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Urban Farming
Urban Farming: So sinnvoll sind Gemüse und Obst vom Dach
Zu viele Pestizide, ausgelaugte Böden, zu wenig Anbaufläche: Obst und Gemüse frisch vom Dach wären nicht nur hip – es hätte viele Vorteile.
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Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Wir brauchen immer mehr Essen – haben aber immer weniger fruchtbares Land
Die moderne Landwirtschaft braucht schon heute weltweit eine Fläche, die etwa der Größe Südamerikas entspricht und rund 70 Prozent des verfügbaren Trinkwassers verbraucht. Eigentlich brauchen wir mehr fruchtbares Land, stattdessen verlieren wir jedes Jahr Milliarden Tonnen – etwa durch Abholzung oder intensive Landwirtschaft.
Auf immer mehr Böden wächst nichts mehr
So sind nach dem Weltbodenbericht der United Nations bereits 33 Prozent der Böden degradiert: Ihre Fruchtbarkeit nimmt radikal ab, bis auf ihnen nichts mehr wächst – bis 2050 könnten es über 90 Prozent sein. Geschätzt kann das zu einem Verlust von bis zu 50 Prozent der Ernteerträge führen.
Kurzum: Neue Ideen sind gefragt. Wie lässt sich Nahrung erzeugen, ohne immer mehr Land zu verbrauchen und die Böden weiter zu belasten? Eine Idee: Obst und Gemüse in Städten anpflanzen – und dafür Flächen nutzen, die sowieso da sind. Wie Dächer und Keller von großen Gebäuden.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Urban Farming hat viele Vorteile
Vor allem die ärmsten Menschen in vielen Ländern nutzen schon längst die Möglichkeit, in der Stadt Nahrung anzupflanzen — weil sie nicht anders können. 15.000 Tonnen Gemüse werden so jährlich mitten in Mexiko-Stadt angebaut. Und am Stadtrand des wasserarmen Lima wachsen auf 5.000 Hektar bewässertem Boden Lebensmittel für die ganze Stadt. In Afrika südlich der Sahara haben 40 Prozent aller Haushalte Gärten, in Nepal sind es 57, in Vietnam 69 Prozent. Die Gärten müssen gar nicht groß sein, oft ziehen Menschen ihre Pflanzen auch in Töpfen auf dem Balkon oder Hausdach.
Ganz klassisch: Anbau unter offenem Himmel
Aber auch in reicheren Ländern wird in der Stadt gegärtnert. In New York etwa wächst ein riesiger Garten auf dem Dach eines Hochhauses im Projekt Brooklyn Grange. Geerntet werden über 20 Tonnen Nahrungsmittel im Jahr: Salat, Zucchini, Auberginen, fast 40 verschiedene Tomatensorten. Und Honig aus eigenen Bienenstöcken. Alles, was dort geerntet wird, kommt direkt in den umliegenden Restaurants auf den Tisch oder wird in nahe gelegenen Geschäften oder auf Wochenmärkten verkauft.
Stärker mit Schadstoffen belastet?
Diskutiert wird, ob das so angebaute Gemüse stärker schadstoffbelastet ist. Eine Berliner Studie hat Kleingärten untersucht, die direkt an stark befahrenen Straßen liegen. Tatsächlich ist dieses Obst und Gemüse stärker mit Schadstoffen belastet, das Gemüse in New York nicht. Vermutlich weil ein Garten in der 30. Etage doch weit genug weg von den Abgasen ist. Hier besteht auf jeden Fall noch Forschungsbedarf.
Technisch ausgefuchster: Anbau in geschlossenen Systemen
Abgasfrei anbauen lässt sich in geschlossenen Systemen, in Kellergewölben und Lagerhallen etwa. Oder in Gewächshäusern, wie auf dem Dach das Jobcenters in Oberhausen. Dort wächst auf über 1000 Quadratmetern Obst und Gemüse mitten in der Stadt. Wissenschaftlich begleitet und durchgeführt wird das Projekt vom Fraunhofer-Institut UMSICHT.
In den Gewächshäusern gibt es vier Klimazonen, die je nach Bedarf der Pflanzen an Temperatur und Feuchtigkeit angepasst werden können. Es gibt Ebbe-Flut-Tische, die die Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen versorgen. In UV-stabilen Growbags wachsen unter anderem Erdbeeren, während Salate auf Kulturplatten in Schwimmteichen angebaut werden.
