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Nachhaltiges Wirtschaften
Muss die Wirtschaft wirklich immer wachsen?
Klimawandel und Artensterben stellen uns vor gewaltige Probleme. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen: Wir müssen unsere Art zu wirtschaften ändern. Geht das überhaupt?
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Artikel Abschnitt: Darum geht's:
Darum geht's:
Unser Wirtschaftssystem basiert auf Wachstum.
Ein kleiner Ausflug in die Geschichte
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, genauer gesagt ins 17. Jahrhundert. Zu dieser Zeit spielte sich in England ein riesiger Fortschritt ab: Die Menschen schufen die Voraussetzungen dafür, ihre Felder effizienter zu bestellen. Der Ertrag wuchs, mehr Lebensmittel wurden erwirtschaftet. Diese sogenannte Agrarrevolution sorgte dafür, dass die breite Bevölkerung erstmals ein Grundbedürfnis befriedigen konnte: essen. Denn Hunger war zuvor weit verbreitet in der Bevölkerung. Die allermeisten Menschen waren arm. Im 18. Jahrhundert wurde aus dem Agrarstaat England dann die erste Industrienation. Der zentrale Grund dafür war der Einsatz von Technologie: Durch Maschinen konnten mehr Produkte günstiger hergestellt werden.
Innovationen spielen beim Wachstum eine große Rolle
Auch heute verändert Technologie unsere Lebensbedingungen. So wachsen beispielsweise unsere Gesundheit und Lebensdauer durch medizinische Innovationen. Innovationen machen unser Leben zudem bequemer. Beispielsweise, wenn wir vom Fahrrad aufs E-Bike umschwenken oder Pizza via App bestellen, statt selbst zu kochen. Klingt nicht nach dem riesigen Wurf, aber auch viele kleine Dinge sind Innovationen.
Viele Gründe für den hohen Stellenwert
"Es gibt fraglos nachvollziehbare Gründe für den hohen Stellenwert, den wir Wirtschaftswachstum beimessen", resümiert der Ökonom Johannes Hirata von der Hochschule Osnabrück. Je größer die Wirtschaftskraft einer Gesellschaft, desto leichter sei es, die Bedürfnisse all ihrer Mitglieder zu befriedigen. Die breite Bevölkerung der westlichen Welt muss sich also nicht um Hunger, Durst und Wohnungslosigkeit sorgen. Wir können unser Leben lang und angenehm gestalten. Wir können all unsere Bedürfnisse stillen – und mögen sie noch so belanglos sein. Ein Leben im Überfluss.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
Darum müssen wir drüber sprechen:
Unsere Ressourcen sind endlich. Ist das System also zukunftsfähig?
Begrenzte Ressourcen bei steigendem Konsum
Die Weltbevölkerung steigt, immer mehr Bedürfnisse sollen befriedigt werden. Unser Wirtschaftssystem ist noch dazu auf Konsum und permanentes Wachstum ausgerichtet.
Aber: Unsere Ressourcen sind begrenzt. "Prinzipiell kann auf einem Planeten endlicher Größe nichts unendlich groß werden, auch die Wirtschaft nicht", stellt der Ökonom Andreas Irmen fest. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen geben ihm recht: Wachstum und schrumpfende Ressourcen gehen nicht mehr zusammen.
Gewaltige Herausforderungen
Das Mehr an materiellen Freiheiten wird erkauft, sagt Volkswirt Niko Peach von der Uni Siegen – "mit einem Verlust an nutzbaren Ressourcen und einer Zunahme von ökologischen Schäden."
Es gibt neben der Zerstörung der Umwelt und der Erderwärmung, die beide die Lebensgrundlage des Menschen gefährden, allerdings noch weitere Kritikpunkte an unserem System.
Eignet sich Wachstum als Wohlstandsbarometer?
