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Besser schlafen
Was bringen Melatonin-Produkte zum Einschlafen?
Melatonin wird häufig als Einschlafhilfe angepriesen. Doch helfen die Sprays, Säfte oder Kapseln wirklich?
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Melatonin wird vielerorts als Einschlafhilfe beworben
Dass sich mancher Schlaflose wohl von dem vermeintlichen Wundermittel Hilfe verspricht, zeigen auch die Suchanfragen bei Google: Sie erreichen seit 2020 immer wieder neue Peaks.
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein Hormon, das der Körper hauptsächlich in der Zirbeldrüse, einem Teil des Zwischenhirns, bildet – und zwar dann, wenn es dunkel wird. Dann steigt die Produktion langsam an, unsere Körpertemperatur sinkt, wir werden müde.
Zwischen zwei und vier Uhr nachts schüttet der Körper am meisten von diesem Hormon aus, danach fällt der Spiegel wieder ab. Licht hemmt die Synthese des Hormons. Melatonin reguliert also unseren Schlaf-Wach-Rhythmus und beeinflusst unsere innere Uhr. So kam die Idee auf, dass künstlich zugeführtes Melatonin uns besser schlafen lässt.
Allerdings wird eingenommenes Melatonin in der Leber schnell abgebaut, nur relativ wenig davon gelangt ins Blut. Bei älteren Menschen kann dies anders sein, da die Funktion der Leber nachlässt. Aber auch hier gilt: Individuell ist dies unterschiedlich.
Zudem wissenswert: Ein zu niedriger Melatoninspiegel kann Schlafstörungen verursachen, muss es aber nicht.
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Anders als die Werbung verspricht, sind die Effekte gering
Laut “Stiftung Warentest“, die ebenfalls Studien ausgewertet hat, ist eine um 20 Minuten verkürzte Einschlafzeit das Maximum. “Ob das für die Schlafsuchenden wirklich eine entscheidende Verbesserung ist, beurteilen diese selbst sehr unterschiedlich“, schreiben die Tester. Philip Gehrman, Schlafforscher an der University of Pennsylvania, bezeichnet Melatonin daher gegenüber dem Onlinenachrichtenportal “Vox“ als “lausige Schlaftablette“.
In vielen Fällen passiert nichts
Eine Einschätzung, die Prof. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Berliner Charité, teilt. “Unter den Stoffen, die schlaffördernd wirken, ist Melatonin ein ganz schwaches Mittel“, sagt er. Wer einen normalen abendlichen Melatoninspiegel habe, profitiere überhaupt nicht von einer zusätzlichen Gabe des Hormons.
“Nimmt ein jüngerer Mensch Melatonintabletten, -saft oder -spray ein, passiert in 90 Prozent der Fälle gar nichts“, so Fietze. “Das Geld dafür können sie sich schlicht sparen.“ Auch in der Leitlinie, einer Art Behandlungsempfehlung für Ärzte, wird Melatonin bei Schlafstörungen aufgrund seiner geringen Wirksamkeit nicht generell empfohlen.
Eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2023 hat bestehende Fachliteratur über mögliche schlaffördernde Eigenschaften von (extern zugeführtem) Melatonin untersucht. Diese Arbeit sieht zumindest Hinweise darauf, dass Melatonin den Schlaf-Wach-Rhythmus vorverlegen könnte. Eine wichtige Rolle, so heißt es in der Studie, spiele dafür der Zeitpunkt der Verabreichung, der „rechtzeitig“ sein müsse.
Melatonin bei Älteren eher sinnvoll
Das Hormon zumindest auszuprobieren, ergebe hingegen bei Älteren Sinn, bei denen der abendliche Spiegel altersbedingt sinken kann, sagt Fietze. In Deutschland sind verschreibungspflichtige Melatonin-Tabletten (die zwei Milligramm Melatonin enthalten) daher für die kurzzeitige Therapie der Schlafstörung von Patientinnen und Patienten zugelassen, die älter als 55 Jahre sind. “Und da gehören sie auch hin“, sagt der Schlafmediziner.
Wer Melatonin ausprobiert, sollte das Hormon etwa eine Stunde vor dem Schlafengehen einnehmen, rät er. Ein anderes verschreibungspflichtiges Präparat ist in Deutschland seit 2018 für die Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Syndrom zugelassen.
