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Tierwohl
So werden Tiere in der Landwirtschaft verstümmelt
Schweine, Geflügel und Rinder werden in der konventionellen Landwirtschaft amputiert. Das müsste man nicht machen, wenn man sie besser halten würde.
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In Deutschland werden viele Tiere verstümmelt
Fast allen Ferkeln in Deutschland wird wenige Tage nach der Geburt der Ringelschwanz abgeschnitten. Mithilfe eines Brenneisens wird er durchtrennt und so auf wenige Zentimeter gekürzt – die Prozedur geschieht ohne Betäubung. Eigentlich verbietet eine EU-Richtlinie das routinemäßige Abschneiden der Schwänze schon seit mehr als zwanzig Jahren. Amputationen, so regelt es auch die nationale Haltungsverordnung, sind nur im Einzelfall erlaubt, um die Tiere zu schützen. Diese theoretische Einzelfall-Regelung aber ist in Deutschland tatsächlicher Standard und findet jährlich millionenfach Anwendung.
Nicht der einzige Eingriff am lebendigen Schwein: Auch die Eckzähne der kleinen Ferkel bleiben nicht, wie sie sind: Sie werden in den ersten Lebenstagen abgeschliffen, um Verletzungen bei Kämpfen mit Artgenossen zu vermeiden. Eigentlich ist auch diese Praxis als Prophylaxe verboten, ist aber aufgrund der vorherrschenden Haltungsbedingungen Routine.
Ein weiterer Eingriff betrifft nur die männlichen Vertreter der Mastschweine: Die Landwirte schneiden den jungen Ferkeln die Hoden heraus – eine Betäubung ist dabei bislang nicht vorgeschrieben. Seit vielen Jahren sorgt das für heftige Kritik von Tierschützern. Mit Erfolg: Ab 2021 soll die Kastration ohne Betäubung in Deutschland verboten sein. So lange abero lange werden in Deutschland pro Minute mehr als 30 Schweine ohne Betäubung kastriert.
Auch bei Puten und Rindern wird eingegriffen
Der Schnabel ist das wichtigste Tastwerkzeug von Vögeln wie Hühnern, Puten und Enten.
Sie können aber auch zur messerscharfen Waffe gegen die Artgenossen im Stall werden. In Putenbrütereien wird deshalb unmittelbar nach dem Schlüpfen der Küken der vordere Teil des Schnabels abgetrennt. Der Infrarotstrahl trifft senkrecht von oben auf den Schnabel und verursacht Verbrennungen zweiten bis dritten Grades. Das verbrannte Gewebe fällt nach einigen Tagen ab.
Seit 2017 ist der Eingriff bei Legehennen grundsätzlich verboten, aber in der Putenmast oder bei Moschusenten (im Handel als Barbarie-Enten oder Flugenten bekannt) findet die Praxis noch immer statt. In konventionellen Betrieben sind 100 Prozent der Puten davon betroffen.
Auch vom Rinderhorn geht in der Tierhaltung ein latentes Risiko aus – für die Landwirte, aber auch für Artgenossen. Um Verletzungen zu vermeiden, werden Rinder enthornt. Der Landwirt brennt dem Kalb dazu mit einem Brennstab die sogenannte Hornanlage aus. Auch in den meisten Bio-Betrieben ist die Praxis üblich.
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Darum müssen wir darüber sprechen:
Die Tiere leiden unter den Eingriffen
Das Abschleifen der Eckzähne beim Ferkel kann – wenn der Eingriff fachgerecht ausgeführt wird – nur eine unangenehme Prozedur für das Ferkel darstellen. Allerdings dürfte es im Einzelfall schwer sein, das richtige Maß einzuhalten: Nur etwa 1,5 Millimeter dürfen abgeschliffen werden – sobald es mehr ist, liegt das Zahninnere frei und das ist schmerzhaft.
Auch können bei unsachgemäßem Gebrauch der Schleifmaschine scharfe Kanten entstehen, wodurch noch schlimmere Verletzungen eintreten können.
Das Abschneiden des Ringelschwanzes und das Herausschneiden der Hoden ohne Betäubung verursachen unzweifelhaft Leiden und Schmerzen beim Schwein.
