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Medizin
Krankenhäuser: Profit oder Patientenwohl?
Krankenhäuser müssen nicht nur Menschen helfen, sie sollen dabei auch wirtschaftlich sein. Wie funktioniert das – und ist unser System zukunftsfähig?
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Artikel Abschnitt: Wie sind Krankenhäuser in Deutschland finanziert?
Wie sind Krankenhäuser in Deutschland finanziert?
Die Betriebskosten der Krankenhäuser, also alle Ausgaben für die Behandlung von Patient:innen, werden von den Krankenkassen finanziert. Das sind bis zu 90 Prozent des Klinikbudgets. Wie viel dabei für welche Behandlung abgerechnet werden kann, ist durch sogenannte Fallpauschalen festgelegt.
Wie funktionieren Fallpauschalen?
Die Krankenkassen erstatten den Kliniken ihre Behandlungskosten seit 2004 nach dem DRG-System (Diagnosis Related Groups). Grundlage ist ein Katalog mit über 1.200 Fallpauschalen, die vorgeben, wie viel für welche Leistung abgerechnet werden kann. Jeder Behandlung wird dazu ein Faktor zugewiesen, der auf Kriterien wie medizinischem Aufwand, Material- und Personalkosten oder Liegezeit der Patient:innen basiert. Dieser Faktor wird am Ende mit dem sogenannten Landesbasis-Fallwert multipliziert – einem von Krankenhausgesellschaften und Krankenkassen jährlich ausgehandelten Basispreis.
Krankenhäuser bekommen also je nach Leistung unterschiedlich viel Geld von den Krankenkassen. Für eine Blinddarmentfernung gibt es circa 2350 Euro, eine Lebertransplantation bringt etwa 32.000 Euro.
Warum wurden Fallpauschalen eingeführt?
Eingeführt wurde das DRG-System, um die wirtschaftlichen Schwachstellen der zuvor gültigen Abrechnung nach Tagessätzen auszubessern. Bis 2004 erhielten die Krankenhäuser von den Kassen tagesgleiche Pflegesätze pro Patient:in. Je länger die Liegezeit, desto höher war demnach die Erstattungssumme. Dieses Finanzierungssystem geriet in die Kritik, da es den Kliniken keinen Anreiz bot, ihre Effizienz zu steigern.
Im Gegenteil, so der Vorwurf: Patient:innen blieben länger im Krankenhaus als nötig, um mehr Geld einzubringen. Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Verweildauer in allgemeinen Krankenhäusern mit der Umstellung der Finanzierung deutlich verringert: von 9,2 Tagen im Jahr 2000 auf 6,6 Tage in 2019.
Kritik am DRG-System
Schon seit der Einführung ist das Fallpauschalen-System umstritten. Kritiker:innen bemängeln, dass die Ökonomisierung der Krankenhäuser dazu führt, dass diese möglichst viele Fälle abrechnen möchten, vor allem die lukrativen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat beispielsweise gezeigt, dass mit einer höheren Vergütung von Knieoperationen diese entsprechend zunahmen.
Die Folge: eine Überversorgung mit zum Teil unnötigen Behandlungen auf der einen und eine Unterversorgung auf der anderen Seite, vor allem bei der Pflege. Denn für jede Pauschale ist eine maximale Aufenthaltsdauer vorgesehen – mit jedem zusätzlichen Tag rentiert sich der Fall weniger. Außerdem sind Krankheitsbilder oft so komplex, dass sie sich kaum durch die 1.200 Positionen adäquat abrechnen lassen. Finanzielle Verluste sind hier unvermeidlich.
Krankenhäuser stehen unter dem Druck, bei der Behandlung nicht mehr Kosten zu verursachen, als durch die Fallpauschalen erstattet werden. Oft muss darum an anderen Stellen gespart werden: Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass allein zwischen 2002 und 2006, also rund um die Einführung der Fallpauschalen, circa 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege an deutschen Akutkrankenhäusern wegfielen. Aktuell fehlen rund 100.000 Vollzeitstellen. Darüber hinaus feuerte das DRG-System die Privatisierungswelle der Kliniken weiter an.
Artikel Abschnitt: Ist die Privatisierung von Krankenhäusern ein Problem?
Ist die Privatisierung von Krankenhäusern ein Problem?
Der Anteil der Kliniken privater Trägerschaft hat in den letzten Jahren stetig zugenommen: von 21 Prozent in 1999 auf 38 Prozent in 2019. Die öffentlichen Krankenhäuser machen mit 28 Prozent zwar mittlerweile den geringsten Anteil aus, verfügen aber, auch durch große Unikliniken, über fast die Hälfte aller Betten. Während bei den öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern der erwirtschaftete Gewinn innerhalb des Gesundheitssystems bleibt, verdienen bei privaten Einrichtungen die Anteilseigner bis zu 15 Prozent Rendite.
