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Zukunft der Arbeit
Wie sinnvoll ist ein Grundeinkommen wirklich?
Die Idee eines Grundeinkommens wird immer wieder diskutiert. Bisher weiß man aber wenig über seine Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Dossier.
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Inhalt
- Darum geht’s: Durch Krisen werden Forderungen nach einem Grundeinkommen lauter
- Darum müssen wir drüber sprechen: Es gibt gute Argumente für ein Grundeinkommen – und gute dagegen
- Aber: Egal ob pro oder kontra – viele Fragen sind noch offen
- Und jetzt? In jedem Fall muss über neue Wege diskutiert werden
- Darum geht’s: Durch Krisen werden Forderungen nach einem Grundeinkommen lauter
- Darum müssen wir drüber sprechen: Es gibt gute Argumente für ein Grundeinkommen – und gute dagegen
- Aber: Egal ob pro oder kontra – viele Fragen sind noch offen
- Und jetzt? In jedem Fall muss über neue Wege diskutiert werden
Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Durch Krisen werden Forderungen nach einem Grundeinkommen lauter
Für Deutschland werden in der Regel Summen von 1000 bis 1500 Euro diskutiert, die jeder Bürger bei einem bedingungslosen Grundeinkommen monatlich bekommen würde. Im Gegenzug würden Sozialtransfers wegfallen.
Ein Arbeitslosengeld würde zum Beispiel obsolet. Je nach Modell wird die Rente vollständig durch das Grundeinkommen ersetzt oder neu berechnet. In manchen Modellen gibt es auch keine Kranken- und Pflegeversicherung, wie wir sie bisher kennen.
Rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung befürwortet laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ein Grundeinkommen. Demnach sind vor allem junge und besser gebildete Menschen, Personen mit niedrigen Einkommen und politisch linksorientierte Menschen dafür.
Darum wird darüber diskutiert
DIW-Chef Marcel Fratzscher verwundert es nicht, dass es viele Befürworterinnen und Befürworter gibt. Die Forderung sei letztlich die logische Konsequenz des Scheiterns der Politik, die soziale Ungleichheit zu begrenzen und gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität zu gewährleisten.
Durch die Corona-Krise und die Energie-Krise hat die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens neuen Fahrtwind bekommen. Viele Menschen, die in Existenznot geraten sind, warteten auf Hilfszahlungen. Ein Grundeinkommen würde Befürwortern zufolge eine sicherere Lebensgrundlage schaffen.
Ein weiteres Argument in der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist der technologische Wandel: Studien legen nahe, dass Maschinen zukünftig mehr und mehr Arbeitskräfte ersetzen können. Das Grundeinkommen wird als Lösung gehandelt, um jene Menschen abzusichern, die wegrationalisiert werden.
In der Forschung ist man sich weitgehend einig, dass die Probleme drängen. Wenig Einigkeit herrscht allerdings darüber, ob das Grundeinkommen die passende Lösung ist.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Es gibt gute Argumente für ein Grundeinkommen – und gute dagegen
- Der Begriff bedingungsloses Grundeinkommen wird für viele unterschiedliche Konzepte verwendet oder damit in Verbindung gebracht. Es handelt sich dabei teils auch um Modelle, die nicht bedingungslos oder nicht existenzsichernd sind. Um die wird es im Folgenden aber nicht gehen.
- Es kommt stark darauf an, wie genau ein Grundeinkommen ausgestaltet würde. Bekommen auch "reiche" Leute ein Grundeinkommen? Und was heißt reich? Und wird auch die Kranken- und Pflegeversicherung durch das bedingungslose Grundeinkommen ersetzt? Das sind nur einige von vielen Fragen.
- Die verschiedenen Standpunkte zum bedingungslosen Grundeinkommen fußen auf unterschiedlichen Menschenbildern: Die einen meinen, dass die Gesellschaft mit mehr Selbstverantwortung umgehen kann und diese auch braucht, die anderen sagen, dass der Staat mehr Sorge tragen muss.
