Artikel Kopfzeile:
Quarks Daily Spezial
Gräueltaten – ist jeder von uns dazu fähig?
Ob Kriegsverbrechen oder Mord – Grausamkeiten begegnen uns ständig. Können wir etwas tun, damit Menschen weniger Gewalt anwenden?
iframe embed
Artikel Abschnitt:
Der angeborene Moralinstinkt
Der Mensch kann – anders als das Tier - zwischen Gut und Böse unterscheiden. Der Psychologieprofessor Marc Hauser von der Universität Harvard nennt das den "angeborenen Moralinstinkt“. Er hilft uns dabei, unsere kulturell spezifischen Moralprinzipien zu erlernen. Also bestimmte soziale Regeln, die für unser Zusammenleben wichtig sind. Im Idealfall bedeutet das, dass wir die Rechte des anderen achten und unsere eigenen, egoistischen Ansprüche herunterschrauben. Der Moralinstinkt hindert uns auch daran, das Leben anderer zu zerstören.
Jeder Mensch hat aggressive Impulse in sich
Tatsächlich aber hat jeder Mensch auch aggressive Impulse in sich. Dabei muss man unterscheiden zwischen bösen Fantasien, bösen Plänen – und der tatsächlich bösen Handlung.
In der Fantasie hat jeder von uns schon mal anderen Menschen etwas "angetan“. Das hat eine psychisch entlastende Funktion, weil wir den Konflikt in Gedanken durchgehen – und nicht ausagieren.
Was macht mich zum Täter/zur Täterin?
Es gibt gleich mehrere Faktoren, die entscheidend dafür sind, ob jemand seine Aggression tatsächlich auslebt: Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle – inwieweit schafft man es, seinen aggressiven Impulsen nicht nachzugeben? Die Fähigkeit zum Mitgefühl, wie gut man sich in jemand anderen hineinversetzen kann. Und die Akzeptanz moralischer Grundsätze: Akzeptiert man das "Wertesystem“ der Gesellschaft? Wenn eine oder sogar alle drei dieser Fähigkeiten versagen, dann steigt das Risiko, dass Gewalt zum eigenen Vorteil eingesetzt wird. Entsprechend unterteilt man gewalttätige Straftäter:innen auch in unterschiedliche Tätergruppen.
Instrumentelle Täter:innen
Dieser Tätertyp ist meist in einem gewalttätigen Umfeld aufgewachsen, das ihn gelehrt hat: Gewalt ist überlebenswichtig, Gewalt ist effektiv und wird belohnt. Gewalt ist bei diesen Täter:innen der Weg zum Ziel, ihre Strategie, um Konflikte zu lösen. Das ist zum Beispiel in Kriegsgebieten oft so.
Impulsiv-reaktive Gewalttäter:innen
Diese Täter:innen leiden an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, fallen oft schon als Kinder auf, weil sie soziale Regeln missachten oder das Eigentum anderer zerstören. Sie können ihre Affekte schlecht kontrollieren und auch bestimmte Signale nicht richtig deuten, zum Beispiel interpretieren sie weit aufgerissene Augen nicht als Angst, sondern als Bedrohung. Bei impulsiven Gewalttäter:innen konnten Neurowissenschaftler:innen zeigen, dass oft eine Veränderung im Gehirn vorliegt: Der Mandelkern, der für die emotionale Bewertung von Reizen zuständig ist, ist bei impulsiv-reaktiven Gewalttätern hyperaktiv. Sie haben viel schneller das Gefühl, bedroht zu werden, rasten schneller aus, ihr Selbstwert ist leicht angreifbar, sie sind äußerst verwundbar, schnell gekränkt – und darauf reagieren sie dann mit starker Aggression.
Weitere Angaben zum Artikel:
Du willst täglich mehr wissen?
Artikel Abschnitt:
Die Psychopath:innen
Psychopath:innen sind zwar die kleinste Gruppe der Gewalttäter;innen, aber dafür die gefährlichste. Denn Psychopath:innen sind viel berechnender, planender, risikofreudiger. Sie lügen viel, sind manipulativ, empfinden keine Reue, keine Scham, sind gefühlskalt. Auch bei ihnen ist der Mandelkern verändert: Er ist aber nicht hyperaktiv, wie bei den impulsiven Gewalttäter:innen, sondern im Gegenteil: völlig still. Das bedeutet: Psychopath:innen empfinden so gut wie keine Angst und auch kein Mitgefühl.
