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Ständig abgelenkt
Macht Social Media unsere Konzentration kaputt?
Eine Nachricht ploppt auf, einmal kurz in den Feed – und es ist vorbei mit der Konzentration. Können wir uns durch die digitale Reizüberflutung wirklich immer schlechter konzentrieren?
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Viele Menschen fühlen sich unkonzentrierter
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, unsere Aufmerksamkeitsspanne werde immer kürzer und unser geliebtes Smartphone spiele dabei eine zentrale Rolle. Aber können wir uns dank TikTok, Insta und Co. wirklich immer schlechter konzentrieren?
Klar ist: Elektronische Medien lenken ab. Man könnte sogar sagen: Wir werden regelrecht dazu manipuliert, Unternehmen unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Denn Social-Media-Apps beispielsweise sind absichtlich so konzipiert, dass unser Gehirn darauf anspringt.
Wir haben auch eine ganze Podcast-Folge zum Thema – hört doch mal rein!
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt
Selektieren und Sortieren von Reizen
Etwa zehn Millionen Einzelinformationen prasseln jede Sekunde auf uns ein. Wenn wir zum Beispiel in der Bahn sitzen, dann nehmen wir die Temperatur, das Licht, den Luftstoß der Klimaanlage wahr. Das klingelnde Telefon, die lauten Sitznachbar:innen nebenan und die Durchsage kommen da noch oben drauf.
Unsere Aufmerksamkeit hilft uns, alle diese Informationen zu filtern und gut mit unseren Aufmerksamkeitsressourcen umzugehen. Denn die Gehirnkapazität, die die Informationen verarbeitet, ist limitiert und kann nicht alle Reize gleichzeitig verarbeiten.
Selektive Aufmerksamkeit
Ein wichtiges Aufmerksamkeitssystem ist die selektive Aufmerksamkeit. Sie unterstützt uns, relevante Reize wahrzunehmen und irrelevante Reize auszublenden.
Ein bekanntes Phänomen, um die selektive Aufmerksamkeit zu beschreiben, ist der Stroop-Effekt. Passen Text und Farbe nicht überein, brauchen wir messbar länger, als wenn zum Beispiel "grün" auch in grüner Farbe geschrieben ist.
Die messbare Zeitverzögerung ist nach dem Entdecker J. Ridley Stroop benannt, der diesen Zusammenhang bereits 1935 nachweisen konnte. Der Stroop-Effekt zeigt, dass automatisierte Prozesse, wie das Lesen der Wörter, schneller ablaufen als nicht trainierte Abläufe.
Unser Gehirn muss die Bedeutung des Wortes unterdrücken – und das kostet Aufmerksamkeit und somit auch Zeit. Der Test wird bis heute für Konzentrations- und Aufmerksamkeitstests verwendet.
Geteilte Aufmerksamkeit
Von geteilter Aufmerksamkeit wird gesprochen, wenn wir zwei Dinge gleichzeitig tun. Und dabei ist nicht Multitasking gemeint. Das Gehirn kann die Aufmerksamkeit nur auf eine einzige Aufgabe lenken.
Beim Multitasking wechseln wir also in Wirklichkeit blitzschnell zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her. Auch wenn wir nur ganz kurz auf unser Handy gucken, geht in dem Moment etwas Zeit verloren.
Forschende konnten zeigen, dass das Hin- und Herwechseln zwischen Aufgaben uns bis zu 40 Prozent unserer Produktivität kosten kann – auch wenn das Switchen selbst nur wenige Millisekunden dauert. "Cost of Switching" nennen Fachleute diesen messbaren Zeitverlust, also die Wechselkosten der Aufmerksamkeit.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit teilen, also tatsächlich zwei Dinge gleichzeitig tun, dann muss eine Sache komplett automatisch ablaufen, während die andere unsere Aufmerksamkeit bekommt. Gehen und dabei eine Nachricht auf dem Handy checken zum Beispiel.
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Aber:
Wie lässt sich Aufmerksamkeit messen?