1. Anbaumethode: Hydroponik
Bei dieser Anbaumethode wurzeln die Pflanzen nicht in der Erde, sondern in wassergefüllten Behältern, in denen sie beispielsweise mit Kokosfaser oder Steinwolle fixiert werden. Dadurch können sie optimal mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden und wachsen schneller. Die Bewässerung der Pflanzen findet in einem geschlossenen Kreislauf statt.
Der Kerngedanke des Konzepts: Der Dachgarten zapft den Wasser- und Energiekreislauf des Gebäudes an. Die Pflanzen in den Gewächshäusern werden mit der Abwärme des Gebäudes versorgt. Und anfallendes Abwasser des Gebäudes wird durch Siebe gereinigt und aufbereitet, um es noch einmal zum Bewässern der Pflanzen verwenden zu können.
Mit der hydroponischen Anbauweise wird weltweit experimentiert. In einer Studie hat das Fraunhofer-Institut mehr als 50 urbane Farmen weltweit gezählt. 80 Prozent dieser Farmen nutzen Hydroponik, die hauptsächlichen Erzeugnisse sind Blattgrün (69 Prozent), Basilikum (56 Prozent), Tomaten (44 Prozent) und Erdbeeren (25 Prozent). Die meisten Farmen sind nur einen halben Kilometer oder weniger vom Stadtzentrum entfernt und sind damit stark auf die Versorgung der unmittelbaren Nachbarschaft fokussiert.
2. Vertical Farming durch Aeroponik
Eine weitere Anbaumöglichkeit bieten aeroponische Systeme. In aeroponischen Farmen werden die Pflanzen so fixiert, dass ihre Wurzeln in der Luft hängen und nur mit Wasser und Nährstoffen bedampft werden. Dadurch können die Pflanzen in mehrgeschossigen Farmen wachsen ("vertical farming") und brauchen extrem wenig Platz.
Die größte aeroponische Farm in New York produziert in 18 Etagen übereinander momentan mehr als 900.000 Kilogramm Salat pro Jahr. Nach eigenen Angaben erzielt das Unternehmen 390-mal höhere Erträge pro Quadratmeter im Jahr, als auf herkömmlichen Ackerflächen möglich wäre – und kommt dabei ohne Pestizide und mit viel weniger Wasser aus.
Die Vorteile des Anbaus in die Höhe bestätigt auch eine Studie der University of Twente. Sie hat den Salatanbau per Vertical Farming mit dem auf einer traditionellen Farm in den USA verglichen. Das Ergebnis: Der Ertrag beim Vertical Farming ist etwa 80 Prozent höher als bei der Freiland-Landwirtschaft.
Die Vorteile:
- Es gibt mehrere Ernten pro Jahr.
- Auf der gleichen Fläche können mehr Pflanzen wachsen.
- Die vertikale Farm verbraucht 18-mal weniger Wasser – dank dem halbgeschlossenen Wasserkreislauf.
- Sie verschmutzt Süßwasser weniger und reduziert die Überdüngung der Gewässer um 70 bis 90 Prozent, weil kaum Düngemittel eingesetzt werden.
- Der lokale Verkauf des Salates verkürzt Transportwege – was CO2 einspart. Vorausgesetzt, die Nachfrage in der Umgebung der Farm ist hoch genug.
3. Aquaponik
Bei der Aquaponik werden Fische in Becken gehalten. Die Idee dahinter: Über ein geschlossenes Kreislaufsystem düngt das "Abwasser", also der Fischkot aus den Becken, die hydroponisch angebauten Pflanzen. Diese wiederum filtern das Abwasser der Fische und wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um.
Innerhalb dieses biologischen Reinigungsprozesses ist das Abwasser der Fischaufzucht gleichzeitig das Frischwasser für die Pflanzenaufzucht – und umgekehrt. Das spart bis zu 90 Prozent Süßwasser gegenüber der herkömmlichen Landwirtschaft und ersetzt Dünger durch die Ausscheidungen der Fische.
Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) arbeitet und forscht an einer Aquaponikanlage, die ein gemeinsames Heizsystem für die Zucht von Fischen und Pflanzen nutzt. Das verringert Wärmeverluste und steigert die Energieeffizienz. Für Wärme- und Energiezufuhr werden erneuerbare Energiequellen wie Sonne und Biogas genutzt, die Tomaten binden das Kohlendioxid, das die Fische abgeben – daher kann die Aquaponik-Anlage nahezu CO2-neutral und emissionsfrei betrieben werden.