- Vor allem aber weiß man bislang nur sehr wenig darüber, wie sich ein Grundeinkommen auf unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft auswirken könnte. Darüber könnt ihr mehr im "Aber“ lesen.
Trotz all dieser Wenns und Abers wollen wir euch ein paar grundsätzliche Argumente vorstellen, die in der Diskussion immer wieder aufkommen.
1. Sorgt das Grundeinkommen für mehr Freiheit?
Befürworter des Grundeinkommens verbinden dieses mit dem Recht auf Freiheit. Sie wollen den Menschen ersparen, einer Arbeit nachzugehen, die sie nicht leiden können.
"Heute erzwingt unser System durch materielle Not, dass Menschen Jobs annehmen, die eigentlich menschenunwürdig sind, die niemand gerne macht und die dennoch sehr schlecht bezahlt sind", sagt der Ökonom Thomas Straubhaar, der an der Uni Hamburg lehrt und sich schon lange für ein Grundeinkommen einsetzt.
Das Grundeinkommen könnte diesen Menschen als Sicherheitsnetz dienen, um sich umzuorientieren oder ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. Das könnte sie beflügeln.
Menschen könnten auch ihre Stunden reduzieren und ihre Zeit ganz anders nutzen – indem sie sich ehrenamtlich engagieren oder sich um Familie und Freunde kümmern. Niemand soll sich zudem dazu erniedrigen müssen, um Unterstützung vom Staat zu bitten.
Allerdings ...
Gegner des Grundeinkommens befürchten dagegen, dass diese Freiheit herausfordernd ist. Wer frei ist, muss gestalten. Würden die Menschen wirklich ihre gewonnene Zeit nutzen, um Sorge- oder Genossenschaftsarbeit zu leisten und sich mit einem politischen Engagement in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen?
Oder würden sie ihre Freiheit darauf verwenden, noch mehr zu konsumieren und sich mit sinnlosen Dingen die Langeweile zu vertreiben?
Würde Letzteres passieren, könnte das bedingungslose Grundeinkommen zu mehr Unzufriedenheit führen, befürchten Gegner. Denn diese steigt, wenn wir keine Aufgaben haben, für die wir Anerkennung und Respekt erhalten, und wenn wir nicht mehr Teil der Gemeinschaft sind. Das kann schwere Folgen haben, wie ihr hier lest.
2. Arbeiten weniger Menschen, wenn es ein Grundeinkommen gibt?
Außerdem sagen Gegner des Grundeinkommens, dass die Menschen nun weniger Anreiz haben, arbeiten zu gehen. Sie sind ja bedingungslos versorgt, wenn sie mit 1000 oder 1500 Euro zufrieden sind. Oder sie könnten weniger arbeiten als vorher, um ihr Gehaltsniveau zu halten.
Aber ...
Befürworter des Grundeinkommens meinen, dass gar nicht so viele Menschen ihren Job an den Nagel hängen würden – weil Arbeiten für die meisten mehr ist als bloßes Geldverdienen.
Es hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, ist wichtig für das Selbstwertgefühl und die soziale Integration.
"Außerdem werden die Arbeitgeber sich anstrengen müssen, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Arbeitnehmer etwas leisten wollen", meint Ökonom Straubhaar.
3. Sinken durch ein Grundeinkommen Verwaltungskosten?
Befürworter sagen außerdem, dass durch das bedingungslose Grundeinkommen Verwaltungskosten gesenkt würden. Heute müssen Bedürftige nachweisen, dass sie bedürftig sind. Gäbe es ein Grundeinkommen ohne Bedingungen, gäbe es dementsprechend weniger Bürokratie.
Laut dem Armutsforscher Christoph Butterwegge ist heute zudem der Anteil der Personen hoch, die Zuschüsse beantragen könnten, es aber nicht tun. Von zwei möglichen Leistungsberichtigten des Arbeitslosengeldes II stellt einer keinen Antrag. Von drei armen Seniorinnen und Senioren verzichten zwei auf Transferleistungen, die ihnen zustehen.
