Artikel Kopfzeile:
Entscheidende Äußerlichkeiten
Darum haben wir alle Vorurteile
Menschen schnell in Kategorien einzuteilen, ist unvermeidbar – doch wie verhindern wir, dass Vorurteile zu Diskriminierung führen?
Sprungmarken des Artikels:
Inhalt
- Darum geht’s: Wir alle haben Vorurteile – und brauchen sie sogar, um Situationen schnell einzuschätzen
- Darum müssen wir drüber sprechen: Vorurteile beeinflussen unser Verhalten und wir werden sie nur schwer wieder los
- Aber: Wir sind unseren Vorurteilen nicht hilflos ausgesetzt
- Und jetzt? Wir können etwas gegen Vorurteile und Diskriminierung tun
- Darum geht’s: Wir alle haben Vorurteile – und brauchen sie sogar, um Situationen schnell einzuschätzen
- Darum müssen wir drüber sprechen: Vorurteile beeinflussen unser Verhalten und wir werden sie nur schwer wieder los
- Aber: Wir sind unseren Vorurteilen nicht hilflos ausgesetzt
- Und jetzt? Wir können etwas gegen Vorurteile und Diskriminierung tun
Artikel Abschnitt: Darum geht’s:
Darum geht’s:
Wir alle haben Vorurteile – und brauchen sie sogar, um Situationen schnell einzuschätzen
Stereotype sind allerdings nur eine Komponente, aus denen Vorurteile bestehen. Dazu kommen das Gefühl – wenn der Anblick eines Menschen etwa Nervosität auslöst – und die Diskriminierung, also das Verhalten.
Von systemischer Benachteiligung wird in diesem Zusammenhang immer dann gesprochen, wenn wir Menschen aufgrund bestimmter Merkmale einer anderen sozialen Gruppe zuordnen: etwa aufgrund von Geschlecht, Ethnizität, Alter oder Religionszugehörigkeit.
Was das Gesicht sagt
Andere Merkmale sind subtiler und werden uns möglicherweise gar nicht bewusst. Sie haben auch keine so schwerwiegenden Auswirkungen wie Vorurteile gegen soziale Gruppen. Trotzdem reagieren wir unbewusst darauf. Ein Beispiel ist das “Babyface”, bei dem das Gesicht kindlichere Züge aufweist, also rundere und weichere Konturen.
Automatisch denken wir, dass Menschen mit einem Babyface eher freundlich sind, dafür wenig kompetent und durchsetzungsfähig. Dabei haben diese äußeren Merkmale nachweislich nichts mit dem Charakter zu tun. Das wissen wir natürlich, wenn wir bewusst darüber nachdenken – der erste Eindruck ist dennoch gemacht. Ähnlich ist es mit dem sogenannten Heiligenschein-Effekt bei attraktiven Menschen: Wir schreiben gut aussehenden Individuen eher positive Eigenschaften zu.
Ähnlichkeiten beeinflussen uns
Außerdem lassen wir uns davon beeinflussen, wenn jemand einer uns bekannten Person äußerlich ähnelt. Wir gehen dann davon aus, dass diese Ähnlichkeit auch beim Charakter und im Verhalten zu finden ist. So vertrauen wir einer unbekannten Person eher, wenn sie uns an eine gute Freundin oder einen guten Freund erinnert.
Auch ohne die Ähnlichkeit mit einer bestimmten Person bevorzugen wir häufig Menschen unserer eigenen Kultur: Ein internationales Forschungsteam verglich 2017, wie Menschen in Japan und Israel auf japanische und israelische Gesichter reagierten. Es stellte sich heraus, dass die Testpersonen denjenigen Gesichtern eher vertrauen, die typisch für ihre eigene Kultur sind.
Die eigenen Überzeugungen prägen
Dazu kommen unsere eigenen Überzeugungen darüber, wie Persönlichkeitsmerkmale miteinander zusammenhängen. Glauben wir etwa, dass freundliche Menschen sich nicht durchsetzen können, schätzen wir Personen mit einem herzlichen Gesicht eher als schwach ein.