Sagt die Trägerschaft etwas über die Qualität aus?
Jedes Krankenhaus in Deutschland steht unter finanziellem Druck. Alle Kosten müssen durch die Gelder des Landes und der Krankenkassen gedeckt werden. Private Träger müssen zusätzlich einen Gewinn einfahren – und deshalb besonders effektiv wirtschaften. Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie dies auch tun.
Dass sich die Effektivität negativ auf die Art und Qualität der Behandlung auswirkt, konnte nicht belegt werden – insgesamt sind vergleichende unabhängige Studien jedoch rar. Professor Michael Simon, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Gesundheitssystem und Gesundheitspolitik, sieht hier Forschungsbedarf und kritisiert mangelnde Transparenz seitens der privaten Träger.
Dr. Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender des Marburger-Bundes, sieht im Abbau von Klinikpersonal eine Gefahr für das Patientenwohl; das betreffe vor allem die Einrichtungen privater Träger. Die verbleibenden Angestellten müssten mehr Patient:innen versorgen, was zu mehr Stress und auch zu Behandlungsfehlern führen könne.
Bei vielen Menschen stößt die Privatisierung von Krankenhäusern auf Ablehnung: So sehen Kritiker:innen eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von Profit und Patientenwohl – und fürchten die Abhängigkeit der Gesundheitsversorgung von gewinnorientierten Privatunternehmen. Private Träger argumentieren hingegen, dass sie die Krankenhauslandschaft und damit die Versorgung der Menschen sicherstellen, indem sie öffentliche Kliniken übernehmen, die sich sonst nicht mehr halten könnten. Schließlich gibt es immer weniger Krankenhäuser.
Artikel Abschnitt: Gibt es noch genug Krankenhäuser in Deutschland?
Gibt es noch genug Krankenhäuser in Deutschland?
Weniger Krankenhäuser durchaus sinnvoll
Bekannt ist besonders eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2019, die "deutlich unter 600 Häuser“ als optimal berechnete. Zwar wurde diese niedrige Zahl hochemotional diskutiert und die Übertragbarkeit des Modells infrage gestellt, doch dass eine Reduktion der Häuser grundsätzlich sinnvoll wäre, darüber ist man sich weitgehend einig.
Das Problem der hohen Krankenhausquote: Um sämtliche Betten auch angemessen versorgen zu können, fehlt das medizinische Personal. Außerdem findet man in Großstädten eine Vielzahl von Kliniken, die man gemäß realen Anforderungen zusammenfassen und spezialisieren könnte. Denn nicht jede Klinik muss zum Beispiel das Einsetzen von Hüftgelenken anbieten, wenn es stattdessen ein Spezialzentrum in Reichweite gäbe, in dem dieser Eingriff regelmäßig praktiziert und perfektioniert wird.
Situation auf dem Land schwieriger
Auf dem Land gestaltet sich die Situation allerdings schwieriger: Menschen, die nicht mobil sind oder einen Notfall haben, bei dem jede Minute zählt, können kaum auf eine Klinik in unmittelbarer Nähe verzichten. Außerdem ist zu befürchten, dass mit der Reduktion der Kliniken auch die Privatisierung weiter zunimmt.
Artikel Abschnitt: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Krankenhaussystem?
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Krankenhaussystem?
Bereits seit Jahren gibt es Umsatzeinbußen, die sich mit der Pandemie noch verstärken. Der Anteil defizitärer Krankenhäuser stieg von 32 Prozent in 2019 auf 49 Prozent in 2020 – und man befürchtet auch für 2021 eine weitere Verschlechterung.
Befürworter:innen des aktuellen Krankenhaussystems sehen dennoch einen Erfolg: Durch die hohe Anzahl von Krankenhäusern konnten Corona-Fälle im internationalen Vergleich gut aufgefangen und versorgt werden. Schließlich ist die medizinische Versorgung die Kernaufgabe der Krankenhäuser, nicht das Einfahren von Profit.
Artikel Abschnitt: Brauchen wir einen Systemwechsel?
Brauchen wir einen Systemwechsel?
ausgegliedert, um gegen die Unterversorgung vorzugehen und neue Anreize für die Berufsgruppe zu schaffen. Kliniken können so ihren Bedarf an Pflegekräften selbst einschätzen und entsprechend abrechnen – etwa so wie vor der DRG-Zeit. Michael Simon hofft auf eine mögliche Trendwende, die zu einer kompletten Abschaffung der Fallpauschalen und zurück zu einem System führen könnte, das auf tatsächlichen Kosten für adäquate Behandlungen fußt. Dafür müsse aber das Qualitätsmanagement optimiert werden, um Effektivität und zeitgemäße Behandlungen zu belohnen.