"Betroffene wissen oft schlicht nicht, dass es diese Sozialtransfers gibt oder dass sie einen Anspruch darauf hätten. Manche sind auch zu stolz, schämen sich oder scheuen den Papierkrieg mit einer Behörde", so Butterwegge. "Wieder andere fürchten deren Unterhaltsrückgriff auf ihre Verwandten."
Auch die Unternehmen müssten sich mit weniger Bürokratie herumschlagen, da die Lohnnebenkosten sinken würden. Denn Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Rente - die bisher von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam finanziert werden - fallen weg.
Allerdings ...
Hier setzt das "Aber" der Gegner an: Sie befürchten deshalb, dass mit dem bedingungslosen Grundeinkommen der Sozialstaat abgebaut würde.
Einige Modelle sehen auch vor, dass es keine gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung mehr gibt. Wer sich über das Grundeinkommen hinaus absichern möchte, muss das privat tun. In einigen Entwürfen gibt es dafür zweckgebundenes Zusatzgeld, in anderen nicht.
Insbesondere, wenn Menschen derzeit Leistungen erhalten, die über die Höhe eines Grundeinkommens hinausgehen, würde ihre Situation verschlechtert. Die Gewerkschaft Verdi befürchtet, dass die wirklichen Nutznießer dieses Umbaus die Unternehmen wären, die von "lästigen sozialen Verpflichtungen und Lohnnebenkosten" befreit würden.
Auch DIW-Chef Fratzscher meint in einer Analyse von 2017, dass das bedingungslose Grundeinkommen bedeuten würde, dass "sich Staat und Gesellschaft vor allem gegenüber seinen schwächsten Mitgliedern aus der Verantwortung stehlen".
4. Ist die Finanzierung des Grundeinkommens überhaupt möglich?
Einer der Hauptstreitpunkte dreht sich um die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens. Der Ökonom Thomas Straubhaar kommt zu dem Schluss, dass ein Grundeinkommen finanzierbar sei. Damit ist er nicht der Einzige.
Weitere Angaben zum Artikel:
Wie soll das Grundeinkommen finanziert werden?
- der Höhe des Grundeinkommens
- von der Art der Sozialleistungen, die ersetzt werden
- von dem gewählten Steuertarif.
Es gibt verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Effekten auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft.
In einigen Entwürfe fallen Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und Rente weg. Andere gehen noch weiter - und wollen die Kranken- und Pflegeversicherung streichen. Manche Modelle sehen hierfür dann zweckgebundene Zusatzbeiträge neben dem Grundeinkommen vor.
Hinsichtlich der Steuern setzen einige Modelle auf erhöhte Mehrwert- und Verbrauchsteuern. Andere wollen die Steuern auf Einkommen und Vermögen oder Kapitalverkehr ausweiten. Manche Modelle setzen auf neu eingeführte Abgaben. Und wieder andere beabsichtigen, dass das Geld über die Beteiligungen generiert wird, die der Staat an Unternehmen hält. Oder ein Mix aus all diesen Formen.
Artikel Abschnitt:
Die Befürworter sehen die Finanzierbarkeit auch sichergestellt, weil es durch das Grundeinkommen weniger Bürokratie gäbe – wir erinnern uns an Punkt 3, die Verwaltungskosten – und dadurch viel Geld eingespart werden könnte.
Aber ...
Die Gegner sagen, dass die Gelder nicht hoch genug wären, um für alle ein Grundeinkommen zu finanzieren. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert, es sei auch gar nicht möglich, Mehreinnahmen aus Steuern einfach hochzurechnen – denn ein Grundeinkommen würde zu Verhaltensänderungen führen, die Auswirkungen auf die Wirtschaft haben (mehr dazu gibt’s im Aber).
Diese Änderungen könnten dann wiederum dafür sorgen, dass die Steuereinnahmen sinken. Damit würde die finanzielle Grundlage des bedingungslosen Grundeinkommens untergraben.