Aquaponik-Anlagen müssen jedoch nicht hoch technisiert sein. Auf der Insel Bali züchten die Bauern seit über 1000 Jahren Enten und Fische in denselben überfluteten Feldern, in denen sie auch Reis anbauen. Dieses traditionelle Nahrungssystem ist in sich geschlossen und funktioniert seit sehr langer Zeit, ohne den Boden auszulaugen.
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Es gibt zwei große Mankos
1. Nicht alle Pflanzen können ohne Felder angebaut werden
So wachsen beispielsweise Mais oder Weizen besser im Boden. Und genau dies sind Nahrungsmittel, die zur Bekämpfung des Welthungers wichtig wären. Denn Mais, Reis und Weizen sind die Grundpfeiler der globalen Ernährung. Von Basilikum und Salat werden die Menschen in Zukunft nicht satt werden.
Genau bei diesen leicht verderblichen Pflanzen machen wiederum vertikale Farmen Sinn. Ihnen wird der oft lange Transportweg erspart. Dadurch sind sie beim Verzehr noch frisch und enthalten mehr Vitamine und Mineralstoffe.
Auch bei Kulturen mit besonderen Inhaltsstoffen wie zum Beispiel Arzneipflanzen macht der vertikale Anbau Sinn, da die gleichbleibenden Bedingungen dort ideal fürs Wachstum sind, und zwar das ganze Jahr über.
2. Der Energieverbrauch vertikaler Indoorfarmen ist extrem hoch
Und verschlechtert den ökologischen Fußabdruck von Indooranbausystemen immens. Automatisierung, Wärmeerzeugung, Kühlungs- und Lüftungsanlagen, all das kostet Energie – allem voran die Beleuchtung (Pflanzen brauchen ja Sonne). Wie viel, ist abhängig davon, ob die Indoor-Farmen komplett ohne Tageslicht auskommen müssen oder nicht.
Aber auch Faktoren wie der Transport, das Kultursubstrat oder das Material der Töpfe haben einen Einfluss auf die Höhe der Treibhausgasemissionen. So zeigt sich etwa: Wird Kokos statt konventioneller Erde mit Torfanteil als Kultursubstrat verwendet, lassen sich die Emissionen deutlich reduzieren. Auch wenn Papiertöpfe statt Kunststofftöpfen verwendet werden, ließe sich deutlich Energie einsparen.
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Und jetzt?
Zum Beispiel in heißen Regionen mit vielen Sonnenstunden, wie in Dubai. Dort erzeugt die größte vertikale Farm der Welt bis zu 3.000 Kilogramm Blattgemüse pro Tag – auf einer Fläche von weniger als zwei Fußballfeldern. Der Strom kommt von der Sonne.
Aber: Vor allem der Energieaufwand muss optimiert werden
Eine Möglichkeit: eine effizientere Belichtungsstrategie. Die LED-Module könnten pro Sekunde mehrmals ein- und ausgeschaltet werden. Je weniger Zeit die Leuchten brennen, desto weniger Energie wird verbraucht und desto weniger muss gekühlt werden.
Und: Je besser man bestimmen kann, unter welchen Bedingungen eine Pflanze gut wächst, desto effizienter kann man Lichtintensität, Farbspektrum oder Temperatur einsetzen. "Bislang hat der Mensch entschieden, dass beispielsweise 18 Grad Celsius das Optimum für die Pflanze sind und das automatisierte System entsprechend eingestellt. Das beruhte auf jahrzehntelanger Erfahrung und hat ja auch gut funktioniert", sagt Sabine Wittmann vom Institut für Gartenbau der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. "Mittlerweile jedoch können wir an der Pflanze direkt messen, ob die Umgebungsbedingungen für sie tatsächlich optimal sind – und entsprechend nachsteuern."
Und damit Energie sparen, wenn beispielsweise auch 16 Grad fürs Wachstum reichen – oder eine Pflanze nicht den ganzen Tag über Licht braucht. Sogenannte Phytomonitore messen direkt an den Pflanzen, ob die Bedingungen perfekt sind. Ein Klimacomputer reguliert dann Klimatisierung, Entfeuchtung und Belichtung für jede Pflanzenart individuell.
