sind aber für die Familienplanung nicht relevant.

Wie steht es um den Datenschutz?

Wie bei anderen Apps gilt auch hier: Kostenlose Programme bezahlt man indirekt mit den eigenen Daten. Der Berufsverband der Frauenärzte hat 2018 die allgemeinen Geschäftsbedingungen einiger Zyklus-Apps untersucht. Teilweise stehe erst sehr weit hinten die wichtige Information, dass die App die Daten der Nutzerinnen an Dritte weitergibt und die Einwilligung mit der Nutzung der App erfolgt. Teilweise gelangten die Infos auch an soziale Netzwerke. Der Verband rät hier zur Vorsicht und dazu, keinesfalls Informationen zur Stimmungslage, Libido oder zu Orgasmen in die Programme einzutragen.

Tanja Wolf

Medizinjournalistin, freie Autorin für Online. Mag Evidenz und Handball. Lieblingsthemen: Gesundheit, Geschichte und Zahnmedizin.

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#Menstruation #Sex

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8 Kommentare

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Tania

2 Jahre zuvor

Ich habe mit der Hormonspirale verhütet.Mein jetziger Partner ist sterilisiert.Daher habe ich mir bis jetzt keine neue Spirale einsetzen lassen.Mit sind diese Apps nicht sicher.

-3

Antworten

Franziska

3 Jahre zuvor

Ich nutze die Pille und bin sehr zufrieden damit. Merke fast gar keinen Unterschied zu bevor ich die Pille genommen habe. Nur dass meine Akne und meine Blutungsschmerzen sich sehr verbessert haben. Mit der symptothermalen Methode habe ich aus meinem Bekanntenkreis sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Eine Freundin hat so verhütet… Weiterlesen »

-4

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Diana

Antwort auf Franziska

3 Jahre zuvor

Ich hatte über 9 Jahre die Pille genommen und war in diesen 9 Jahren nicht in der Lage tiefere Gefühle für irgendjemanden zu entwickeln. Das ist mir erst nach absetzen klar geworden. Ich verhüte seit 4 Jahren damit und war nicht einmal ungewollt schwanger. Obwohl ich auch ohne Kondom Sex… Weiterlesen »

Zuletzt bearbeitet 3 Jahre zuvor von Diana

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Levana

3 Jahre zuvor

Man sollte die Regeln für NFP auch kennen. Die App ist für mich nur die elektronische Variante zu Stift und Papier. Wer nicht sicher nach den Regeln auswerten kann, hat sich mit der Methode nicht beschäftigt. Aufwendig ist es nun wirklich nicht. Das Thermometer morgens beim Aufwachen 3 Min. zu… Weiterlesen »

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Gedankendenker

3 Jahre zuvor

Schon witzig, wie bei den PI Vergleichen bei der symptothermalen Methode (und hier auch bei z.B. Kondomen) als PI immer die Spanne von Methodensicherheit (0,4) bis Anwendungssicherheit (1,8) angegeben wird. Bei den hormonellen Verhütungsmethoden wie der Pille wird allerdings nur die Methodensicherheit angegeben. Würde man hier ebenfalls die Spanne bis… Weiterlesen »

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Antiquacksalber

Antwort auf Gedankendenker

3 Jahre zuvor

Der PI ist nur so gut wie die zugrundeliegenden Daten, die für die Berechnung verwendet werden. Es ist schon sehr auffällig, dass die Studien zur symptothermalen Methode selten hohen wissenschaftlichen Standarts entsprechen. Meist werden retrospektiv Daten von Frauen ausgewertet, die über X Monate diese Methode verwendeten. Was ist mit den… Weiterlesen »

-3

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Kommentarabgeberin

Antwort auf Antiquacksalber

2 Jahre zuvor

Die Datenlage zur Studie von Sensiplan ist sehr gut und entspricht meines Wissen nach auch den wissenschaftlichen Standards. In der Studie wurde außerdem sehr wohl auch vermerkt, wer warum während der Studie (also innerhalb dieser X Monate, über die die Methode verwendet wurde) ausgeschieden ist. Also deine Aussage, dass die… Weiterlesen »

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Hummel

3 Jahre zuvor

Seit Jahren erfolgreich sicher und zufrieden mit der symptothermalen Methode. Mir ist noch immer schleierhaft, warum es mich Monate eigener Literaturrecherche gekostet hat, darauf zu stoßen, selbst verschiedene FAs wussten nichts darüber. Danke, dass ihr die symptothermale Methode entstigmatisiert und für größere Bekanntheit sorgt!

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