Beispielsweise, wenn viele Unternehmen oder Reiche ins Ausland abwandern, weil die Steuern erhöht wurden. Wenn viele Menschen nicht mehr arbeiten gehen. Oder wenn Unternehmen mit der Einführung auf die Idee kämen, die Löhne zu senken – weil die Existenz der Menschen bereits mit einem staatlichen Einkommen gesichert ist.
Ein weiterer Kritikpunkt: Schwarzarbeit könnte noch attraktiver werden, sofern das Grundeinkommen über steigende Einkommensteuern finanziert wird. Der Anreiz wird dann größer, am Fiskus vorbeizuarbeiten. Schon heute werden jedes Jahr schätzungsweise rund 320 Milliarden Euro illegal erwirtschaftet.
5. Sorgt das Grundeinkommen für mehr Gerechtigkeit?
Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich öffnet sich mehr und mehr. Das sehen sowohl Befürworter als auch Gegner des Grundeinkommens. Viele Vertreter beider Lager sind daher für Umverteilung – die Frage ist nur, wie.
Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens sagen, dass alle, die Hilfe benötigen, durch das Grundeinkommen unterstützt würden. Einkommensstarke Personen würden indes steuerlich mehr belastet. Ihr Geld würde an Ärmere umverteilt. Dadurch wird die Ungleichheit zwischen den Beträgen, die Menschen monatlich zur Verfügung haben, geringer.
Somit müssten auch Gutverdienende ein Grundeinkommen erhalten. Es wäre gewissermaßen wie eine "Steuergutschrift" – die sie im Gegenzug dafür erhalten, dass sie eine höhere Besteuerung in Kauf nehmen müssen.
Zudem würde Umverteilung bislang vor allem zulasten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stattfinden. "Selbstständige, Freiberufler, Beamte und Abgeordnete finanzieren nur teilweise mit", sagt Ökonom Thomas Straubhaar von der Uni Hamburg. Es sei an der Zeit, die Umverteilung steuerbasiert vorzunehmen, sodass alle Einkommen gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen werden.
Allerdings ...
Viele Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens bezweifeln dagegen, dass es für Verteilungsgerechtigkeit sorgen kann. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sagt, dass "Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss", damit es gerecht zugeht.
Er wirft die Frage auf, warum selbst Milliardäre vom Staat ein monatliches Einkommen erhalten sollten, "während beispielsweise Schwerstbehinderte viel mehr als den für alle Bürger einheitlichen Geldbetrag viel nötiger hätten".
Natürlich gäbe es auch die Möglichkeit, dass wohlhabende und reiche Bürger kein Grundeinkommen erhalten – oder es im Rahmen der Steuererhebung wieder abgezogen bekommen. Dann würde das Grundeinkommen aber schon zwei seiner Prämissen widersprechen: Es wäre weder für jeden noch bedingungslos.
Das Grundeinkommen wäre laut seinen Gegnern auch nicht gerecht, weil sich nicht jeder für 1000 oder 1500 Euro das Gleiche leisten kann. Wohnkosten beispielsweise sind regional sehr unterschiedlich. Es wäre wenig gerecht, wenn Menschen, die in einer schuldenfreien eigenen Wohnung wohnen, genau so viel bekämen wie Menschen, die hohe Mieten zahlen müssen. Singles wären Paaren und Familien gegenüber benachteiligt, die geringere Wohnkosten pro Person haben.
6. Schafft das Grundeinkommen mehr Gleichberechtigung?
Befürworter des Grundeinkommens machen hingegen deutlich, dass mit dem Grundeinkommen Tätigkeiten aufgewertet würden, die in unserer Leistungsgesellschaft nicht vergütet werden. Beispielsweise könnten die Menschen entscheiden, ob sie sich primär der Sorgearbeit, also ihren Kindern, widmen wollen.
Zudem würde das Grundeinkommen Arbeit flexibler machen. So würde die Gleichberechtigung gestärkt.
Aber ...
Gegner des Grundeinkommens sagen, dass es für die Gleichberechtigung eher hinderlich ist. Beispielsweise sei Sorgearbeit immer noch unbezahlt, wenn alle ein Grundeinkommen erhalten. Und sie bliebe der Erwerbsarbeit immer noch untergeordnet.
