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Billigmode
Darum ist uns Kinderarbeit beim Kleiderkauf egal
Niemand möchte Kinderarbeit unterstützen, trotzdem wird massenweise Billigmode gekauft. Wir behelfen uns dabei geschickt mit psychologischen Tricks.
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Direkt hinter der Kasse: Mehrere Näharbeitsplätze, an denen Kinder mit asiatischem Migrationshintergrund zwischen sieben und vierzehn Jahren saßen und Kleidung nähten. Dass es sich in Wahrheit nur um Schauspieler:innen handelt, war für die Kunden nicht erkennbar.
Drei Stunden lang war das Geschäft geöffnet. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Kund:innen kaufte die Billigmode, obwohl sie mit eigenen Augen gesehen hatten, dass sie in Kinderarbeit entstanden war.
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Billigpreise in der Textilindustrie fördern Kinderarbeit
Allein jede/r Deutsche kauft pro Jahr 60 Kleidungsstücke, offenbar teils wahllos: Jedes fünfte Kleidungsstück in unserem Schrank tragen wir nahezu nie, wie eine Umfrage im Auftrag von Greenpeace zeigt. Das Kuriose daran: Obwohl wir immer mehr kaufen, geben wir insgesamt kaum mehr für Bekleidung aus: Von 2000 bis 2018 sind die Ausgaben der Deutschen für Klamotten um nur etwa acht Prozent gestiegen.
Fast alles importiert
Die Textilindustrie produziert in Massen und extrem günstig, und zwar im Ausland: 90 Prozent der in Deutschland gekauften Bekleidung sind importiert, mehr als 50 Prozent kommen aus China, der Türkei, Bangladesch oder Indien. Ein T-Shirt legt also womöglich 20.000 Kilometer zurück, bis es bei uns auf dem Ladentisch liegt – mitunter zu Spottpreisen von vier Euro das Stück. "Dass bei solchen Preisen bei der Vielzahl der Verarbeitungsschritte für die Baumwollbauern oder die Näherinnen kaum etwas übrig bleibt, kann sich jeder selbst ausrechnen", schreibt das Umweltbundesamt (UBA) in seinem Bericht "Preis der Schönheit".
Für viele Familien, die in die primären Produktionsketten der Textilindustrie eingebunden sind, reicht der Lebensunterhalt nicht aus. Die Folge: Auch die Kinder müssen arbeiten. In Asien, Hauptexporteur für Textilien, arbeiten sieben Prozent aller Kinder und damit insgesamt 62 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) handelt sich hier um Tätigkeiten, welche die körperliche oder seelische Entwicklung von Kindern schädigen und sie ihrer Grundrechte berauben.
Die Kinderarbeit hinterlässt Spuren
"Kinder, die auf Baumwollplantagen arbeiten, erkennt man leicht an ihren hellen oder rötlichen Strähnen im Haar", sagt Barbara Küppers von der Hilfsorganisation für Kinder, Terre des Hommes. Die Haarverfärbungen, aber auch Flecken auf der Haut, kämen von den Pestiziden, die beim Anbau von Baumwolle eingesetzt werden, erklärt sie.
Junge Mädchen in Textilspinnereien in Indien wiederum würden Schnittwunden an den Händen aufweisen, teilweise fehlten ihnen sogar Finger. Aber auch Haltungsschäden und Atemwegserkrankungen sind bei den Kindern, die in der Textilindustrie arbeiten, zu beobachten.
Dabei fangen viele von ihnen bereits vor dem zwölften Lebensjahr an zu arbeiten. Häufig ist Schulabbruch die Folge, wie eine Untersuchung im Auftrag der gemeinnützigen Organisation Save the Children zeigt: In Bangladesch brechen 17 Prozent der arbeitenden Kinder unter 15 Jahren die Schule ab, in Myanmar sind es 20 Prozent. Ein Drittel aller Kinderarbeiter:innen geht erst gar nicht zur Schule. Ihre Zukunft ist damit ungewiss.
Kinderarbeit geht aktuell zurück
Die gute Nachricht ist: Zwischen 2000 und 2016 ist die Zahl der Kinderarbeiter:innen weltweit stark gesunken: von 246 Millionen auf 152 Millionen, wie die ILO berichtet. "In der Textilindustrie sind keine oder kaum noch Kinder in großen Nähereifabriken zu finden", berichtet Barbara Küppers. Das sei schon ein großer Erfolg, auch wenn Kinder immer noch in Spinnereien und vor allem im Baumwollanbau anzufinden seien.