Nach der Annahme von Gloria Mark lässt sich so die Konzentrationsfähigkeit vergleichen. Lag dieser Wert 2004 noch bei 2,5 Minuten, so sank dieser im Jahr 2019 auf 47 Sekunden. Nach dieser Untersuchung könnte man annehmen, unsere Aufmerksamkeit sinkt tatsächlich.
Für die Wissenschaftlerin liegen die Gründe in der immer herausfordernderen Umwelt. Handy, Computer und Apps buhlen geradezu um unsere Aufmerksamkeit. Dabei werden die Inhalte immer schneller und kürzer.
Verändert sich die Konzentration einfach?
Ob das aber ein Problem darstellt, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Denn unser Gehirn passt sich den Herausforderungen an und erbringt dementsprechend eine große Adaptionsleistung.
Untersuchungen der Universität Amsterdam zeigen beispielsweise, dass Jugendliche durch das Wechseln zwischen verschiedenen Aufgaben eine Art Belohnungseffekt verspüren. Und dass jüngere Proband:innen besonders schnell zwischen den verschiedenen Aufgaben hin und her wechseln können, vielleicht also schon besonders gut darin sind.
Es könnte also sein, dass unsere Aufmerksamkeit nicht schlechter wird, sondern wir sie heute anders und flexibler nutzen.
In einer Metastudie haben Forschende der Universität Wien herausgefunden, dass das Konzentrationsvermögen von Erwachsenen in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist. Dies sei auf den sogenannten Flynn-Effekt zurückzuführen, der besagt, dass der mittlere Intelligenzquotient von Generation zu Generation steigt. In anderen Studien wurde allerdings eine Stagnation dieses Effektes festgestellt. Die Ursachen dafür sind noch unklar. Das Konzentrationsvermögen könnte allerdings der Metastudie zufolge ein Element der allgemeinen Intelligenz sein und den Flynn-Effekt mitauslösen. Bei Kindern konnte dies allerdings nicht beobachtet werden.
Wie uns Unternehmen manipulieren
Was unsere Aufmerksamkeit erregt, darauf haben wir manchmal keinen Einfluss. Denn sogenannte saliente Reize passieren im Gehirn eine Art Schranke und sind dadurch leichter zugänglich für unsere Wahrnehmung.
Auf saliente Reize treffen bestimmte Kategorien zu:
- sie haben einen hohen Neuigkeitswert
- sie sind besonders intensiv
- sie treten in einem unerwarteten Kontext auf
- sie erfüllen ein bestimmtes Bedürfnis
Unternehmen nutzen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, um unsere Aufmerksamkeit und Konzentration an ihren Produkten zu halten. Etwa indem Benachrichtigungen am Handy meist rot gefärbt sind (eine saliente Farbe), in einem kleinen Kreis außerhalb des App-Symbols zu sehen sind und sich manchmal auch noch bewegen. So treffen auf sie mehrere Salienz-Kategorien zu, was es uns fast unmöglich macht, sie nicht zu bemerken.
Dazu kommt, dass ganz bewusst mit der Erwartungshaltung an Neuigkeiten gespielt wird. Untersuchungen zeigen, dass beim Scrollen durch Social Media unser Belohnungssystem aktiviert wird, ähnlich wie beim Sex oder Drogenkonsum.
Der Moment, kurz bevor eine Benachrichtigung geöffnet wird, die Vorfreude darauf, stärkt das suchtähnliche Verhalten am meisten und wird durch die kleinen Benachrichtigungen in den Apps provoziert.
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Und jetzt?
So verbesserst du deine Konzentrationsfähigkeit
Regelmäßige Pausen
Regelmäßige Pausen helfen dabei, nach einer längeren Arbeitsphase unsere Konzentration wiederzubekommen. Dabei tun Bewegung und angenehme Tätigkeiten gut, die zusätzlich das Stresshormon Cortisol senken, das beim konzentrierten Arbeiten ausgeschüttet wird.
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Handy aus dem Raum legen
Eine Untersuchung in den USA konnte zeigen, dass allein schon die Anwesenheit des Handys unsere Konzentrationsfähigkeit sinken lässt. In der Studie wurden 548 Studierende gebeten, mehrere Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit zu machen.
Dabei gab es drei Settings:
- Das Handy musste draußen bleiben.
- Das Handy durfte in der Tasche bleiben.