Die Erwerbschancen von Männern und Frauen würden so nicht gezielt angeglichen. Damit könnte die Arbeitsteilung, die häufig Frauen benachteiligt, noch verfestigt werden.
7. Gibt es mehr soziale Teilhabe durch ein Grundeinkommen?
Das Grundeinkommen könnte eine Lösung für das Problem sozialer Ausgrenzung durch Erwerbslosigkeit sein. So könnte es die Menschen von der Stigmatisierung als Bedürftige befreien.
Warum Erwerbslosigkeit Menschen krank machen kann, lest ihr hier.
Zudem würde das Grundeinkommen einen höheren Anreiz bieten, wieder arbeiten zu gehen. Im bisherigen Sozialsystem werden Leistungen vom Staat gekürzt, sobald Erwerbslose sich etwas dazu verdienen. Die Aufnahme von Arbeit "lohnt“ sich also nicht. Das Grundeinkommen wäre dagegen mit anderen Einkommen kombinierbar.
Allerdings ...
Die Gegner glauben jedoch nicht daran, dass eine regelmäßige Geldzahlung ausreicht, um gesellschaftliche Teilhabe und Integration zu gewährleisten. Es fehlen soziale Einbindung, Anerkennung und Selbstbestätigung – vieles davon bekommen Menschen durch ihre Arbeit.
Die Gewerkschaft Verdi kritisiert zudem, dass Befürworter die "Ermittlung und Prüfung von Bedürftigkeit als solche schon als Repression oder Diskriminierung“ betrachten. Dabei sei sie erforderlich für einen gerechten Sozialstaat. Denn die Gesellschaft hat einen Anspruch darauf, dass ihre öffentlichen Mittel bei den wirklich Schwachen landen.
8. Ist das Grundeinkommen eine gute Reaktion auf zunehmende Digitalisierung?
Diverse Studien legen nahe, dass Roboter und künstliche Intelligenz in Zukunft Stellen kosten werden. Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Dadurch sinkt der Bedarf an Vollzeitstellen. Die Zahl der Selbstständigen, Teilselbstständigen und der Menschen, die nur nach Auftragslage beschäftigt werden, könnte steigen.
Die Befürworter sehen das bedingungslose Grundeinkommen als Möglichkeit, die betroffenen Menschen abzusichern. Wenn es zukünftig nicht mehr genug Arbeit für alle geben sollte, muss man neue Möglichkeiten erwägen.
"Das System des Grundeinkommens ist gemacht für die Beschäftigten der Zukunft, für das Digitalzeitalter, wo Wechsel, Brüche, Auszeiten im Erwerbsleben dazu gehören", sagt Ökonom Straubhaar.
Dennoch ...
Laut DIW-Ökonom Marcel Fratzscher ist jedoch der technologische Wandel "der schlechteste aller Gründe für ein bedingungsloses Grundeinkommen".
Es gebe seit zwei Jahrhunderten technologischen Fortschritt. "Er hat fast immer dazu geführt, dass bessere, humanere und höher bezahlte neue Jobs entstanden sind." Mehr dazu lest ihr hier.
Der Staat sollte daher die Erwerbslosen nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ruhigstellen – sondern ihnen helfen, sich an die neue Situation anzupassen und in andere Jobs zu finden, so Fratzscher. "Denn Digitalisierung und Automatisierung können viele mechanische Tätigkeiten ersetzen, jedoch kaum das, was uns als Menschen ausmacht – nämlich unsere Empathie und Kreativität."
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Egal ob pro oder kontra – viele Fragen sind noch offen
Wir wissen nicht, wie sich das Grundeinkommen – wie auch immer es ausgestaltet sein mag – auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirken würde. Es gibt zwar Experimente, aber die haben Haken.