Wir ziehen aus vollkommen willkürlichen Signalen also oft die falschen Schlüsse. Natürlich gibt es auch andere, relevantere Zeichen, die uns nützliche Hinweise liefern: Lächelt uns jemand an und streckt uns zur Begrüßung die Hand hin, fühlen wir uns wohler, als wenn das Gegenüber mit verschränkten Armen und versteinerter Miene dasteht. In dem Fall können wir die Person getrost in die Kategorie “freundlich” oder “unfreundlich” stecken.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Vorurteile beeinflussen unser Verhalten und wir werden sie nur schwer wieder los
Das legen verschiedene Studien nahe. So werden etwa in den USA Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner in Gerichtsverfahren durchschnittlich strenger bestraft – und sie erhalten eher ein Todesurteil. Dabei ist natürlich die Frage, ob das nicht eher einer sehr bewussten Diskriminierung geschuldet ist. Aber auch in anderen Situationen kommen Stereotype zum Tragen, etwa bei politischen Wahlen. Hier zählt offenbar tatsächlich, wie kompetent eine Person aussieht.
Das legt eine Untersuchung nahe: Studienteilnehmende sollten die Kompetenz von auf Fotos abgebildeten Personen bewerten. Diese Ergebnisse verglich das Forschungsteam mit echten Wahlergebnissen oder mit fiktiven Wahlen einer zweiten Gruppe. Worin genau die Kompetenz sich zeigen soll, erfahren wir aus diesen Daten allerdings nicht. Eine andere Studie schränkt zudem ein: Der Einfluss des Aussehens ist vor allem bei Wählerinnen und Wählern stark, die sich wenig mit Politik auskennen und häufig fernsehen.
Die verschiedenen Stereotype lassen sich außerdem nicht einfach voneinander trennen und beeinflussen sich teils gegenseitig. Besonders deutlich sehen wir das bei Vergleichen von Menschen unterschiedlicher Kulturen oder (vermeintlicher) sozialer Gruppen. Denken wir an das “Babyface”: Weiße Männer, die einem solchen Stereotyp entsprechen, haben oft weniger Erfolg in der Führung von Unternehmen. Bei schwarzen Männern scheint ein Babyface stattdessen sogar eher zu größerem Erfolg beizutragen. Der Studie zufolge wirken die freundlichen, weichen Konturen dem Stereotyp eines “gefährlichen Schwarzen” entgegen.
Stabile Stereotype
Haben wir erst einmal bestimmte Vorstellungen gebildet, werden wir sie schwer wieder los. Dazu tragen verschiedene Mechanismen bei. So verarbeiten wir Informationen schematisch, sagt Hans-Peter Erb: “Jeder weiß, wie ein Abend im Restaurant abläuft. Erzählt also ein Freund von einem Restaurantbesuch, haben wir automatisch ein Bild vom Ablauf.” Solange wir also keinen detaillierten Bericht bekommen, der den Abend anders darstellt, sehen wir unser Schema bestätigt und festigen unsere Vorstellung so.
Unser Gehirn verarbeitet Informationen zudem automatisch auf eine Weise, die Stereotype unterstützt. So sucht es eher nach Dingen, die unsere Ansichten bestätigen, anstatt sie zu widerlegen – das nennt sich “positiver Hypothesentest”. Menschen, die nicht in unser Weltbild passen, ordnet das Gehirn außerdem oft in eine andere Kategorie ein.