Das Kupieren der Schnabelspitze verursacht Schmerzen
Die Geflügelhalter betonen, der Eingriff am Schnabel betreffe die obere Schnabelspitze, die wie ein Fingernagel nur aus Horn bestehe. Dem widersprechen Tierschützer: Es handle sich um durchblutetes und nervenführendes Gewebe, sodass das Kupieren sogar extrem schmerzhaft sei. Die Tiere litten nach der Behandlung unter starken akuten und später auch unter chronischen Schmerzen. Häufig könnten sie sich nicht mehr putzen und hätten Schwierigkeiten, Nahrung aufzunehmen.
Tatsächlich ist der Schnabel ein Tastorgan und mit zahlreichen Schmerzrezeptoren ausgestattet. Mit dem Schnabel erkennt das Tier Nahrung, putzt sein Gefieder, nimmt Wasser auf. Werden Teile dieses Tastorgans abgeschnitten oder zerstört, ist nicht nur das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt. Insbesondere, weil nicht etwa nur die drei Millimeter lange verhornte Schnabelspitze entfernt wird, sondern der Infrarotstrahl, der hier zum Einsatz kommt, tiefer schneidet. Auch pathologische Untersuchungen legen nahe, dass das extrem schmerzhaft sein muss.
Auch die Enthornung ist schmerzhaft
Auch im Hornansatz von Rindern und den darunter liegenden Hautschichten befinden sich Nervenenden. Da durch die Enthornung Verbrennungen an dieser Stelle ausgelöst werden, ist davon auszugehen, dass die Prozedur bei den Tieren Schmerzen auslöst.
Mittlerweile zeigen auch mehrere Studien, dass die Enthornung bei Kälbern Verhaltensänderungen und hormonelle Veränderungen auslöst, die auf akute Schmerzen hinweisen. Über die längerfristigen Konsequenzen des Verfahrens war lange sehr wenig bekannt. Insbesondere stellte sich die Frage, ob chronische Schmerzen bei Kälbern nach der Enthornung auftreten können. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Tiere sehr lange eine Schonhaltung einnehmen, bestimmte Verhaltensweisen meiden – offenbar, weil die Enthornung auch langfristig Schmerzen auslöst.
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Sie leiden noch mehr unter den Haltungsbedingungen
Ist der Ringelschwanz geringelt, geht es dem Schwein gut. Hängt er dagegen herunter oder wirkt eingeklemmt, ist das zumindest ein Zeichen für Unwohlsein, wenn nicht sogar für Krankheit. Häufig aber bietet sich im Schweinestall ein noch schlimmeres Bild: Entzündete und zum Teil abgestorbene Schwänze oder Schwanzansätze, angefressen von den Artgenossen im Stall.
Das Kürzen der Ringelschwänze im Stall soll genau das verhindern. Vertreter der Landwirtschaft betonen daher, dass Eingriffe dieser Art praktizierter Tierschutz seien. Tatsächlich können Kannibalismus und Krankheit so eingedämmt, aber nicht ganz verhindert werden – wie insbesondere verdeckte Aufnahmen von Tierschützern aus Mastställen immer wieder zeigen.
Eine Sau bekommt immer mehr Ferkel
Das Abschleifen der Zähne gehört bei den sogenannten Ferkelerzeugern schon deshalb zum Alltag, weil die Anzahl der Ferkel pro Sau durch gezielte Zucht immer größer wird, der Konkurrenzkampf zwischen den Tieren größer wird und damit auch das Verletzungsrisiko untereinander steigt.
Auch wenn die Ursachen für das Schwanzbeißen vielfältig sind, liegen alle in den Haltungs- und Fütterungsbedingungen der etwa acht Monate eines Schweinelebens. Langeweile, Aggression durch Enge und dürftige Haltungsbedingungen, aber auch Krankheiten wie entzündliches Gewebe durch falsche Fütterung begünstigen den Kannibalismus.
Das Schwein hat sich trotz langjähriger Zuchtauswahl nicht nennenswert von seinen wilden Verwandten entfernt. Sein Wühl- und Kaubedürfnis, das Bedürfnis sich zu suhlen, den Lebensraum in unterschiedliche Bereiche zu strukturieren sowie der Trieb von Sauen, ein Bodennest für die Ferkel zu bauen, sind auch beim modernen Mastschwein vorhanden.