Experimente testen oft keine Grundeinkommen
Laut dem Soziologen Malte Neuwinger gibt es das einzige Experiment, bei dem tatsächlich ein Grundeinkommen untersucht wird, in Kenia. Die amerikanische NGO “Give Directly” stattet Tausende Kenianer:innen für ein Jahrzehnt mit einem Grundeinkommen aus. Wissenschaftlich begleitet wird das Experiment unter anderem von Forschenden des MIT.
Die betonen allerdings in ersten Veröffentlichungen, dass die Übertragbarkeit der Ergebnisse schwierig ist. Beispielsweise könnten die Auswirkungen in Industrieländern anders sein als in Entwicklungsländern. Und: “Keine einzelne Studie kann zuverlässig vorhersagen, wie ein BGE weltweit funktionieren würde.”
Vielzitiert ist auch ein Experiment aus Finnland. Allerdings wurde hier kein Grundeinkommen getestet: Die Zahlungen gingen nicht an alle Finn:innen, sondern lediglich an 2000 Arbeitslose. Diese bekamen 560 Euro – der Betrag war damit nicht hoch genug, um die Lebenshaltungskosten zu decken.
Ein deutsches Experiment
Der deutsche Verein Mein Grundeinkommen e. V. kritisiert ebenfalls, dass in vielen Untersuchungen entweder keine bedingungslosen oder keine hohen Beträge gezahlt wurden.
Er will daher mehrere Studien auflegen, eine davon läuft bereits: 122 Teilnehmer erhalten drei Jahre lang bedingungslos 1200 Euro. Das Experiment soll ermitteln, wie sich ein Grundeinkommen gesellschaftlich auswirkt.
Der Verein verlost bereits seit 2014 Grundeinkommen. Diese beliefen sich in der Regel auf 1000 Euro und wurden ein Jahr lang gezahlt. Eine Befragung von 34 Empfängern ergab, dass die Zahlungen positive Effekte wie ein gesteigertes Sicherheits- und Unabhängigkeitsgefühl hatten.
Die häufigsten Veränderungen waren der Beginn einer Selbstständigkeit und das Suchen und Finden eines neuen Jobs. Niemand der Befragten spielte mit dem Gedanken, das Arbeiten komplett aufzugeben.
Studien bringen nur Hinweise
Allerdings: Der Zeitraum, in dem die Teilnehmer die bedingungslose Zahlung erhalten, ist von vornherein begrenzt. Es sind deshalb nicht die gleichen Effekte und Wandel zu erwarten, die ein lebenslanges Grundeinkommen auslösen würde.
Ein weiteres Problem: Es wurde noch nicht für eine gesamte Volkswirtschaft eingeführt und getestet. Der Ökonom Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung kritisiert, dass zeitlich oder regional begrenzte Modellversuche keine "makroökonomisch relevanten Erkenntnisse" bringen.
Wenn beispielsweise nur wenige Hundert Personen ein Grundeinkommen erhalten, würde das nicht zu Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt führen – selbst wenn ein großer Teil der Empfänger seine Arbeit aufgeben würde.
Viele Fragen sind noch offen
Da es bislang keine relevanten Praxisbeispiele gibt, könne man nur spekulieren, wie sich die Einführung eines Grundeinkommens auswirken würde, sagt Petersen.
Eine wichtige offene Frage ist beispielsweise, über welche Steuern das Grundeinkommen finanziert würde. Denn Steuern haben Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen.
Über welche Steuern würde es finanziert?
Müssten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine hohe Einkommenssteuer zahlen, könnte das ihren Anreiz, zu arbeiten, mindern. Würden die Unternehmen stärker besteuert, könnten sie abwandern. Gäbe es eine hohe Mehrwertsteuer, könnten die Preise steigen – und damit Nachfrage und Produktion sinken. Hier lest ihr, warum das problematisch ist.
Das Problem: In jedem dieser negativen Szenarien sinken die Steuereinnahmen. Und damit die Finanzierungsgrundlage des Grundeinkommens
Wie steht’s in Zukunft um die Arbeit?
Eine weitere zentrale Frage ist, wie sich der Arbeitsmarkt in Zukunft verändern wird. Werden wirklich viele Menschen durch die Digitalisierung wegrationalisiert oder rutschen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse? Wie viele schaffen es, sich anzupassen? Noch ist nicht absehbar, wie sich der Wandel genau auswirken wird.