Denken wir an das Stereotyp der pünktlichen Deutschen. Wir kennen vermutlich alle wunderbare Gegenbeispiele, aber dennoch werden wir von Menschen aus anderen Ländern häufig als besonders pünktlich eingeschätzt. Erscheint aber jemand aus Deutschland als unpünktlich, kann sie oder er unbewusst mental in die Unterkategorie “unpünktliche Deutsche” gesteckt werden – ein Ort für alle Abweichungen von unseren Einstellungen. Da alle Unpünktlichen aus der Kategorie “Deutsche” entfernt wurden, verfestigt sich folglich das Stereotyp “Deutsche sind pünktlich”. Widersprüche, die automatisch als Ausnahmen abgelegt werden, ändern somit die Stereotype nicht.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Wir können zudem selbst dazu beitragen, unsere Vorhersagen über eine Person wahr werden zu lassen, durch selbsterfüllende Prophezeiungen. “Gehe ich mit der Einstellung in ein Gespräch, dass mein Gegenüber unnahbar und unfreundlich ist, werde ich mich ihm gegenüber entsprechend verhalten”, erklärt Hans-Peter Erb. “Meine eher ablehnende Haltung wird er oft unbewusst wahrnehmen, was wiederum sein Verhalten beeinflusst: Er wird also unfreundlich reagieren.”
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Wir sind unseren Vorurteilen nicht hilflos ausgesetzt
Interventionen gegen das Unbewusste?
Kann es vielleicht helfen, an unseren stereotypen Vorstellungen zu arbeiten, sie etwa durch Interventionen zu reduzieren? Das wurde beispielsweise in der Gesundheitsbranche diskutiert. Eine Untersuchung mehrerer Studien fand nur zwei fundierte Studien über Interventionen im Gesundheitswesen. Eine davon zeigte Erfolge in der Verminderung von unbewussten Vorurteilen, die andere nicht.
Und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mehrere Interventionsstudien in anderen Bereichen durchgeführt hatten, glauben nicht mehr recht an den Nutzen. So kommt etwa Patrick Forscher, damals an der University of Arcansas, 2019 mit seinem Team zu dem Ergebnis, dass unbewusste Stereotype zwar geändert werden können. Diese Veränderungen sorgten jedoch nicht notwendigerweise auch zu Verhaltensanpassungen.
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
Wir können etwas gegen Vorurteile und Diskriminierung tun
Ein Beispiel ist die Bewertung von Dozentinnen an Universitäten: Üblicherweise werden sie schlechter bewertet als ihre Kollegen. Aufklärung kann das ändern, zeigt etwa eine Studie aus dem Jahr 2019: Wurden Studierende bei der Bewertung einer Dozentin oder eines Dozenten zu Gender-Bias, also Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, belehrt, gaben sie den Dozentinnen bessere Noten als ohne die gezielte Aufklärung.
Kontakt hilft
Besonders hilfreich ist es zudem, die Menschen kennenzulernen, die wir anderen sozialen Gruppen zuordnen. “Kontakt ist derzeit die einzige Methode, von der wir wissen, dass sie negative Stereotype und Gruppenkonflikte auch langfristig reduzieren kann”, sagt Juliane Degner. Allerdings betonen sie und Hans-Peter Erb, dass der Kontakt nur unter den richtigen Bedingungen funktioniert – ansonsten kann er sogar entgegengesetzte Effekte haben. Vor allem sollte es ein positiver und dauerhafter Austausch sein. Eine gute Interaktion funktioniert zudem auf Augenhöhe – also möglichst nicht zwischen Führungsperson und Angestellten. Auch die Umgebung und Situation spielen eine Rolle. Hilfreich sind freundliche und informelle Settings ohne Wettkampf. Am besten lassen sich Vorurteile begraben, wenn wir gemeinsame Ziele verfolgen, etwa in einem Volleyballteam oder einer Arbeitsgruppe. Hier brauchen sich die Teammitglieder gegenseitig und müssen zusammenhalten, um ihre Ziele auch zu erreichen.
