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Endemie
Wie es mit Corona weitergeht
Auf den Straßen ist es wieder voll und auch die Maske ist meist keine Pflicht mehr. Wird jetzt alles wieder normal?
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Nach der Pandemie kommt die Endemie
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Deshalb müssen wir drüber sprechen:
Die Endemie ist nicht harmlos
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Warum keine Herdenimmunität?
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Die Endemie bezeichnet grundsätzlich eine Art ausgeglichenen Zustand, bei dem in einer bestimmten Region regelmäßig ähnlich viele Krankheitsfälle auftreten. Das kann auf zwei Arten passieren: kontinuierlich (zum Beispiel HI-Virus) oder etwa periodisch (zum Beispiel Erkältungsvirus).
Wir leben mit vielen endemischen Viren zusammen
Endemisch ist allerdings nicht gleichbedeutend mit harmlos (siehe HIV). Daher braucht es Schutzvorkehrungen, auch im Fall des Coronavirus. Man könnte sich das Virus als eine Pistolenkugel vorstellen. Auch in der Endemie ist sie potenziell tödlich. Sobald die Menschheit aber eine kugelsichere Weste besitzt, werden tödliche Unfälle seltener. Dieser Schutz ist die Immunantwort nach Erstkontakt oder Impfung.
Wir leben mit sehr vielen endemischen Viren, darunter auch zahlreiche humane Coronaviren (HCoV) mit kryptischen Bezeichnungen wie 229E, OC43, NL63 oder HKU1. Sie begleiten uns schon seit langer Zeit, treten vor allem in den Wintermonaten auf und sind für bis zu 30 Prozent aller akuten Erkrankungen der Atemwege verantwortlich, die zusammen mit den Influenzaviren in der kalten Jahreszeit zu Grippe- und Erkältungswellen führen. Daran haben wir uns schlicht gewöhnt, weil es nie anders war.
Wir befinden uns im Übergangszustand
In diesen Normalzustand wird sich nun ein neues Coronavirus einreihen. Momentan sind wir noch in einem Übergangszustand von der Pandemie zur Endemie, durch Infektionswellen und Impfkampagnen. Die spannende Frage: Was erwartet uns, wenn SARS-CoV-2 letztlich endemisch ist?
Eine definitive Aussage kann es derzeit noch nicht geben, denn sowohl Verbreitung als auch der immunologische Zustand der Weltbevölkerung sind dynamisch. Die Bedingungen verändern sich mit der Zeit. Sie werden darüber entscheiden, ob SARS-CoV-2 zu einer typischen Grippe wird, zu einer Kinderkrankheit oder ob es unsere Gesundheitssysteme viel stärker vor Herausforderungen und Probleme stellt als andere Coronaviren.
Artikel Abschnitt: Aber:
Aber:
Eine Rechnung mit vielen Unbekannten
- Infektiosität des Erregers
- Mutationsrate
- Immunität in der Bevölkerung
Für die bisherigen Erkältungs- und Grippeviren geht man von einer Basisreproduktionszahl zwischen 1 und 2 aus. Das bedeutet, ein Infizierter steckt im Durchschnitt ein bis zwei weitere Personen an. Dieser Wert liegt beim Coronavirus deutlich höher. Bei der Alpha- und Delta-Variante gehen Forschende von sechs aus, die amerikanische Seuchenschutzbehörde sogar von bis zu neun.
Schon jetzt liegen manche Menschen jeden Winter einmal flach. Möglich ist das, weil es mehrere Viren gibt und diese ständig mutieren. So entgehen sie teilweise dem Immunsystem und infizieren den Menschen aufs Neue. Bisher geht man davon aus, dass Menschen etwa zwei Jahre vor derselben Variante geschützt sind.
Influenza mutiert am häufigsten
Die Mutationsrate der unterschiedlichen Viren zeigt aber, dass SARS-CoV-2 weniger schnell mutiert als etwa Influenza-Stämme. Die Immunität dürfte demnach länger anhalten. Eine Forschungsgruppe der Charité hat die unterschiedlichen Evolutionsgeschwindigkeiten pro Jahr analysiert, und zwar als Anzahl der Mutationen pro 10.000 Erbgut-Bausteinen:
- Influenza: 25 Mutationen
- Bisherige humane Coronaviren: 6 Mutationen
- SARS-CoV-2: 10 Mutationen
Hinzukommt, dass der sogenannte Selektionsdruck sich in den kommenden Monaten und Jahren entspannen sollte.