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Entdeckung von Melatonin
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Allerdings sind die Studien oft sehr klein, die Dosis unterscheidet sich genauso wie der Zeitpunkt, zu dem die Probanden das Mittel einnahmen. Die Ergebnisse sind daher nicht sehr verlässlich. Ein Problem, das viele Studien zu Melatonin haben.
Auch bei Schichtarbeit kann Melatonin möglicherweise hilfreich sein, den Schlaf-wach-Rhythmus anzupassen. Auf das Durchschlafen wirkt sich das Hormon aber wohl nicht aus.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
“Die häufigste Nebenwirkung ist, dass Melatonin nicht wirkt“, sagt Fietze. In der Praxis beobachtet er kaum gravierende Nebenwirkungen – “zumindest nicht, wenn es in geringen Dosen verordnet wird“.
Den Medikamententestern von “Stiftung Warentest“ zufolge kann das Mittel zu Bauchschmerzen, Sodbrennen oder Mundtrockenheit führen. Auch eine Gewichtszunahme ist möglich. Schwindel und Stimmungsschwankungen, die auftreten können, sollten ärztlich beobachtet werden.
Melatonin nicht für alle zu empfehlen
Den Blutdruck kann Melatonin ebenfalls erhöhen, was bei Menschen mit Herzerkrankungen gefährlich werden kann. Rötet sich die Haut und juckt verstärkt, kann dies eine allergische Reaktion auf das Mittel sein. Im schlimmsten Fall kann es zu einem lebensbedrohlichen allergischen Schock kommen, bei dem sofort der Notarzt gerufen werden muss. Das medizinische Nachschlagewerk Pschyrembel zählt zu den häufigsten Nebenwirkungen Kopf- und Rückenschmerzen, einen entzündeten Nasen-Rachenraum oder Gelenkschmerzen.
Schwangere sollten Melatonin besser nicht einnehmen
Welche Nebenwirkungen die dauerhafte Hormoneinnahme hat, ist unklar. Studien gehen meist nur über einen Zeitraum von wenigen Monaten. Wer eine Autoimmunerkrankung hat, sollte Melatonin nicht einnehmen. Das gilt auch, wenn die Funktion von Leber oder Niere gestört ist.
Wichtig auch: Das Hormon wechselwirkt mit etlichen Medikamenten – dazu zählen etwa Fluvoxamin bei Depressionen oder Ciprofloxacin bei bakteriellen Infektionen. Alkohol verringert die Wirkung des Hormons.
Schwangere sollten auf die zusätzliche Gabe von Melatonin besser verzichten, da nicht bekannt ist, wie sich diese auf das ungeborene Kind auswirkt. Das gilt auch für Stillende, da das Hormon in die Muttermilch gelangen kann.
Streit um Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel
In Amerika ist Melatonin überall leicht als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Auch in Deutschland kommen immer mehr solcher Melatonin-Präparate auf den Markt, die als Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingestuft sind. Dabei wird darüber gestritten, ob das überhaupt zulässig ist.
Aufsichtsbehörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) und das Bundesinstitut Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betonen, dass es sich bei Melatonin um eine Substanz mit pharmakologischer Wirkung handelt – und diese daher auch wie ein Arzneimittel zugelassen werden sollte, in einem strengen Verfahren, in dem Hersteller die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Präparate nachweisen müssen. Das gelte auch bereits ab geringen Dosen von etwa 0,1 Milligramm.
Eigentlich verschreibungspflichtig
Laut Arzneimittelverschreibungsverordnung ist Melatonin eigentlich auch verschreibungspflichtig. Anbieter dürften also durchaus daran interessiert sein, dass ihre Präparate rechtlich weiterhin als Lebensmittel gelten. Denn diese lassen sich leichter in Verkehr bringen. Hersteller müssen lediglich garantieren, dass sie ein gesundheitlich unbedenkliches Produkt vertreiben. Kontrolliert wird das von den Überwachungsbehörden der Bundesländer, allerdings nicht systematisch, sondern etwa auf Verdacht.