Und: Es ist ebenfalls nicht absehbar, wann genau eine so starke Automatisierung eintritt. Es könnte noch zwei Jahrzehnte oder sogar länger dauern, bis eine entwickelte Volkswirtschaft wie Deutschland diesen Zustand erreicht, sagt Petersen.
Wann sollte ein Grundeinkommen eingeführt werden?
Daraus ergibt sich die zentrale Frage: Wann würde ein Grundeinkommen eingeführt? Eine Option wäre, das Grundeinkommen zu einem Zeitpunkt einzuführen, an dem unsere Arbeitswelt wirklich weitgehend automatisiert ist.
Dann wären bereits viele Maschinen vorhanden, die Arbeitskräfte ersetzen. Der Nachteil ist, dass die Arbeitslosigkeit dann bereits so hoch sein könnte, dass sie die Gesellschaft gespalten und polarisiert hat. Der Vorteil ist, dass die wirtschaftlichen Risiken geringer wären.
Denn bislang ist nicht sicher, wie sich ein Grundeinkommen auf den Arbeitsmarkt, den Gütermarkt, das Preisniveau oder die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Folgende Fragen sind offen:
- Finden die Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr, obwohl sie welche brauchen? Dann sinken Produktion und Wettbewerbsfähigkeit.
- Oder steigt die Produktivität, weil nun alle die Jobs ausüben, die sie motivieren?
- Zahlen die Unternehmen mit unbeliebten Jobs dann höhere Löhne, um noch Mitarbeiter zu finden?
- Oder senken sie von vornherein die Löhne, weil Arbeitnehmer ja nun ein Einkommen vom Staat erhalten und ihre Grundbedürfnisse versorgt sind?
- Oder arbeiten die Menschen von vornherein weiterhin viel? Dann hätten sie mit Grundeinkommen und Gehalt mehr Geld in der Tasche als heute.
- Dann würden sie allerdings auch mehr ausgeben, was die Preise steigen ließe. Steigt das Grundeinkommen dann auch?
- Oder gehen nun viele Arbeitnehmer in Teilzeit und die vorhandene Arbeit wird zwischen allen gut aufgeteilt?
- Und kann man ein Grundeinkommen überhaupt lokal, in einem Land, einführen? Ist das nicht ungerecht?
- Und steigt die Migration dann in dem Land, weil alle das Grundeinkommen bekommen wollen? Welche Effekte hätte das?
Artikel Abschnitt: Und jetzt?
Und jetzt?
In jedem Fall muss über neue Wege diskutiert werden
"Wir alle, auch wir Ökonomen, haben uns zu wenig Gedanken über die Verlierer der Globalisierung gemacht", sagt Thomas Straubhaar von der Uni Hamburg. "Viele Menschen fühlen sich abgehängt, trauen der Elite nicht mehr."
Die Spaltung der Gesellschaft könnte sich noch verschärfen, wenn sich unsere Arbeitswelt weiter wandelt und Menschen aufgrund von Digitalisierung und Automatisierung wegrationalisiert werden.
Wann ist es an der Zeit?
Wir haben schon darüber gesprochen, dass der Zeitpunkt, zu dem ein Grundeinkommen eingeführt würde, relevant ist. "Systemwechsel sollte man in guten Zeiten realisieren", meint Straubhaar.
Schrittweise Einführung?
Wenn man das Grundeinkommen schrittweise einführt, könnten die Folgen laufend wissenschaftlich geprüft werden.
Das könnte den Menschen die Möglichkeit geben, mit ihrer neu gewonnenen Zeit und den Freiheiten umzugehen.
Andere Modelle
Wie bereits erwähnt, gibt es eine Vielzahl von Modellen, die als Grundeinkommen bezeichnet oder mit dem Begriff in Verbindung gebracht werden. Hier sei nur eins erwähnt, das relativ bekannt ist: das "Solidarische Bürgergeld".