Die Gruppendynamik
Neben den Persönlichkeitsmerkmalen können auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle dabei spielen, ob jemand gewalttätig wird oder nicht. Das berühmteste Experiment dazu stammt von dem Psychologieprofessor Philip Zimbardo von der Stanford-Universität. Er hat 1971 über eine Zeitungsanzeige ganz normale, psychisch stabile Student:innen rekrutiert, die für zwei Wochen in einem "Gefängnis“ leben sollten. Per Münzwurf wurde entschieden, ob man in die Gruppe der Gefangenen oder in die Gruppe der Wärter:innen kam.
Das Experiment musste bereits nach sechs Tagen abgebrochen werden, weil die Wärter:innen ihre Rolle mit einer solchen Brutalität auslebten, dass die Versuchsleiter einschreiten mussten, um Schlimmeres zu verhindern.
Die Schlussfolgerung der Psycholog:innen war damals: Jeder Mensch unterliegt der Macht der Gruppe. Zwar gab es auch viel Kritik an dem Experiment von Philip Zimbardo, trotzdem hat man auch in anderen Experimenten festgestellt: Je chaotischer eine Situation ist, desto mehr scheinen Menschen sich nach Führung zu sehnen, nach jemandem, der "für Ordnung sorgt“.
Die Umweltfaktoren
Ob jemand empathisch ist, seine Impulse unter Kontrolle hat und das Wertesystem akzeptiert, hat viel damit zu tun, ob er dies im Laufe seines Lebens erlernt hat. Denn was in der Kindheit "verpasst“ wird, ist als Erwachsener umso schwerer nachzuholen.
Außerdem muss man bei Gewalt beziehungsweise Aggression immer unterscheiden: handelt jemand aus einem Impuls heraus, weil er beispielsweise provoziert wurde? Oder plant er die Aggression kaltblütig? Wenn man weiß, wo die Ursache für übermäßig aggressives Verhalten liegt, dann gibt es verschiedene Therapieansätze: In der Psychotherapie kann der Patient/die Patientin lernen, bestimmte Situationen anders zu bewerten. Dann gibt es Ideen, Hirnfunktionen zu verändern, wenn dort eine Störung vorliegt: durch Hormone oder Hirnstimulation zum Beispiel.
DIE MACHER:INNEN
Sebastian Sonntag ist leidenschaftlicher Radiomoderator und Quarks-Daily-Host.
Julia Trahms ist Journalistin und beschäftigt sich am liebsten mit der menschlichen Psyche, Sport- und Ernährungsthemen.
Quellenangaben zum Artikel:
Social Sharing:
Artikel Überschrift:
Bitte noch besser recherchieren! Das Zimbardo-Experiment (und auch Milgram) ist inzwischen in die Kritik geraten weil es manipuliert wurde. Wer mehr zu dem Thema lesen will: „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann.
Danke für deinen Input – wir werden uns das anschauen!
Bin d’accord. Hier fehlt neben der Macht des Gruppenzwangs aber auch noch ein wichtiges Experiment (Milgram) und die Macht äußerer Autorität für die eigene Verantwortung. Im Milgram Experiment ging es ja darum zu sehen, ob äußere Autorität Sadismus befördert, bzw., ob das Abgeben von Verantwortung für die eigenen Handlungen an… Weiterlesen »
Ich glaube, die Einschätzung, dass Tiere nicht zwischen Gott und böse unterscheiden können, ist teilweise nicht ganz richtig. So haben Experimente mit Schimpansen gezeigt, dass sie sehr wohl in der Lage sind, andere zum eigenen Vorteil zu täuschen, und tatsächlich auch im gewisser Weise lügen können.
Liebes Quarks Team, der Podcast ist wirklich gut, aber dass Tiere kein Moralempfinden haben, ist meiner Meinung nach total überholt. Als ein Schimpanse mit ansah, wie ein Artgenosse in einem Experiment keine Belohnung bekam, wollte er teilen (leider habe ich keinen Link zu dem Ergebnis). Und es gibt in Menschenaffengruppen… Weiterlesen »