Viele Wissenschaftler:innen zweifeln daran, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Gradmesser unseres Wohlstands überhaupt geeignet ist. Denn viele Dinge, die gut für unsere Lebensbedingungen sind, werden darin nicht berücksichtigt – beispielsweise ehrenamtliche Tätigkeiten oder Hausarbeit. Gleichzeitig wird vieles erfasst, das nicht zu unserem Wohl beiträgt. Beispielsweise die Leistungen, die nötig sind, um Umweltverwüstungen zu reparieren.
Nehmen wir mal an, ein Gelände wurde durch einen Unfall mit Öl verseucht. Nun rückt ein Unternehmen an, um den Standort zu reinigen. Dann geht der Wert dieser Dienstleistung in das BIP ein. Nur: Verglichen mit dem Zustand vor dem Unfall ist ja nichts besser geworden.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die natürlichen Ressourcen, die wir verbrauchen, werden nicht berücksichtigt. Wenn wir beispielsweise Bodenschätze nutzen, verprassen wir unwiederbringlich unser Vermögen. Diese Schätze sind für künftige Generationen verloren. Das BIP berücksichtigt diesen Aspekt aber nicht.
Was ist Wohlstand?
Und noch eine weitere Frage stellt sich: Was bedeutet Wohlstand für uns? Das muss klar sein, bevor entschieden werden kann, ob es Wirtschaftswachstum dafür braucht. In manchen der zahlreichen Definitionen geht es "nur" um die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Andere gehen aber darüber hinaus: Diese Definitionen besagen zum Beispiel, dass eine "funktionierende" Gesellschaft mit zum Wohlstand gehört. Das sieht auch Ökonom Tim Jackson so: "Wohlstand in jeder sinnvollen Verwendung des Wortes handelt von der Qualität unseres Lebens und unserer Beziehungen, von der Belastbarkeit unserer Gemeinschaften und von unserem Gefühl einer persönlichen und gemeinsamen Bestimmung."
Steigende Ungleichheiten
An der Belastbarkeit unserer Gesellschaft müssen wir aber anscheinend noch arbeiten: Soziale Ungleichheiten haben sich in vielen Ländern in den vergangenen Jahren trotz Wachstums deutlich verstärkt. Damit steigt auch die Tendenz, sich politisch zu radikalisieren, betont Klaus Dörre, Professor für Industriesoziologie in Jena. Die Ungleichheiten werden also zur Gefahr für unser politisches System, die Demokratie.
Von Blasen und Krisen
Unser Wirtschaftssystem steht nicht nur auf wackeligen Beinen, weil diese Beine endliche Ressourcen sind. Es ist auch instabil, weil es immer wieder zu Blasen kommt – die schlussendlich auch zur Krise führen können. Das Wesen von Blasen ist, dass viel Geld in Dinge investiert wird, bei denen die Substanz nicht stimmt. Das lässt sich an der Dotcom-Blase Ende der 90er veranschaulichen.
Dotcom-Blase (ganz grob)
Zu diesem Zeitpunkt herrschte an den Aktienmärkten richtige Goldgräberstimmung: Das Internet etablierte sich, es gab viele technologische Innovationen. Und es gab Unternehmen, die sich mit diesen Zukunftsthemen beschäftigten. Um ihre Produkte zahlreich vertreiben zu können, brauchten die Betriebe Geld. Sie suchten Investoren und gingen deshalb an die Börse.
Hohe Erwartungen
Dort waren sie begehrt: Die Investoren wollten an dem neuen, heißen Kram mitverdienen. Hinzu kam, dass Aktien zu dieser Zeit en vogue waren. So pumpten auch Privatleute ihr Erspartes in Wertpapiere. Viele waren auf dem Börsenparkett allerdings recht unerfahren und sprangen einfach auf wachsende Kurse auf, ohne sich richtig mit den Unternehmen zu beschäftigen, in die sie investierten. Es war ein Hype. Und die Anleger:innen rechneten – trotz Warnungen – damit, dass er nicht endet. Dass die Kurse immer weiter in die Höhe wachsen würden.