Ganz kurz gesagt ist das Kernelement ein bedingungsloses Grundeinkommen von 600 Euro. Hinzu kommen 200 Euro für Gesundheitsleistungen. Je mehr ein Mensch verdient, desto mehr schrumpft sein Bürgergeld. Personen, die sich in Notlagen befinden, können einen Zuschlag beantragen.
Andere Ansätze
Eine anderer Reformansatz sind individuelle Erwerbskonten. Sie würden jedem Menschen Ansprüche auf staatliche Leistungen geben, die dieser dann nach eigenen Präferenzen für bestimmte Zwecke nutzen kann.
In Frankreich und Großbritannien gibt es solch ein Modell bereits, um Weiterbildungen zu finanzieren. In den Niederlanden, Belgien und Österreich gibt es solche Konten, um flexibel in den Ruhestand zu gehen. Es gibt auch Vorschläge, diese Konten für Familien- und Pflegezeit zu erweitern oder berufliche Umorientierung damit möglich zu machen.
Umverteilung
Viele Forschende unterstützen zudem den Ansatz, mehr umzuverteilen. Auch hier werden Steuerreformen in vielen Facetten diskutiert.
Der Ökonom Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin schlägt ein Modell vor, dass er Aktienmarktsozialismus nennt. Kurz gesagt wäre der Staat Haupteigentümer jedes börsennotierten Unternehmens. Die Dividenden würden als Transferzahlung an die Bürger fließen.
Transformation der Gesellschaft
Viele Forschende betonen zudem, dass es mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht getan sei.
Es geht auch um einen Gesellschaftswandel. Arbeit muss neu gedacht werden. Das ist auch relevant, um Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit zu begegnen.
In vielen Vorschlägen für eine "neue" Wirtschaftsordnung spielt es eine Rolle, dass Menschen Zeit haben, andere Tätigkeiten zu verrichten als Erwerbsarbeit. Unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Eigenarbeit oder Ehrenämter dürften nicht mehr als Privatvergnügen angesehen werden.
Autorin: Claudia Wiggenbröker
Quellenangaben zum Artikel:
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Artikel Überschrift:
Das ist wirklich eine ganz gute Darstellung der Diskussion. Zum Roboter-Argument möchte ich allerdings ergänzen, dass ich das für falsch halte. Richtig wäre: Wir brauchen das BGE, um darüber entscheiden zu können, was wir automatisieren und was nicht. Ich habe das hier weiter ausgeführt: Grundeinkommen, Automatisierung und das Märchen vom… Weiterlesen »
Erst in einer grenzenfreien Welt mit dem BGE, werden wir befreit, befriedet, zivilisiert, gebildet, glücklich, fröhlich und beschützt zusammenleben. Ich verstehe nicht diese Diskussionen, denn im tiefsten Inneren von uns allen, wissen wir, dass ein friedliches und befreites Zusammenleben, nur ohne Religionen und politische Parteien möglich ist. Mich persönlich macht… Weiterlesen »
gut aufgearbeitet! Leider sind wir in D nicht dazu in der Lage „Veränderung“ zu denken ganz zu Schweigen in die Umsetzung zu bringen. Ob BGE oder Bildungsreform (die im gleichen Atemzug zwingend umgesetzt werden muß) – man will es einfach nicht weil es einfach auch politisch nicht gewünscht ist. Die… Weiterlesen »
Hey, ähm richtig guter Artikel! Danke für eure Arbeit!
Danke. Freut uns, dass er dir gefällt.
Man könnte auch ein bedingungsloses Arbeitslosengeld einführen, um eine Konkurrenz zum Arbeitsmarkt zu schaffen. Arme Menschen haben keine Verhandlungsbasis gegenüber Arbeitgebern. Ein 50 Jähriger Facharbeiter kann sich entscheiden für einen Lohn zu arbeiten, der seiner Ausbildung nicht angemessen ist oder er bezieht Harz4 und geht in die Altersarmut fröhlich hinein.… Weiterlesen »
‚ Sehr gut