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Geburt
Darum ist die Rückenlage die ungünstigste Position
Die meisten Frauen gebären auf dem Rücken. Anatomisch gesehen ist das sowohl für die Mutter als auch das Baby die schlechteste Position.
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Die Rückenlage ist beliebt
"Dieses Bild kennen wir aus Filmen und Büchern. Viele glauben daher, dass die Frau bei der Geburt ins Bett gehört", sagt Elke Mattern, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Außerdem sei das Bett in den meisten Entbindungsräumen sehr zentral platziert, so die Hebamme und Forscherin. Das suggeriere, dass das der richtige Platz für die Frau sei.
Mattern vermutet, dass das die Hauptgründe dafür sind, dass noch immer so viele Frauen in Rückenlage ihr Kind gebären. In Deutschland sind es knapp drei Viertel der werdenden Mütter. Auch viele Hebammen und Geburtshelfer favorisieren die Rückenlage, weil sie die Schwangeren so besser untersuchen und den Geburtsverlauf kontrollieren können.
Artikel Abschnitt: Darum müssen wir drüber sprechen:
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Die Position bringt Nachteile für Mutter und Kind
- Belastung der Gefäße: "Das Gewicht des Babys, der Plazenta und des Fruchtwassers lastet auf den Gefäßen der Mutter", sagt Prof. Frank Louwen, Leiter des Funktionsbereichs Geburtshilfe und Pränatalmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt. Insgesamt sind es im Durchschnitt fünf Kilogramm, die die sogenannte Vena cava, die große Hohlvene, abdrücken. Die Folge: Es fließt nicht mehr ausreichend Blut zurück zum Herzen und sowohl die Mutter als auch das Kind sind schlechter mit Sauerstoff versorgt. Die Herztöne des Babys können sich daraufhin verschlechtern. Mediziner nennen dieses Phänomen Vena-cava-Kompressionssyndrom.
- Einstellung des Köpfchens: Um den Geburtskanal zu überwinden, muss das Baby verschiedene Drehungen vollbringen. Damit es in das mütterliche Becken passt, muss es das Köpfchen zunächst zur Seite drehen. Der kindliche Rücken zeigt dabei nach links oder rechts. Liegt die Schwangere jedoch auf dem Rücken, wird diese Einstellung erschwert. Es kann sein, dass der Kopf des Babys von der Seite nach hinten rutscht und das Baby ebenfalls auf dem Rücken liegt. "Die Wahrscheinlichkeit für einen Kaiserschnitt ist in diesem Fall höher", sagt Louwen.
- Beweglichkeit des Beckens: Das Becken besteht aus drei Knochen, die normalerweise fest verankert sind. Die Schwangerschaft lockert dieses Gefüge auf. "Die Beckenknochen werden fast so beweglich wie Gelenke", so Louwen. Legt sich die Frau auf den Rücken, fixiert sie das Becken jedoch wieder. Der Beckeneingang ist schmaler und der Weg für das Baby schwieriger.
- Effizienz der Wehen: Weil das Köpfchen in Rückenlage schlechter eingestellt ist und das Becken unbeweglich ist, drückt das Baby in der Eröffnungsphase nicht auf den Gebärmutterhals. "Die Wehen sind dadurch weniger wirksam und die Geburt geht langsamer voran", sagt Hebammenwissenschaftlerin Mattern. Und: Je länger die Geburt dauert, desto mehr Wehen muss die Frau ertragen. Mit der Zeit werden diese schwächer und unregelmäßiger. Mediziner Louwen erklärt den Zusammenhang gerne mit einer Zwei-Kilogramm-Hantel. Wer anfängt, die leichte Hantel mit dem Unterarm zu heben und senken, merkt erst einmal gar nichts. Je öfter die Person die Bizepsübung wiederholt, desto schwerer erscheint das Gewicht. Mit der Zeit kann sie die Übung nicht mehr richtig ausführen. Der Unterarm wird schwächer und langsamer. "Ähnlich verhält es sich mit den Wehen", sagt Louwen. Das Risiko für einen Geburtsstillstand steigt. Geburtshelfer müssen bei einer Rückenlage häufiger Saugglocke oder Geburtszange einsetzen.
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Aufrechte Positionen sind nicht alle gleich gut
Andere Studien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. 2017 erschien eine Übersichtsarbeit von Cochrane, einem weltweiten, unabhängigen Netzwerk aus Ärzten und Wissenschaftlern. Dieses sogenannte Review zeigte einerseits, dass sich die Geburt bei aufrechten Positionen etwas verkürzt und Geburtshelfer weniger Dammschnitte gesetzt haben. Andererseits kam das Review zu dem Ergebnis, dass Frauen in aufrechten Gebärhaltungen ein erhöhtes Risiko für Blutverlust haben und ein erhöhtes Risiko für Dammrisse bestehen könnte. Ist die Rückenlage also doch besser?
"Nein, das lässt sich daraus nicht schlussfolgern", sagt Mattern. Die höhere Zahl an Dammrissen entstehe schlichtweg dadurch, dass Geburtshelfer bei aufrechten Haltungen nicht an den Damm herankommen und keinen Schnitt setzen können. Außerdem seien Dammrisse bis zweiten Grades nicht gefährlich und heilen gut aus. Problematisch seien erst Dammrisse dritten und vierten Grades, die bei aufrechten Haltungen aber nicht häufiger vorkommen. Auch ein Blutverlust habe häufig keinen Krankheitswert. "Den meisten Frauen geht es nach der Geburt gut", so Mattern.