Wachsen, um die Erwartungen zu erfüllen
Um diese utopischen Erwartungen zu erfüllen, mussten die Unternehmen ständig Erfolgsmeldungen produzieren. Sie akquirierten mehr Kunden und Kundinnen. Dafür bauten sie Zweigstellen auf, vergrößerten sich, um mehr neue Abnehmende finden zu können. Und sie suchten Mitarbeiter:innen, um die Kunden und Kundinnen bedienen zu können. Fachleute waren allerdings rar. Und wer auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist, kann mehr Geld verlangen. Die Kosten für die Unternehmen waren hoch – und die Firmenstrukturen irgendwann unübersichtlich.
Viel Geld, wenig Substanz
Die Unternehmen waren überfordert. Ihre Größe war schlichtweg zu schnell gewachsen; ihre Struktur und Philosophie kamen gar nicht hinterher. Das führte ins Chaos. Kund:innen wurden unzufrieden und entzogen Aufträge. Die Aktionäre verkauften daraufhin panisch ihre Wertpapiere. Sie machten herbe Verluste, weil sie die Aktien überteuert gekauft hatten. Die Spekulationsblase war geplatzt. Und die Träume, Ersparnisse, Rentenpolster von vielen Aktionären ebenso.
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Aber:
Einfach so kann man nicht auf Wachstum verzichten.
Weil es nicht einfach ist. "Wir müssen wachsen – ob wir wollen oder nicht", sagt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. Seine Position: Es gibt einen Wachstumszwang.
Die Konkurrenz schläft nicht
In unserer Wirtschaftsordnung sind nur wenige Unternehmen außer Konkurrenz. Die meisten Betriebe stehen im Wettbewerb. Stellen wir uns vor, jemand hat eine tolle, innovative Geschäftsidee und gründet ein Start-up. Das Produkt kommt gut an. Noch kann das Start-up entspannt bleiben: Es ist außer Konkurrenz, weil niemand anderes dieses innovative Produkt herstellt. Wenn das kleine Unternehmen nun mit den ganzen Bestellungen nicht mehr hinterherkommt, kann es sich dazu entscheiden, zu wachsen. Es kann Maschinen kaufen und Mitarbeiter:innen einstellen, um das Produkt schneller liefern zu können. Es kann aber auch einfach sagen: Hey, für mein Produkt gibt es halt eine Wartezeit, liebe Kunden. Wenn ihr es kaufen wollt, müsst ihr euch damit abfinden – denn ich bin der Einzige, der das Ding herstellt. Das ändert sich aber, wenn ein Konkurrent auf den Plan tritt. Nun folgt die Frage: Wie kann das Start-up Kund:innen davon überzeugen, weiter bei ihm zu kaufen? Wie kann es sich gegen den Konkurrenten durchsetzen? Es gehören einige Faktoren dazu, um das zu schaffen. Konzentrieren wir uns auf zwei wichtige.
Billiger sein
Das Unternehmen kann die Konkurrenz ausstechen, indem es das Produkt billiger anbietet. Meist wird das erreicht, wenn in Masse produziert wird. Weil das Unternehmen dann beispielsweise bei seinen Lieferanten einen Mengenrabatt für Rohstoffe oder Teile durchsetzen kann. Zudem sind seine Maschinen ausgelastet, die Produktionsabläufe eingespielt. Doch die Konkurrenz wird dem Betrieb auf den Fersen bleiben.
Innovativer sein
Und dann kommt der Tag, an dem ein Mitbewerber ein innovatives und besseres Produkt auf den Markt bringt – und an dem Unternehmen vorbeizieht. Wenn sich der neue Primus nun einen größeren Vorsprung vor der Konkurrenz verschaffen will, wird er in (fast) jeder Hinsicht besser sein wollen als der Rest. So auch beim Preis. Damit er das Produkt günstig anbieten kann, muss er es zahlreich herstellen – und braucht dafür womöglich mehr Maschinen, mehr Mitarbeiter, mehr Platz. Er wird wachsen. Doch er weiß: Alle anderen Mitbewerber mischen weiter mit; wachsen weiter mit. Sie werden versuchen, das nächste heiße Ding preiswert auf den Markt zu bringen.