Derzeit gibt es die Situation, dass es ausreichend Menschen ohne Immunität gegen SARS-CoV-2 gibt und gleichzeitig einen großen und steigenden Anteil an Geimpften und Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben. Gerade diese Mischung führt dazu, dass sich solche Virusvarianten durchsetzen, deren Mutationen es erlauben, auch Geimpfte zu infizieren. Die Immun-Escape-Mutationen sind etwa bei der Beta-, Gamma-, Delta- und Lambda-Variante zu beobachten.
Wie gefährlich die neuen Varianten sind, haben wir hier zusammengefasst.
Die Mutationsrate könnte sich verlangsamen
Da es das Virus dennoch schwerer hat, Menschen mit bestehender Immunität zu infizieren, was demnach auch zu weniger Infektionen, Verbreitung und damit insgesamt zu weniger Viruspartikeln mitsamt Mutationswahrscheinlichkeit führt, dürfte die Geschwindigkeit der Veränderungen etwas abnehmen. In der Wissenschaft ist dann die Rede vom „antigenic drift„. Das meint eine eher langsame genetische Verschiebung im Erbgut. Das ist auch bei den saisonalen Grippe- und Erkältungsviren zu beobachten.
Auch die Immunität verläuft als Wellenbewegung
Auch die Immunität in der Bevölkerung ist nicht in Stein gemeißelt. Gerade der Immunschutz vor Ansteckung nimmt mit der Zeit ab. Zwei Gründe sind dafür besonders wichtig:
1. Verschiedene Typen von Antikörpern
Eine Infektion wird durch neutralisierende Antikörper verhindert. Das bezeichnet Antikörper, die Viruspartikel abfangen, ehe sie an die menschlichen Zellrezeptoren binden und die Zellen infizieren können. Da die zuerst befallenen Zellen in der menschlichen Schleimhaut sitzen, spielen insbesondere Antikörper vom Typ Immunglobulin A eine wichtige Rolle beim Infektionsschutz. So schnell sie nach einer Infektion oder Impfung ansteigen, so schnell sinken sie wieder ab.
Mit Antikörper sind in den meisten Diskussionen solche im Blut gemeint: Immunglobulin G. Sie bilden sich langsamer, sind dafür langlebiger und bieten auch Schutz vor (schwerer) Erkrankung, auch wenn sich der Mensch infiziert hat.
2. Der Wechsel von Erste-Hilfe in Einsatzbereitschaft
Statt die Unmengen von Antikörpern etwa im Blut aufrechtzuerhalten, wechselt der Körper in einen effizienteren Schutzmodus. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang des Immunsystems. Übrig bleiben vor allem spezialisierte B-Zellen und T-Zellen, auch Gedächtniszellen genannt. Sie können bei erneutem Viruskontakt reagieren.
Wie lange wir nach einer Infektion immun sind, erklären wir dir hier ausführlich.
Segen und Fluch der erneuten Infektionen
Entscheidend für die Auswirkungen des neuen Coronavirus wird sein, wie schnell die Immunität abnimmt. Die bisherigen Untersuchungen im Laufe der Impfkampagne zeigen, dass die schützenden Antikörper bei bestimmten Personen etwa sechs Monate nach der zweiten Dosis stark gesunken sind und gerade bei älteren, vorerkrankten oder immunsupprimierten Menschen nicht mehr so gut wie anfangs gegen eine Erkrankung schützen. Für sie kommt eine dritte Dosis infrage, die die Immunantwort wieder verstärkt. Vielleicht könnten die Corona-Impfungen auch grundsätzlich zu einem Dreidosisschema werden.
Ansonsten geht man bislang davon aus, dass der Schutz vor (schwerer) Erkrankung durchaus langfristig ist. Der positive Nebeneffekt: Ein erneuter Viruskontakt frischt die Immunantwort wieder auf. Schnupfen, Husten, Fieber für einen verlängerten Schutz und einen erneuerten Impfschutz vor einer Infektion. Auf der anderen Seite steht das Risiko, damit immer wieder auch Long Covid ausgesetzt zu sein.
SARS-CoV-2 als Virus unter vielen
Die künftigen „Grippewellen“ dürften ähnlich wie zuvor starken Schwankungen unterliegen ebenso wie die Infektionswellen mit den altbekannten Coronaviren. Mit SARS-CoV-2 kommt nun ein weiteres, ein zusätzliches Virus in die alljährliche Zirkulation. Dabei stehen die unterschiedlichen Viren in einer Art Wechselbeziehung. So existiert eine Kreuzreaktivität, die bedeutet, dass Immunantworten gegen ein Coronavirus auch einen gewissen Schutz vor anderen Coronaviren bieten.