Der Auslöser für den Rückgang der Kinderarbeit sei allerdings nicht nur ein Wandel in der Exportindustrie, sagt Küppers. In Ländern wie Indien und Thailand sei die Kinderarbeit vor allem drastisch zurückgegangen, weil dort die Schulpflicht eingeführt und das Bildungswesen verbessert wurde.
Nachhaltigkeitsziele werden verfehlt
Allerdings ist der Rückgang der Kinderarbeit in den letzten Jahren langsamer geworden – und wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verfehlen: Bis zum Jahr 2025 soll demnach Kinderarbeit eigentlich weltweit überwunden sein. "Hinzu kommt, dass Kinderarbeit, besonders die schlimmsten Formen wie Sklaverei, auch oft im Verborgenen stattfindet", betont Barbara Küpper. Die Dunkelziffer sei hier nicht zu unterschätzen.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Verbraucher:innen kaufen sich mit psychologischen Tricks frei
In einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung gaben 45 Prozent der Befragten an, dass Nachhaltigkeit und damit auch soziale Gerechtigkeit eine wichtige Bezugsgröße für ihre Kaufentscheidung sind. Damit ist ihnen Nachhaltigkeit genauso wichtig wie ein "günstiger Preis" (48 Prozent) und die "Mode" (46 Prozent).
Faire Mode mit winzigem Marktanteil
Der Nachhaltigkeitstrend schlägt sich auf die Zahlen nieder: Die Umsätze mit Fairtrade-Textilien in Deutschland steigen rasant an, von 2015 bis 2018 haben sie sich von 70 auf 150 Millionen Euro verdoppelt. Allerdings: Die faire Mode macht damit immer noch gerade mal 0,3 Prozent des Gesamtumsatzes durch Bekleidung in Deutschland aus.
"Niemand möchte Kinderarbeit unterstützen, und trotzdem werden massenweise billige Waren gekauft, bei denen man sich leicht ausrechnen kann, dass Kinderarbeit eine Rolle spielt", sagt Arnd Florack von der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie und Konsumentenverhaltensforschung an der Universität Wien. Das sei ein typisches Phänomen, das man überall in der Nachhaltigkeit sieht, so der Verhaltensforscher.
Konsument:innen würden sich zahlreicher psychologischer Strategien und Tricks bedienen, um ihr unmoralisches Handeln zu rechtfertigen. Diese Effekte seien schon lange in der Psychologie bekannt und basieren auf drei psychologischen Konzepten:
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Die deskriptive Norm
Konkret heißt das: Man sieht bei Primark, Kik, H&M und Co, wie Menschen massenweise Schnäppchen einkaufen, und denkt: "Wenn alle es tun, wird es in Ordnung sein." Deskriptive Normen beziehen sich demnach auf das, was die Mehrheit tut. Sie unterscheiden sich oft von Verhalten, das man eigentlich für ethisch oder moralisch richtig hält.
"Das Gleiche passiert, wenn eine Kampagne oder Fernsehsendung uns deutlich macht, dass sehr viele Menschen ihren Abfall einfach auf die Straße werfen", erklärt Arnd Florack. Auch wenn es das Ziel ist, dadurch das Verhalten positiv zu beeinflussen, steige leider die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten immer mehr Menschen nachahmen.
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Rationalisierung
Da man jetzt sein Handeln nicht mehr rückgängig machen kann und diesen Konflikt durchaus als unangenehm erlebt, sucht man nach Rechtfertigungen. Im Fall des T-Shirt-Kaufs könnte man zum Beispiel den Schluss ziehen, dass es einfach keine Universalnorm gibt: Was bei uns gilt und als sozial empfunden wird, kann in anderen Ländern ganz anders aufgefasst werden. "Man denkt, dass es den Menschen in den Produktionsländern sogar noch schlechter gehen würde, wenn man das T-Shirt nicht gekauft hätte", sagt Florack.
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Die moralische Lizensierung
Dieser Mechanismus funktioniere auch seitens der Unternehmen als Cause-related Marketing. "Wenn ein Textilunternehmen damit wirbt, beispielsweise Schulen in Indien zu fördern, hilft das Unternehmen den Konsumenten ein reines Gewissen zu bekommen", sagt Arnd Florack.