Innovation durch Wettbewerb
Durch den Wettbewerb werden die Unternehmen dazu angetrieben, Innovationen zu schaffen. „Wer stillsteht, wird verdrängt“, konstatiert der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. „Weil alle anderen ständig versuchen, mit Neuerungen und Innovationen besser zu werden, um ihre eigenen Gewinne zu maximieren.“ Das tun sie einerseits, weil Gewinne zu den Erwartungen gehören, die an erfolgreiche Unternehmen gestellt werden. Das tun sie andererseits, weil sie die Gewinne brauchen.
Ohne Gewinn keine Investition
Denn wenn sie neue oder bessere Produkte entwickeln möchten, schaffen sie das nicht aus dem Nichts. Sie müssen investieren – in Maschinen und kluge Köpfe. Das passiert allerdings nur, wenn sie sich einen Gewinn erhoffen. Den brauchen sie schon, um beispielsweise Maschinen zu finanzieren.
- Wer für den Kauf einer Anlage einen Kredit aufnimmt, braucht Geld, um diesen zurückzuzahlen – und noch mehr, um die Zinsen zu bedienen.
- Wollen die Unternehmer:innen Geld von Aktionären einsammeln, müssen sie ebenfalls Gewinne erwirtschaften. Ansonsten werden sie an der Börse niemanden begeistern können.
- Wird eine Maschine aus dem eigenen Ersparten gekauft, muss man vorher die Gelegenheit haben, Geld zurückzulegen. Oder die Maschine muss finanziert werden, indem man auf andere Ausgaben verzichtet.
"Nur wenn die Produktion einen Gewinn verspricht, kann sie sich lohnen und findet überhaupt statt", resümiert der Soziologe Deutschmann. "Ohne Gewinnaussicht ist es besser, abzuwarten und das Geld einfach zu behalten." Würden Unternehmer:innen das tun, wäre das der Beginn einer Abwärtsspirale für sie und für andere Unternehmen.
Ohne Investition geht es in die Abwärtsspirale
Wenn Unternehmen nicht mehr investieren – beispielsweise in neue Maschinen – sinkt zunächst die Nachfrage danach. Die Unternehmen, die Maschinen bauen oder Teile dafür zuliefern, gehen über kurz oder lang pleite. Menschen verlieren ihren Job. Sie können kein Geld mehr verdienen – und kein Geld ausgeben. Die Nachfrage sinkt weiter. Die Folge: Noch mehr Unternehmen gehen über kurz oder lang pleite. Noch mehr Menschen verlieren ihren Job.
Corona: Sorge vor der Abwärtsspirale
"Um diese Abwärtsspirale zu vermeiden, müssen wir ein gewisses Wachstum aufrecht erhalten", sagt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. Das sieht man besonders in Krisenzeiten – beispielsweise jetzt. Wenn der Staat nicht mit Hilfskrediten und Kurzarbeit eingesprungen wäre, wären wir durch das Coronavirus in der Spirale, sagt der Ökonom.
Das wäre auch für den Staat ein Problem
Wenn Menschen ihre Arbeit verlieren, zahlen sie keine Steuern. Die Einnahmen des Staates sinken also. Gleichzeitig steigen seine Ausgaben – nämlich für Sozialleistungen, weil mehr Arbeitslose abgesichert werden müssen. Das wiederum führt in der Regel dazu, dass der Staat sich stärker verschulden muss. Bekommt er die Wirtschaft nicht in Gang, wird er im schlimmsten Fall seine Schulden nicht begleichen können. Der Staatsbankrott wäre die Folge. Der ist keine leere Worthülse, wie das Beispiel Argentinien zeigt. Das Land ist bereits achtmal bankrottgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig – dazu zählen eine schrumpfende Wirtschaft und eine hohe Inflation.