Nährstoffreichere Pflanzen durch optimales Licht
Mit dem richtigen Licht lässt sich sogar der Nährstoffgehalt der Pflanzen erhöhen: "Wenn wir die Menge, Farbe und Dauer des Lichts, die Wassermenge und die Temperatur und Zusammensetzung der Luft sehr genau einstellen, können wir den Pflanzen viel mehr Nährwert geben. Darüber hinaus können wir auch den Geschmack und die Haltbarkeit verbessern", sagt Le Marcelis, Professor für Gartenbau an der Universität Wageningen. Das bestätigen mehrere Studien.
Bei zusätzlichem gelben Licht etwa steigt der Gehalt an löslichen Kohlenhydraten bei asiatischem Senfkohl und Brokkoli signifikant an. Werden sie dagegen zusätzlich mit orangenem Licht bestrahlt, enthalten die Pflanzen mehr Eisen, Magnesium und Calcium.
Urban Farming wird klassische Landwirtschaft nicht ersetzen
Welche Rolle wird Obst- und Gemüse, das zumindest teilweise ohne Sonnenlicht produziert wurde, in Zukunft spielen? "Ich glaube nicht, dass wir die traditionelle Agrarwirtschaft dadurch komplett ersetzen werden. Das ist auch nicht der Sinn. Sondern ein Beitrag, um die Agrarwirtschaft umzugestalten", sagt Volker Keuter vom Fraunhofer-Institut UMSICHT.
So gebe es etwa in Japan schon viele kommerziell betriebene Indoor Farmen, ähnliche Tendenzen auch in den USA. "In Asien weiß man bereits, dass die Farmen wirtschaftlich sind. Die Marktpreise sind dort allerdings für Gemüse und Obst auch wesentlich höher als bei uns. Es wird spannend, wie der Kunde damit umgeht. Die romantisierte Vorstellung in der Werbung von der 70-jährigen Oma, die den Salat täglich streichelt – dieses Bild werden wir nicht geben können."
Fakt ist: Wir müssen weniger Lebensmittel verschwenden
Ja, es ist sinnvoll, auch in Städten frische Lebensmittel anzubauen. Wenn es aber darum geht, die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, müssen wir vor allem: weniger Lebensmittel wegwerfen.
Jährlich werden nach Schätzungen der Food and Agriculture Organization der United Nations mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet – sie werden entweder weggeworfen oder gehen auf dem Weg vom Erzeuger zum Verbraucher verloren.
Fachleute gehen davon aus, dass zwei Drittel dieser Lebensmittel noch genießbar sind. Mit dieser Menge könnte man theoretisch rund zwei Milliarden Menschen ernähren. Sogar mehr Menschen, als es derzeit Hungernde weltweit gibt – zurzeit etwa 821 Millionen. Mit weniger Verschwendung könnten wir also den Hunger aus der Welt verbannen. Zumindest rein rechnerisch.
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Weniger zu verschwenden ist sicher gut, aber den Hunger auf den Welt werden wir los, wenn wir die vorhandenen Lebensmittel besser verteilen, die Leute unterstützen die zu wenig haben, damit sie sich selbst ernähren können und vor allen Dingen müssen wir mit der Tierquälerei aufhören, mit der Tierqualwirtschaft, mit dieser… Weiterlesen »
Was die Landfläche für den Anbau angeht haben wir nicht genug Fläche, aufgrund der Tierausbeutung die sehr viel Land braucht. Leider wird das gar nicht erwähnt.
In diesem Beitrag schildern wir so ein Szenario. Wie wäre die Welt ohne Tiere? https://www.quarks.de/podcast/eine-welt-ohne-fleisch-waere-die-wirklich-besser-quarks-daily-spezial/
Wenn die Abgasbelastung mit den Rusen in der Stadt drastisch auf ca. 10 % absinken würde könnte ich mir vorstellen das Obst und Gemüse von dort zu konsumieren. Auch Kleingärten mitten in der Stadt finde ich bei den gegenwärtigen Schadstoff Ausstössen ekelig. Andernfalls konsumiert man den ganzen Dreck, waschen allein… Weiterlesen »
Die Frage ist, ob das Obst und Gemüse vom Acker wirklich weniger belastet ist. Wie steht es mit den Pestiziden?