- Das Handy durfte umgedreht auf dem Tisch liegen.
Das Ergebnis: War das Handy in der Nähe – egal ob auf dem Tisch oder in der Tasche – konnten sich die Studierenden messbar schlechter konzentrieren. Alleine die Anwesenheit des Handys hat einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Der Effekt war am stärksten bei denjenigen, die im Alltag auch am meisten suchtähnliches Verhalten mit ihrem Handy gezeigt haben.
Das Geheimnis der Flow-Momente
Wenn wir nicht abgelenkt werden, können wir einen Flow erleben – das Gefühl, vollkommen in einer Aufgabe aufzugehen und Raum und Zeit zu vergessen. Sportler:innen trainieren regelrecht darauf hin, in den Flow-Zustand zu geraten und so ihre Ziele zu erreichen. Aber auch im alltäglichen Arbeitsumfeld ist Flow ein wichtiger Zustand, um Leistungsfähigkeit und Glücksempfinden zu fördern.
Damit ein Flow-Moment entstehen kann, darf die Aufgabe nicht zu leicht und nicht zu schwer sein. Ist die Aufgabe zu schwierig, kommt es schnell zum Gefühl der Überforderung. Wir fühlen dann Stress, haben vielleicht Sorgen, etwas nicht zu schaffen – und lenken uns dann schnell mit süßen Katzenvideos ab.
Bei zu einfachen Aufgaben wiederum kann es zum Gefühl der Langeweile kommen. Können wir unsere Fähigkeiten nicht entsprechend einsetzen, sind wir leichter ablenkbar und zack, greift man wieder zum Handy.
Ein Modell, das dieses Gleichgewicht veranschaulicht, ist das Yerkes-Dodson-Gesetz. Benannt nach den beiden Entdeckern und Psychologen zeigt es, dass das optimale Verhältnis zwischen unserer inneren Anspannung (bin ich unterfordert und gelangweilt oder sogar gestresst und überfordert) und unserer Leistung in der Mitte liegt.
Es kommt also auf das perfekte Gleichgewicht zwischen Anforderung und Fähigkeit an. Der Effekt ist umso stärker, je mehr Fähigkeiten bereits erlernt sind. Regelmäßiges Flow-Erleben fördert unsere Motivation und hilft uns, über einen langen Zeitraum unsere Konzentration hoch zu halten.
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Quellenangaben zum Artikel:
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Schöner Beitrag. Es fehlt mir der Hinweis auf die Rolle von Dopamin. Anna Lembke hat in ihrem Buch „Dopamine Nation“ anschaulich die Kreisläufe beschrieben und die Effekte auf unseren Umgang mit Medien.
Interessant, ich habe diesen Text in Deutsch mit meiner Klasse gelesen
Wenn man etwas über Aufmerksamkeit wissen will, denn verrät uns die Dramentheorie vermutlich mehr darüber als dieser Artikel, denn Aufmerksamkeit ist der Hauptgegenstand dieser und dier Ergebnisse dieses Bereichs führte dazu, dass wir beispielsweise Theaterstücke, Opern, Filme und anderes haben, die unsere Aufmerksamkeit über lange Zeiträume fesseln können. Wir können… Weiterlesen »
Danke für den gut recherchierten, priorisierend – fokussierenden Artikel, war kurz im Flow und hab’s sogar bis zum Ende geschafft… Wir machen seit ca 20 Jahren ADHS – Diagnostik in der psychiatrisch – psychotherapeutischen Praxis. Früher gab es dazu etwa ein Anfrage pro Monat, wobei die Diagnose dann auch meist… Weiterlesen »
Ich finde den Artikel interessant und inhaltlich durchaus wissenswert.
Allerdings: Muss dieses unsägliche und mit korrekter deutscher Orthografie und Grammatik nicht zu vereinbarende Gegendere wirklich sein? Da vergeht mir die Lust, weitere Artikel auf dieser Seite zu lesen.
Ich habe jetzt nur 2 gegenderte Begriffe gefunden. Man oder frau kann diese dezente Form auch einfach als weibliche Form lesen. Ich finde Gendern jedenfalls gut. 🙂