Gesellschaftliche Entwicklungen
Drohende Horrorszenarien sind allerdings nicht die einzigen Auswirkungen, die der Verzicht auf Wachstum und Innovation für ein Land hätten. Seine Gesellschaft müsste damit zurechtkommen, dass ihr finanzieller Wohlstand gegenüber anderen Nationen zurückfällt. Nehmen wir Deutschland als Beispiel: Viele hiesige Unternehmen sind auf technischen Gebieten erfolgreich und entwickeln neue Produkte. Würden sie das nicht mehr tun, wären sie gegenüber anderen Unternehmen in der Welt nicht mehr wettbewerbsfähig. Wenn ausländische Betriebe ihre Waren indes weiterhin verbessern, wäre die Technik aus Deutschland irgendwann veraltet – und würde gar nicht mehr gekauft. Unternehmen gingen pleite, Menschen würden arbeitslos. Ebenso müsste sich das Land damit abfinden, dass es in der Welt wohl künftig eine geringere Rolle spielen wird – schließlich ist man als Handelspartner ohne Innovation nicht mehr sonderlich interessant. Solche Entwicklungen ließen sich vermeiden, wenn die Welt gemeinsam die Entscheidung treffen würde, das Wirtschaftssystem umzubauen. Es ist für die Nationen allerdings nicht so leicht, an einem Strang zu ziehen.
Problem der Ungleichheiten
Ein weiteres Problem ist, dass wir eine globalisierte Wirtschaft haben. Ein Weniger an Wachstum in den Industrieländern könnte damit auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern für eine geringere Nachfrage sorgen – und so die Existenz von Menschen gefährden. Laut dem Anthropologen Jason Hickel gäbe es dennoch eine Option: "Wenn wir das globale BIP auf das derzeitige Niveau begrenzen würden, könnte die Armut nur durch Umverteilung beseitigt werden", sagt er. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Menschen auf solch eine Maßnahme einigen können?
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Und jetzt?
Es gibt einige Vorschläge für eine Postwachstumsökonomie
Abstriche machen
Wie also unseren lieb gewonnenen, steigenden Lebensstandard mit ökologischer Nachhaltigkeit zusammenbringen? "Es wäre nach Stand der Dinge falsch zu suggerieren, dass beide ohne irgendwelche Abstriche miteinander zu vereinbaren wären", sagt Ökonom Johannes Hirata. Es gibt einige Reformvorschläge und alternative Wirtschaftsmodelle mit Ideen, wie die Abstriche aussehen könnten. Sie rücken Nachhaltigkeit oder eine gerechtere Einkommensverteilung in den Fokus.
Den Übergang schaffen
Allerdings ist es schwierig, den Übergang in eine neue Wirtschaftsordnung zu schaffen. Man riskiert, dass Unternehmen pleitegehen und Menschen arbeitslos werden. Das Resultat könnte eine Wirtschaftskrise sein. Viele Ökonomen, die Alternativen vertreten, sind sich darüber bewusst, dass man nicht "mal eben" die Wirtschaftsweise wechseln kann. Sie wollen aber, dass das jetzige System nicht als alternativlos hingenommen wird.
Keine Diskussion
Bislang gibt es zum Thema Wirtschaftswachstum keine breite Debatte. So meint Christoph Brüssel, dass unser Wirtschaftssystem "unterstützt und politisch mehrheitlich gefördert wird". Manuel Rivera vom Institute for Advanced Sustainability Studies e. V. (IASS) und Franziska Zucher haben 2018 in einer Analyse festgestellt, dass Wirtschaftswachstum kaum kontrovers im Bundestag diskutiert wird. Wie also könnten Alternativen aussehen? Schauen wir uns – in aller Kürze – ein paar Ideen an.