Standards und Prüfungen würden nicht konsequent und einheitlich gehandhabt, schreibt die pharmakritische, verbrauchernahe Zeitschrift “Gute Pillen, Schlechte Pillen“. Hersteller nutzen Graubereiche und Schlupflöcher. Gerichte entscheiden mal so, mal so, Verfahren ziehen sich. Erforderlich seien einheitliche Regelungen bundesweit und in der EU, so “Gute Pillen, Schlechte Pillen“.
Geringe Mengen auch in Lebensmitteln
Als Argument dafür, dass Melatoninpräparate als Nahrungsergänzungsmittel gelten sollten, führen Hersteller an, dass Melatonin auch in Lebensmitteln natürlich vorkommt. Wie das BfR schreibt, ist das allerdings nur in sehr geringen Mengen der Fall. Um auf 0,1 Milligramm des Hormons zu gelangen, müsste man demnach eine Tonne Gurken oder 200 Kilogramm Bananen verzehren.
Zum Vergleich: Melatonin-Tabletten enthalten 2 Milligramm Melatonin, bei frei verkäuflichen Präparaten ist die Dosis unterschiedlich, liegt aber oft auch rund um diesen Wert. Präparate mit Melatoningehalten von 0,1 bis 2 Milligramm “erhöhen den Plasmaspiegel von Melatonin bereits in einem Maß, wie er durch das körpereigene Hormon als Spitzenspiegel in der Nacht erreicht wird“, schreibt das BfR.
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Geld sparen, anderes ausprobieren
Wichtig auch: Falls es hilft, das Hormon nicht länger als ein, zwei Monate nehmen. Melatonin-Präparate aus dem Netz zu bestellen, davon rät der Schlafmediziner ab. “Da weiß ich nicht, was drin ist, etwa auch an gesundheitsschädlichen Beistoffen“, sagt er.
Andere Methoden besser
Melatonin ist für ihn aber auch kein Mittel der ersten Wahl. Wer schlecht schläft, sollte sich ihm zufolge zuerst einmal darüber informieren, was guten Schlaf begünstigt: wenig Stress etwa, nicht zu spät essen, kein Alkohol und kein helles oder blaues Licht (Handy, Computer) vor dem Einschlafen.
Auch Einschlafrituale können helfen, in den Schlaf zu finden. “Autogenes Training, Atemübungen, Meditation oder schlicht ein Buch, das alles kann man ausprobieren“, sagt er.
Wem das nicht hilft, der kann zu Hopfen, Melisse oder Baldrian greifen. Immerhin sind das pflanzliche Mittel und keine Hormone. “Wer dann noch keine Nachtruhe findet, sollte schlichtweg einmal zum Arzt“, so Fietze.
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Also rein logisch: Was gibt es besseres als einen Hormonmangel mit einem Hormon auszugleichen? Siehe Insulin, Östrogen, Progesteron, Schilddrüsenhormon, Dopamin, Cortison etc.
Ich bin 63 Jahre alt und leide seit einigen Jahren an Schlafstörungen, Seit etwa 1 Jahr nehme ich regelmäßig Melatonin-Produkte (1-2 mg, kombiniert mit Baldrian, Melisse, Passionsblume, etc.) Ich schlafe mit Melatonin deutlich besser aber immer noch nicht gut. Die Wirkung betrachte ich als nachgewiesen. Melatonin ist bei aller Kritik… Weiterlesen »
Das BgVV wurde 2002 aufgelöst und in seinen Teilen in das BfR sowie das BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) integriert. Letzteres wird im Text überhaupt nicht erwähnt. Der Beitrag sollte dahingehend korrigiert werden.
„Wem das nicht hilft, der kann zu Hopfen, Melisse oder Baldrian greifen. Immerhin sind das pflanzliche Mittel und keine Hormone.“ Wurde die Empfehlung zur Einnahme der o.g. Produkte, deren Wirskamkeit ebenfalls eher schlecht belegt ist, tatsächlich dadurch begründet, dass sie pflanzlich sind und deshalb besser als Hormone seien?
Die Studien, die unter dem Artikel verlinkt sind, sprechen von verkürzter Einschlafzeit und längerer Gesamtschlafdauer, statt von Ausbleibender Wirkung und Nebenwirkungen.
Welche Studien hast du dir denn angeschaut? Die meisten der verlinkten Quellen kommen zu dem Schluss, dass weder die Wirksamkeit noch die Unbedenklichkeit der Substanz ausreichend wissenschaftlich belegt ist.