Die Ergebnisse seien auch aus dem Grund nur bedingt aussagekräftig, weil es bei Metaanalysen wie dem Cochrane-Review zu verschiedenen Fehlern kommen kann. Zum Beispiel fassen die betrachteten Studien liegende und aufrechte Gebärpositionen unterschiedlich zusammen. Die Seitenlage wird manchmal zu den liegenden und manchmal zu den aufrechten Haltungen gezählt. Der Vierfüßlerstand gilt in manchen Arbeiten nicht als aufrechte, sondern als waagerechte, also liegende Position. "Die Ergebnisse der einzelnen Studien sind daher schwer vergleichbar", sagt Mattern. Auch die Cochrane-Autorinnen und -Autoren bescheinigen den Ergebnissen des Reviews nur eine niedrige bis moderate Evidenz.
Es gilt: je beweglicher das Becken, desto besser
In einer wissenschaftlichen Studie sollten die Teilnehmer zudem randomisiert, also zufällig in eine Gruppe eingeteilt werden, und verblindet sein, also nicht wissen, in welcher der beiden Gruppen sie sich befinden. Beides ist beim Thema Gebärpositionen kaum möglich, da die Frauen sich entweder individuell für eine Position entscheiden oder wissen, in welche Gruppe sie eingeteilt wurden. "Daher gibt es noch keine groß angelegte, gut gemachte Vergleichsstudie", so Mattern.
Eine chinesische Studie von 2019 versuchte dieses Problem zumindest teilweise zu lösen. Die Autoren unterscheiden nicht nur zwischen liegend und aufrecht, sondern zwischen den einzelnen möglichen Positionen. Das Ergebnis: Die liegende Position und die Steinschnittlage (liegend mit angewinkelten, hochgelagerten Beinen) sollten Frauen vermeiden, da die Geburt im Schnitt länger dauert, zu mehr Schmerzen führt und sich die Herztöne des Babys verschlechtern können. Die sitzende Position auf einem Gebärhocker und die hockende Position sind besser, aber auch nicht optimal, da es hier zu höherem Blutverlust und vermehrten Dammrissen kommt. Die knienden Positionen schneiden hingegen gut ab.
Diese Ergebnisse ergeben auch aus anatomischer Sicht Sinn, sagt Gynäkologe Louwen. Die sitzende und hockende Position seien zwar günstiger als die Rückenlage, da die Gefäße der Frau dabei nicht abgedrückt werden. "Diese Positionen fixieren aber wieder das Becken und schmälern den Geburtskanal", so Louwen.
Bei den aufrechten Positionen gilt daher: Je beweglicher das Becken, desto besser. Mediziner empfehlen aus diesem Grund häufig die kniende Position. Die Knie befinden sich dabei auf dem Boden beziehungsweise auf einer weichen Unterlage. Die Frau kann die Position variieren – je nachdem, wie sie sich gerade am wohlsten fühlt. Sie kann die Hände etwa wie bei einem Vierfüßlerstand auf der Unterlage abstützen, den Po nach hinten auf die Fersen legen, oder sie richtet den Oberkörper etwas auf und hält sich an einem Gegenstand wie einer Bank, einem von der Decke hängenden Tuch oder an ihrem Partner fest.
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Und jetzt?
Frauen sollten die Position frei wählen
Trotzdem gilt: Das Wohlbefinden der Frau hat einen großen Einfluss auf die Geburt. Die Schwangeren sollten zwar darin bekräftigt werden, aufzustehen, sie sollten jedoch nicht das Gefühl bekommen, dass sie für eine gute Geburt eine aufrechte Position wählen müssen. In einigen Fällen kann es sogar sinnvoll sein, sich hinzulegen – etwa, wenn der Frau aufgrund von hohem Blutdruck schwindelig ist oder wenn die Periduralanästhesie (PDA), die Ärzte zur Schmerzlinderung einsetzen, zu hoch dosiert ist und sich die Beine taub anfühlen und nachgeben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die deutsche Leitlinie empfehlen daher, dass die Geburtshelfer die werdenden Mütter bei der Position unterstützen sollten, in der sie sich intuitiv am wohlsten fühlen. Das kann auch die Rückenlage sein.
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In der Einleitung wird die Geburt eines Kindes in RL beschrieben. Ich gehe also von der aktiven AP aus in welcher häufig die RL in den Kliniken favorisiert wird. Herr Louwen gibt als Begründung gegen die RL an, dass das Köpfchen sich nicht so gut in den BE einstellen kann… Weiterlesen »
Gibt es auch Untersuchungen zu „Spätfolgen“ der aufrechten Position, wie Harninkontinenz bei der Mutter? Was für Auswirkungen gibt es auf den Beckenboden?
Ich kann von zwei Geburten selbst berichten, dass die selbstbestimmt nicht auf dem Rücken weniger Verletzungen hatte und ich nach 2 Tagen gut zu Hause mich bewegen konnte. Bei der anderen 6 Wochen liegend wegen Verletzungen
*Cochrane