Alternative Planwirtschaft
Die Planwirtschaft ist nach dem Fall der Mauer nicht ausgestorben – Nordkorea und Kuba haben nach wie vor ein solches System. Generell ist die Idee aber "stark in Misskredit geraten", wie der Ökonom Giacomo Corneo schreibt. Vor allem "aufgrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts". Im einstigen Ostblock entschied eine zentrale Planungskommission, welche Produkte hergestellt werden sollten. Sie bestimmte also das Warenangebot. Es ist allerdings nicht gerade easy, einzuschätzen, was die Menschen gerade brauchen und kaufen wollen. Fehlentscheidungen waren vorprogrammiert. Leute mussten viel Zeit in Warteschlangen verbringen oder ganz auf bestimmte Waren verzichten. Der Ökonom Friedrich August von Hayek meinte bereits in den 1940er-Jahren, dass ein Wirtschaftssystem zu komplex ist, als dass eine Kommission passende Entscheidungen treffen kann. Heutzutage wäre die Planung mithilfe von Big Data und künstlicher Intelligenz vermutlich leichter – könnte aber gleichzeitig größere Risiken für den Datenschutz hervorbringen. Und den verstorbenen von Hayek würde die Planwirtschaft mit Daten wohl immer noch nicht überzeugen. Denn staatliche Eingriffe in die Ökonomie, selbst wenn sie in bester Absicht geschehen, führen laut ihm geradewegs in die Diktatur. Er sah das Problem, dass einige wenige für viele Individuen Entscheidungen treffen. Das schränkt persönliche Freiheiten ein. Und es besteht die große Gefahr, dass diese Macht missbraucht wird. "Wirtschaftliches Kommando (…) ist die Herrschaft über die Mittel für alle unsere Ziele", so der Wirtschaftsnobelpreisträger. Auch Giacomo Corneo hat Zweifel daran, dass eine Planwirtschaft umzusetzen ist. Unter anderem, weil Unternehmergeist als "Motor der Innovationstätigkeit" fehlt. Wo bliebe also der Fortschritt?
Alternative Ökonomie mit Genügsamkeit und Selbstversorgung
Der Ökonom Niko Peach geht davon aus, dass wir weniger produzieren und weniger verbrauchen müssen. Einige konkrete Vorschläge, die er vertritt: Die Arbeitszeit würde auf 20 Stunden pro Woche begrenzt, damit die Menschen mehr Zeit für Selbstversorgung haben. Dann können sie Gegenstände reparieren und pflegen oder in Gemeinschaftsgärten Lebensmittel anbauen. Die gemeinschaftliche Nutzung von Dingen könnte über Tauschringe oder spezielle Einrichtungen organisiert werden. Eine Industrie gäbe es immer noch. Deren Neuproduktion würde sich aber darauf beschränken, einen konstanten Anteil von Gütern zu ersetzen – nämlich die, die man nicht mehr erhalten kann.
Alternative Collaborative Commons
US-Ökonom Jeremy Rifkin geht davon aus, dass wir nicht mehr so viel Wert darauf legen, dass uns Dinge gehören. Sie zu besitzen und zu nutzen, würde uns reichen – das macht er unter anderem an Modellen wie Carsharing fest. Über das Internet ließe sich die gemeinschaftliche Nutzung dann organisieren. Auch der Energiesektor spielt für Rifkin eine Rolle: Bürger:innen bekämen einen Zuschuss, wenn sie ihre Häuser zu kleinen Kraftwerken umrüsten. Für die Produktion sieht er ebenfalls Veränderungen – vor allem durch 3-D-Druck. Jeder werde die Dinge, die er braucht, selbst herstellen. Die Basis dafür schaffen Open-Source-Software und Netzwerke, in denen Wissen weitergegeben wird. Mit der Technik ließen sich Ressourcen schonen, weil jeder nur so viel Material verwenden würde, wie er tatsächlich benötigt.
Alternative Aktienmarktsozialismus
Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin schlägt ein Modell vor, dass er Aktienmarktsozialismus nennt. Hier geht es um gerechtere Einkommensverteilung. Der Staat wäre Haupteigentümer jedes börsennotierten Unternehmens. Vertreten würde er aber nicht von Politikern, sondern von einem gemeinwohlorientierten Expertengremium. Das nennt Corneo Bundesaktionär. Er soll unabhängig agieren. Das Ziel wäre weiterhin, dass Betriebe Gewinne erwirtschaften. Die Dividenden, die der Bundesaktionär dadurch bekommt, würden als Transferzahlung an die Bürger und Bürgerinnen fließen.