Bei Kindern früh vorbeugen
Je vertrauter uns Menschen aus anderen Kulturen werden, desto geringere Chancen haben Vorurteile. Schon Kinder bilden weniger stereotype Ansichten, wenn sie in einer diversen Umgebung aufwachsen. Tatsächlich legt eine Studie nahe, dass es schon hilft, wenn nur fünf Prozent einer Gruppe zu einer Minderheitskultur gehören. Der Kontakt vermindert Ängste und Fremdheit. Außerdem erkennen Kinder dann eher die Vielfalt innerhalb verschiedener Gruppen – so entstehen weniger stereotype Eindrücke.
Juliane Degner warnt jedoch: “Der Effekt verfliegt leider schnell, wenn die Kinder oder Jugendlichen später – etwa in weiterführenden Schulen – doch wieder ein sehr homogenes Umfeld vorfinden.”
Auf Ausdrucksweise achten
Zudem sollten Eltern auf ihre Ausdrucksweise achten. Denn es spielt durchaus eine Rolle, wie Erwachsene verschiedene Gruppen gegenüber Kindern charakterisieren. Betonen sie fortwährend die stereotypen Unterschiede, werden auch die Kinder eher in solchen Kategorien denken und das Selbstbild der Kinder reagiert ebenfalls auf derartige Botschaften. Wie etwa bei dem gut gemeinten Satz: “Mädchen sind in Mathe genauso gut wie Jungen.” Anstatt Mädchen für das Rechnen zu begeistern, hat der Hinweis eher den gegenteiligen Effekt. Er suggeriert nämlich, dass es tatsächlich einen Unterschied zwischen den Fähigkeiten von Mädchen und Jungen gibt – und dass die Jungen als Maßstab gelten.
Problematisch ist, dass bereits kleine abfällige Bemerkungen über eine andere soziale Gruppe bei Kindern einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Selbst wenn sie gar nicht angesprochen sind, sondern nur eine Unterhaltung zwischen Erwachsenen mithören, bilden sie eine negative Meinung von dieser Gruppe. Das zeigt sich schon bei sehr kleinen Kindern und wird mit steigendem Alter immer deutlicher. Es ist also umso wichtiger, dass Kinder in einem offenen und möglichst diversen Umfeld ohne Diskriminierung aufwachsen.
Vom Individuum zur Gesellschaft
Auch wenn es schwer sein mag, können wir an unseren eigenen Vorurteilen arbeiten und den Kindern ein Vorbild sein. Versuchen wir das allerdings zu krampfhaft, kann es schnell passieren, dass wir überkompensieren. Schließlich ist es kaum möglich, genau zu bestimmen, welchen Anteil die Vorurteile an einer Handlung oder Entscheidung haben. Eine solche Gegenreaktion kann letztendlich wieder dazu führen, dass der Fokus auf Andersartigkeit und nicht auf Gemeinsamkeiten liegt. Juliane Degner sieht eine weitere Gefahr: Wenn wir zu große Angst vor Fehlern haben oder fürchten, den Ansprüchen der Toleranz nicht gerecht zu werden, könnten wir den Kontakt eher vermeiden und somit zu einer noch größeren Ausgrenzung beitragen.
Überhaupt ist es nicht sinnvoll, den Druck der Veränderungen auf die einzelnen Personen zu legen. Jeder Mensch kann selbst an sich arbeiten, aber um wirklich etwas zu bewegen, muss die Gesellschaft als Ganzes sich ändern. “Nur so können wir die Voraussetzungen für eine Welt schaffen, in der Vorurteile abgebaut werden”, sagt Hans-Peter Erb. Dann könnten sich auch Möglichkeiten und Chancen auftun, die wir durch unsere Vorurteile jetzt noch verpassen.
Über den/die AutorIn:
Quellenangaben zum Artikel:
Social Sharing:
Artikel Überschrift:
Vielen Dank für diesen tollen Artikel. Er ist nicht nur aufklärend, sondern auch hilfreich, durch die konkreten Handlungsvorschläge. Gefällt mir sehr gut.
Ganz toller Artikel, vielen Dank dafür!
Lieben Dank für dein schönes Feedback!