Zu viel Geld für zu wenig Nutzen
Die OECD kritisiert, dass man in Deutschland einerseits 4.300 Euro pro Kopf für die Gesundheit ausgibt (so viel wie kein anderes EU-Land), die Anzahl der vermeidbaren Sterbefälle jedoch nur leicht unter dem EU-Durchschnitt liegt. Mit einer höheren Versorgungsqualität könnte man dem entgegenwirken. Auch eine bessere Kommunikation und Aufteilung zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen wäre sinnvoll – aktuell ist fast jede zweite Person, die in die Notaufnahme kommt, kein Notfall. Zudem müsste mehr in die Digitalisierung der Einrichtungen investiert werden, um die Krankheitsbilder der Patient:innen angemessen erfassen zu können.
Doch weniger Kliniken?
Das Bündeln von Infrastruktur, Material und Fachpersonal in weniger und dafür besser ausgestatteten Kliniken ist zwar sinnvoll – gleichzeitig muss der Zugriff darauf aber auch für alle gewährleistet sein.
Wenn sich der Trend der Klinikschließungen fortsetzt, müssen niedergelassene Ärzt:innen vermehrt mit Notfällen umgehen und entsprechend ausgestattet werden. Auch Notfallstationen und Portalkliniken, die Fälle kurzstationär behandeln, könnten hier unterstützen. Ein ausgebautes Netzwerk von Krankenwagen und Hubschraubern muss garantieren, dass Notfälle schnellstmöglich die richtige Therapie bekommen.
Finanzierung
Die Bundesländer sind für Investitionen der Krankenhäuser zuständig. Doch moderne Technik ist teuer – und bereits jetzt fehlen den Krankenhäusern rund drei Milliarden Euro, um ihren Bedarf zu decken. Um dies auszugleichen, bleibt auch den öffentlichen Krankenhäusern nichts anderes übrig, als durch Fallpauschalen einen Gewinn zu erzielen, der in die Klinikinvestition fließt. Zusammen mit der Intransparenz von gesetzlich und privat Versicherten, die laut OECD zu einer weiteren Trennung von Krankenhäusern und ambulanten Einrichtungen führt, ist die heutige Finanzierung des Gesundheitssystems ineffektiv und bedarf einer Reform.
Schon jetzt auf die Zukunft vorbereiten
Kranke Menschen sind im deutschen Gesundheitssystem gut aufgehoben. Doch der finanzielle Druck und die fehlende Bereitschaft der Länder, mehr zu investieren, führen bereits seit Jahren zum Bröckeln des Systems. Auch mit Blick auf den demografischen Wandel müssen schon heute die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dafür braucht es umfangreiche Investitionen (besonders in die Digitalisierung und Telemedizin), das Bündeln von Kräften des Personals und der Infrastruktur – und ein Abrechnungssystem, das den Menschen wieder in den Mittelpunkt setzt.
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Hier fehlt mir der Aspekt, dass durch die Privatisierung vor allem Bereiche geschlossen werden, die nicht lukrativ genug sind. Mit Hüft- und Knie-OPs kann man viel Geld verdienen. Hingegen sind Geburtsstationen, Kinderkliniken, Schmerzmedizin, etc. eher Verlustgeschäfte. Diese schließen schon jetzt gehäuft und werden es in Zukunft weiter tun. Weiterhin werden… Weiterlesen »
Auf die Frage „Gibt es noch genug Krankenhäuser in Deutschland?“ frage ich mich wiederum, was die Ziele und Aufgaben von Krankenhäusern eigentlich sind. Warum nimmt die Anzahl der Krankenhäuser seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, um circa 500 seit 1991? Was machen die etwa 1.900 Krankenhäuser, die es heute gibt, und warum kommen… Weiterlesen »
Wenn das bisherige Finanzierungssystem in die Kritik geriet, da es den Kliniken keinen Anreiz bot, ihre Effizienz zu steigern, warum wurden u. a. die Kliniken dann nicht zur Verbesserung und Modernisierung verpflichtet? Ich wünsche mir eindeutig mehr Mitverantwortung und weniger Eigenverantwortung und noch weniger Fremdverantwortung.
Warum werden die Gehälter so besch*seen bezahlt?
Danke für den wichtigen Artikel! Bittebitte mehr zum Thema Krankenhäuser mit ganz viel Fokus auf die, die auch irgendwie hinkommen müssen!