Regionale Organisation
In vielen Vorschlägen spielt es eine Rolle, dass sich Menschen lokal organisieren. Das kann über Netzwerke geschehen, in denen man Güter tauscht oder verleiht. Das kann aber auch über Genossenschaften passieren: Menschen engagieren sich, indem sie Angebote betreiben, die dem Gemeinwohl dienen – beispielsweise Bürgerschwimmbäder oder Dorfladengenossenschaften. Die sind nicht gewinnorientiert. Derzeit müssen Genossenschaften dennoch Erträge erwirtschaften, um sich in der Marktwirtschaft zu behaupten.
Konsum und Emissionen bepreisen
Es wird ebenfalls darüber diskutiert, wie man die Gesellschaft vom Konsum wegbekommt. Ökonom Tim Jackson fordert zum Beispiel, dass der Staat den öffentlichen Raum von Werbung befreien soll – damit die Menschen nicht das Gefühl haben, sich regelmäßig Statussymbole wie das neueste Auto zulegen zu müssen.
Eine weitere Idee wäre eine Konsumsteuer: Je luxuriöser ein Gut, desto höher fällt die Steuer aus. Oder eine Steuer für emissionsintensive Produkte. Ebenso werden Obergrenzen für Emissionen gefordert und deren Bepreisung. Ein anderer Gedanke ist, dass man vielleicht nicht aufs Wachsen verzichten kann – aber aufhören könnte, nach dem maximalen Wachstum zu streben.
Umdenken
Um Vorschläge – in welchem Umfang auch immer – umzusetzen, müsste aber erst einmal ein Umdenken stattfinden. Ökonom Johannes Hirata kritisiert, dass Wachstum bislang als "substanzielles Ziel" gesehen würde. "Kein Mensch hat ein Interesse an Wirtschaftswachstum oder Nullwachstum an sich", bemängelt er. "Sondern entweder an einem Job, an einem angemessenen Konsumniveau, an der Bewahrung von Lebenschancen für künftige Generationen oder an anderen substanziellen Zielen."
Autorin: Claudia Wiggenbröker
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Was ist so schlimm an vermögenden Menschen? Wenn sich durch deren Handeln das Leben vieler anderer verbessert, ist das doch wunderbar. Kreative Unternehmer, die von ihrem Einsatz persönlich profitieren, sichern nämlich unseren Wohlstand viel eher als Politiker oder Beamte, deren Gedanken nur darum kreisen, den sog. Reichen etwas wegnehmen zu… Weiterlesen »
Da kann man dann auch nochmal unterscheiden. Kreative und hilfsbereite Köpfe haben das Geld mehr verdient als unsere Fußballer, die zig Millionen verdienen um einen Ball hin und her zu kicken.
Können Sie bitte noch einmal genau sagen, wie im realen Sozialismus geplant wurde. Was stand denn inn den 5 Jahresplänen und wie wurden sie aufgestellt?
Das wird hier gut erklärt: https://www.adenauercampus.de/ddrtutorium/wirtschaft/fuenfjahresplan
… guter Überblick… allein, es wird nicht klar, was man wirtschaftssystematisch nun eigentlich realistischerweise anders machen könnte…ich sehe unsere soziale Marktwirtschaft eigentlich recht gut in der Balance, dass der Markt das effizienteste Regulationssystem für Wirtschaften ist und so gut möglich mit staatlichen (sozialen) Rahmenbedingungen reguliert wird … dabei scheint mir… Weiterlesen »
Das Problem ist (in den Industienationen) was als Mangel erscheint. Die durch Grosskonzern Marketing gezüchtete Konsum und Wegwerfgesellschaft vernichtet unnötig endliche Ressourcen. Und das ist nicht nachhaltig. Meine Hoffnung ist, das KI zu einer effizienteren Resourcenverteilung beitragen wird. Aber dann müsste auch die Politik global mitziehen…