Wie stark das Virus die Belastung des Gesundheitssystems beeinflusst, ist also gleichermaßen abhängig von der tatsächlichen Mutationsrate, dem Infektionsgeschehen sowie der Impfquote und dem Impfzeitpunkt. Bisher bieten die verfügbaren Covid-Impfstoffe einen deutlich größeren Schutz als die Grippe-Impfstoffe.
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Und jetzt?
Ein Vorgeschmack auf künftige Winter
Was sich ändert: Der Zeitraum wird sich ausschließlich auf die Wintermonate verlagern. Die Infektiosität von SARS-CoV-2 dürfte aber auf insgesamt höhere Infektionswellen hindeuten, als es bislang mit der Grippe gab. Die Folge: Eine größere Belastung des Gesundheitssystems, das sich damit mindestens für Jahre oder Jahrzehnte darauf einstellen müsste.
Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass das neue Coronavirus nicht nur die Atemwege befällt. Über Schäden an Gefäßen, Herz oder anderen Organen wie der Niere erhöht sich die Chance, dass geschwächte und vorerkrankte Menschen sterben. Auch höhere Todeszahlen in den kommenden Wintern sind damit denkbar – und damit regelmäßige Schutzimpfungen sinnvoll, um dem entgegenzuwirken.
Maßnahmen, Medikamente und Impfungen gegen das Coronavirus stehen bereit und es liegt an uns, zu entscheiden, was wir davon in welchem Maß einsetzen wollen. Die Endemie muss kein harmloser Zustand sein, er ist nur ein stabiler Zustand, bei dem weiterhin viele Menschen erkranken und sterben können.
Covid-19 wird womöglich eine Kinderkrankheit
Wie der tatsächliche Alltag dann aussieht, hängt vor allem davon ab, wie viele Infektionen und Krankheitsfälle wir als Gesellschaft akzeptieren – wenn die meisten Geimpften die Gefahr kaum mehr trifft.
Die Immunität gegen das Coronavirus ist und bleibt in der Bevölkerung unterschiedlich verteilt. Während die ältere Bevölkerung durch Infektionen oder Immunität bereits geschützt ist, kommen immer wieder Kinder auf die Welt, die immunologisch naiv sind. Es ist daher plausibel, dass Covid-19 sich auf lange Sicht zu einer Kinderkrankheit entwickelt.
Letztlich dürfte das Risikoverhältnis zwischen schwerem Verlauf oder Folgeerkrankungen und den Nebenwirkungen der Impfung darüber entscheiden, ob wir ihnen Covid-19 zumuten oder die Gruppe der Kinder grundsätzlich mit Impfstoffen besser schützen.
Was die Wissenschaft zur Corona-Impfung bei Kindern sagt, zeigen wir dir hier.
Bis es als Kinderkrankheit gilt, wird allerdings noch Zeit vergehen. Forschende haben den Weg dahin modelliert: Es könnten Jahre, aber auch locker mehrere Jahrzehnte werden.
Über den Autor:
Lieber Herr Tertilt, ich danke Ihnen für diesen Artikel. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich ihn in meinem Bio-Unterricht nutzen. Viele Grüße Diana
Danke für den schönen Artikel. Kann es nicht sogar sein, dass neugeborene Babys durch die (geimpfte/genesene) Mutter einen ausreichenden Schutz mitbringt? Oder ist das eher unwahrscheinlich?
Theoretisch ist das denkbar, allerdings ist noch nicht klar, ob es wirklich so ist. Mehr Infos dazu findest du hier: https://www.zusammengegencorona.de/impfen/gesundheit-von-frauen/corona-schutzimpfung-in-der-stillzeit-das-muessen-sie-wissen/
Danke für die schriftform
Danke für diese Information. Was mir hier fehlt, ist etwas mehr Input zu Mutationen. Was treibt den Sars-Cov-2-Virus zur Mutation (der Virus weiß ja nicht, wieviel Menschen er noch ansteckt und wann es an der Zeit ist, zu mutieren, um zu überleben, oder?)? Kann man das Mutieren nicht verhindern?
Mutationen werden hier auf quarks.de noch an anderer Stelle in einem eigenen Artikel besprochen. Meistens werden die Gründe für Mutationen etwas überinterpretiert. In erster Linie sind Mutationen zufällig und eigentlich Fehler bei der Virusverbreitung. Wichtig und relevant für uns wird es dann, wenn sie sich durchsetzen und diese neuen Varianten… Weiterlesen »