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"Ignorante" Einkäufer:innen degradieren demnach nachhaltige Mode zu langweiligen Öko-Outfits. Zudem sympathisieren sie bevorzugt mit Modeketten, die diese Einstellung öffentlich teilen und vermarkten.
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Aber:
Mit einem Verbot von Kinderarbeit ist es nicht getan
"Es ist extrem wichtig, dass es gute kostenlose Bildung gibt und bestenfalls noch das Mittagessen der Schulkinder mitfinanziert wird", sagt Barbara Küppers. Hier sei es die Aufgabe der Staaten, eine Schulpflicht und existenzsichernde Mindestlöhne einzuführen. Aber auch die Großunternehmen der Textilbranche könnten ihrerseits Druck machen und ihren Zustellern soziale Standards vorschreiben.
Eine faire Produktion ist nicht einfach
Ein wirklich fair erzeugtes Hemd oder T-Shirt wird es in den großen Modehäusern trotzdem so schnell nicht geben. Einer der Gründe: Die Produktionsketten sind lang und kaum nachzuvollziehen. "Bis eine Jeans als fertiges Kleidungsstück im Laden hängt, legt sie oft mehrere Tausend Kilometer zurück: Die Baumwolle wird in Indien gepflückt, in China oder der Türkei zu Garn gesponnen, das Garn in Taiwan mit Indigo-Farbe aus deutscher Herstellung gefärbt, in Polen zu Stoffen verwebt, der Stoff auf den Philippinen zusammengenäht und die Jeans in Kroatien endgefertigt. An der Produktion eines Hemdes oder einer Hose sind weltweit über 100 Firmen beteiligt", schreibt die Hilfsorganisation Terre des Hommes in ihrem Bericht "Konsum ohne Kinderarbeit".
Bei Nähereien kann ein Großunternehmer wie H&M direkt die Arbeitsbedingungen beeinflussen und kontrollieren. Doch geht man die Produktionsschritte zurück, wird es immer unübersichtlicher. "Man sieht es einem Garn nicht an, auf welchem Feld die Baumwolle dafür angebaut wurde", sagt Küppers. Deshalb werden Kinder mittlerweile nicht mehr so häufig in Nähereien, dafür aber vor allem auf Baumwollfeldern, aber auch in Textilspinnereien eingesetzt.
Zu kontrollieren, ob die Produzenten jedes einzelnen Produktionsschrittes die Arbeitsrechte oder das Verbot von Kinderarbeit einhalten, ist schwierig – aber nicht unmöglich. Die Initiative zur Förderung des fairen Handels Fairtrade beispielsweise hat ihre eigenen Lieferketten aufgebaut und verfolgt bis hin zum Anbau der Biobaumwolle alle einzelnen Herstellungsstufen nach.
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Und jetzt?
Nachhaltigkeitssiegel sind ein Teil der Lösung
Informationen helfen
Gleich mehrere Studien zeigen: Je besser eine Person über des Produkt und seine Hintergründe informiert wird, desto eher greift sie auch wirklich zur fair gehandelten Mode. Es wirkt sich zum Beispiel positiv auf das Kaufverhalten der Konsument:innen aus, wenn diese auch über den Preisaufschlag der fairen Mode informiert werden, also den genauen Anteil, der auf ein T-Shirt für dessen nachhaltige Produktion aufgeschlagen wird.
Das zeigen Stefan Hoffmann und seine Kollegin Hanna Reimers vom Institut für Marketing an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in ihrer Studie mit 362 Proband:innen. "Unsere Probanden waren allerdings auch nur dann bereit, mehr für faire Mode zu zahlen, wenn ihnen das Thema insgesamt wichtig und der Preisaufschlag nicht zu hoch war", sagt Marketingforscher Stefan Hoffmann.
Neues staatliches Label: Grüner Knopf
Laut einer Untersuchung des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Mainz und der Strategieberatung 2hm & Associates GmbH wünschen sich 83 Prozent der Konsument:innen Labels an den Kleidungsstücken, die über die Nachhaltigkeit des hergestellten Produktes und seines Unternehmens informieren.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat auf die Nachfrage reagiert und Anfang September 2019 das erste staatlich anerkannte Label für nachhaltige Mode herausgebracht: der Grüne Knopf. Im Grunde ist der Grüne Knopf allerdings kein ganz neues Siegel, sondern ein Metasiegel, das andere Siegel wie Fairtrade oder die Fair Wear Foundation auf staatlicher Ebene anerkennt.