Ein Leben in einer dunklen Bucht auf Spaltböden ohne Raufutter, Einstreu und Beschäftigungsmaterial könnte von diesen Bedürfnissen nicht weiter entfernt sein.
Die Tiere können sich nicht so verhalten, wie es natürlich wäre
Auch der Kannibalismus bei Hühnern, Puten und Enten wird durch die Zustände in der Massentierhaltung begünstigt. Das Scharren und Picken am Boden ist bei Hühnern und Puten ein angeborenes Verhaltensmuster, das so tief sitzt, das jahrelange Zuchtauswahl auf Höchstleistung nichts daran verändert hat. Können die Tiere ihre angeborenen Verhaltensweisen nicht ausleben, führt das zu Stress und Verhaltensstörungen. Nichts anderes gilt für Enten, die in der konventionellen Haltung keinen Zugang zu offenen Wasserstellen haben.
Unzweifelhaft aber dienen diese Amputationen bei Schweinen und Geflügel tatsächlich der Vermeidung von Verletzungen der Tiere. Ob das bei der Enthornung von Rindern auch so ist, darf vor dem Hintergrund einer aktuellen Studie der Universität Kassel angezweifelt werden: Sie ergab sogar, dass die Auseinandersetzungen mit Körperkontakt in einer behornten Herde eher abnehmen. Bei enthornten Tieren sei der Körperkontakt nämlich intensiver, die Verletzungen – etwa durch Kopfstöße – häufiger.
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Und jetzt?
Wir brauchen bessere Standards in der Tierhaltung
Untersuchungen mit Rindern zeigen: Durch ein großzügiges Platzangebot in modernen Laufställen kann auch die Konkurrenzsituation innerhalb der Herden minimiert werden – auch das sorgt für mehr Ruhe und Sicherheit im Kuhstall.
Viele Landwirte arbeiten daran, die Ringelschwänze der Schweine intakt zu lassen. Das erfordert mehr Aufwand. Experimente zeigen: Sobald mehr Beschäftigungsmaterial vorhanden ist, das Futter die richtige Zusammensetzung hat und der Landwirt mehrmals am Tag das Befinden seiner Tiere kontrolliert, sinkt das Risiko für Kannibalismus. Auch für den Landwirt hat es Vorteile, wenn das Schwein intakt bleibt: Der Ringelschwanz ist das Frühwarnsystem in der Schweinehaltung. Schon kleine Veränderungen zeigen: Hier stimmt etwas nicht. Entzündliche Veränderungen, Krankheiten und damit auch Ausfälle für den Landwirt können so umgangen werden.
Auch wenn die Ursachenbekämpfung von Federpicken und Schwanzbeißen bei Geflügel und Schweinen komplexer sein mag, da der Ursprung beispielsweise auch in der Ernährung der Tiere liegt: Es steht fest, dass die vorherrschenden Haltungsbedingungen in der Tierhaltung entscheidend zur Entstehung der Verhaltensstörungen beitragen.
Durch die Amputationen werden lediglich Symptome bekämpft. Für eine tiergerechtere Haltung ist also beides nötig: der Verzicht auf die schmerzhaften Eingriffe bei gleichzeitiger Verbesserung der Haltungsbedingungen, die arttypische Verhaltensweisen der Tiere zulassen.
Autorin: Katharina Adick
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immer nur bessere Haltung verlangen ohne die Mehrkosten mittragen zu wollen ist heuchlerisch. Bedenke: Der Landwirt sitzt an der Quelle! Dann wird das Essen eben teurer, die Harz4-sätze müssen steigen, der größere Urlaub kleiner werden, das größere SUV-Teilchen eben warten oder kleiner ausfallen, „Prestigeverlust“= Prahlerei ebenfalls kleiner ausfallen u.s. w.… Weiterlesen »
Klar! Ich kenne auch Leute die einen teuren Weber Grill haben aber billiges Fleisch beim Discounter kaufen, das kann ich einfach nicht verstehen :DD Irgendwo sitzt da in den Prioritäten manchmal was an ner komischen Stelle. Dennoch…mir ist eigentlich egal wer eine bessere Tierhaltung fordert, denn…je mehr desto besser. Angenommen… Weiterlesen »