Ganze Lieferkette noch nicht erfasst
"Für Konsumentinnen und Konsumenten kann er hilfreich sein, sich besser zurechtzufinden als im bisherigen Siegel-Dschungel", sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband. Allerdings betont Müller auch, dass eine Weiterentwicklung des Siegels nötig ist. Der Grüne Knopf nehme bisher nur das unter die Lupe, was in den Textilfabriken und Färbereien geschieht. Aber in der gesamten Lieferkette vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel müssten nachweislich Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden.
Auch das in der Präambel der Satzung verankerte Ziel, existenzsichernde Löhne anzustreben, müsse in absehbarer Zeit in Angriff genommen werden. Der Grüne Knopf alleine sagt also nichts darüber aus, ob Kinderarbeit in den primären Produktionsketten der Textilbranche verhindert wird.
"Wir empfehlen Siegel wie Fairtrade, die Fair Wear Foundation oder den Global Organic Textile Standard (GOTS), welche die ganze Lieferkette überblicken", sagt Kinderrechtsexpertin Barbara Küppers. Die gute Nachricht: Alle diese Siegel akzeptiert auch der Grüne Knopf.
Hier findest du die Siegel, die vom Grünen Knopf akzeptiert werden.
"Siegelklarheit" erläutert, was Siegel für nachhaltige Mode überhaupt aussagen und wie empfehlenswert sie sind. Hier der Link.
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Quellenangaben zum Artikel:
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Hallo danke für die Information
Hallo Hallo was isch da los
Liebes Quarks – Team! Richtig gut recherchiert habt ihr da, und transparent und schlüssig zusammengefasst- vielen Dank dafür! Ich stelle gerade Upcycling – Produkte aus alten Stoffen her und möchte gerne der Kundschaft in meinem Laden mehr Information über ‚den Weg und CO2 – Fußabdruck eines Stoffes‘ geben, dazu ist… Weiterlesen »
Sie haben sehr viele Rechtschreibfehler find ich unmöglich. Frechheit.
LG Hildegart
Das tut uns leid! Danke für en Hinweis.
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Finde ich auch
hildegard ich bin ganz deiner meinung recktschreibfeler gehn garn nikt lg lana rhoads
Hallo liebes Quarks-Team, folgende Frage: im Jahr 2000 lagen die Ausgaben der Deutschen (aus Ihrer Quelle Statista entnommen) bei 58,17 Mrd. Euro. Im Jahr 2018 bei 62,79 Mrd. Euro. Dies entspricht einem Anstieg von etwa 7,9 %. Im Artikel schreiben Sie jedoch: „Obwohl wir immer mehr kaufen, geben wir insgesamt… Weiterlesen »
Oh, das ist schon eine große Diskrepanz, stimmt. ? Wir können dir ad hoc nicht mehr sagen, als dass wir die Statista-Zahlen von 2014-2019 in den Quellen verlinkt haben. Wir schauen uns das nochmal in Ruhe an, danke für deinen Hinweis!
Hallo liebes Quarks-Team,
ich kann die genannten GfK-Umfrage, die unter dem Abschnitt „Darüber sollten wir sprechen“ genannt wird, leider in den Quellen nicht finden, würde das aber gern noch weiter nachlesen. Können Sie mir da weiterhelfen? Das wäre toll 🙂
Viele Grüße,
Jenny
Hi Jenny! Das müsste diese Umfrage gewesen sein: GfK Compact (2014): Fokusthema „Nachhaltigkeit“, Ausgabe 2014/10. Allerdings haben wir gerade auch das Problem, dass der Link (http://www.gfk-compact.de/files/1410_nachhaltigkeit_download_1.pdf) leider nicht mehr funktioniert. Einen anderen Weg zur Veröffentlichung finden wir gerade auch nicht. Vielleicht schreibst du die GfK einfach mal an?
Hallo liebes Quarks-Team,
alles klar, danke Euch für die Rückmeldung! 🙂
Viele Grüße,
Jenny